Es ist nicht die Stärke des Islam, es ist die Schwäche des Abend­landes, die wir fürchten müssen

Foto: Konrad-Ade­nauer-Statue in Berlin — umringt von Mus­limen — Für Ade­nauer war der „Geist christlich-abend­län­di­scher Kultur“ das Fun­dament seiner Kanz­ler­schaft © David Berger

Ein Gast­beitrag von Frank Jordan

An Tagen, Orten oder zu Uhr­zeiten, wo nicht mit ther­mi­schen, sondern nur mit dyna­mi­schen Auf­winden zu rechnen ist, wo also jeder Versuch, in punkto Höhe und Distanz über den ent­spre­chenden Hügel- oder Gebirgskamm (Schweiz: Krete) hin­aus­zu­kommen, im besten Fall sub­op­timal endet, spricht der Dra­chen­pilot von einem „Kre­tenfick“. An dieses Nicht-Vor­wärts- oder ‑Drü­ber­kommen erinnert der mal auf kleiner, mal auf großer Flamme köchelnde Alar­mismus in Sachen Feindbild Islam. Was im Fall der Hän­ge­gleiter-Flie­gerei indes durchaus Unter­haltung und Training sein kann, hin­ter­lässt im Fall der erwähnten End­los­de­batte nicht selten den Ein­druck öffentlich zele­brierter Selbst­be­fle­ckungs-Rituale. Warum.

Weil, was sich als Debatte ausgibt, oft gar keine ist. Ergeb­nisse argu­men­ta­tiver Ver­knüp­fungen und Schluss­fol­ge­rungen stehen von vorn­herein fest. Gegenrede ist kaschierter Rückenwind. Wo sie echt ist, lässt der all­seits viel­be­schworene demo­kra­tische Sports­geist massiv zu wün­schen übrig und ver­kümmert zu Jaulen am unteren Rand der Gür­tel­linie. Resultat und gleichsam ange­strebter Höhe­punkt der­ar­tiger Grup­pen­ak­ti­vität: Der Islam ist schuld. Eigentlich an allem. Das ist Schwachsinn. Wer solches behauptet oder glaubt, braucht in Wahrheit einen Blitz­ab­leiter. Er nimmt sich und seine Ver­ant­wortung aus der Glei­chung heraus und gesteht damit nichts anderes, als dass er dem Islam nichts ent­ge­gen­zu­stellen habe.

Damit gibt er Peter Scholl-Latour Recht, der 2012 sagte, nicht die Stärke des Islam fürchte er, sondern die Schwäche des Abend­lands. Oder anders gesagt: Wir. Wir sind das Problem. 

Nicht das kanz­ler­amtlich leer­ver­waltete und je nach Event mit dem unde­fi­nier­baren Brei „frei­heit­licher“ oder „libe­raler Werte“ gefüllte Belie­big­keits-Wir der Ahnungs­losen und Ver­ängs­tigten. Wir im Sinn von Sie und ich. Wir als Teile der Gesell­schaft, in die wir hin­ein­ge­boren sind. Ja, aber die Politik … Richtig: Die Politik hat die Grenzen sperr­an­gelweit offen stehen lassen und sendet moti­vie­rende Grüße an Wohl­fahrts­willige und Shuttle-Dienst­leister in der ganzen Welt. Es soll schon Mexi­kaner geben, die hier­zu­lande Asyl bean­tragen. Aber das ist nur ein Bruchteil der Wahrheit. Lange bevor die Schlag­bäume hoch­ge­rissen und die Grenz­wachten nach Hause geschickt wurden, haben wir das, worauf unsere Gemein­schaften gründen, aufs Gründ­lichste über­wunden und uns der pas­siven Ver­führung „für­sorg­licher Frei­heits­be­raubung“ (Roger Köppel) durch den Staat ergeben. Frei­willig. Der Islam besetzt heute nur jenen brach lie­genden Teil unseres Kul­tur­landes, das wir beim „Eman­zi­pation“ genannten und auf Knien voll­zo­genen Rückzug auf die Scholle infan­ti­li­sierter Ich-Ver­götzung auf- und der Ver­wahr­losung preis­ge­geben haben.

Dieses Brachland – die Land­masse über­steigt die Fläche unserer lose trei­benden Ego-Schollen bei weitem – heisst „christ­liche Fun­da­men­tal­prin­zipien“. Nein – dies wird kein Bekeh­rungs- sondern bloss ein Bestim­mungs­versuch des Orts, an dem wir stehen – so wie’s zurzeit aus­sieht, ist es keine „stra­te­gische Erfolgs­po­sition“. Gerade wer von sich Objek­ti­vität und die sach­liche Aus­ein­an­der­setzung fordert, wird die Bibel und die darin ver­mit­telten Werte – Glaube hin oder her – zumindest als Erzählung und damit als lite­ra­ri­sches Kul­tur­er­zeugnis wahr­nehmen müssen. Ein Kul­turgut, das nebst der gewal­tigen reli­giösen Fracht, die es enthält, die Grundlage der meisten unserer rechts­staat­lichen Ver­fas­sungen bildet.

Das Wort „christlich“ ist dieser Tage breit und tief ver­ankert als Synonym einer ver­krampften, über­holten und in Unter­werfung gip­felnden Gebots- und Ver­botsorgie,

… die den Men­schen durch Angst vor Bestrafung in Schach und Unmün­digkeit hält für eine sich daran mäs­tende Obrigkeit, die vorgibt, von Gottes Gnaden berufen zu sein (dass den einen oder anderen bei dieser Beschreibung der Aus­druck „Sozi­al­staat“ streift, ist Zufall).

Das Problem: Das hat mit christ­lichen Werten in etwa soviel zu tun, wie Politik mit Nächs­ten­liebe. Die Kirche war über die längste Zeit geradezu insti­tu­tio­na­li­sierte Per­version christ­licher Werte und ist es auch heute wieder. Oder noch deut­licher: Kirchen mit Herr­schafts­an­spruch, genauso wie andere Orga­ni­sa­tionen mit Macht­am­bi­tionen, mussten und müssen die christ­lichen Prin­zipien geradezu bekämpfen, umdeuten und ver­wässern. Denn: roh und pur, sind sie eine Anleitung zu indi­vi­du­eller Freiheit und damit eine Bedrohung und Brems­klotz für jede sich zur letzten Instanz auf­schwin­gende Orga­ni­sation. Sie also nicht zumindest wahr­zu­nehmen und darüber nach­zu­denken, ist der erste Schritt zu ver­ord­neter Selbst­be­schränkung und damit zur Preisgabe eines Stücks der Freiheit, die ihnen ebenso inne­wohnt, wie die Mög­lichkeit zur Entscheidung.

Dieses Selber-Prüfen bedingt aller­dings, von der poli­tisch gesäu­berten Main­stream-Defi­nition, die Befehl, Kom­mando, Verbot und Rück­schritt geifert und ab Kreissaal in Kin­der­hirne hinein-bildet, weg­zu­kommen. Und man wird in dieser Distanz fest­stellen: Es bedarf schon eines fas­zi­nie­renden Maßes an Vor­ein­ge­nom­menheit, um da Lebens- und Frei­heits­feind­lichkeit zu finden, wo sich Wort für Wort der Ein­druck von Schutz und Bewahrung der Men­schen vor­ein­ander und des Ein­zelnen vor sich selbst geradezu auf­drängt. Freiheit statt Knecht­schaft, Selbst­ver­ant­wortung statt Blitz­ab­lei­tertum, Leistung und Eigentum statt Neid und Raub, freier Wille statt Gefühls- Hor­mon­ge­trie­benheit, Ruhe statt skla­vi­scher Rast­lo­sigkeit, Leben statt Tod – eine Hymne auf das gren­zenlose Beschenktsein mit Ver­ant­wortung, eine Kürzest-Zusam­men­fassung der Zehn Gebote. Wo – bitte!? – ist da die Unfreiheit, wo Wür­de­lo­sigkeit und Unmündigkeit?

In der – nota bene frei­wil­ligen – Unter­werfung unter einen Gott, der vom Ein­zelnen fordert, andere zu achten und sie in Ruhe ihr Leben leben zu lassen? Jetzt mal im Ernst – warum kümmert das über­haupt jemanden, was geht es andere an, außer den Betref­fenden? Und vor allem: wem schadet solches? Dem Men­schen selber, der buch­stäblich frei ist vom Aktu­ellen, weil er die Furcht vor dem Ewigen über­wunden hat? Schadet es seiner Familie, der Sippe, der Gesell­schaft, die von ihm mitsamt Eigentum und Eigen­arten in Frieden gelassen, respek­tiert, geachtet und bei Bedarf ver­teidigt werden? Oder schadet es vielmehr der Obrigkeit mit Macht­an­spruch – sei es Staat oder Kirche – , von der er sich weder ein­schüchtern, ver­walten, kaufen, ver­ein­nahmen und lenken lässt?

Ant­worten kann jeder nur für sich selbst finden. Zur Seite treten und sehen, was ist, hilft. Wir haben Staat. Wir haben einen Staat, der sich mitt­ler­weile in die kleinsten Ritzen des Lebens und Zusam­men­lebens ein­mischt. Deut­licher: ein anonymes Funk­tio­närsheer mit dem exklu­siven Recht auf Gewalt­an­wendung, das sich mit unserem demo­kra­ti­schen Segen und jenem des Gesetzes unserer Leben bemächtigt. Und es ist an Ironie kaum zu toppen, dass am Ende dieses Wegs (ein Zurück hat es noch nie gegeben und Bei­spiele dafür gibt es genug) stets ein totaler und tota­li­tärer Macht­ap­parat steht, dessen Fun­da­mente nur so stark sind, wie er der Mehrheit der Men­schen gegenüber in der Lage ist, die zehn Gebote in ihr Gegenteil zu verkehren.

Jedes tota­litäre Regime hat Gott abge­schafft. Opium fürs Volk, Voodoo, Mär­chen­glaube? Mei­net­wegen – Fakt ist aller­dings: Wer bei Gott Recht­fer­tigung, Kraft, Mut und Freiheit findet, ist auf keinen gütigen Vater Staat angewiesen. 

Welches Opium und für wen also, wenn es tönt: Ich bin „Wir“, dein Staat? Die Namen des „Wir“ sind „Gesell­schaft“, „Demo­kratie“, „Soziales“, „Soli­da­rität“, „Gerech­tigkeit“ und „Gleichheit“.  Für alles und jedes, egal ob wahr oder nicht, kann einer dieser Namen ange­rufen werden. Ruhe gibt’s erst wenn man tot ist – Dau­er­alar­mismus, Rast­lo­sigkeit, Unsi­cherheit und Miss­trauen sind Pflicht. Alte und Kinder? Auch dafür gibt’s Staat. Betreuung, „Bildung“, Erziehung und assis­tiertes Sterben inklusive. Ehe, klas­sische Rol­len­bilder – ganz schlecht. Du kannst eman­zi­piert sein, also musst du es auch sein wollen. Für alles andere gibt es die Genossen und Genos­sinnen. Schutz brauchst du nicht. Raub und Ent­eignung sind okay, solange du dich aufs Fordern beschränkst und uns den Job machen lässt. Neid ist poli­ti­sches Pro­gramm,  Pflicht und Unter­haltung. Lohn gibt’s nicht für Leistung, sondern fürs Dabeisein. Lüge, Unwahrheit, Denun­ziation, Rufmord und Verrat werden separat ver­gütet. Und was Bild­niskult und  Tod anbe­langt: Ein Blick in die staat­lichen Para­diese Nord­koreas und Vene­zuelas, wo die Staats­götzen all­ge­gen­wärtig sind, genügt. Außerdem: große Ideen fordern große Opfer. Beim Prügeln und Drohen sind wir schon.

Am Ende des Wegs sind wir zum Glück noch nicht. Bezahlen tun wir indes seit Jahren und reden uns auch noch ein, der Preis sei ein Gewinn:  die Aufgabe der Selbst­ver­ant­wortung, auch bekannt unter den Namen Freiheit, Familie, Tra­dition, Glaube, Brauchtum, Eigentum, Heimat. 

Und auch heute wieder gilt, wer sich selbst oder anderen ein höf­liches aber bestimmtes „Nein!“ ent­ge­genhält ist „feindlich“ und Gefahr. Ver­tei­digung ist verboten.

Das ist es – grob und ver­ein­fa­chend gesagt – wo wir stehen. Eman­zi­piert und in jeder Hin­sicht ent­waffnet. Und in diese bunte Los­ge­löstheit der in Selbst­be­trachtung gefan­genen, von Gratis-Wohl­stand geschwächten, jede öko­no­mische Rea­lität igno­rie­renden und in den Ketten ich-zen­trierter Minimal-Befind­lich­keiten lie­genden Gesell­schaft hinein haben „wir“ den Islam ein­ge­laden, der sich daran macht, das einzig Logische zu tun: sich teil­weise mit Gewalt zu nehmen, was ihm erstens ange­boten wird, was wir zweitens frei­willig auf­ge­geben haben und was drittens sein Gott von ihm fordert: Alles. Wir selber, Eigentum und die mit dem kul­turell zele­brierten und steu­er­geld­fi­nan­zierten Pflichthass belegten Hei­mat­länder mit ein­ge­schlossen.  Was soll also das Fin­ger­zeigen auf den Islam? Was soll das Rufen: „Unser Geld, unsere Kinder, unsere Frauen, unsere Familien, unsere Arbeit, unsere Wirt­schaft, unsere Heimat?“ Jetzt plötzlich? Die Sache ist die: Es gehört längst nicht mehr uns. Es gehört dem Staat, an den wir um den Preis von Eman­zi­pation, Bequem­lichkeit, Gerech­tigkeit, Gleichheit und kurz­fris­tiger Ich-Opti­mierung während Jahr­zehnten Stück für Stück alles abge­treten haben. Und die Sache mit „Der Staat sorgt für sich selbst zuletzt“ – das ist ein Miss­ver­ständnis. Richtig heißt es: „Der Staat sorgt für sich; selbst zuletzt.“ Immer.

Vor diesem Hin­ter­grund zu sagen, der Islam sei schuld, während man jenes der Lächer­lichkeit preisgibt, von dem wir auch heute noch zehren – eine Art Rest­schwung frü­herer Freiheit und des Willens, sie bis aufs Letzte für sich selbst und für die anderen und mit den anderen zu ver­tei­digen – ist geistige Beweg­lichkeit auf Base­ball­schläger-Niveau. Ein Kre­tenfick eben.

Es ist an der Zeit, wieder etwas zu ris­kieren. Auf eigene Verantwortung.

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