Recep Tayyip Erdoğan Resmî Flickr Hesabı - CC0 1.0

Die Türkei über­schwemmt Europa mit Migranten

Der Anstieg der Ankünfte von Migranten nach Grie­chenland im dritten Quartal 2019 — 5.903 Ankünfte im Juli, 9.341 im August und 10.294 im Sep­tember — fiel mit wie­der­holten Dro­hungen des tür­ki­schen Prä­si­denten Recep Tayyip Erdoğan und anderer Mit­glieder seiner Regierung zusammen, Europa mit mus­li­mi­schen Migranten zu überfluten.
(von Soeren Kern)
Obwohl die Zahl der Zuwan­derer nach Grie­chenland immer noch weit unter der Zahl der Zuwan­derer auf dem Höhe­punkt der Migra­ti­ons­krise im Jahr 2015 liegt, als mehr als eine Million Migranten aus Afrika, Asien und dem Nahen Osten nach Europa strömten, deutet der jüngste Anstieg der Neu­an­kömm­linge darauf hin, dass die Dro­hungen von Erdoğan, die Mas­sen­mi­gration wieder auf­zu­nehmen, Rea­lität werden.
Im März 2016 ver­han­delten euro­päische Abge­sandte den EU-Türkei-Migra­ti­ons­vertrag, in dem die EU der Türkei eine Reihe von wirt­schaft­lichen und poli­ti­schen Anreizen anbot, im Aus­tausch für die Zusage Ankaras, den Zustrom von Migranten aus der Türkei nach Grie­chenland zu stoppen.
Euro­päische Dele­gierte, die in großer Eile ver­han­delten, ver­sprachen der Türkei mehr, als sie leisten konnten — ins­be­sondere ein umstrit­tenes Ver­sprechen, allen 80 Mil­lionen tür­ki­schen Bürgern visa­freies Reisen in die Euro­päische Union zu gewähren.
Seit dem Inkraft­treten des Abkommens werfen sich die Türkei und die EU gegen­seitig vor, wichtige Teile des Abkommens nicht ein­zu­halten, und Erdoğan hat wie­derholt gedroht, poten­ziell Mil­lionen wei­terer Migranten nach Grie­chenland strömen zu lassen.
In der Praxis hat das EU-Türkei-Abkommen den Zustrom von Migranten aus der Türkei nach Grie­chenland erheblich redu­ziert. Infol­ge­dessen ver­la­gerten sich die Migra­ti­ons­routen von Grie­chenland nach Westen nach Italien, das 2016 Grie­chenland als Haupt­ein­rei­se­punkt für Migranten, die nach Europa kommen wollten, ersetzte.
Nachdem der ehe­malige ita­lie­nische Innen­mi­nister Matteo Salvini im Juni 2018 eine rigorose Ein­wan­de­rungs­po­litik ange­kündigt hatte, sank die Zahl der Ankünfte nach Italien dra­ma­tisch — von 119.369 im Jahr 2017 auf 23.370 im Jahr 2018, was einem Rückgang von 80% ent­spricht, so die IOM.
Infolge des Vor­gehens Ita­liens gegen die illegale Ein­wan­derung ver­la­gerten sich die Migra­ti­ons­ströme nach Europa weiter nach Westen nach Spanien, das 2018 Italien als Haupttor für illegale Migration in Europa ersetzte. Mehr als 65.000 Migranten kamen 2018 nach Angaben der IOM nach Spanien.
Das Wie­der­auf­leben der Mas­sen­mi­gration von der Türkei nach Grie­chenland hat Grie­chenland jedoch zu seiner frü­heren Rolle als wich­tigstes euro­päi­sches Tor für Mas­sen­mi­gration zurück­ge­führt. Grie­chenland hat in den ersten neun Monaten des Jahres 2019 doppelt so viele Migranten auf­ge­nommen wie Spanien, so die IOM.
Grie­chenland ver­zeichnete zwi­schen Juli und Sep­tember mehr Migranten — 25.538 — als in den ersten sechs Monaten des Jahres zusammen. Die Migran­ten­ströme sind um fast 180% gestiegen, von durch­schnittlich 100 Ankünften pro Tag im ersten Halbjahr 2019 auf durch­schnittlich 277 Ankünfte pro Tag im dritten Quartal.
Die grie­chische Regierung hat gesagt, dass Erdoğan per­sönlich die Migra­ti­ons­ströme nach Grie­chenland kon­trol­liert und sie ein- und aus­schaltet, um der Euro­päi­schen Union mehr Geld und andere poli­tische Zuge­ständ­nisse zu ent­locken. In den letzten Monaten hat die tür­kische Regierung wie­derholt gedroht, die Schleusen der Mas­sen­mi­gration nach Grie­chenland und damit auch nach Europa zu öffnen.

  • Am 19. Februar behauptete Erdoğan, dass die Türkei seit 2011 37 Mil­li­arden Dollar für die Betreuung von ver­trie­benen Syrern aus­ge­geben habe, und beschul­digte die EU, nicht genug zu tun, um die Last zu tragen. Er fügte hinzu, wenn die 3,6 Mil­lionen Syrer in der Türkei nicht repa­triiert werden können, werden sie in Europa landen.
  • Am 22. Juni sagte der tür­kische Außen­mi­nister Mevlüt Çavuşoğlu, dass die Türkei ein bila­te­rales Rück­über­nah­me­ab­kommen mit Grie­chenland aus­ge­setzt habe, weil Athen acht tür­kische Sol­daten freiließ, die nach dem geschei­terten Putsch in der Türkei im Juli 2016 nach Grie­chenland flohen. Ankara hat die Aus­lie­ferung gefordert, aber die grie­chi­schen Gerichte haben den Antrag abge­lehnt. Die Sol­daten haben Fehl­ver­halten geleugnet und sagten, sie fürch­teten um ihr Leben.
  • Am 21. Juli beschul­digte der tür­kische Innen­mi­nister Süleyman Soylu die euro­päi­schen Länder, die Türkei mit der Migra­ti­ons­frage allein zu lassen. In Kom­men­taren der staat­lichen Nach­rich­ten­agentur Anadolu warnte er: “Wir stehen vor der größten Migra­ti­ons­welle der Geschichte. Wenn wir die Schleusen öffnen, wird keine euro­päische Regierung mehr als sechs Monate über­leben können. Wir raten ihnen, unsere Geduld nicht zu strapazieren.”
  • Am 22. Juli sagte Çavuşoğlu, dass die Türkei den EU-Türkei-Migranten-Deal aus­ge­setzt habe, weil die EU die Visa­li­be­ra­li­sierung für tür­kische Bürger nicht genehmigt habe. Er knüpfte die Aus­setzung auch an einen Beschluss der EU-Außen­mi­nister vom 15. Juli, die Gespräche mit Ankara auf hoher Ebene im Rahmen von Sank­tionen wegen tür­ki­scher Öl- und Gas­boh­rungen vor der Küste Zyperns einzustellen.
  • Am 5. Sep­tember sagte Erdoğan, dass die Türkei plane, eine Million syrische Migranten in eine “sichere Zone” im Norden Syriens zurück­zu­führen, und drohte damit, die Route für Migranten nach Europa wieder zu öffnen, wenn er keine aus­rei­chende inter­na­tionale Unter­stützung für den Plan erhält. “Ent­weder geschieht das, oder wir müssen die Tore öffnen”, sagte Erdogan.
  • Am 8. Sep­tember drohte Erdoğan, die Euro­päische Union mit 5,5 Mil­lionen syri­schen Flücht­lingen zu über­schwemmen, wenn er nicht inter­na­tionale Unter­stützung für die Ein­richtung einer “sicheren Zone” in Nord­syrien erhalte. “Wenn sie uns nicht die not­wendige Unter­stützung in diesem Kampf geben, dann werden wir die 3,5 Mil­lionen Flücht­linge aus Syrien und weitere zwei Mil­lionen Men­schen, die von Idlib aus unsere Grenzen erreichen werden, nicht auf­halten können”, sagte Erdogan bei einer Kund­gebung in Malatya, der ost­ana­to­li­schen Region der Türkei.

Der grie­chische Pre­mier­mi­nister Kyriakos Mit­so­takis for­derte die Türkei auf, das “Mobbing” Grie­chen­lands ein­zu­stellen. “Herr Erdoğan muss ver­stehen, dass er Grie­chenland und Europa nicht bedrohen kann, um mehr Res­sourcen für die Bewäl­tigung der Flücht­lings­frage zu gewinnen”, sagte er. “Europa hat in den letzten Jahren im Rahmen eines Abkommens zwi­schen Europa und der Türkei viel Geld, sechs Mil­li­arden Euro, zur Ver­fügung gestellt, das für beide Seiten von Vorteil war”.
Erdoğan scheint jedoch in diesem Streit die Oberhand zu haben. So erreichten am 29. August 16 Boote mit ins­gesamt 650 Migranten das grie­chische Dorf Skala Syka­mineas auf der Insel Lesbos, so die gemein­nützige Gruppe Aegean Boat Report. Alle Boote waren neu und kamen innerhalb von weniger als einer Stunde am gleichen Ort an, was darauf hin­deutet, dass der Mas­sen­zu­strom eine koor­di­nierte Ope­ration von Men­schen­schmug­gel­banden war, ver­mutlich mit still­schwei­gender Zustimmung der tür­ki­schen Regierung. Es war die größte Mas­sen­an­kunft von Migranten, die von der tür­ki­schen Küste nach Lesbos kamen, seit der Migra­ti­ons­krise 2015–2016.
Die Mas­sen­an­künfte in Grie­chenland haben sich unver­mindert fort­ge­setzt: 2.441 Migranten kamen in der ersten Sep­tem­ber­woche an; 1.781 kamen in der zweiten Woche; 2.609 kamen in der dritten Woche; und 3.463 kamen in der vierten Woche.
“Wir sehen riesige Wellen, die von Men­schen­händlern mit neuen Methoden und bes­seren und schnel­leren Booten aus­gelöst werden”, sagte der grie­chische Kata­stro­phen­schutz­mi­nister Michalis Chry­so­choidis. “Wenn sich die Situation fort­setzen sollte, hätten wir eine Wie­der­holung von 2015. Wir werden Maß­nahmen zum Schutz unserer Grenzen ergreifen, und wir werden viel strenger und schneller bei der Umsetzung sein.”
Am 30. Sep­tember kün­digte Pre­mier­mi­nister Kyriakos Mit­so­takis eine Reihe von Maß­nahmen zur Bewäl­tigung der Migra­ti­ons­ströme an. Er sagte, seine Regierung wolle bis Ende 2020 10.000 Migranten in die Türkei zurück­bringen. Der Plan geht davon aus, dass die Türkei sie zurück­nimmt. Mit­so­takis sagte auch, dass die Regierung die Grenz­kon­trollen ver­schärfen, die Mari­ne­pa­trouillen in der Ägäis ver­stärken, Zentren für Migranten, denen das Asyl ver­weigert wird, schließen und das Asyl­system über­ar­beiten wird.
Migranten, die Men­schen­schmug­gel­routen mit Ursprung in der Türkei nutzen, erreichen auch andere EU-Mit­glied­staaten, dar­unter Bul­garien, Italien und Zypern, die in den ersten neun Monaten des Jahres 2019 einen Anstieg der Migran­ten­zahlen um 700% gegenüber dem gleichen Zeitraum im Jahr 2018 ver­zeich­neten, so die IOM.

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Der zyprio­tische Innen­mi­nister Con­stan­tinos Petrides sagte, dass der Anstieg der Zuwan­derer aus der Türkei mit Span­nungen zwi­schen Ankara und Nikosia über die Boh­rungen der Türkei nach Öl und Gas vor der Küste in der Wirt­schaftszone Zyperns ver­bunden sei.
Die meisten Migranten, die nach Zypern kommen, tun dies auf dem Landweg. Petrides erklärte, dass die Türkei mit zahl­reichen Ländern in Afrika und Asien visa­freie Abkommen hat und dass viele Migranten unein­ge­schränkt ins Festland der Türkei ein­reisen können. Von dort aus reisen sie, oft mit Hilfe von Men­schen­schmugglern, per Flugzeug oder Schiff, ins tür­kisch besetzte Nord­zypern. Sie werden zur Grünen Linie der UNO gebracht und über­queren dann illegal die Grenze zur Republik Zypern, den grie­chisch­spra­chigen Südteil der Insel, der ein EU-Mit­glied­staat ist.
In einem Gespräch mit Reportern in Brüssel erläu­terte Petrides:
“Der neueste Trend ist noch alar­mie­render. Es ist die Ankunft von Dritt­staa­t­an­ge­hö­rigen, die direkt aus der Türkei mit dem Flugzeug zum besetzten Flug­hafen Timvu (grie­chi­scher Name) oder Ercan (wie er heute auf Tür­kisch genannt wird) fliegen und dann zu Fuß das staatlich kon­trol­lierte Gebiet betreten.
“Diese neue Methode der Ent­sendung von Flücht­lingen mit Flug­zeugen und Bussen könnte nicht ohne die Toleranz der tür­ki­schen Behörden durch­ge­führt werden. Und es ist nicht nur Toleranz. Ich habe die Prak­tiken in Bezug auf die visa­freie Regelung, in Bezug auf diese Politik, die dieses Phä­nomen fördert, erwähnt. Es ist ganz klar, dass es hier eine insti­tu­tio­na­li­sierte Art von Schmuggel gibt.”
Mehr als sechs Mil­lionen Migranten sollen in den Mit­tel­meer­ländern darauf warten, nach Europa zu gelangen, so ein klas­si­fi­zierter Bericht der Bun­des­re­gierung, der an die Bild‑Zeitung durch­ge­si­ckert war. In dem Bericht heißt es, dass eine Million Men­schen in Libyen warten, eine weitere Million in Ägypten, 720.000 in Jor­danien, 430.000 in Algerien, 160.000 in Tunesien und 50.000 in Marokko. Mehr als drei Mil­lionen weitere warten in der Türkei.
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Soeren Kern ist ein Senior Fellow am Gatestone Institute in New York.

Quelle: gatestoneinstitute.org