Viele Christen behaupten, Christen und Muslime glauben an denselben Gott. Selbst offizielle kirchliche Verlautbarungen vertreten diese theologische These. Gibt es aber eine entsprechende Erklärung von hohen muslimischen Autoritäten, die diese theologische These ihrerseits stützen? Wohl keine.
(Ein Gastbeitrag von Franz Deckenbrock)
Zunächst wäre bei diesem Thema zu fragen: Welches Versagen im Denken und welche falschen Vorstellungen sind ursächlich verantwortlich für den Erkenntnismangel der westlichen Welt und in weiten Teilen der christlichen Kirchen bezüglich des Islam? Diese Erkenntnisblindheit lässt sich zurückführen auf einen fundamentalen theologischen Irrtum, der darin besteht, dass man fälschlicherweise den islamischen Gott Allah als identisch mit dem Gott der Christenheit erachtet und den Islam somit als einen zweiten, von Gott selbst offenbarten Weg zu ihm hin, betrachtet.
Die fundamentale Verkennung des Islam durch die Katholische Kirche hat ihre Ursache in den Dokumenten „Nostra aetate“ und „Lumen gentium“ des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965), aus denen man ableiten kann, dass der islamische Allah als identisch mit dem dreieinigen Gott der Christenheit gesehen wird.
- a) Der entscheidende Satz aus dem Dokument „Nostra Aetate“ des Konzils lautet:
»Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslim, die den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat. Sie mühen sich, auch seinen verborgenen Ratschlüssen sich mit ganzer Seele zu unterwerfen, so wie Abraham sich Gott unterworfen hat, auf den der islamische Glaube sich gerne beruft. Jesus, den sie allerdings nicht als Gott anerkennen, verehren sie doch als Propheten, und sie ehren seine jungfräuliche Mutter Maria, die sie bisweilen auch in Frömmigkeit anrufen.« (Kap. 3)
»Ecclesia cum aestimatione quoque Muslimos respicit qui unicum Deum adorant, viventem et subsistentem, misericordem et omnipotentem, Creatorem caeli et terrae (5), homines allocutum, cuius occultis etiam decretis toto animo se submittere student, sicut Deo se submisit Abraham ad quem fides islamica libenter sese refert. Iesum, quem quidem ut Deum non agnoscunt, ut prophetam tamen venerantur, matremque eius virginalem honorant Mariam et aliquando eam devote etiam invocant.«
- b) In der dogmatischen Konstitution „Lumen Gentium“ wird die Identität von Allah und dem Christengott in der folgenden Passage behauptet:
»Der Heilswille umfasst aber auch die, die den Schöpfer anerkennen, unter ihnen besonders die Muslime, die sich zum Glauben Abrahams bekennen und mit uns den einen Gott anbeten, den barmherzigen, der die Menschen am Jüngsten Tag richten wird« (Kap.16).
„Sed propositum salutis et eos amplectitur, qui Creatorem agnoscunt, inter quos imprimis Musulmanos, qui fidem Abrahae se tenere profitentes, nobiscum Deum adorant unicum, misericordem, homines die novissimo iudicaturum.
„Nobiscum ( = zusammen mit uns) Deum adorant unicum“. Daraus muss man ableiten, dass gemeint ist, dass wir denselben Gott anbeten. Stünde dort sicut nos ( = so wie wir) wäre das Gemeinsame zwischen Christen und Muslime, dass sie beide einen Gott, aber nicht unbedingt denselben Gott anbeten.
Papst Johannes Paul II. hat in seinen öffentlichen Äußerungen die Konzilsaussagen stets bestätigt. Vor allem war es die Reise des Papstes nach Marokko (19. bis 20. August 1985), die mit seiner Rede vor mehr als 100.000 muslimischen Jugendlichen im Sportstadion von Casablanca zu einem historischen Meilenstein wurde. In Erinnerung an das Erbe der sogenannten abrahamitischen Religionen betonte der Papst:
»Wir glauben an denselben Gott, den einzigen, den lebendigen, den Gott, der die Welten schafft und seine Geschöpfe zur Vollendung führt …. Deshalb komme ich heute als Glaubender zu euch.« 1
Dagegen ist zu sagen: »Der Allah des Koran und damit des Islam hat mit dem Gott Abrahams und damit des Judentums sowie mit dem Gott und Vater Jesu Christi kaum etwas gemeinsam. Etliche seiner Wesenszüge sind so konträr zu denen des biblischen Gottes, dass sie auch mit Biegen, Dehnen oder Stauchen nicht überein gebracht werden können. Der Abraham, der im Koran geschildert wird, ist nicht in erster Linie ein Mann des Glaubens an Allahs Verheißungen, sondern Diener eines absolutistischen Herrschers. Wer den Islam zu den „Abrahamitische Religionen“ zählt, kann das nur tun, indem er wesentliche theologische Gegensätze zwischen Bibel und Koran beiseite lässt und ethische Forderungen des biblischen Gottes ignoriert, über die der Allah des Koran das Gegenteil lehrt und fordert. Der Begriff „Abrahamitische Religionen“ bezeichnet keine belastbaren Gemeinsamkeiten von Judentum, Christentum und Islam. Er ist deswegen als Grundlage für religiöse Dialoge zwischen Juden und Christen einerseits und Muslimen andererseits ungeeignet.« 2
Der damalige Vorsitzende der EKD, Wolfgang Huber, gab am 22. November 2004 im Rahmen eines Interviews mit dem FOCUS auf die Frage »Beten Muslime und Christen nicht zum selben Gott?« folgende Antwort:
»Ob Gott derselbe Gott ist, muss man ihm selber überlassen. Als Menschen können wir nur über das Gottesbekenntnis urteilen. Wir haben als Christen keinen Grund zu sagen, wir würden uns zum gleichen Gott wie die Muslime bekennen.« 3
Gerhard Kardinal Müller, ehemaliger Präfekt der römischen Glaubenskongregation, befasste sich in dem im Jahre 2005 bei Herder erschienenen Interview-Buch „Gott und seine Geschichte” auch mit der Frage, ob der „Gott” des Islam derselbe ist wie der Gott des Christentums.
Er schreibt unter dem Kapitel „Reden wir vom selben Gott?” zunächst, dass der Schöpfergott des Alten Testaments derselbe ist wie der Gott-Vater des Neuen Testaments – und dass das AT durchaus offen ist für das Zeugnis von der Trinität, vom dreieinigen Gott, dass dieses nämlich »dort schon schlummert«. Deshalb könne man sagen, dass es »im Alten Testament auf eine mögliche trinitarische Selbsterschließung Gottes hinausläuft. Das ist aber etwas ganz anderes als der muslimische Gott. Die Dreifaltigkeit von Gott wird 600 Jahre später im Islam abgelehnt. Dass Gott einen Sohn haben soll, ist für Muslime Gotteslästerung. In mehreren Suren des Koran gibt es eine ausdrückliche Ablehnung der Trinität Gottes. Insofern ist der Gott der Christen etwas ganz anderes als Allah, der Gott der Moslems.« 4
Da der Islam Jesus nicht als Sohn Gottes anerkennt, das in dem Dokument Nostra Aetate eindeutig festgestellt wird, betet er auch nicht, wenn er zu Allah betet, zu dem Gott der Christen, der ja angeblich identisch mit Allah sein soll. Christus sagt zu den Pharisäern: „Wenn Gott euer Vater wäre, so würdet ihr MICH lieben, denn ich bin von Gott ausgegangen“ (Joh 8,42). Und weiter: „Niemand kommt zum Vater als durch mich“ (Joh 14,6). Mit anderen Worten: Wer nicht an Christus, den Sohn Gottes glaubt, glaubt auch nicht an den Vater. „Jeder, der den Sohn leugnet, hat auch den Vater nicht“ (1. Joh 2,23). Und der Evangelist spitzt seine Aussage noch einmal zu, wenn er sagt: „Wer ist der Lügner, wenn nicht der, welcher leugnet, dass Jesus der Messias ist“ (1 Joh 2, 22).
Abgesehen von dieser neutestamentlichen Argumentation ist es nicht vorstellbar, dass orthodoxe Muslime den Gott der Christen mit ihrem Gott Allah identifizieren.
Während das 2. Vatikanische Konzil seine Hochachtung gegenüber den Muslimen zum Ausdruck bringt: „Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslim […]“ (Nostra Aetate 3), beantwortet Scheich Nasser Ibn Sulaiman al-’Umar in seiner Fatwa die Frage, wie Muslime zu dem verstorbenen Papst Johannes Paul II. stehen sollen.
Ein Muslim fragt, ob
- der Papst (Johannes Paul II.) als Gottloser oder Gläubiger gestorben ist;
- Muslime für ihn beten dürfen;
- Muslime ihn verfluchen dürfen.
Antwort:
- Der Papst ist zweifellos als Gottloser gestorben.
- Man darf nicht für ihn beten (9,113 und 84). Er ist gottlos gewesen, weil er an Jesus Christus geglaubt hat (Sure 9,30).
- Man darf ihn verfluchen, weil er als Gottloser gestorben ist […]. Ob man dies in der Öffentlichkeit tun solle, ist abhängig von den Vor- und Nachteilen, die dadurch entstehen könnten. 5
In der Arbeitshilfe der Deutschen Bischofskonferenz „Christen und Muslime in Deutschland“ vom Jahre 2003, ist zu lesen: »Christentum und Islam stellen zwei verschiedene Zugänge zu dem selben Gott dar.« 6
Dabei wird allerdings verkannt, dass sich die Offenbarungsreligionen nicht selbst geschaffen haben und die Gotteskenntnis und Gotteserkenntnis nicht vom Menschen stammt, denn dieser eine und einzige Gott hat sich selbst den Menschen offenbart, im Christentum in Jesus Christus und nach Ansicht des Islam durch den Koran.
- Dem einen Teil der Menschheit hat also der angeblich eine und einzige Gott geoffenbart, er habe seinen einzigen Sohn zur Errettung der Menschen auf die Erde gesandt.
- Dem anderen Teil der Menschheit hat aber der angeblich selbe Gott offenbart, dass er keinen Sohn habe und nie einen gehabt habe. Er ist sogar erzürnt über diejenigen, die so etwas behaupten, und er bestraft sie, wie dem Koran zu entnehmen ist, mit Höllenqualen.
Diese Selbstoffenbarung eines einzigen Gottes in dieser konträren Widersprüchlichkeit kann aber aus logischen Gründen nicht von dem einen und selben Gott stammen, sofern er nicht lügt.
Dazu kommt, dass die vermeintlichen Offenbarungen im Islam sich widersprechen. John Henry Newman weist darauf hin, dass Mohammeds spätere „Offenbarungen“ den früheren widersprechen, so dass sich 150 widersprüchliche Surenverse ergeben, die sich gegenseitig aufheben.
Die Muslime glauben selbstverständlich nicht an die Gottesidentität, denn für sie gilt unumstößlich der Grundsatz, dass Allah keinen Sohn hat, was sie fünfmal täglich im Gebet implizit zum Ausdruck bringen.
- Gott (ist einer allein). Es gibt keinen Gott außer ihm. (Er ist) der Lebendige und Beständige. (Sure 2, 255)
In der späteren Sunna 7 wurde der Koran als mit Gott gleichewiges Wort bezeichnet, das dann durch Mohammed in arabischer Sprache in unverfälschter Form geoffenbart wurde. Wortlaut, Inhalt und arabische Sprachgestalt sind somit unabänderlich und dürfen nicht kritisch hinterfragt werden. „Das islamische Glaubensbekenntnis formuliert: »Ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt außer Gott.« Der Glaube zielt zunächst auf Gott selbst. Dann zielt er auch auf Muhammad («und ich bezeuge, dass Muhammad sein Gesandter ist.«), gesandt, den Koran, die authentische und letzte Offenbarung Gottes, zu überbringen.“ 8 Damit ist aus islamischer Sicht die christliche Offenbarung überholt, woraus der Überlegenheitsanspruch des Islam gegenüber Judentum und Christentum abgeleitet wird.
- Zu vielen Malen und auf vielerlei Art hat Gott einstmals durch die Propheten zu den Vätern geredet. Zuletzt hat er in diesen Tagen zu uns in seinem Sohn gesprochen. (Hebr 1,1 f.)
Diesem Schriftwort entsprechend lehrt die Katholische Kirche, dass mit Jesus Christus die Offenbarung Gottes endgültig und unüberbietbar abgeschlossen ist. 9
- »Daher wird die christliche Heilsordnung, nämlich der neue und nun endgültige Bund, niemals vorübergehen, und es ist keine neue öffentliche Offenbarung mehr zu erwarten vor der glorreichen Erscheinung unseres Herrn Jesus Christus (Dei verbum 4).« 10
- »Der christliche Glaube kann keine „Offenbarungen“ annehmen, die vorgeben, die Offenbarung, die in Christus vollendet ist, zu übertreffen oder zu berichtigen, wie es bei gewissen nichtchristlichen Religionen […] der Fall ist, die auf solchen „Offenbarungen“ gründen.« 11
Die Katholische Kirche kann deshalb nicht anerkennen, dass der Gott der Christen sich noch einmal durch Mohammed offenbart hat.
Wenn aber der Gott der Christen sich nicht noch einmal dem Mohammed offenbart haben kann, dann kann der Gott der Muslime, der nach Lehre des Islam sich durch Mohammed authentisch und vor allem letztgültig offenbart hat, nicht mit dem Gott der Christen identisch sein.
In dem Konzilsdokument Nostra Aetate steht:
»Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslim, die den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat.«
Die deutschen Bischöfe schreiben in ihrer zitierten Arbeitshilfe:
»Wie die christliche steht auch die koranische Offenbarung in einem spezifischen historischen und sozialen Kontext.« 12
Hier wird offensichtlich davon ausgegangen, dass im Koran sich Gott tatsächlich noch einmal offenbart hat.
Unmissverständlich sind die Worte von John Henry Newman, dem Kardinal und großen religiösen Genius des 19. Jahrhunderts:
»Nehmen wir an, bestimmte Bischöfe und Priester unserer Tage begännen zu lehren, der Islam… sei eine direkte und unmittelbare Offenbarung von Gott, so wäre die Kirche verpflichtet, die Autorität zu gebrauchen, die Gott ihr gegeben hat, und zu erklären, dass ein solcher Satz mit dem Christentum nicht vereinbar ist, und dass die, die ihn halten, nicht zu ihr gehören.«
Abgesehen davon ist es ganz und gar undenkbar – wie schon oben erwähnt – , dass sich ein und derselbe Gott, der in der Bibel als die Wahrheit bezeugt wird, in so unterschiedlicher und widersprüchlicher Weise einmal in Jesus Christus und dann später im Koran offenbart.
- Du aber, unser Gott, bist gütig, wahrhaftig und langmütig. (Weis 15, 1)
- Ja, mein Herr und Gott, du bist der einzige Gott, und deine Worte sind wahr. (2 Sam 7, 28)
- Denn das Gesetz wurde durch Mose gegeben, die Gnade und die Wahrheit kamen durch Jesus Christus. (Joh 1, 17)
Wenn Gott die Wahrheit ist, dann ist diese Wahrheit einzig und unteilbar. Es kann keine verschiedenen, sich widersprechenden Wahrheiten geben. Und dieser Satz stellt eine in sich evidente Wahrheit dar.
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Belege:
1 http://www.kath.net/news/30970
2 Udo Hildenbrand, Friedrich Rau, Reinhard Wenner: Freiheit und Islam. Fakten – Fragen – Forderungen, Gerhard-Hess-Verlag 2016, S. 180 f.
3 Wolfgang Huber (* 12. August 1942 in Straßburg) ist ein deutscher evangelischer Theologe. Er bekleidete von 1994 bis 2009 das Amt des Bischofs der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und war von 2003 bis 2009 als Nachfolger von Manfred Kock Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland.
4 http://www.kathnews.de/glaubenspraefekt-kardinal-mueller-der-christliche-gott-ist-etwas-ganz-anderes-alsallah
5 Institut für Islamfragen, 7.112005 – Quelle: saaid.net/fatwa/f55.htm. Eine Fatwa (arabisch فتوى, DMG fatwā, pl. فتاوى fatāwā) ist eine von einer muslimischen Autorität auf Anfrage erteilte Rechtsauskunft, die dem Zweck dient, ein religiöses oder rechtliches Problem zu klären, das unter den muslimischen Gläubigen aufgetreten ist.
6 Christen und Muslime in Deutschland. Arbeitshilfen Nr. 172 vom 23.09.2003, Herausgeber: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn, S. 181
7 Sunna: [arabisch »Brauch«, »Sitte«] die, die Gesamtheit der von Mohammed überlieferten, im Hadith gesammelten Aussprüche, Entscheidungen und Verhaltensweisen; bildet zusammen mit dem Koran die Grundlage des islamischen Rechts (Scharia).
8 Christen und Muslime in Deutschland. Arbeitshilfen Nr. 172 vom 23.09.2003, Herausgeber: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn S. 60 f.
9 Vgl. Neuner-Roos: Der Glaube der Kirche in den Urkunden der Lehrverkündigung, Regensburg 1971 (8.Aufl.), S.29
10 Katechismus der Katholischen Kirche (1993), Nr. 66
11 Ebenda, Nr. 67
12 Christen und Muslime in Deutschland, a.a.O., S. 136
Zuerst erschienen hier:
https://philosophia-perennis.com/2017/08/06/glauben-christen-und-muslime-an-denselben-einen-gott/
Foto: Der trinitarische Gott der Christen — für Muslime Blasphemie © Lukas Cranach , Wikimedia