Inzest und Pädo­philie bei Frank­reichs Elite: Auf­schrei über Inzest-Enthüllungen

Über manche Dinge wird geschwiegen – auch, weil sie viel­leicht niemand hören mag. Etwa Inzest und Pädo­philie. Ent­hül­lungen in Frank­reichs Elite haben nun eine solche Kraft, dass Schweigen für viele keine Option mehr ist.

Es ist, als hätte es nur einen Funken gebraucht, um eine Explosion her­bei­zu­führen. Frank­reich ist wütend, es ist ein Auf­stand derer, die bisher geschwiegen haben.

Seit den Ent­hül­lungen der Juristin Camille Kouchner über ihren bekannten Stief­vater brachen im Land zahl­reiche Opfer sexua­li­sierter Gewalt ihr Schweigen.

Die mut­maß­lichen Täter sind bekannte Per­sön­lich­keiten der Pariser Elite aus Politik und Gesell­schaft. Und es geht um nicht weniger als Pädo­philie und Inzest, aber auch sexuelle Über­griffe unter Stu­die­renden. Die Vor­würfe kommen mit einer solchen Wucht, dass auch die Regierung nicht mehr die Füße still halten kann.

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Vor­würfe gegen Poli­to­logen Duhamel: Sexuell über­griffig gegenüber Stiefsohn

Kouchner ver­öf­fent­lichte im Januar ein Buch – „La Familia grande“ („Die große Familie“) heißt es. Darin wirft sie ihrem Stief­vater und bekannten Pariser Poli­to­logen Olivier Duhamel vor, vor über drei Jahr­zehnten gegenüber ihrem damals min­der­jäh­rigen Zwil­lings­bruder sexuell über­griffig geworden zu sein.

Duhamel war zwar nicht direkt auf die Vor­würfe ein­ge­gangen, hatte aber nach deren Bekannt­werden seine Funk­tionen nie­der­gelegt. Kouchner löste mit ihrer Schil­derung eine Debatte über Miss­brauch aus, die in Frank­reich in ihrer Inten­sität mit der welt­weiten MeToo-Welle vor einigen Jahren ver­gleichbar ist.

In der Pariser Intel­lek­tu­ellen-Elite sollen die Miss­brauchs­vor­würfe längst bekannt gewesen sein. Und: Über Jahre dezent igno­riert worden sein. Was folgte, waren weitere Rück­tritte – zuletzt nahm der Direktor der Elite-Uni Sci­ences Po, Fré­déric Mion, seinen Hut, nachdem er die Affäre zunächst einfach aus­sitzen wollte.

Doch am Ende war der Druck wohl zu groß, unter den Stu­die­renden regte sich mas­siver Protest. Mion hatte zuvor ein­ge­räumt, dass er schon vor Jahren von Vor­würfen gegen Duhamel erfahren hatte.

Die Ent­hüllung beendete die Spit­zen­kar­riere Duhamels schneller, als der Hol­lywood-Pro­duzent Harvey Wein­stein im Jahr 2017 zu Fall gekommen wa.

Doch niemand beschul­digte Duhamel offen, niemand reichte Klage gegen ihn ein. Auch der ver­ge­wal­tigte Stiefsohn wollte die Sache auf sich beruhen lassen. Er sträubte sich aller­dings nicht gegen das Buch seiner Schwester.

Die Zwil­linge sind Kinder des frü­heren Außen­mi­nisters Bernard Kouchner, bekannt geworden als Gründer der „Ärzte ohne Grenzen“. Er wusste wie so viele vom Treiben Duhamels, aber er soll nur einmal gesagt haben, er werde ihm „die Fresse polieren“, wenn sich ihre Wege jemals kreuzen sollten. Auch die Mutter Evelyne Pisier wollte nicht, dass das Sexu­al­ver­halten ihres neuen Gatten Duhamel in die Medien gelangte.

iel­leicht hatte sie selber Schuld­ge­fühle, da sie in der fami­liären Som­mer­villa am Mit­telmeer selber höchst frei­zü­gigen Sitten gehuldigt hatte. „La familia grande“, auf die der Buch­titel anspielt, war auch jene „gauche caviar“ – am tref­fendsten wohl mit der Bezeichnung Salon­linke zu über­setzen –, die aus dem Mai 68 her­vor­ge­gangen war und aus dem Katho­li­zismus der de Gaulle-Ära aus­ge­brochen war. Die Anwältin Camille Kouchner schildert, wie sich Erwachsene und Kinder am Pool nackt gebalgt und auf den Mund geküsst hätten. Evelyne Pisier pflegte selber eine jah­res­lange Liaison mit dem kuba­ni­schen Auto­kraten Fidel Castro. Als sie von ihrem Sohn erfuhr, was Duhamel mit ihm trieb, hielt sie ihn zum Schweigen an.

Ihre eigene Schwester, die bekannte Schau­spie­lerin Marie-France Pisier, zeit­weise selber mit dem 68er Pädo­philen Daniel Cohn-Bendit liiert, ertrug dieses Schweigen aller­dings nicht. Sie erzählte in Saint-Germain-des-Prés herum, welcher „salaud“ (Schweinkerl) Duhamel sei. So erfuhren viele, was in der Feri­en­villa von Sanary-sur-Mer pas­siert war.

Nach dem Tod von Marie-France Pisier im Jahr 2011 – sie wurde tot in ihrem Swim­mingpool gefunden – berich­teten andere Frauen weiter. Die ehe­malige Kul­tur­mi­nis­terin Aurélie Fili­petti infor­mierte den Direktor von Sci­ences Po, Fré­déric Mion, im Jahr 2019. Dieser vermag heute nicht ein­sichtig zu erklären, warum er Duhamel an seiner Seite beließ. Die sich häu­fenden Rück­tritts­for­de­rungen lehnt Mion aber ab. Ex-Kul­tur­mi­nis­terin Eli­sabeth Guigou, eine alte Bekannte Duhamels, hat hin­gegen unter dem öffent­lichen Druck die Leitung einer natio­nalen Kom­mission gegen Inzest abgegeben.

Prä­sident Emmanuel Macron hat sich zur Duhamel-Affäre noch nicht geäußert. Seine Frau Bri­gitte for­derte in einem Interview „härtere Gesetze“ wohl im Bereich der Ver­jäh­rungs­fristen. Duhamel ist heute nicht mehr belangbar. Seit der Aufgabe all seiner Ämter hat er sich nicht mehr zu Wort gemeldet.

#Metoo­In­ceste – Opfer teilen im Netz ihre Erfahrungen

Die Autorin und Ver­le­gerin Vanessa Springora hatte bereits im ver­gan­genen Jahr mit Vor­würfen gegen den gefei­erten Schrift­steller Gabriel Matzneff Pädo­philie in der Lite­ratur- und Intel­lek­tu­el­len­szene ange­prangert. Der Schock saß tief, Akti­vis­tinnen schrieben an Pariser Haus­wände: „Vanessa, wir glauben dir.“ Doch nun haben Kouchners Ent­hül­lungen die Wut zum Über­kochen gebracht.

Die Ver­le­gerin beschreibt darin, wie sie 1985 als damals 13-Jährige die Geliebte des fast 40 Jahre älteren und in Pariser Kreisen gefei­erten Star­autors wurde, der aus seinen pädo­philen Obses­sionen nie einen Hehl gemacht hat.

Es war bei einem Abend­essen Mitte der 1980er Jahre, als Vanessa den kul­ti­vierten Lite­raten Gabriel Matzneff ken­nen­lernte. In den Wochen darauf umwarb er sie mit sehn­suchts­vollen Briefen und roman­ti­schen Avancen. Die 13-Jährige war geschmei­chelt, ja ver­liebt und wil­ligte ein, seine Geliebte zu werden. Ihre allein­er­zie­hende Mutter war zunächst scho­ckiert, akzep­tierte aber schließlich die Liaison.

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Es ist beklemmend zu lesen, wie mani­pu­lativ Gabriel Matzneff vorging, welche Mecha­nismen er nutzte, um Ver­trauen zu schaffen, welchen Stra­tegien der Ver­tu­schung er folgte. Vanessa Springoras Buch handelt nicht von einer sexu­ellen Ver­irrung, sondern von Herr­schaft und Aus­beutung, von Tätern und Opfern, von Macht und Mitwisserschaft.

Noch mehr aber scho­ckiert, wie ver­ständ­nisvoll, ja zustimmend die Gesell­schaft auf Matz­neffs Pädo­philie reagierte. Schon in den 70er Jahren hatte er Sex mit Min­der­jäh­rigen pro­gram­ma­tisch bekundet. 1974 erschien sein Essay „Les moins de seize ans“ (zu Deutsch „Die Unter-16-Jäh­rigen“), in dem er seine Vor­liebe auch anderen empfahl und sich zum „Wohl­täter“ der Jugend­lichen stilisierte.

Wie war es möglich, dass die Gesell­schaft, die von seinen Nei­gungen wusste, sein auch schon damals als kri­minell ein­ge­stuftes Ver­halten tole­rierte? Bereits in den 80er Jahren soll die Polizei Ermitt­lungen gegen ihn auf­ge­nommen haben, die aber im Sande ver­liefen. Wieso? Stand der berühmte Schrift­steller unter beson­derem Schutz?

Die Gesell­schaft ließ ihn gewähren, weil ihn die Aura des Künstlers umgab. Noch 2013 erhielt er für seine Essay­istik den pres­ti­ge­träch­tigen Renaudot-Literaturpreis.

„Es tut weh, als Her­an­wach­sende zu merken, wie die Gesell­schaft zum Kom­plizen des Täters wird. Genau das habe ich erlebt. Heute bin ich froh darüber, was das Buch bewegt hat. Das hilft mir, mich auch wieder mit der Gesell­schaft zu ver­söhnen. Ich sehe, dass sich etwas verändert.“

Im Netz teilten zuletzt zahl­reiche Opfer unter dem Schlagwort #Metoo­In­ceste ihre Miss­brauchs­er­fah­rungen innerhalb ihrer Familien – berich­teten von Schuld­ge­fühlen und Machtlosigkeit.

Einer Schätzung des Umfra­ge­instituts Ipsos zufolge basierend auf einer Umfrage sind zehn Prozent der Men­schen im Land Opfer von Inzest. Die Mehrheit der Opfer sind demnach Frauen. Die aktu­ellen Vor­würfe treffen bekannte Schau­spieler genauso wie Poli­tiker – und beschäf­tigen mitt­ler­weile auch die Justiz.

Gesetz in Frank­reich ermög­licht Sex mit Min­der­jäh­rigen unter gewissen Bedingungen

Im Fokus steht in der Debatte auch eine gesetz­liche Regelung, die es möglich macht, dass Voll­jährige nach Sex mit Min­der­jäh­rigen milde bestraft oder gar frei­ge­sprochen werden.

Das ist möglich, weil das Gesetz in Frank­reich bei sexu­ellen Hand­lungen mit unter 15-Jäh­rigen eine Zustimmung des Kindes als ent­las­tenden Faktor berück­sichtigt. Es obliegt den Gerichten zu beur­teilen, ob der oder die Min­der­jährige in der Lage gewesen sei, in die sexuelle Beziehung einzuwilligen.

Das will Frank­reichs Regierung nun ändern und ein soge­nanntes Schutz­alter ein­führen. Wer in Deutschland zum Bei­spiel ein­ver­nehm­lichen Sex haben möchte, muss min­destens 14 Jahre alt sein.

Pro­mi­nente fordern Gesetzesänderung

„Ein Akt der sexu­ellen Pene­tration, der von einem Erwach­senen an einem Min­der­jäh­rigen unter 15 Jahren durch­ge­führt wird, wird als eine Ver­ge­wal­tigung gewertet werden“, stellte Frank­reichs Jus­tiz­mi­nister Eric Dupond-Moretti jüngst klar. Es gebe eine Wende in der Gesell­schaft, das Gesetz müsse dahin­gehend geändert werden. Zuvor hatte Prä­sident Emmanuel Macron Druck gemacht.

„Nachdem die Opfer die Kraft und den Mut gefunden haben, die Augen der Gesell­schaft weit zu öffnen, können Sie, die die Gesetze machen, nicht die Ein­zigen bleiben, die sie teil­weise ver­schließen“, heißt es in einem offenen Brief an die Regierung, den etwa Sän­gerin Carla Bruni, Schau­spie­lerin Juliette Binoche und Fußball-Natio­nal­trainer Didier Des­champs unter­zeichnet haben.

Ihnen gehen die Ver­spre­chungen der Regierung nicht weit genug. „Wir können uns nicht mit Ihren kleinen Fort­schritten zufrieden geben, dafür sind unsere Erwar­tungen viel zu hoch.“

Sexua­li­sierte Gewalt auch an Elite-Hoch­schule Sci­ences Po

Doch der Auf­schrei in Frank­reich geht über das bis­herige Tabu­thema Inzest hinaus. Zuletzt berich­teten Stu­den­tinnen von sexua­li­sierter Gewalt an der Elite-Hoch­schule Sci­ences Po. Sie gilt im Land als „Hoch­schule der Macht“ – Macron gehört ebenso zu den Absol­venten wie Top­ma­nager der Wirtschaft.

Unter dem Hashtag #Sci­en­ce­s­Porcs – ein Wort­spiel mit dem fran­zö­si­schen Wort für Schwein – porc – teilen sie ihre Erleb­nisse. Die Stu­den­tinnen prangern sexis­ti­sches Ver­halten und sexuelle Gewalt, ein­schließlich Ver­ge­wal­tigung, an und werfen der Uni­ver­waltung vor, die Täter – Stu­denten oder Pro­fes­soren – zu schützen.

Bis­herige Maß­nahmen seien offenbar nicht aus­rei­chend gewesen, reagierte nun etwa die Sci­ences Po in Straßburg. „In der Tat muss das Schweigen gebrochen werden und diese Tat­sachen werden kei­neswegs auf die leichte Schulter genommen.“

Die Wut im Land – sie indes hält an.


Quelle: pravda-tv.com