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Der war 1945 in englische Kriegsgefangenschaft geraten und fand es auf der Insel so toll und hatte die Briten insgesamt als so „durch und durch fair“ erlebt, dass er blieb, in England studierte und – zurück im Osten des geteilten Deutschland – Schülern die englische Sprache beibrachte. Fair, dieser Begriff mag im Alltag des heutigen Deutschlands generell auf den Hund gekommen sein. Vielleicht wäre das sogar zu verkraften, wenn alternativ die juristische Ableitung „gerecht“ in Anwendung zu bringen wäre. Aber auch das ist nicht immer der Fall und vielleicht war es das auch nie ganz.
Doch ich schweife ab. Zurück zu den Briten und dem Begriff „Fair Play“, den wir in Aktion zu sehen glauben, wenn jeder Abgeordnete des House of Commons seinen Opponenten mindestens als „The most honorable…“ und „My dear friend… “ tituliert. Das hat doch Stil, das ist gentlemanlike! Doch für das Spiel hinter den Kulissen ist „Fair Play“ noch viel wichtiger, gerade deshalb, weil die Britische Realität viel weniger in „verfassten“ Bahnen verläuft, als dies in Deutschland der Fall sein sollte. Das könnte zur Folge haben, dass die anstehenden Unterhauswahlen durch einen groben Verstoß gegen das Gebot des „Fair Play“ beeinflusst, wenn nicht geradezu manipuliert werden.
Labour und die Gewerkschaften
Die Umfragen sehen nicht gut auch für den Chef der Labour-Partei, Jeremy Corbin, welcher in seiner Partei mittlerweile ein Standing wie AKK in der CDU genießt. Labour liegt in den Umfragen aktuell etwa 10% hinter den Tories, der persönliche Anteil Corbins an der Missgunst der Wähler, die seinem nach ganz weit links gerutschtem Kurs nicht mehr trauen, darf hoch angesetzt werden. Mit der erfolgreichen Partei eines Tony Blair hat Labor heute noch etwa so viel zu tun, wie die Schröder-SPD mit Kevin Kühnert.
In fünf Wochen wird gewählt und der Vorsprung Johnsons gegenüber Corbin wackelt nicht deshalb, weil letzterer plötzlich nicht mehr mit Islamisten kuschelt oder versprochen hätte, doch nicht den Staats-Sozialismus auf der Insel einzuführen. Vielmehr könnte sich ein „best buddy“ Corbins, der Chef der Gewerkschaft CWU (Communication Workers Union) Dave Ward als nützlicher Mehrheitsbeschaffer erweisen. Genauer gesagt als Mehrheitsverhinderer. Und von „Fair Play“ kann hier wirklich nicht mehr die Rede sein.
Hier kommt übrigens ausgerechnet Maggi „I want my money back“ Thatcher ins Spiel, die in ihrer ersten Amtszeit maßgeblich zur Zerschlagung der übermächtigen, das ganze Land lähmenden britischen Gewerkschaften beitrug. Im Ergebnis ist heute vieles so ungeregelt in Großbritanniens Streikrecht, dass es zum Beispiel so etwas wie eine Friedenspflicht nicht gibt, die in Deutschland unter gewissen Umständen einen Arbeitskampf verhindern oder zumindest verschieben kann. Eine Parlamentswahl ist ein solcher „Umstand”. Anders im Land von Boris Johnson, dessen konservative Regierung ausgerechnet mit der bei den Gewerkschaften verhassten Privatisierung der „Royal Mail“ begonnen hat und natürlich Jeremy Corbin, den 2015 unter anderem sein Parteigenosse und Gewerkschaftsboss Ward mit den Worten
„Ich freue mich, mitteilen zu können, dass die CWU Jeremy Corbyn als nächsten Vorsitzenden der Labour Party unterstützen wird. […] Es gibt ein Virus in der Labour-Partei, und Jeremy Corbyn ist das Gegenmittel.“
auf den Schild hob. Man kennt sich. Man schätzt sich. Man tauscht Ergebenheitsadressen und vermutlich auch politische Gefälligkeiten aus.
Den Vorschlag von „Royal Mail“, mit Arbeitsniederlegungen im Tausch gegen das Angebot bedingungsloser Verhandlungen bis nach der Wahl zu warten, lehnte die Gewerkschaft ab. Die Chance, der Regierung Johnson „nicht nur Weihnachten, sondern auch den Brexit zu versauen“, scheint einigen Gewerkschaftlern einfach zu verlockend und Labour-Politiker halten sich mit ihrer Empörung über diese indirekte Wahlmanipulation auffallend zurück.
Es bleibt also spannend, ob „Royal Mail“ die Ankündigung, trotz Streik die reibungslose Zustellung der Wahlunterlagen sicherstellen zu wollen, umsetzen kann. Denn sicher ist nur eines: jede Stimme, die es direkt oder per Post nicht rechtzeitig am 12.12. in die Wahlurne schafft, zählt nicht. Und auch wenn es die deutsche Presse einfach nicht lassen kann, Johnson das „Brechen aller Regeln“ zu unterstellen – Labour und Corbin bringen es sogar fertig, die Regeln des „Fair Play“ zu ignorieren.
Mein alter Englischlehrer wäre entsetzt! Rest in peace, Mr. Ritter. Gut, dass Sie das nicht mehr erleben müssen!
Der Autor Roger Letsch veröffentlicht seine sehr lesenswerten Beiträge auf www.unbesorgt.de
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