Es ist genug! #MeToo artet in eine uferlose Männer-Hass-Kam­pagne aus

In einer viel­be­ach­teten und in fast allen grö­ßeren Medien bespro­chenen – und mehr­heitlich ver­ur­teilten Stel­lung­nahme, hat sich ein Kol­lektiv von 100 pro­mi­nenten Fran­zö­sinnen in der füh­renden “Le Monde” ent­schieden gegen einen Femi­nismus gewandt, der in den Augen dieser Frauen nur “Hass auf Männer” aus­drückt. Dar­unter sind klin­gende Namen, wie Catherine Millet, Ingrid Caven und Catherine Deneuve. Da sich alle deutsch­spra­chigen Medien darüber wett­ei­fernd echauf­fieren, die deutsche Öffent­lichkeit aber (wohl­weislich?) den Ori­g­ni­altext nicht in Über­setzung zu lesen bekommt, haben wir diese Stel­lung­nahme über­setzt, um unseren Lesern die Mög­lichkeit zu geben, sich ein eigenes Bild zu machen. Es ist so wörtlich wie möglich übersetzt:

Stel­lung­nahme:

Ver­ge­wal­tigung ist ein Ver­brechen. Aber ein hart­nä­ckiges oder unge­schicktes Anbaggern ist kein Ver­brechen, noch ist Galan­terie eine Macho-Aggression.
Als Folge der Wein­stein-Affäre ent­stand ein berech­tigtes Bewusstsein für sexuelle Gewalt gegen Frauen, besonders am Arbeits­platz, wo bestimmte Männer ihre Macht miss­brauchen. Das war not­wendig. Aber diese Befreiung, dies offen zur Sprache zu bringen, ver­wandelt sich heute in ihr Gegenteil: Man schüchtert uns ein, so zu reden wie es (von uns) erwartet wird und nichts zu sagen, was Zorn erweckt. Wer sich weigert, diesen Anord­nungen Folge zu leisten, wird als Ver­räter betrachtet, als Komplize!
(Anmerkung: Gemeint ist hier offenbar, dass die Befreiung, endlich öffentlich machen zu können und zu dürfen, dass es sexuelle Beläs­ti­gungen gibt, ins andere Extrem umge­schlagen ist, und jetzt muss man schon den Mund halten, wenn man diesen Kreuzzug gegen Männer nicht mehr mit trägt und ist schon ein Ver­räter und Kom­plize der bösen Männer, wenn man nicht in die gleiche Kerbe schlägt)

Aber es ist cha­rak­te­ris­tisch für den Puri­ta­nismus, im Namen eines angeb­lichen All­ge­mein­wohls sich der Argu­mente zum Schutz der Frau und ihrer Eman­zi­pation zu bedienen, nur, um sie besser an den Status des ewigen Opfers, der armen, kleinen Din­gerchen unter dem Ein­fluss der Dämo­nen­phal­lok­raten zu ketten, wie in den guten alten Zeiten der Hexerei.

Anpran­ge­rungen und Anklagen

Tat­sächlich zog #metoo in der Presse und in sozialen Netz­werken eine Kam­pagne an öffent­lichem Anprangern und Amts­ent­he­bungen von Per­sonen nach sich, die, ohne eine Mög­lichkeit zu ihrer Ver­tei­digung zu erhalten oder darauf zu ant­worten, auf die genau gleiche Stufe wie Sexu­al­straf­täter gestellt wurden.
Diese Schnell­ver­ur­teilung hat bereits ihre Opfer: Männer, die beruflich abge­straft wurden, zum Rück­tritt gezwungen, usw.. Dabei war ihr ein­ziges Ver­gehen, ein Knie berührt zu haben, einen Kuss zu stehlen, bei einem Geschäfts­essen über “intime” Dinge zu sprechen oder einer Frau Bot­schaften mit sexu­ellem Unterton zu senden, bei der die Anziehung nicht auf Gegen­sei­tigkeit stieß.

Dieses Fieber, die “Schweine” zur Schlachtbank zu führen — weit davon ent­fernt, Frauen zur Selbst­be­stimmung zu ver­helfen — dient in Wirk­lichkeit den Inter­essen der Feinde sexu­eller Freiheit, (es dient statt­dessen) den reli­giösen Extre­misten, den schlimmsten Reak­tio­nären und denen, die meinen, im Namen einer grund­le­genden Vor­stellung von der guten, vik­to­ria­ni­schen Moral (zu handeln), die in Frauen “besondere” Wesen sieht, Kinder mit einem Erwach­se­nen­ge­sicht, die geschützt werden wollen.

Auf der anderen Seite werden die Männer auf­ge­fordert, ihre Schuld zu geißeln (darauf ein­zu­schlagen) und in den Tiefen ihres rück­bli­ckenden Gewissens nach “deplat­ziertem Ver­halten” zu fahnden, das sie vor zehn, zwanzig oder dreißig Jahren viel­leicht gezeigt haben und das sie bereuen müssen. Das öffent­liches Bekenntnis, der Überfall selbst­er­nannter Staats­an­wälte in die Pri­vat­sphäre, genau das instal­liert das Klima einer tota­li­tären Gesellschaft.

Die Säu­be­rungs­welle scheint keine Grenzen mehr zu kennen. Hier zen­siert man ein Aktbild von Egon Schiele auf einem Plakat; dort fordert man die Ent­fernung eines Balthus-Gemäldes aus einem Museum mit der Begründung, es sei eine Ver­herr­li­chung der Pädo­philie; indem wir den Mann mit dem Werk ver­wechseln, ver­bieten wir die Auf­führung der Roman Pol­anski-Retro­spektive im Kino, und wir bekommen statt­dessen den Übertrag dessen, was Jean-Claude Brisseau gewidmet ist.
(Sehr rät­sel­hafte Stelle, die mög­li­cher­weise aus­drücken soll, dass der auto­di­dak­tische Fil­me­macher Brisseau am Filmset seine Dar­stel­le­rinnen nach­weislich massiv sexuell beläs­tigte, dafür auch ver­ur­teilt wurde, seine Filme aber als Kunst mit Preisen belohnt wurden. Der Gedanke ist viel­leicht, dass wir nun als Ergebnis zwar keine richtige Kunst mehr erhalten, sondern nur noch sexuelle Über­grif­fig­keiten von solchen Männern, die von der Poli­tical Cor­rectness unbe­ein­druckt, ihre Triebe dennoch rück­sichtslos aus­leben und nur hinter einem Män­telchen von Kunst verbergen.)

Ein Aka­de­miker findet Michel­angelo Anto­nionis Film Blow-Up “frau­en­feindlich” und “inak­zep­tabel”. Im Lichte dieses Revi­sio­nismus’ bekämen es John Ford (Der Gefangene der Wüste) und sogar Nicolas Poussin (Der Raub der Sabi­ne­rinnen) mit der Angst zu tun.

Die Ver­leger bitten bereits einige von uns, unsere männ­lichen Cha­raktere weniger “sexis­tisch” zu machen, über Sexua­lität und Liebe mit weniger Übermaß zu reden oder sicher­zu­stellen, dass das “Trauma, das von weib­lichen Cha­rak­teren erlebt wird” deut­licher gemacht wird! Am Rande der Lächer­lichkeit will ein Geset­zes­vor­haben in Schweden eine offi­zielle und aus­drück­liche Zustimmung (der Frau) zum Geschlechts­verkehr für jeden Bewerber! Ein wei­terer Vorstoß (in diese Richtung): Zwei Erwachsene, die mit­ein­ander schlafen wollen, prüfen im Vorfeld durch eine “App” auf ihrem Telefon ein Dokument, das die Prak­tiken, die sie akzep­tieren oder ablehnen, ord­nungs­gemäß aufführt.

Die Frau als Beute und hilf­loses Opfer: Die der Über­lie­ferung nach anfänglich reine Män­ner­ge­sell­schaft der Römer brauchte Frauen, um sich fort­zu­pflanzen und raubte kur­zerhand die Frauen aus dem Nach­barvolk der Sabiner. Nach heu­tigen Maß­stäben poli­tisch nicht korrrekt. Nicolas  Poussin: Der Raub der Sabi­ne­rinnen, Öl auf Leinwand, 1634,  (Metro­po­litan Museum of Art (New York, United States)

Unent­behr­liche Freiheit, auf­dringlich zu sein

Der Phi­losoph Ruwen Ogien ver­tei­digte eine für das künst­le­rische Schaffen unent­behr­liche Freiheit. In gleicher Weise ver­tei­digen wir eine für die sexuelle Freiheit uner­läss­liche Freiheit, zu nerven. Wir sind jetzt hin­rei­chend gewarnt, ein­zu­sehen, dass der Sexu­al­trieb von Natur aus offensiv und wild ist, aber wir sind auch weit­sichtig genug, um takt­loses Anbaggern und sexuelle Über­griffe nicht zu verwechseln.

Vor allem sind wir uns bewusst, dass die mensch­liche Person nicht mono­li­thisch ist: Eine Frau kann am selben Tag ein pro­fes­sio­nelles Team führen und es genießen, das Objekt der Begierde eines Mannes zu sein, ohne eine “Schlampe” oder eine abscheu­liche Kom­plizin des Patri­ar­chats zu sein. Sie kann dafür sorgen, dass ihr Gehalt dem eines Mannes ent­spricht, sich aber dennoch nicht durch ein Reiben in der U‑Bahn trau­ma­ti­siert fühlen, auch, wenn das als Ver­brechen gilt. Sie kann es sogar als Aus­druck eines großen, sexu­ellen Not­standes oder sogar als Nicht-Ereignis betrachten.

Als Frauen erkennen wir uns in diesem Femi­nismus nicht wieder, der über die Anpran­gerung von Macht­miss­brauch hinaus, das Antlitz des Hasses auf Männer und Sexua­lität zeigt. Wir glauben, dass die Freiheit, zu sexu­ellen Avancen nein zu sagen, nicht ohne die Freiheit möglich ist, auf­dringlich zu sein zu dürfen. Und wir denken, wir sollten wissen, wie wir auf diese „Freiheit, auf­dringlich zu sein“ anders reagieren können, als uns in der Rolle der Beute einzurichten.

Für die­je­nigen von uns, die sich ent­schieden haben, Kinder zu haben, halten wir es für besser, unsere Töchter so zu erziehen, dass sie infor­miert und bewusst genug sind, um ihr Leben ohne Ein­schüch­terung oder Schuld­ge­fühle zu leben.
Unglück­liche Miss­ge­schicke, die den Körper einer Frau treffen können, tan­gieren nicht unbe­dingt ihre Würde und auch, wenn das manchmal hart ist, dürfen sie die Frau nicht zu einem stän­digen Opfer machen. Weil wir nicht auf unseren Körper redu­zierbar sind. Unsere innere Freiheit ist unan­tastbar. Und diese Freiheit, die wir schätzen, ist nicht ohne Risiken und Verantwortlichkeiten.
Rezeption in den Medien:
Die fran­zö­sische Variante der #metoo Kam­pagne, in der täg­liche neue, pro­mi­nente Frauen ihre Erleb­nisse von sexu­ellen Über­griffen öffentlich mit Namens­nennung des Täters bekannt machten, heißt in Frank­reich #balance­tonporc (“Ver­pfeif’ Dein Schwein”). Das Ganze läuft in allen teil­neh­menden Ländern über Twitter. Im Ergebnis werden Männer für oft schon viele Jahre zurück­lie­gende, oft wenig dra­ma­tische Über­grif­fig­keiten ange­prangert. Das erzeugt hohen, gesell­schaft­lichen Druck, sowohl auf den Delin­quenten, als auch auf sein beruf­liches Umfeld. Man rückt von ihm ab, es droht Anse­hens­verlust, viel­leicht sogar Kün­digung und Existenzvernichtung.
Wie schon ein­gangs erwähnt, wird diese Stel­lung­nahme aus Frank­reich mehr oder weniger heftig kri­ti­siert. Wir nehmen ein paar Bei­spiele heraus. Der Focus berichtet kurz und ohne Wertung über das Phä­nomen und die Ver­öf­fent­li­chung eines offenen Briefes von 100 pro­mi­nenten Fran­zö­sinnen. Kor­rek­ter­weise ist es nicht als “offener Brief” zu bezeichnen, da es keinen expli­ziten Adres­saten gibt, an den das Schreiben gerichtet ist.
Die Welt online widmet dem Protest der 100 Fran­zö­sinnen ein brei­teres Forum. Hier wird einiges aus dem Statement zitiert. Die Welt kon­ze­diert dem Schreiben auch, dass es die gesell­schaft­liche Debatte um sexuelle Aggression auf eine neue Ebene hebe. Eine prin­zi­piell sach­ge­recht und objektive Bericht­erstattung, die das Anliegen der Fran­zö­sinnen in den wich­tigsten Punkten neutral wie­dergibt. “Die Welt” sieht auch, dass dieser Vorstoß nur aus Frank­reich zu erwarten war: “In einem Land, dessen Kultur und Lite­ratur seit Jahr­hun­derten von Liber­tinage, Galan­terie und freier Sexua­lität geprägt ist, das Autoren wie den Marquis de Sade und Phi­lo­sophen wie Michel Fou­cault her­vor­ge­bracht hat, konnte der puri­ta­ni­schen Polizei, die aus jeder plumpen Anmache ein Ver­brechen macht, nicht dau­erhaft kein Wider­spruch ent­ge­gen­ge­bracht werden.”
Der öster­rei­chische Standard widmet dem Thema eben­falls eine nur kurze, neu­trale Berichterstattung.
Der Stern macht es sich einfach: “Warum ist es für die sexuelle Freiheit not­wendig, dass ein Chef seine Mit­ar­bei­terin am Knie berührt? Warum ist es Männer-Hass, wenn Frauen im Club nicht unge­fragt an den Hintern gefasst werden wollen? Iro­ni­scher­weise heißt es in dem Gast­beitrag, dass Frauen sehr wohl zwi­schen einem unglück­lichen Flirt und einem sexu­ellen Angriff unter­scheiden könnten. Warum die Unter­zeich­ne­rinnen das den Frauen der #MeToo-Kam­pagne absprechen, wird nicht klar.” Da hat offenbar jemand den Auftrag bekommen, “Was über die komische Sache da mit der Deneuve” zu schreiben. Da reicht es ja, wenn man die anderen Bei­träge und Artikel liest und ein paar Zitate klaut. Was in dem Gast­beitrag auf “Le Monde” steht, muss man nicht wissen, liest ja auch sonst keiner.
Nun, liebe/r Schrei­berIn “sst”, dann lesen Sie doch besser mal den oben­ste­henden, über­setzten Text.
Es ist eben nicht not­wendig für die sexuelle Freiheit, dass ein Chef seine Mit­ar­bei­terin am Knie berührt, aber sexuelle Freiheit benötigt auch abge­stufte Grenzen. Es gehört sich nicht vom Chef, das einfach zu tun. Es bleibt der Frau aber frei­ge­stellt, auf­zu­stehen und zu gehen,  und damit ihre Unab­hän­gigkeit und Freiheit zu pos­tu­lieren. Das reicht schon als klare Absage. Aber: Bleibt sie viel­leicht sitzen, weil sie beruf­liche Nach­teile fürchtet? Würde es denn keine beruf­lichen Nach­teile für sie bringen, den Mann sofort öffentlich “zur Sau” zu machen? Ist ihr der beruf­liche Vorteil doch mehr wert, als ihre Würde? Wie stellt sich “sst” das eigentlich im wahren Leben vor?
Der unge­fragte Griff an den Hintern ist nicht als “unbe­hol­fenes Anbaggern” zu ver­stehen, sondern jen­seits der Grenze. Punkt. Das ent­schul­digen auch die 100 Unter­zeich­ne­rinnen des State­ments nicht.
Im Spiegel Online hat auch Frau Eva Horn offenbar den Text nicht gelesen und tut so, als machten die 100 Unter­zeich­ne­rinnen keinen Unter­schied zwi­schen Beläs­tigung oder Macht­miß­brauch und “Anbaggern”. Sie haben, wie man ihrem Text unschwer ent­nehmen kann, der ursprüng­lichen Idee der #metoo-Kam­pagne ja zuge­stimmt. Es ist ja explizit und lang und breit erklärt worden, dass das Aus­ufern dieser Kam­pagne in Män­nerhass das Anliegen der Unter­zeich­ne­rinnen ist. Sehr geehrte Frau Horn, nur die Über­schrift zu lesen heißt nicht, schon Bescheid zu wissen.
Beim Deutsch­landfunk sieht es genauso aus. Den zu kom­men­tie­renden Text nicht gelesen, setzen Sechs. Wieder kommt der voll­kommen ver­fehlte Vorwurf, Frau Deneuve und ihre Mit­strei­te­rinnen ver­stünden die #metoo Kampage nicht und machten keinen Unter­schied zwi­schen unbe­hol­fenen Anbaggern  und plumper Anmache einer­seits und mas­siven, sexu­ellen Beläs­ti­gungen und Macht­miß­brauch andererseits.