In Hamburg ist der Wahlkampf in die heiße Phase eingetreten, und nun fällt der SPD der Jahre alte Cum-Ex Skandal schmerzhaft auf die Füße. Die Grünen und die Opposition fordern jetzt energisch Aufklärung. Der äußerst fragwürdige Umgang mit den ergaunerten Steuerrückzahlungen von 47 Millionen Euro, die zurückzufordern das Hamburger Finanzamt mysteriöserweise verzichtete und die Rolle des damaligen Hamburger Bürgermeisters Olaf Scholz (SPD) sowie der Privatbank Warburg könnte den Zerfall der einstigen Volkspartei noch befeuern. Ein weiteres Kapitel des Untergangs der Altparteien wird aufgeschlagen.
Da die meisten nicht wissen, wie diese „Cum-Ex“-Nummer funktioniert, das hier einmal in aller Kürze:
Wie Cum-Ex funktioniert
A ist Eigner von Aktien. Er macht einen Kaufvertrag mit B, dass dieser ihm das Aktienpaket abkauft. Doch der Kauf selber findet noch nicht statt, es besteht nur der Vertrag. B verkauft aber, ohne die Aktien schon zu besitzen, das Paket sofort weiter an C. So etwas nennt man einen „Leerverkauf“. Nun wird von der Aktiengesellschaft die Aktien-Dividende an A ausgeschüttet. A muss von dieser Summe 25% Kapitalertragssteuer abführen. Diese Steuer kann er sich aber später mit einer Bankbescheinigung wieder erstatten lassen, wenn er bereits seine Einkommenssteuer bezahlt hat (oder, wenn A ein Unternehmen ist, die Körperschaftssteuer). Das macht A auch. Er behält also die gesamte Dividende.
Dann liefert A sein Aktienpaket, wie vereinbart an B. Der reicht das gleich weiter durch, wie ebenfalls längst mit Kaufvertrag vereinbart, an C. Weil C aber durch den Kaufvertrag rein rechtlich schon zum Tag der Dividenden-Ausschüttung Eigentümer des Aktienpaketes ist, bekommt er zwar nicht die Dividende (die A ja kassiert hat), aber er bekommt ebenfalls die Bankbescheinigung als Eigentümer der Aktien am Tag der Dividendenausschüttung. Damit kann C sich eine Steuerrückerstattung in derselben Höhe wie A vom Finanzamt holen, obwohl er die Steuer nie bezahlt hat.
Auf diese Weise ist der Staat und damit der Steuerzahler in Hamburg von der Warburg Bank, die hier der „C“ ist, um 47 Millionen € beschissen worden. Andere Quellen beziffern den Schaden für den Steuerzahler auf mehrere Hundert Millionen Euro.
Warum holte sich das Finanzamt diese Summe nicht zurück?
Und obwohl das bekannt wurde, hat die Hamburger Finanzverwaltung — die 2016 diese gewaltige Summe hätte zurückfordern müssen — im Steuerverfahren irgendwie doch kein Geld zurückgeholt. Man ließ Jahr für Jahr die Forderungen gegen die Warburg Bank stillschweigend verjähren. Nur durch eine Weisung des Bundesfinanzministeriums wurden weitere Verjährungen gestoppt. Wie war das möglich? Nun soll endlich aufgeklärt werden, ob es damals Absprachen gegeben hat zwischen dem Finanzamt und dem Hamburger Senat und welche Rolle der damalige Bürgermeister Olaf Scholz zusammen mit der Warburg Bank gespielt hat.
Damalige Anfragen des NDR an das Hamburger Finanzamt wurden mit der Auskunft beschieden, man könne wegen des Steuergeheimnisses keine Auskunft zu diesem Steuerverfahren geben. Man sei aber sehr gewissenhaft in diesen Dingen. Im Oktober 2016 – Monate vor der ersten Verjährung — war das Finanzamt nach Meinung der Betriebsprüfer noch überzeugt, die Millionen zurückfordern zu müssen. Dieses Ergebnis wurde an die übergeordnete Finanzbehörde weitergeleitet. Der heutige Bürgermeister Tschentscher war damals Finanzsenator von Hamburg. Nach dieser Weiterleitung geschah erst einmal nichts und dann verjährte der Rückforderungsanspruch. Herr Tschentscher beteuert, die Politik habe auf das Hamburger Finanzamt keinerlei Einfluss genommen.
Recherchen des NDR zeigen aber, dass sich der damalige Chef der Warburg Bank, Christian Olearius im Jahr 2017 mit führenden Hamburger Politikern der SPD getroffen hat. Da liefen noch mit Hochdruck die steuerstrafrechtlichen Ermittlungen wegen schwerer Steuerhinterziehung gegen ihn. Herr Olearius traf sich auch mit dem haushaltspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Johannes Kahrs im Dezember 2017.
Gleichzeitig erhielt die SPD eine Spende in Höhe von 45.500 Euro vom Bankhaus Warburg.
Die Tagebücher des Bankiers Christian Olearius
Als die Ermittler in Düsseldorf, am Dienstagmorgen, den 20. März 2018 an der Tür des Anwesens von Herrn Olearius klingeln und ihm einen Durchsuchungsbeschluss unter die Nase halten, muss der damals 75jährige Ex-Bankier sie einlassen. Sie finden ein Tagebuch im Arbeitszimmer. Darin schreibt Herr Olearius alles nieder, was sich so in seinem geschäftlichen Leben und seinem Netzwerk ereignet. Die Ermittler wollen nun die alten Tagebücher aus der Zeit sehen, in der die Cum-Ex-Geschäfte getätigt wurden und Herr Olearius führt sie auch in seine Bibliothek, wo diese Tagebücher stehen. Die Ermittler packen die Aufzeichnungen aus der Zeit Mai 2006 bis März 2018 ein. Es sind 22 Bücher. Ausgiebige Lesezeit bei der Steuerfahndung.
Ex-Bankier Olearius geht juristisch dagegen vor. Es handle sich bei den beschlagnahmten Tagebüchern um seine privaten Aufzeichnungen, die Sache kommt vor Gericht. Doch das entscheidet, dass hier das Interesse der Allgemeinheit schwerer wiegt. Nur die beruflichen Notizen und Beschreibungen dürfen in die Ermittlungsakten.
Darin werden die oben genannten Treffen beschrieben und wann er sich mit wem in der Cum-Ex-Sache getroffen hat. Wer schreibt, der bleibt.
Wären die Rückforderungen doch nicht durchsetzbar gewesen?
Nachdem nun der Wahlkampf in Hamburg in die heiße Phase eintritt, heißt es plötzlich, dass nach intensiver Befassung mit der Materie das Hamburger Finanzamt und die Steuerverwaltung damals, im November 2016, doch von der Forderung Abstand genommen haben, weil die Erfolgsaussichten in einem Rechtsstreit gegen die Warburg Bank nicht besonders hoch gewesen seien und zu befürchten stand, dass Regressansprüche in Millionenhöhe gegen die Stadt Hamburg anfallen könnten, wenn der Prozess verloren würde.
Aber dennoch zog sich ein Geplänkel und Verhandeln zwischen dem Land Hamburg, dem Bund und dem Bankhaus Warburg über Teilrückzahlungen bis 2019 dahin. Es ist vollkommen unklar, warum das nicht geschah, wer sich quergestellt hatte, warum das Bundesfinanzministerium nicht mitspielte, warum die Stadt Hamburg keine Presseanfragen dazu beantwortet, warum die Stadt Hamburg angeblich diese Teilrückzahlungen abgelehnt haben soll und warum trotz der Weisung des Bundesfinanzministeriums, die Verjährung der Forderung gegen die Bank nicht zuzulassen, man in Hamburg dennoch seelenruhig die Verjährungen laufen ließ.
„Es gab zu diesem Zeitpunkt bereits finanzgerichtliche Urteile, die Cum-Ex-Geschäfte als illegal eingestuft haben, auch das Thema der Verjährung war allgemein bekannt. Wenn es dann um eine Summe von rund 50 Millionen Euro geht und dieser Sachverhalt einfach liegen bleibt, dann ist das ein Skandal.“
Die Ermittlungen gegen das Bankhaus Warburg zeigen nun doch unangenehme Folgen. Seit September 2019 läuft vor dem Landgericht Bonn der erste Cum-Ex-Prozess. Zwei britische Aktienhändler, die eng mit Warburg zusammenarbeiteten, stehen als Angeklagte vor den Schranken des Gerichtes. Mit ihnen fünf Bankhäuser, die sich die Shore eingesteckt haben, darunter die Bankhäuser M.M. Warburg und deren Tochterfirma Warburg Invest. Das Gericht könnte im Falle einer Verurteilung – trotz steuerlicher Verjährung — sehr wohl die Banken dazu zwingen, die aus dem Cum-Ex-Deal generierten Profite wieder herauszugeben. In dem Prozess geht es um insgesamt 390 Millionen Euro. Auf die Warburg-Gruppe entfallen davon 278 Millionen Euro.
Olaf Scholz und die SPD im Skandal-Sumpf
Zurückzahlung hin oder her: Die SPD steht nun mitten im Wahlkampf mit heruntergezogenen Hosen da. Die Medien berichten nun ausgiebig davon, dass sich der damalige SPD-Bürgermeister von Hamburg, Olaf Scholz im November 2017, während des Schlachtgetümmels um die Cum-Ex-Millionen, ausgerechnet in seinem Amtszimmer mit dem Miteigentümer und Aufsichtsratsvorsitzenden der Skandalbank Warburg, Christian Olearius getroffen hat, als gegen diesen und mehrere seiner Manager wegen schwerer Steuerhinterziehung ermittelt wurde. Das geht aus den erwähnten Tagebüchern des Herrn Olearius hervor. Herr Scholz hat das auch zugegeben. Brisant: Christian Olearius notierte in seinen Aufzeichnungen, er habe Scholz darüber informiert, wie es in der Cum Ex-Sache bei den Finanzbehörden und der Staatsanwaltschaft steht. Herr Scholz, so schreibt er, habe ihm bedeutet, „dass wir uns keine Sorgen zu machen brauchen“.
„Wie vertrauensvoll das Verhältnis zwischen Scholz und Olearius zu sein scheint, wird in einem späteren Eintrag deutlich, als die beiden ihre Medienstrategien miteinander abstimmen: ‚Das ‚Spiegel‘-Gespräch sollte ich führen, mich aber maßvoll äußern‘, schreibt Olearius. Die folgenden Sätze im Tagebuch lassen Scholz’ Vorstellungen von wahrhaftiger Öffentlichkeitsarbeit in einem zweifelhaften Licht erscheinen: ‚In Szene setzen in Sachen Wissenschaftsstandort Hamburg will er sich allein; Gutachten seien störend.‘“
Die Tagebücher des Bankiers Olearius verraten aber noch mehr: Er hatte auch vertrauliche Gespräche mit MdB Johannes Kahrs (SPD) und dem damaligen Zweiten Bürgermeister Alfons Pawelczyk, ebenfalls von der SPD.
„Scholz und Olearius bestreiten, dass es eine politische Einflussnahme gab. Gespräche zwischen Politikern und Wirtschaftsführern seien üblich. Auch der Leiter der Steuerverwaltung betont in einem inzwischen veröffentlichten Schreiben, dass es keine Versuche gegeben habe, politisch auf Entscheidungen der Steuerverwaltung Einfluss zu nehmen. (…) Trotz dieses Treffens antwortete der Hamburger Senat noch im November 2019 auf eine Anfrage der Linksfraktion, es habe keine persönlichen Gespräche von Mitgliedern des Senats zum steuerlichen Verfahren der Warburg-Bank mit dem Bankhaus gegeben – explizit auch keine Gespräche zwischen dem damaligen Bürgermeister Scholz und Vertretern der Bank.“
Ein gefundenes Fressen für die Opposition
Insbesondere die FDP, von den Geschehnissen in Thüringen noch arg gerupft, nutzt die Möglichkeit des großen Empörungsauftrittes und fordert eine Sondersitzung des Haushaltsausschusses. Die Linke fordert einen Untersuchungsausschuss. Die Grünen unter Katharina Fegebank fordern rückhaltlose Aufklärung. Der Steuerzahlerbund fordert zu diesem Behufe eidesstattliche Erklärungen. Die SPD nennt es „Wahlkampfgetöse“.
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