von Wolfgang Prabel |Deutschland war immer schon die Drehscheibe des internationalen Terrorismus. 1972 wurde in Bayern die israelische Nationalmannschaft, die zur Olympiade angereist war, getötet. Das arabische Umfeld der Beteiligten – Mitglieder verschiedener Organisationen wie Fatah und Volksfront – wurde danach in die DDR abgeschoben.
Das Studienjahr des Matrikels Bauingenierwesen in Weimar hatte im September 1972 bereits begonnen. Nach den geläufigen Zeremonien der sogenannten „roten Woche“ – Vorträge über die „Rolle der Bedeutung“, die “Macht der Arbeiterklasse”, “Gelöbnis” und “KZ-Besuch” – begann die Ausbildung. Im Oktober wurden die zugereisten Araber auf die Seminargruppen verteilt. Letztere waren eigentlich Schulklassen.
Nun waren die Araber natürlich sehr interessant, denn sie kamen ja aus dem gelobten Land hinter dem Eisernen Vorhang, von dem man von Rentnern gehört hatte, dass Strumpfhosen eine Mark kosteten, dass es in Kaufhäusern eine rote Tür gab und dass man Wohnungen einfach mieten und Autos einfach kaufen konnte. Die Araber kannten Hamburg, Frankfurt, München, die Kaufhäuser, Universitäten und viele andere Sehnsuchtsorte. Eigentlich sollten sie nichts aus dem Westen erzählen. Eigentlich… Zuständig für die Ausländer war ein Angestellter des Prorektorats für Erziehung und Ausbildung namens Pohl. Er gab den Arabern Handlungsanweisungen und deren Befolgung wurde zumindest teilweise durch das Ministerium für Staatssicherheit auch kontrolliert. Andererseits besuchte Pohl auch die Seminargruppen und erklärte den Nahen Osten. Also das Morgenland, wie die Partei es gerne gehabt hätte. Und dass man Moslems nicht mehr Muselmänner nennen darf. Das wäre veraltet.
Aber es waren zu dem Zeitpunkt gar keine Moslems. Die Ankömmlinge gehorchten den atheistischen Lehren des Marxismus-Leninismus bzw. dem Kauderwelsch der Frankfurter Schule. Das führte schnell zur Integration. Sie gingen abends wie alle anderen Bier trinken, und sie kochten manchmal mit ihren deutschen Mitstudenten. Man unterhielt sich miteinander, man wollte ja was vom Westen hören. Und die Araber wollten ihre Anekdoten vom Kampf gegen Israel loswerden.
In der DDR gab es 1972 ziemlich exakt 1,6 Millionen Schafe. Aber nie verirrte sich eine Keule oder eine Rippe in eine Fleischerei oder in eine Kaufhalle. Der investigativen ZEIT-Reporterin Marlies Menge war es 1978 gelungen, bei einer Reportage über die Schafhaltung in der Zone das streng gehütete Geheimnis zu lüften: „Wir exportieren Hammelfleisch hauptsächlich in die Bundesrepublik, Zuchttiere aber vor allem in sozialistische und arabische Länder“, konnte sie ihrem Aufpasser vom Landwirtschaftsminsterium entlocken. Aha!
Wahrscheinlich für die Türken im Westen. Die behaupten immer, die Bundesrepublik aus Trümmern aufgebaut zu haben. Wann entschuldigen die sich mal bei uns, dass sie uns dabei die Schafe weggegessen haben?
Der Export hatte zur Folge, dass auch die Araber im Osten mit Schweinefleisch kochten. Denn Rindfleisch war zu teuer. Standardgericht war ein Reistopf, der zum Schluß wie ein Pudding umgedreht wurde und auf einem großen Teller abgesetzt. Makluba genannt. Die Kunst ist es, zu vermeiden, daß die Geschichte anbrennt. Man darf aber nicht rühren, und der Reis im Kochbeutel ist tabu.
Zuerst wurde das Schweinefleisch mit Zimt und Curry angebraten, dann Unmengen von feingeschnittenen Zwiebeln und etwas Zahnzwiebel dazugegeben, später Gemüse draufgeschichtet (in der Zone vor allem grüne Bohnen aus dem Glas oder Weißkohl) und dann kam der Reis drauf und die zum Reis passende Wassermenge mit Salz und noch einmal Curry und Pfeffer. Und dann kommt der Trick. Man muß zu Anfang richtig Gas geben, bis der Reis so weich wird, dass er sich beißen läßt. Danach kann man das Feuer wegnehmen und den Topf eine halbe Stunde ziehen lassen. Der Reis nimmt das Wasser auf, ohne dass etwas anbrennt.
Natürlich klagten die Araber darüber, dass es im Osten keine Auberginen gab. Und dass Tomaten ein ausgesprochenes Saisongemüse waren. Aber wenn sie nach den Sommerferien aus Arabien zurückkamen, waren sie abgemagert. Weiß nicht, ob wegen Nahrungsmangel oder wegen Ramadan.
Kurz nach dem 6‑Tage-Krieg hatte die PLO 1970 unter den Bannern des Panarabismus, des arabischen Sozialismus und des Marxismus-Leninismus den Versuch gemacht, die Macht in Jordanien zu übernehmen, um eine territoriale Basis für den Kampf gegen Israel zu schaffen. Dieser Feldzug ging 1971 zugunsten des jordanischen Königshauses und der Beduinen aus, welche im Bund mit Allah, mit saudischen Millionen und westlichen Waffen siegten. In Palästinenserkreisen begann die Diskussion über den Nutzen linksnationaler und marxistisch gefärbter Lehren. Eine große Rolle in diesen Zusammenkünften spielte das Beispiel südlibanesischer schiitischer geistlicher Führer, die um sich ein Umfeld geschaffen hatten, das militärisch erfolgreich war, zumindest solange, wie Israel das im Südlibanon duldete. Die PLO-Hauptquartiere wurden in dieser Phase in den Südlibanon verlagert bis Israel einmarschierte. Die wesentliche neue Komponente des Kampfes war der Selbstmordanschlag, der in säkularen Systemen nicht funktioniert, da es kein sozialistisches Paradies mit dutzenden mandeläugigen Huris gibt.
Diese Diskussionen über den Kurs wurden 1974 und 1975 fast täglich sehr intensiv geführt und nach etwa vier Monaten abgeschlossen. Auch in der DDR. Im Ergebnis ist die PLO vom Panarabismus und anderen linksnationalen Ideologien zum Islam übergelaufen. Das Biertrinken hörte auf, es wurde Kaffee und Tee getrunken. Das Schweinefleisch verschwand aus den Kochtöpfen. Man blieb mehr unter sich. Man soll als Moslem ja nicht mit Ungläubigen speisen, und wenn doch, dann nur, wenn es dem Islam nutzt. Die Integration in die Gesellschaft wurde rückgängig gemacht.
Als ich 1983 zufällig einen alten Bekannten von der Fatah wiedertraf, den ich seit 1976 nicht mehr gesehen hatte, war er sehr verändert. Er vergewisserte sich erst mal, dass ich zu den Leuten des Buchs gehörte (also kein Atheist bin) und bat mich ziemlich rüde und unvermittelt meine Freundin, die gerade neben mir stand, aus der Hörweite wegzuschicken. Meine Freundin war nicht irgendeine Tussi, sondern hatte in den Siebzigern im Cafe Moskau zum renitenten Anhang des revolutionären Bürgerschrecks Wolf Biermann gehört. Sie war mal kurz in der Prima Linea der Revolte gewesen, und nun das? Sie war schwer beleidigt.
Integration ist keine Einbahnstraße. Sie kommt und sie geht. Sie ist eine launische Diva. Kein Rad der Geschichte dreht sich in irgendeine gewünschte Richtung.
Wer glaubt, mit einem Integrationskurs oder Wertevermittlung die kleine Welt des zugewanderten Köpfchens neu zu justieren, der irrt. Die Moscheen und Medresen arbeiten gegenläufig fast rund um die Uhr.
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