Der Mord an Jamal Khashoggi vor einem Jahr ist aus den Medien verschwunden. Kaum mehr jemand nimmt heute noch Notiz von den Ereignissen, die im Oktober 2018 die ganze Welt entrüsteten. Aber war Khashoggi wirklich ein Einzelfall? Und welche Informationen sind seitdem überwiegend unbeachtet ans Tageslicht gekommen? Was geschah wirklich am 2. Oktober 2018 im arabischen Konsulat in Istanbul? Und welche Gründe könnten der Auslöser dafür gewesen sein, den Journalisten Jamal Khashoggi mit einem derartigen Aufwand von drei Teams und wahrscheinlich mindesten 15 involvierten Personen töten zu lassen, die für den Mord extra eingeflogen wurden und danach wieder abreisten? Hier sollte offensichtlich etwas verhindert werden, das so wichtig war, dass man einen derartigen Aktionismus an den Tag legte – um die Gelegenheit zu nutzen und um sicherzustellen, dass Jamal Khashoggi auf keinen Fall überleben würde.
(von Dan Davis)
Doch was rechtfertigt einen solchen Aufwand? Ging es tatsächlich nur um einen Journalisten, der sich zeitweise etwas kritisch zum saudi-arabischen Königshaus äußerte und deshalb in Ungnade gefallen war? Am 2. Oktober 2018 suchte Khashoggi das saudi-arabische Konsulat in Istanbul auf, weil er dort Dokumente für seine Hochzeit abholen wollte.
Seitdem galt dieser als vermisst. Einige Medien berichteten am 7. Oktober 2018, dass die türkische Polizei davon ausgehen würde, dass Khashoggi im saudi-arabischen Konsulat ermordet worden sei. Einige Zeit später erklärte der Berater des türkischen Staatspräsidenten Erdoğan, Ibrahim Kalin, die türkische Regierung gehe davon aus, dass Khashoggi sich nicht mehr in dem Konsulat befinden würde. Dies entsprach nicht den Tatsachen.
Aus Saudi-Arabien seien 15 Männer eingeflogen worden, um seine Entführung oder Ermordung auszuführen. Die türkische Tageszeitung Sabah veröffentlichte eine Liste mit Namen und Fotos von 15 Saudis. Kameras hätten zudem aufgezeichnet, wie Autos mit verdunkelten Scheiben die 200 Meter entfernte Residenz des Konsulats verließen. Laut einem Bericht der New York Times stammen einige der mutmaßlichen Täter aus dem direkten Umfeld des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman. Unter ihnen befand sich demzufolge auch Salah Muhammed al-Tubaigy, ein forensischer Pathologe.
Am 11. Oktober 2018 berichteten türkische Behördenvertreter, dass sie im Besitz von Ton- und Videoaufnahmen wären, die beweisen, dass Khashoggi im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul getötet wurde. Auf den Tonaufnahmen wäre zu hören, wie Khashoggi „verhört, gefoltert und später getötet“ wurde. Der Journalist sei angeblich bei lebendigem Leib zerstückelt worden.
Wie die türkischen Behörden an diese Video- und Tonaufnahmen aus einer ausländischen konsularischen Vertretung gelangt waren, blieb zunächst offen. Die Zeitung Sabah berichtete, dass Khashoggi im Konsulat eine Apple Watch trug, die wohl entsprechende Daten aufgezeichnet hatte, die vermutlich über das iPhone seiner vor dem Konsulat wartenden Verlobten in die Cloud gelangten. Dies wurde von anderen Quellen als eher unwahrscheinlich erachtet, denn es sei für eine Verbindung zum iPhone eine Bluetooth-Verbindung notwendig, die über eine solche Entfernung technisch praktisch unmöglich wäre. Die Mobilfunknetze der Türkei seien für Apple-Watch-Versionen, die eine direkte Funknetzverbindung herstellen könnten, nicht kompatibel.
Am 12. Oktober 2018 traf ein Untersuchungsteam aus Saudi-Arabien in der Türkei ein, um den Fall zu untersuchen. Neben dem Konsulat stand auch der Wohnsitz des saudischen Konsuls im Fokus von Ermittlungen der türkischen Polizei.
Am 20. Oktober 2018, um 1 Uhr Ortszeit berichteten saudische Staatsmedien, dass Khashoggi im Istanbuler Konsulat getötet wurde. Angeblich wäre dieser bei einer eskalierten Auseinandersetzung durch einen Faustkampf gestorben. Damit wurde die Version der türkischen Behördenvertreter, welche bereits Tage zuvor von dessen Ermordung sprachen, teilweise bestätigt. Wobei die offiziell nicht geplante Tötung Khashoggis in vielen Teilen der Welt als nicht glaubhaft eingestuft wurde. Die Indizien sprechen vielmehr für eine geplante Ermordung des Journalisten. Jetzt, wo der arabische Kronprinz die Tötung Khashoggis im Konsulat bestätigte, spricht vieles dafür, dass auch die anderen Angaben zu seinen Todesumständen, die durch türkische Ermittlungsbehörden und Medien einige Tage zuvor verbreitet wurden und von einer Zerstückelung Khashoggis bei lebendigem Leibe berichteten, zutreffend sind. Denn offensichtlich ist die Tatsache, dass dieser wirklich, wie Tage zuvor behauptet, getötet wurde, ein nicht zu unterschätzender Hinweis darauf, dass die türkischen Behörden noch Beweise haben, die womöglich zurückgehalten werden – auch die angebliche Zerstückelung selbst betreffend.
Zeitgleich wurden die angebliche Verhaftung von 18 verdächtigen Personen sowie die Entlassung des stellvertretenden Geheimdienstchefs und weiterer Personen aus dem Umfeld des Kronprinzen bekannt gegeben.
Bild oben: Jamal Khashoggi beim Betreten des Konsulats im Oktober 2018 in Istanbul, aufgenommen von einer Überwachungskamera.
Die USA verhängte als erste Reaktion 21 Visa-Sperren gegen Personen, die mit dem Mord in Verbindung zu stehen scheinen. In einem Diplomatenfahrzeug, welches zum saudischen Konsulat gehört, wurden in einer Tiefgarage in Istanbul offensichtlich persönliche Gegenstände von Jamal Khashoggi gefunden. Unter anderem auch sein Laptop. Das scheint erst einmal verwunderlich, da Khashoggi beim Betreten des Konsulats auf den Aufnahmen einer Überwachungskamera kurz vor seiner Ermordung offensichtlich keinen Laptop bei sich trug.
Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan stuft den Tod des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi als geplante Tat ein. „Wir haben Hinweise darauf, dass dies keine spontane Tat war“, berichtete Erdoğan während einer öffentlichen Fraktionssitzung seiner Partei AKP im türkischen Parlament. Erdoğan forderte den saudischen König Salman ibn Abdel Asis zudem auf, dass 18 in dem Fall beschuldigte Personen in Istanbul, wo sich die Tat ereignet hat, angeklagt werden müssten, was dieser zwischenzeitlich ablehnte. Bisher wurden noch keine Bilder und Aufnahmen aus Saudi Arabien in den westlichen Medien veröffentlicht, dass die 18 Personen tatsächlich in Haft zeigen beziehungsweise bei deren Verhaftung.
Erdoğan sprach von „drei Teams“, die offensichtlich mit der Ermordung im Zusammenhang stehen. Eines habe vor dem Mord im Belgrader Wald und im Bezirk Yalova außerhalb Istanbuls „Nachforschungen angestellt“. Hier könnte die Entsorgung der Leiche oder Teile der Leiche stattgefunden haben. Am Tag des Mordes wären die Teams dann zwischen 9:50 Uhr und 11:00 Uhr Ortszeit unabhängig voneinander im Konsulat erschienen. Nach den Ortsbesichtigungen hätten sich die Teams am späten Vormittag im Konsulat getroffen und dort die saudischen Sicherheitskameras deaktiviert, bevor Khashoggi wenig später eintraf.
Die Zeitung „Yeni Safak“ berichtete unter Berufung auf Tonaufnahmen, ein saudisches Kommando habe dem Regimekritiker bei einem Verhör die Finger abgeschnitten und diesen enthauptet. Die „New York Times“ berichtete unter Berufung auf türkische Medienvertreter ebenfalls von einer Enthauptung Khashoggis.
Einige Quellen berichteten infolge kurzzeitig, Teile der entstellten Leiche wären im Garten des Konsulats gefunden worden. Darunter auch der Sender SKY, basierend auf den Aussagen anonymer Quellen. Dies wurde aber nicht bestätigt. (DenUnbestechlichen liegen zwei Fotos vor, auf dem man den abgetrennten Kopf Khashoggis sieht, dem man die Gesichtshaut abgezogen hatte – diese liegt neben dem Kopf.)
Offensichtlich wurde ein Doppelgänger mit falschem Bart und Brille mit der Kleidung Khashoggis eingesetzt, um den Anschein zu erwecken, der Journalist habe das Konsulat wieder verlassen. Dieser Doppelgänger taucht auf den Aufnahmen von Überwachungskameras auf. Jedoch weicht sein Erscheinungsbild unter anderem bei den Haaren von Khashoggi ab. Dies könnte auch beabsichtigt sein, falls man von Khashoggis Freundin, die über lange Zeit vor dem Konsulat auf dessen Rückkehr wartete, wusste. Diese hätte sicherlich bei einer zu perfekt inszenierten Kopie diese angesprochen und infolge aber sicherlich sehr schnell gemerkt, dass die Person mit Khashoggis Kleidung nicht der echte Journalist ist. Aufnahmen einer Überwachungskamera zeigen die Freundin von Kashogghi vor dem Konsulat.
Erdoğan erhöht derweilen im Fall Khashoggi den Druck auf Saudi-Arabien. Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden, „bis hinauf zur höchsten Spitze“, forderte er – vermutlich eine Anspielung auf den saudischen Kronprinzen.
In einem seiner letzten Interviews charakterisierte er den impulsiven und ungestümen Herrschersohn als jemand, der immer noch wie ein altmodischer Stammesführer denke und handle. Der Kronprinz war es auch, der den seit dreieinhalb Jahren stattfindenden Krieg im Jemen vom Zaun gebrochen hat. Dieser wurde von den Vereinten Nationen zum „größten humanitären Desaster der Gegenwart“ erklärt. Nach UN-Angaben droht dadurch zwölf Millionen Jemeniten bis Ende des Jahres der Hungertod, wenn die saudische Seeblockade nicht gelockert wird – etwa die Hälfte der Bevölkerung.
US-Präsident Donald Trump sprach im Fall Jamal Khashoggi von einer Hinrichtung und „eine der schlechtesten Vertuschungen aller Zeiten“.
Schon wenige Tage nach dem Mord hatte Al-Dschubair versucht, den Verdacht vom Königshaus zu nehmen. Medienberichte offenbarten immer mehr Spuren, die ins direkte Umfeld von Kronprinz Mohammed bin Salman zu führen schienen. Als Reaktion setzte das Königshaus mit Saud al-Kahtani einen engen Vertrauten des 33 Jahre alten Thronfolgers ab. Al-Dschubair aber versicherte zudem dem US-Sender Fox News, keiner der Verdächtigen habe Verbindungen zum Kronprinzen.
Doch warum wurde er umgebracht?
Inzwischen tauchten Gerüchte auf, Khashoggi wollte Informationen und Dokumente zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001 veröffentlichen, die belegen würden, dass der saudi-arabische mit dem US-Geheimdienst diesbezüglich zusammengearbeitet habe.
Bild oben: Screenshot aus einem inzwischen veröffentlichten Video, in dem die Leiche Khashoggis in Koffern zur Residenz des Konsuls von Saudi-Arabien in Istanbul transportiert worden sein soll.
Journalist und Autor Guido Grandt: „Prinz Turkis Vater, Faisal, war bis zu seiner Ermordung 1975 durch einen Familienrivalen der König von Saudi-Arabien. Faisal war ein Halbbruder des gegenwärtigen Königs, Salman, und deshalb ist Prinz Turki ein Cousin des Kronprinzen – wenn auch mit 73 mehr als doppelt so alt wie sein Alter. Für fast 23 Jahre, von 1977 bis 2001, war Prinz Turki der Direktor des saudischen Geheimdienstes Mukhabarat. Er war maßgeblich an der saudischen, amerikanischen und britischen Organisation der Mudschaheddin in Afghanistan beteiligt, um die sowjetischen Streitkräfte zu bekämpfen. Diese Militanten in Afghanistan entwickelten sich später zum Al-Qaida-Terrornetzwerk, das in verschiedenen US-Stellvertreterkriegen im gesamten Nahen Osten, in Nordafrika und Zentralasien, einschließlich Russlands Hinterhof im Kaukasus, eine Katzenpfote war.
Zehn Tage vor dem 9/11 Terroranschläge auf New York City, in dem etwa 3.000 Amerikaner starben, zog sich Prinz Turki von seinem Geheimdienstposten als Leiter zurück, noch lange bevor seine Amtszeit auslief.“
Guido Grandt weiter: „Es gab früher Spekulationen in US-Medien, dass diese hochrangige saudische Persönlichkeit im Voraus wusste, dass etwas Großes am 11. September geschehen würde. Mindestens 15 der 19 Araber, die an diesem Tag angeblich drei kommerzielle Flugzeuge entführten, waren saudische Staatsbürger.
Jamal Khashoggi war lange Zeit als vertrauenswürdiger Medienberater für Prinz Turki tätig, bevor dieser 2007 sein Amt niederlegte. Nach dem 11. September war Turki der saudische Botschafter in den USA und in Großbritannien.“ (Quelle: guidograndt.de)
Nach der ersten Entrüstungswelle haben sich viele Länder zwischenzeitlich dafür entschieden, nicht mehr so genau hinzusehen, was damals wirklich im Konsulat in Istanbul geschah, nicht zuletzt, um Milliardenaufträge und die guten Beziehungen nicht weiter zu gefährden. Trotzdem fragen sich viele, ob der Fall Khashoggi wirklich ein einzigartiger Einzelfall in der Geschichte war – bei dem man peinlichst genau versuchte, auf alle Fragen im Nachhinein eine Antwort bieten zu können. Indem man sogar eine andere Person nach seinem Verschwinden in der Kleidung Khashoggis das Konsulat verlassen ließ. Oder zeigt eine derartige systematische Vorgehensweise eine Problemlösung auf, welche weder zum ersten Mal in ähnlicher Form praktiziert wurde und sicherlich auch nicht zum letzten Mal? Wobei man sogar als letzte Option mit einplante, dass, sollte doch mal etwas an die Öffentlichkeit gelangen, ein Land wie die USA und andere ganz sicher nicht dauerhaft ihre Geschäftsbeziehungen abbrechen würden, geht es doch hierbei um viel zu hohe Beträge…
Die Mörder des Journalisten Jamal Khashoggi hätten sich laut dem Bericht einer britischen Anwältin schon vor der Tat über die Zerstückelung seiner Leiche unterhalten. „Sie fragten sich, ob der Körper und die Hüften auf diese Weise in eine Tasche passen würden“, erwähnte die Anwältin Helena Kennedy in einer Dokumentation über den Mord.
Agnès Callamard gehörte zu dem UN-Expertenteam, welches Audioaufnahmen des Mordes aus dem Konsulat Saudi-Arabiens in Istanbul hörte, die von der Türkei an die UNO übergeben worden waren. Demnach ist darauf zu hören, wie Khashoggi zunehmend in Angst gerät und begreift, dass er getötet werden soll. In der Unterhaltung vor seinem Eintreffen wurde der „Washington-Post“-Kolumnist offenbar von den Verschwörern als „Opfertier“ bezeichnet.
Der Gerichtsmediziner, der Khashoggi nach dem Mord zerteilt haben soll, sagte hierzu. „Ich höre oft Musik, wenn ich Leichen zerteile. Manchmal mit einem Kaffee und einer Zigarette in der Hand … Dies ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich Teile am Boden zerteilen soll. Selbst ein Metzger hängt ein Tier auf, das er zerteilen will.“ Bei dieser Aussage habe er gelacht.
Khashoggi wäre mit einer Plastiktüte erstickt worden. Anschließend trennte man seinen Kopf ab. Callamard berichtet von „glaubwürdigen Beweisen“ für eine Verwicklung des saudi-arabischen Kronprinzen Muhammad bin Salman bei dieser Verschwörung.
Ein inzwischen aufgetauchtes Video zeigt, wie offensichtlich die Leiche Khashoggis in Koffern zur Residenz des Konsuls von Saudi-Arabien in Istanbul transportiert worden sein soll:
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