Makroökonom und Wirtschaftshistoriker Russell Napier im Gespräch mit der NZZ. Interessante Gedanken zum Dollar, den Schwellenländern und zum Euro. Ich würde es einen nüchternen Blick nennen! Die Highlights:
- Zunächst zum Anstieg des Dollar: „Viele internationale Investoren waren wohl zunächst untergewichtet in europäischen Wertpapieren und haben mit ihren Käufen den Euro beflügelt. Nun hat die Dynamik in Europa etwas nachgelassen, während sich im globalen Kreditsystem erste frühe Krisensymptome zeigen. Vor allem dort, wo enorme Dollarkredite gesprochen worden sind.“
– Stelter: Wir hatten ja auch eine schöne Schuldenparty in den letzten Jahren! - „Der Dollar wird dann stark, wenn sich ein Kreditereignis abzeichnet. Das ist aus drei Gründen der Fall. Erstens ist Europa nicht mehr so wachstumsorientiert, wie es war. Zweitens riechen die Anleger Stress im globalen Kreditsystem. Drittens sehen die Renditen amerikanischer Staatsanleihen ziemlich attraktiv aus, wenn man sie mit jenen nordeuropäischer Staaten und Japans vergleicht.“
– Stelter: und erst recht jener Italiens! - „Zunächst sind in den vergangenen Jahren weltweit rekordverdächtig viele Dollar-Verbindlichkeiten eingegangen worden. (…) Zweitens können mehrere türkische Firmen ihre Schulden nicht mehr bedienen, vor allem die in fremden Währungen. International tätige Finanzinstitute, die der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich ihre Positionen melden, weisen Gegenparteirisiken von mehr als 400 Mrd. $ mit Bezug zur Türkei aus. Dazu kommt die Tatsache, dass verschiedene chinesische Firmen von der Regierung gerettet werden mussten, weil sie mit ihren Dollarkrediten nicht mehr klargekommen sind.“
– Stelter: Zudem seien die Risikozuschläge für Dollarkredite auch in Europa gestiegen. - „(…) die Türkei fällt in diesem Zusammenhang aufgrund der enormen Unwägbarkeiten am stärksten auf. Dabei geht es nicht nur um die Forderungen vor allem französischer und italienischer Banken, sondern auch um die Risiken, die internationale Obligationenfonds in ihren Büchern haben. Diese Finanzinstitute stehen wohl noch nicht vor Solvenzproblemen, aber ihre Profitabilität und die Wachstumsmöglichkeiten könnten deutlich beeinträchtigt werden. Dazu kommt die Frage, was im Krisenfall mit den 3 Mio. Flüchtlingen in der Türkei passieren wird und ob die Vereinbarung mit der Europäischen Union turbulentere Zeiten übersteht.“
– Stelter: Dann würde die Schönwetterpolitik der Regierung ein lautes Ende finden. - „Sie fürchten die Insolvenz der Türkei? Diese findet doch gerade statt. Ich kann Ihnen mehrere Firmen nennen, welche ihren finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen. Ein Beispiel ist die Telekom-Holding Otas, ein weiteres das Konglomerat Dogus, das seine Verbindlichkeiten restrukturieren musste. (…) Letztlich wird der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (…) Kapitalverkehrskontrollen einzuführen, um Wirtschaftswachstum bei gleichzeitig tiefen Zinsen zu erzielen. Das wäre die De-facto-Insolvenz, weil viele Firmen ihre Auslandsverbindlichkeiten aus juristischen Gründen nicht mehr bedienen könnten.“
– Stelter: Darum wird auch noch schnell gewählt. - „Wahlen am 24. Juni in der Türkei. Die entscheidende Frage ist, ob das Land den Wechselkurs bis dahin auf einem Niveau halten kann, das den Eindruck vermittelt, es sei noch zahlungsfähig. Spätestens danach aber wird eine massive Abwertung der türkischen Währung unumgänglich werden, die wiederum zu einer kleinen Kreditkrise in Frankreich und Italien führen wird. Dann muss die EZB einmal mehr alles tun, was nötig ist, um dort die Banken zu stabilisieren.“
- „(…) die Finanzinstitute des Kontinents müssen wohl den grössten Teil der sich abzeichnenden Probleme schultern. (…) Dabei sollte man beide Anlageformen meiden, ebenso Aktien von Firmen aus den Schwellenländern und aus Europa. Auf der sicheren Seite ist im Moment nur, wer auf Dollar-Einlagen oder auf amerikanische Staatspapiere setzt.“
– Stelter: Wow, Sicherheit ist da, wo man im US-Dollar ist! - „In einer Kreditkrise versuchen die Schuldner, ihre Verbindlichkeiten zu begleichen. Da der Dollar die Währung ist, in welcher über Grenzen hinweg die meisten Kreditkontrakte abgeschlossen werden, ist er in solchen Phasen gefragt und legt zu.“
– Stelter: Das ist auch immer meine Argumentation mit Blick auf Märkte, die mit Kredit arbeiten. - „Im Moment ist es so, dass das, was im Rest der Welt passiert, die Entwicklung der amerikanischen Wirtschaft kaum beeinflusst. So gesehen wird sich das Fed kaum darum kümmern, was anderswo vor sich geht. Aus diesem Grund rechne ich damit, dass die amerikanische Notenbank geldpolitisch restriktiver sein wird, als viele erwarten. Sie wird die Bilanz weiter verkürzen (…).“
– Stelter: was dann wiederum bedeutet, dass die Zinsen und der Dollar im Aufwärtstrend bleiben. - In Europa „(…) gilt immer noch ‚whatever it takes‘. (…) Die EZB ist schon lange keine Notenbank im eigentlichen Sinne mehr. Sie ist, spätestens seit Mario Draghi die Leitung übernommen hat, zu einem Mittel zur europäischen Integration und zur Stabilisierung des Euro geworden. Sie kennt bei der Verfolgung dieses politischen Ziels keine Grenzen mehr, keine Rücksicht auf die geldpolitische Stabilität, auf die Inflation und andere volkswirtschaftliche Konsequenzen. (…) Die EZB ist an sich gewissen institutionellen Grenzen unterworfen, diese werden aber im Moment völlig ignoriert. Möchte Herr Draghi also Geld aus Helikoptern regnen lassen, so wird er das wohl tun können. Bisher hat niemand versucht, diese Institution in ihre Schranken zu verweisen.“
– Stelter: Und wer glaubt, deutsche Regierungen oder Gerichte würden das tun, lebt in einer Traumwelt. - „Wie das Beispiel Griechenland gezeigt hat, will diese Institution alle im Euro halten – ohne Rücksicht auf Verluste. Als Nordeuropäer würde ich schauen, dass ich mein Geld aus dem Land schaffen könnte – über die Attraktivität des Dollars haben wir gerade gesprochen.“
– Stelter: So ist es. Die Eurozone wird ja gleichzeitig noch von Italien aus angegriffen.
Dr. Daniel Stelter — www.think-beyondtheobvious.com