- würden wir die Ostgebiete wiederhaben wollen, wären wir Revisionisten
— Rückblick auf eine Visite der Golanhöhen und Gedanken zur aktuellen Debatte
(Von Albrecht Künstle)
Der deutsche Außenminister Heiko Maas(los) war einer der ersten, der jetzt die Golanhöhen Israels wieder Syrien zurückgeben will. Was für Heuchler, die Syriens Staatschef Assad jahrelang verteufelten und Israel die Verbundenheit schworen: Sie lassen es gleichzeitig zu, dass sich die Türkei einen Teil Nordsyriens unter den Nagel reißt, sie gebärden sich jetzt als Revisionisten und stellen sich gegen Israel, das 1967 den westsyrischen Golan im Zuge einer Vorwärtsverteidigung besetzte und 1981 annektierte.
Ein kleiner Reisebericht und Kommentar aus eigener Anschauung.
Es ist fast genau 25 Jahre her, als ich Israel wieder einmal einen Besuch abstattete. Wir waren eine Gruppe Gewerkschafter, und weil in Israel nicht die Einzelgewerkschaften tonangebend sind, sondern der Dachverband Histadrut, lag es als DGB-Kreisvorsitzender an mir, in Israel der kleinen Delegation verschiedener Gewerkschafter zu vorzustehen. An einem der Besuchstage wurde mir die Ehre zuteil, an der gleichen Stelle Yad Vashems einen Kranz niederzulegen und ein paar Worte zu sprechen, was sonst nur Staatsgästen vorbehalten ist. Das war wohl dem Umstand zu verdanken, dass wir Gäste jener Metall-Gewerkschaft waren, die auch für den sensiblen Bereich der Rüstungsproduktion zuständig ist, und wir hochrangige Begleiter hatten.
Am nächsten Tag ging es auf die Golanhöhen. In Begleitung auch eines Vertreters des Kriegsministers – die Israelis sind so ehrlich und verzichten auf die Bezeichnung „Verteidigungsminister“, anders als Deutschland, das auch am Hindukusch verteidigt wird. Der Golan wurde 1967 im Sechstagekrieg von den israelischen Streitkräften in einer verlustreichen Schlacht innerhalb von zwei Tagen erobert, nachdem das nördliche Israel immer wieder von den Golanhöhen aus attackiert wurde (Ablauf siehe Anhang unten). Als wir auf der Höhe angelangt waren, wurde uns klar, welche große Bedeutung das Gebiet hat. Der See Genezareth, das Tal des Oberlaufs des Jordan, die Städte Kapernaum, Tiberias usw. bis ins jüdische Heiligtum Safed in den benachbarten Bergen, lagen wie auf einem Präsentierteller da. Und direkt unter uns am östlichen Ufer des Sees das jüdische Fischerdorf Ein Gev. Mit dem Feldstecher der Gäste hätte man fast erkennen können, wie der Peterfisch auf den Außentischen des Restaurants zubereitet war, in dem auch wir vorzüglich gegessen hatten.
Was ich noch im Gedächtnis behielt: Uns wurde auch einer der eroberten Bunker gezeigt, aus denen Nordisrael immer wieder beschossen wurde. Als die israelischen Soldaten unter Moshe Dayan die Bunkerreihe von der Seite her aufrollten, traf sie verängstigte Soldaten an, die nicht geflohen waren. Aber nicht, weil sie besonders tapfer waren; nein, man hatte sie in Ketten gelegt, damit sie nicht desertieren konnten.
Was noch bei mir hängen blieb: Das Land Israel baute auch auf dem besetzten Golan Wohnungen, die ohne Miete freiwilligen Siedlern angeboten wurden. Kostenlos, was mir damals unglaublich schien, mir heute aber in einem anderen Licht erscheint. Denn auch wir bieten Migranten kostenlose Wohnungen an, und vieles mehr – ohne Gegenleistung. Anders dort. Die Neubewohner kamen aus Israel selbst, überwiegend aber aus den ehemaligen Ländern der Sowjetunion. Allerdings zum Zweck, den Landstrich von seinen unzähligen Tellerminen zu räumen, die Syrien verbuddelt hatte, was tatsächlich auch mittels Weidetieren als „Minensucher“ gelang. Unzählige Tiere gingen dabei hops, aber auch der eine oder andere Hirte und Bauer verlor dabei sein Leben.
Dann standen wir oben auf dem Plateau des Golan an der Grenze zu Syrien. Damals schoben österreichische UN-Blauhelme Dienst an der heißen Grenze. Mit bloßem Auge kann man von dort aus bei gutem Wetter schemenhaft Damaskus erkennen – so dicht ist in Nahost alles aufeinander. An dieser Stelle war es, als unser „lieber Militär“ meinte, „wir müssen diesen Golan aus strategischen Gründen behalten“. Nun, für Militärs gibt es wohl keinen Platz auf Erden, der keine strategische Bedeutung hätte. Ich erinnerte mich an einen Militärpiloten, der mir einmal sagte, die Armee müsse nicht am Boden präsent sein, ein Aufklärungsgeschwader würde reichen, Israel vor weiteren Überraschungen zu schützen. Ich konfrontierte den Militär mit dieser These, worauf er antwortete, „eigentlich ja, aber wir müssten ständig zwei dieser Aufklärer in der Luft halten. Abgesehen von der Umweltbelastung würde Syrien der UN dauernd in den Ohren liegen, dieser Luftverkehr sei eine ständige Provokation der friedliebenden arabischen Welt und Syriens und würde nach Maßnahmen gegen Israel rufen.“ Wie recht er hatte, wird mir erst jetzt richtig klar, wo auch Deutschland kaum eine Gelegenheit auslässt, in der UNO gegen Israel zu stimmen.
Was sind die Schlussfolgerungen meiner langjährigen Befassung mit der Situation in Nahost, verfestigt durch meine mehrfachen Besuche im nicht mehr heiligen Land?
Fakt ist, Kriege schaffen Fakten. Wie nach einem Ehekrieg ist die Schuldfrage selten eindeutig zu klären. Es wurde mehrfach ein Anlauf für einen Frieden unternommen, der letzte Einigungsversuch scheiterte am Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien. Nun sollten sich alle fragen, ob es in Syrien wirklich nichts Wichtigeres gibt, als die Golanhöhen an Syrien zurückzugeben. An ein Land, das auch ohne den Golan wie ein Flickenteppich aussieht, zerrissen zwischen islamischen Richtungen und Ethnien. Und dann soll es noch einen jüdischen Golan dazu bekommen?
Ach so, die Juden sollen dann ja ausgewiesen und Israel entschädigt werden für die geleisteten Investitionen und Toten beim Minenräumen. Mit welchem Geld soll Syrien das bezahlen? Natürlich mit westlichem Geld – was heißen würde, dass erneut eine Judenvertreibung mit anderen Vorzeichen stattfände. Aber vielleicht wären die Politiker vom Schlage eines Heiko Maas bereit, diese aufzunehmen. 20.000 Vertriebene wären nur zehn Prozent der Anzahl, die unser Land in einem Jahr nachziehen lässt – ein Pappenstil. Aber das geht natürlich auch nicht, denn die aufgenommenen Juden würden prompt in die Fänge des islamischen Umfeldes geraten, dem sie auf dem israelischen Golan getrotzt haben.
Und was würde aus den ebenfalls etwa 20.000 Drusen auf dem Golan? Unter den Israelis haben sie kein Problem, aber die Spannungen mit dem Assad-Regime nahmen zu, siehe https://de.qantara.de/inhalt/drusen-im-syrienkonflikt-zuenglein-an-der-waage Sollten sie nach Nordisrael zu ihren Glaubensbrüdern auf dem Karmel-Gebirge umgesiedelt werden? Aber da sind auch die Bahai stark vertreten, und überhaupt ist Israel mit 400 Einwohnern je Quadratkilometer, mehr als dreimal so dicht besiedelt wie Syrien und könnte nicht zusätzlich noch Golan-Flüchtlinge vertragen.
Ich denke, nüchtern betrachtet, müsste jeder Realpolitiker Trump Recht geben, der den Golan jetzt als Teil Israels anerkannte. Was der ganzen Welt eigentlich klar sein dürfte: Der Golan ist schon kriegsbedingt ein Kind Israels. Dessen Kultur und Tüchtigkeit ist in der Lage, mehr Menschen eine Heimstatt zu bieten, als es Syrien in der Lage wäre. Sollte nicht diese übergeordnete Erkenntnis Grund genug sein, die geschaffenen Fakten zu akzeptieren?
Wer in Abrede stellt, dass ein Krieg leider Gottes unumkehrbare Fakten schaffen kann, müsste eigentlich auch die Frage stellen, ob die ehemaligen Ostgebiete des Deutschen Reiches, die heute selbstverständlich Polen gehören, geräumt werden und wieder Deutschland anheimfallen sollen – ein Alptraum.