Expe­riment Bar­geld­ent­wertung in Indien kra­chend gescheitert

Neun Monate ist es her, dass Indien unter Pre­mier­mi­nister Narendra Modi einen uner­war­teten und schweren Schlag gegen das Bargeld lan­cierte. In der Nacht vom 08. auf 09. November 2016 wurden alle alten 500 und 1000 Rupi­en­scheine ent­wertet (1000 ₹ ent­sprechen ca. 16 $). Buch­stäblich über Nacht waren die Geld­scheine nichts mehr wert. Die Maß­nahme traf das Land völlig unvor­be­reitet. Modi kün­digte den bru­talen Schritt in einer Fern­seh­an­sprache an die Nation am Diens­tag­abend an, bereits um Mit­ter­nacht waren die bis dahin gül­tigen Geld­scheine wertlos.

Am 11. November wurden neue 500er und 2000er Rupi­en­scheine aus­ge­geben, die die alten Scheine ersetzten.

Es folgten Hams­ter­käufe und War­te­schlangen, Unruhen und leider auch Tote. An den Vor­gängen in Indien konnte man stu­dieren, was pas­siert, wenn eine Regierung im Ruckzuck-Ver­fahren Bargeld abschafft bzw. auf einen Schlag einen großen Teil davon ent­wertet. Die beiden für ungültig erklärten Scheine machten nämlich ca. 80 Prozent der umlau­fenden Währung aus.

Unter den ärmeren Leuten wurde die Nacht-und-Nebel-Aktion teil­weise sogar gut geheißen, war sie doch, laut Regierung, gegen die Reichen und ihre immensen Schwarz­geld­be­stände gerichtet. Die Berichte, Reiche, kor­rupte Beamte und Steu­er­be­trüger hätten in Panik und Ver­zweiflung mas­senhaft Bank­noten ver­brannt, um nicht hinter Gittern zu landen, wurden im Volk mit großer Befrie­digung zur Kenntnis genommen, Modi war der starke Arm sozialer Gerechtigkeit.

Das Ziel der ganzen Aktion war folgendes:

Die indische Wirt­schaft ist eine Bar­geld­wirt­schaft. Der weitaus über­wie­gende Teil der Inder besitzt kein Bank­konto. Man zahlt bar und arbeitet für bar.

Die Bedürf­nisse des täg­lichen Lebens werden in Indien zum größten Teil durch kleine Händler und Klein­bauern auf den Märkten gedeckt. Hier gilt Bar­be­zahlung. Mit der Ent­wertung der Rupi­en­scheine brach Chaos aus, und die Ärmeren konnten keine Lebens­mittel kaufen. Unruhen und Tote waren die Folge.

Die Regierung hatte eine Weile ver­sucht, die Inder zu Bank­kunden zu „trans­for­mieren“. Diese Bemü­hungen erwiesen sich als fruchtlos. Die Inder ver­dienten und han­delten am Fiskus vorbei, die Wenigsten zahlten Steuern und die Banken düm­pelten am Rande der Volks­wirt­schaft dahin.

Die Bar­geld­ent­wertung hatte zum einen als Ziel, die maladen und schwer ange­schla­genen Banken zu retten. Dadurch, dass die Inder nur durch Ein­zahlung der alten Scheine auf ein Bank­konto auch neue Bar­geld­scheine in der­selben Menge abheben konnten (bei reinem Umtausch von alten Geld­scheinen in neue durfte eine sehr niedrige Höchst­grenze nicht über­schritten werden), wollte man damit die maroden Banken quasi zwangs­weise frisch kapi­ta­li­sieren. Die Leute waren größ­ten­teils gezwungen, ihr ganzes, daheim gehor­tetes Bargeld auf Mil­lionen frisch eröffnete Konten ein­zu­zahlen, um neues Bargeld für ihren Bedarf abheben zu können. Gleich­zeitig, so die Rechnung der Regierung, offen­barten die Bürger damit ihre tat­säch­liches Geldvermögen.

Effekt: Plötzlich erhielten die Banken Unmengen Geld­ein­lagen und neue Bank­kunden. Gleich­zeitig bekam der Staat Ein­blick in die Gut­haben mit allen per­sön­lichen Angaben dazu.

Die Inder sind aber nicht dumm und rochen den Braten. Dass eine unge­wöhnlich große Summe ein­zu­zahlen sehr unvor­sichtig wäre, war jedem klar. Es wurde seitens des Fiskus auch ange­kündigt, „ver­dächtige“ Beträge auf Bank­konten mit 45% zu besteuern und da waren die betrof­fenen Inder natürlich hellwach und wenig bis gar nicht amused. Außerdem hatte sich schnell her­um­ge­sprochen, dass dann gleich die Polizei wegen Kor­rup­ti­ons­ver­dachts im Haus steht. Folglich brachten die Inder, die Geld hatten, dieses NICHT auf die Bank, sondern „ver­schoben“ es anderweitig.

Denn der Mensch ist findig und listig, und so sehen wir in Indien, was die Men­schen tun, wenn man sie „kriegen“ will: Sie flut­schen rechts und links an der Falle vorbei. Die einen bezahlten mit altem Geld ihre Ange­stellten auf Monate im Voraus (Die kleinen Ange­stellten haben nicht soviel Geld, dass sie „auf­fällig werden und zahlten es auf die Bank ein). Die anderen ver­teilten die Scheine in der ärmeren Ver­wandt­schaft, die es für sie auf der Bank ein­tauschte, und die neuen Scheine gegen eine Belohnung ablie­ferten. Die nächsten tauschten es mit 20% Abschlag auf dem Schwarz­markt für Dollar und neue Rupien.

Und wieder andere kauften zum Bei­spiel Gold. Die Gold­preise stiegen auf unglaub­liche 2500 bis zu 3500 Dollar pro Unze. Die Schlaueren kauften das Gold im Ausland, weil sie schon ahnten, dass die Regierung auch dem Goldkauf einen Riegel vor­schieben würde, und so kam es auch. Die Gold­händler in Indien mussten nun jeden Goldkauf (gegen Vorlage von Aus­weis­pa­pieren) dem Staat melden. Die Gold­händler in Indien selbst erlitten dadurch starke Umsatz­ein­bussen, die Gold­händler im Ausland, an Indiens Grenzen, können gar nicht schnell genug nachliefern.
Erfolg und Sie­ger­ehrung: Die Gold­händler IN INDIEN liefern das unver­käuf­liche Gold für hohe Preise an die Händler außerhalb Indiens Grenzen, die es den wie ver­rückt kau­fenden Indern zu noch höheren Wucher­preisen wieder anbieten.

Manche steckten ihr Geld nicht nur zur Wert­anlage in Gold­käufe, sondern benutzten das Edel­metall zur Beschaffung unter­schied­lichster Waren im Ausland, um diese in Indien gegen neue Bank­noten wieder zu verkaufen.

Die wirklich reichen Inder waren, wie sich her­aus­stellte, von den Anti­kor­rup­ti­ons­un­ter­su­chungen sowieso nicht betroffen, da die indi­schen Behörden und die Polizei berühmt sind für ihre Bestech­lichkeit. Mit ein bisschen gutem Willen und Freund­lichkeit sieht die Polizei eben nicht, was da an ver­däch­tigem Bargeld, Schmuck und Edel­metall liegt, denn ererbter Schmuck und ererbtes Gold sind bis zu einer gewissen Höhe frei. Nun ja, und wer nicht sucht, der findet nicht.

Auf dem Land in Indien gibt es kaum Banken und Konten. Die indische Volks­wirt­schaft ist aber eine Bar­geld­wirt­schaft, und so litten gerade die ein­fachen Leute sehr unter der Bargeldentwertung.

Die ärmeren Inder, denen diese „Ban­ken­rettung Vindaloo“ und Anti­kor­rup­tions-Aktion als gute Sache gegen die bösen Reichen ver­kauft worden war, stellten bald fest, dass gerade sie, das arme Volk auf dem Land, das Leid­tra­gende war.

Auf dem Land gibt es fast keine Banken, und die Leute haben daher auch keine Bank­konten. Geld­wechsler und Händler fahren dort über die Dörfer. Wer aber kein Konto hatte und auch keine Gold­re­serven, hatte es sehr schwer in dieser Zeit. Viele kleine Händler mussten auf­geben, weil es unter den ein­fachen Leuten kaum noch Bargeld gab und sie keine Käufe mehr tätigen konnten. Die­je­nigen, die beim Geld­händler Bargeld ein­tauschten, bezahlten meist 25% — 30% Abschlag, denn es gibt nur wenige fah­rende Geld­wechsler. Da ihnen das neue Geld aus der Hand gerissen wurde, konnten sie leicht ein Viertel bis ein Drittel „Pro­vosion“ ver­langen. Den Armen reicht ihr Geld aber sowieso kaum zum Leben, und so ver­suchten sie, mit Arbeit statt Geld Lebens­mittel zu erlangen. Tausch­ge­schäfte blühten.

Gold: Wie Sie sich vor Inflation, Zentralbanken und finanzieller Repression schützen von [Rickards, James]Die gesamte Volks­wirt­schaft auf dem Land struk­tu­rierte sich daher neu auf der Basis von Tausch­wirt­schaft und kleinen Märkten.

Heute, fast ein Jahr nach der denk­wür­digen Über­ra­schungs­aktion kann man sagen, dass sie kra­chend gescheitert ist. Am 30. August meldet die eng­lisch­spra­chige indische Seite „National Herald“, dass die indische Zen­tralbank RBI (Reserve Bank of India) ein­ge­stehen musste, nur ein Prozent des ent­wer­teten Geldes sei wirklich vom Markt getilgt worden. 99% der ent­wer­teten Bank­noten seien über ver­schiedene Kanäle gewa­schen worden und in den Geld­kreislauf zurückgekehrt.

Die Regierung hatte sich damit gebrüstet, dem Schwarzgeld der Kri­mi­nellen, Steu­er­be­trüger und Kor­rupten den Todesstoß ver­setzt zu haben, die Regierung hatte ver­breitet, dass ein Drittel des indi­schen Bar­geld­um­laufes so ver­nichtet worden sei. Die Wirt­schaft habe von der Ver­nichtung des Schwarz­geldes und der Kor­ruption enorm pro­fi­tiert und die Maß­nahme habe so zu mehr sozialer Gerech­tigkeit geführt.

Tat­sächlich ist das Gegenteil der Fall. (der direkte Link auf die Financial Times “India demo­ne­ti­sation fails to purge black money” ist bei­trags­pflichtig. Bitte das erste Such­ergebnis auf Google anklicken, dann kommt man doch auf den Artikel hierzu)  Die „Bösen“ haben ihr Schwarzgeld intel­ligent auf vie­lerlei Weise, wie beschrieben, gerettet und weiter im Geld­kreislauf gehalten. Der ärmere Teil der Bevöl­kerung hatte durch die Maß­nahme mit großen Ver­lusten zu kämpfen, da den Klein­un­ter­nehmern wegen Bar­geld­mangels die Kund­schaft weg­brach. Gerade die vielen Klein­un­ter­nehmer wurden rui­niert. Viele Inder, die sich in der Zeit mit großen Pro­blemen her­um­schlagen mussten, nahmen es hin, weil Pre­mier­mi­nister Narendra Modi das Volk zum Durch­halten aufrief, um die Reichen, Kri­mi­nellen und Kor­rupten zu bestrafen und ihnen die unrecht erwor­benen Ver­mögen wegzunehmen.

Der ehe­malige indische Finanz­mi­nister Chi­dam­baram twit­terte auf die Meldung der Zen­tralbank empört: „99% der Noten legal ein­ge­tauscht! War die Bar­geld­ent­wertung ein Plan, schwarzes Geld in weißes zu wechseln?“

Rahul Gandhi, der Führer der Oppo­si­ti­ons­partei „Kon­gress­partei“, twit­terte:“ Ein kolos­sales Scheitern, das unschuldige Leben gekostet hat und die Wirt­schaft rui­niert. Wird der PM das eingestehen?“

Es sieht nicht danach aus. Der indische Finanz­mi­nister Arun Jaitley gibt zwar zu, dass das Schwarzgeld, statt eli­mi­niert worden zu sein, wieder fröhlich im Geld­kreislauf zir­ku­liert, weist aber darauf hin, dass man Mil­lionen von Konten nun unter­suche auf solche Ver­mögen, die nicht in Über­ein­stimmung zum Steu­er­profil stehen. Es seien 1,8 Mil­lionen Konten, bei denen die Bar­ein­zah­lungen in der Periode der Bar­geld­ent­wertung nicht mit den steu­er­lichen Angaben in Ein­klang zu bringen seien. Außerdem unter­suche man 200 weitere, hoch ver­dächtige „Cluster“ von Leuten.
Das mag sicher in einigen Fällen zu Ermitt­lungs­er­geb­nissen führen. Erwischt haben dürfte man damit aber nur den kleinen Pro­zentsatz derer, die zu dumm waren, die Wege und Mög­lich­keiten zu nutzen, die sich damals – eben­falls über Nacht – ent­wi­ckelt haben.

Denn auch das ist in Indien längst bekannt: Die blei­benden Kon­se­quenzen der Bar­geld­ent­wertung sind für die Volks­wirt­schaft sehr schädlich und kaum mehr zurückzunehmen.

Es haben sich zum einen kom­plexe Netz­werke in dieser Zeit ent­wi­ckelt und eta­bliert, die den Indern ermög­lichen, große Mengen an Schwarzgeld und Ver­mö­gens­werten zu halten und umzu­kon­ver­tieren, ohne dass die Steu­er­be­hörden davon Wind bekommen. Diese Netz­werke ver­fügen über sehr ver­sierte Leute, die einen großen Geschäfts­zweig daraus auf­gebaut haben, mit inter­na­tio­nalen Bezie­hungen von Händlern, Brokern, Schmugglern, Stroh­firmen und Stroh­männern und Bestechungs­fonds – eine Art Geld- und Steuervermeidungsmafia.

Zum anderen sind die ein­fachen Leute, ins­be­sondere auf dem Land, weit­gehend bei der aus der Not gebo­renen Tausch­wirt­schaft geblieben und haben hier feinere Instru­mente, bessere Ver­net­zungen und ein­geübte, all­gemein prak­ti­zierte Ver­fah­rens­weisen ent­wi­ckelt. Das Ver­trauen in die Regierung ist beim ein­fachen Volk ziemlich dahin, und man ver­lässt sich vor­sichts­halber nicht mehr auf offi­zielle Geld­scheine, die viel­leicht wieder irgendwann über Nacht nichts mehr wert sind.

Die erzwun­ge­ner­maßen eröff­neten Bank­konten liegen zum großen Teil brach. Es ist vielen zu riskant, ihre Geld­ge­schäfte unter den Augen der Steu­er­be­hörde zu tätigen, ins­be­sondere, da das Finanz­mi­nis­terium sich ja auch damit brüstet, alles genau unter die Lupe zu nehmen.

Hier bestätigt sich wieder einmal, was die Geschichte immer und immer wieder zeigt. Alle Systeme, die mit Zwang, Kon­trolle, Aus­beutung und Unter­drü­ckung gegen die Natur des Men­schen regieren, gehen unter. Tod­sicher. Leider können sie eine ganze Weile immense Angst und Leid verbreiten.

Doch die Men­schen ent­wi­ckeln stets und zuver­lässig Wege, sich dem Zugriff der ver­hassten Obrigkeit zu ent­ziehen. Die Unter­drücker können immer nur nach­rüsten, doch die Schwarm­in­tel­ligenz ist größer. Je größer die Not, um so erfin­de­ri­scher werden die Leute.