Der neue Ikea-Katalog: Adjö, Sverige – vom Verlust eines Stücks geis­tiger Heimat

Nun liegt er da, der neue IKEA-Katalog 2020, auf dem Tisch im Ess­zimmer, wo immer die Post liegt. Das alte Format, der ver­traute Schriftzug. IKEA. Das­selbe Gewicht, der­selbe Geruch. IKEA begleitet meine Gene­ration schon seit dem frühen Erwach­se­nen­alter. Es war unsere Welt. Möbel, die man sich nach ein paar Wochen Feri­en­arbeit für die eigene Bude leisten konnte. Hell, freundlich, anders als die Möbel­häuser unserer Eltern. Ein Tag bei Ikea war besser, als Phan­ta­sialand. Alles angucken, anfassen, aus­pro­bieren. Attraktiv zusam­men­ge­stellte Ambi­entes und beim Blick auf den Preis keimte Hoffnung auf. Die Acces­soires hatten – genau, wie die Möbel – das typisch skan­di­na­vische Design: einfach, zweck­dienlich, einen Hauch schwe­di­sches Strandhaus, einen Hauch Bäu­er­liches, klare Formen, klare Farben, schlichte, ele­gante Linien, nie geschmacklos, kein Schwulst. Und die Namen klangen irgendwie alle nach Bul­lerbü und heiler Welt. Nikklas, Malte, Leksand, Lampa, Säng, Frukost, Lars, Rackare, nicht zu ver­gessen: Regal Ingvar!… und dann Kött­bullar und Nudeln. Oder die Teilchen.
Und erst die Werbung! Der Sprecher hatte noch keine drei Wörter gesagt, da ging einem schon das Herz auf. Mit diesem zart lis­pelnd-char­manten Smö­rebröd-Röm­pömpöm-Akzent erzählte er „Wir Sweehden feiern ssso gern sssöne Feste, wie unser Mid­som­mar­nachts-Fest …“während man kleine Mädchen in weißen Kleidern mit Blu­men­kränzen auf den blonden Zöpfen, Buben, Frauen und Männer in bunter, tra­di­tio­neller Kleidung lachen und fröhlich mit Bändern in der Hand um eine Art grün­be­kränzten Maibaum tanzen sah. Mitt­som­mer­nacht in Schweden. Riesige Wälder, och­sen­blutrote Holz­häuschen im Hin­ter­grund am Waldrand, Nyckel­har­pa­musik, heile Welt eben.
Wir sind mit dem Rucksack nach Schweden getrampt – und da war es wirklich so. Die Freund­lichkeit und Offenheit der Schweden, die großen Wälder, kris­tall­klare Seen, Elche und jede Menge Wild­tiere, die wun­der­hüb­schen kleinen Städtchen mit Blumen an den Haus­wänden, die nied­lichen Gast­häuser, weiße Holz­villen, Blu­men­wiesen, auf denen man nach dem Alle­mannsrätt (Jeder­manns­recht) einfach sein Zeltchen auf­schlagen konnte. Überall leckeres Essen (wenn auch recht teuer), fröh­liche, unbe­schwerte Feste. Irgendwie ein rie­sen­großes Bullerbü.

Drehort der Fern­seh­serie “Wir Kinder von Bullerbü”

Mit Ikea konnte man sich einen Abglanz davon in die Wohnung holen. Das, was viel­leicht gerade uns Deut­schen so wohltat, war dieses freund­liche, natür­liche Selbst­be­wusstsein. Diese Freude an der eigenen Kultur und dabei offene Arme für die Besucher. Stolz zu sein auf sein wun­der­schönes Land und seine eigene Art zu leben. Keine Ver­le­gen­heiten, kein Selbsthass … Balsam auf unsere Seelen und Herzen. Darum haben wir die Schweden immer ein bisschen beneidet. Eigentlich wollten wir so sein wie sie. Wer sich mit Ike­a­möbeln und Zeugs in seiner Bude ein­richtete, sagte damit: Ich bin im Herzen ein Schwede. Sind wir nicht alle ein bisschen Ikea?
Und selt­sa­mer­weise war dieses Ikea-Gefühl lager­über­greifend. Ob Hippie oder Rechter, MSB-Spar­takus oder Junge Unio­nisten, Wel­ten­bummler, Indi­vi­dua­listen, Streber oder Künst­ler­na­turen – alle hatten wir Ike­a­möbel. Und jeder kannte die ver­schie­denen Modelle und Namen. Ikea lebte vom Schweden-Lebens­gefühl und das war ver­hält­nis­mäßig erschwinglich für uns.
Tja, und da liegt er nun, vierzig Jahre später, der Ikea-Katalog 2020. Sieht fast so aus, wie seit vierzig Jahren. Aber wo ist Schweden?
Auf dem Cover ein People of Colour-Paar. Beide in Her­ren­schlaf­an­zügen. Rechts ein Mann, Asiate, links ein … Mensch. Mann? Frau? Divers? Blond(iert)es Afro-Kraushaar. Künst­le­risch ambi­tio­niert, wie die Pinsel auf dem nacht­tisch­ähn­lichen Gestell insi­nu­ieren. Und wir werden auf der ersten Innen­seite gleich belehrt: „Wir haben einen Traum. Von einer bes­seren Welt.“ Aha. Zwar hier erstmal nur von bes­seren Matratzen und Kissen, aber der Leser begreift sofort: Ein Katalog, der uns den rich­tigen Weg weisen will. Nicht nur zu den rich­tigen Matratzen.
Der erste Schein trügt nicht.
Genauso geht es weiter. Die Bot­schaft wird auf jeder Seite mehr als deutlich. Schweden als heile Welt war einmal. Eine ver­sunkene Welt unzeit­ge­mäßer Selbst­zu­frie­denheit in der über­holten Idylle.
Auf der gelben Couch die globale Diversity-Familie. Er ein attrak­tiver Mann, halb-Schwarzer, sie weiß, Kind drei­viertel weiß. People of Colour in alles Varia­tionen, Patch­work­fa­milien, manchmal darf auch eine weiße Person dabei­stehen. Inklusion wird eben­falls wie eine Leucht­re­klame vor sich her getragen: Ein Tri­somie-21 Mädelchen ist auch dabei. Warum auch nicht?
Seite 58–59: Die schwarze Familie in ihrem Factory-Backyard-Ambiente. Schöne Men­schen, junge Familie. Die junge, hübsche Mutter, schwanger, im braun­ge­rin­gelten T‑Shirt, alles in edlem Braun-Beige-Schwarz-Grau gehalten: Men­schen, Möbel, Zie­gel­wände, Polster, selbst die Katze passt sich ins Farb­konzept ein. Men­schen als Status-Acces­soires einer insze­nierten Hoch­glanz-Mul­ti­kulti-Gesell­schaft. Irgendwie eine seltsame Form des Rassismus.
Eigentlich würde es ja gar nicht stören, wenn da auch People of Colour dabei sind. Das, was so nervt, ist die Imper­tinenz, mit der das dem Betrachter um die Ohren gehauen wird. Es ist, auf einen Nenner gebracht so: Ikea hat auf­gehört, schwe­disch zu sein und dieses spe­zi­fische schwe­dische Lebens­gefühl zu trans­por­tieren, das dem Möbelhaus so viele Sym­pa­thien und Käufer ein­brachte. Statt­dessen ver­kauft Ikea jetzt Glo­ba­lismus und Neue-Welt­ordnung-Ideo­logie – und außerdem nebenbei nicht besonders hoch­wertige und nicht mehr halb so schöne Möbel. Es sieht alles irgendwie Null-Acht-Fuffzehn modern-ein­fallslos aus. Ikea hat seinen ganz beson­deren Cha­rakter und Charme ver­schenkt und ist damit nur noch irgendein wei­terer Katalog, der sich kaum noch von anderen Kata­logen mit poli­tisch kor­rekter Model-Besetzung unter­scheidet. Nur etwas geschmack­voller deko­riert und fotografiert.Schade. Adjö, Sverige – Adieu, Schweden. Adieu, Ikea. Es war schön mit Dir und wir ver­danken Dir herr­liche Samstage in Deinen Wohn­welten. Erst mit der Freun­des­clique für die eigene Bude, dann mit den Kindern als Ein­kaufs- und Fami­li­en­ausflug und bis vor kurzem mit Kindern und Enkeln. Krö­nender Abschluss immer das Ikea Restaurant, Lachs­filet und Köttbullar.
Du leuchtest nicht mehr, Ikea.
Ikea wird bald am Gilette-Syndrom leiden. Die Rasie­rer­marke hat mit ihrem ideo­lo­gi­schen Feldzug gegen die „über­kommene, toxische Männ­lichkeit“ dem Mut­terhaus Procter&Gamble einen Acht Mil­li­arden schweren Verlust beschert. Das wird zwar gern als uner­wünschte Aus­wirkung der neuen Män­nermode des Bart­tragens dar­ge­stellt, trifft aber selt­sa­mer­weise aus­ge­rechnet Gilette. In Aus­tralien legt Gilette daher jetzt rigoros den Rück­wärtsgang ein. Mehr Mann, als hier dar­ge­stellt wird, geht nicht.
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