In den ersten Maitagen letzten Jahres profilierte sich der WDR als investigativer Kämpfer für den angeblich von der Polizei fälschlich und böswillig verhafteten Flüchtling Amad A, der dann auch noch eiskalt in den Flammen seiner Gefängniszelle sterben gelassen wurde. Die „Monitor-Recherche“ wähnte eine grausame Verschwörung. Mehr als ein halbes Jahr ist nun vergangen und trotz Hartnäckigkeit des WDR steht nun offiziell fest: Eine vollkommen ungerechtfertigte Beschuldigung und eine Blamage für die Tugendritter des WDR.
Was war geschehen?
Ein 26jähriger Syrer war mit einem polizeilich gesuchten Täter aus Mali verwechselt worden, für den in Hamburg ein Haftbefehl ausgestellt wurde. Amad A., der syrische Flüchtling, wurde bei der Polizei in Kleve überprüft. Er war an einem Baggersee von der Polizei mitgenommen worden, weil er dort badende Mädchen mit sexuellen Bemerkungen belästigt hatte. Die Mädchen forderten ihn auf, das zu lassen, was er ignorierte. Eines der Mädchen rief daher seinen Vater an, einen Polizisten, und so kamen zwei Streifenwagen am Badeseee an und nahmen den aufdringlichen, jungen Mann mit aufs Revier. Bei der dann folgenden Personalienüberprüfung geschah es, dass durch eine Übereinstimmung in den Datensätzen Amad A. für den Täter aus Mali gehalten wurde. Die Polizei fordert den Haftbefehl vom LKA Hamburg an. Offenbar wurden die Fotos darin nicht mit dem anwesenden, jungen Mann verglichen. Amad A. wurde inhaftiert. Am 17. September 2018 legte er in seiner Zelle einen Brand. Die Aufsicht konnte ihn zwar aus seiner Zelle retten, der junge Mann starb aber an seinen Brandverletzungen.
Monitor konstruiert einen rassistischen Justiz-Skandal
Am zweiten Mai 2019 wurde eine Sendung des Magazins Monitor ausgestrahlt, welche die Verhaftung und den Tod des jungen Häftlings, des Syrers Amad A., hinterfragte. Die Monitor-Redaktion bezweifelte stark, dass es sich wirklich um eine Verwechslung handle. Die ganze Geschichte um die Datenveränderung könne so nicht stattgefunden haben. O‑Ton Monitorsendung:
„Wie konnte ein hellhäutiger, unschuldiger Syrer mit einem dunkelhäutigen Mann aus Mali verwechselt werden?“
Am selben Tag noch feuerte der WDR eine Kaskade von aufgeregten Berichten auf seinem Internetauftritt ab. Dabei werden höchst problematische, extrem ehrenrührige Unterstellungen formuliert:
„Es sehe so aus, ‚als wollte Kleve den Hamburger Kollegen deutlich machen, schickt uns mal diese Haftbefehle, wir hätten die gerne für unseren Syrer, obwohl wir eigentlich wissen das sie für den Malier gedacht sind,‘ sagt IT-Expertin Annette Brückner, die sich seit Jahren mit Polizeidatenbanken beschäftigt, nach dem Einblick in die MONITOR-Unterlagen. ‚Nur das allerletzte Teilchen ist in Hamburg gemacht wurden. Alles andere war Initiative und Veranlassung von Nordrhein-Westfalen.‘“
„… schickt uns mal diese Haftbefehle, wir hätten die gerne für unseren Syrer, obwohl wir eigentlich wissen das sie für den Malier gedacht sind.“: Diese Formulierung ist schlicht justiziabel und dürfte nur dann getan werden, wenn dieser ungeheure Vorwurf auch wirklich belegt werden kann.
Monitor als Verschwörungstheoretiker
NRW-Innenminister Reul gerät unter Druck. Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss ist gebildet worden, um den Justizskandal aufzuklären. Die Grünen und andere Mitglieder des Ausschusses fordern rückhaltlose Aufklärung der Ungereimtheiten im Falle des „unschuldig verbrannten Syrers“ — eine Redewendung, die nun in fast allen Meldungen vorkommt, als sei es weniger verwerflich, wenn jemand „schuldig verbrennt“.
Und der WDR legt noch kräftig nach. Berauscht von dem anscheinend aufgedeckten Mega-Skandal insinuiert man in einem weiteren Artikel nochmals eine direkte Absicht der Polizei Kleve, die Personendaten ganz bewusst vermischt zu haben, um Amad A. verhaften und einsperren zu können. Die „Papierlage der Klever Polizei“, die diese nach Hamburg schickte, habe die Daten verändert. Die Version der „tragischen Verwechslung“ lasse sich nun kaum noch halten. Überdies habe die Belegschaft des Gefängnisses offenbar grob fahrlässig den unschuldigen Syrer verbrennen lassen.
Die Verwechslung des Syrischen Flüchtlings mit dem gesuchten Malier könne die Polizei absichtlich vorgenommen haben, um den Syrer nicht laufen lassen zu müssen, unterstellt „Monitor“. Dazu habe man nur an den Datensätze der Fahndungslisten INPOL und VIVA herum zu manipulieren brauchen. Als Beleg führt das ARD-Magazin Monitor die Expertise der Behördendaten-Spezialistin Annette Brückner an. Diese sieht hier eine klare, absichtliche Manipulation.
Die Ermittlungen des Untersuchungsausschusses dauern Monate. Gegen die Polizeibeamten, die Amad A. festgenommen hatten, wurde wegen Freiheitsberaubung ermittelt. Alle Ausländer- und Strafakten des Syrers, der keineswegs ein Unschuldslämmlein war, wurden ausgewertet. 290 Seiten akribischer Nachforschungen und mehrere Gutachten sowie Zeugenaussagen zeigen aber letztendlich, dass die kruden Verschwörungstheorien des WDR mit den Tatsachen kaum etwas gemein haben. Ende Oktober 2019 stellte die Staatsanwaltschaft Kleve sämtliche Ermittlungsverfahren gegen beschuldigte Polizisten, Vollzugsbeamte und eine Gefängnispsychologin ein.
In den ersten Novembertagen 2019 gibt es dann Ergebnisse.
Die Staatsanwaltschaft in Kleve teilte der Presse am Dienstag, den 5. November, mit, die Polizisten hätten bei ihrer Datenabfrage bereits fehlerhafte Angaben erhalten. Amad A. sei im Landesdatenbestand fälschlicherweise tatsächlich zur Fahndung ausgeschrieben gewesen. Der Fehler war bei der Datenbearbeitung der Polizei in Siegen geschehen. Eine Sachbearbeiterin in Siegen sagte das vor dem Untersuchungsausschuss aus. Sie habe auf Anweisung immer Personendaten zusammengeführt und war sich nicht bewusst darüber, dass das irgendwann nicht mehr erlaubt war, erklärte sie. Sie habe das aber auf Anweisung getan. Wer die Anweisung erteilt habe, wisse sie nicht mehr. Sie war nur eineinhalb Tage für diese Aufgabe geschult worden. Wenn sie Fragen zu irgendwelchen Anweisungen gestellt habe, sei ihr gesagt worden “Du bist eine reine Eingabekraft. Das hast du nicht zu hinterfragen.”
Auf diese Weise seien die Datensätze der beiden Männer, des Afrikaners und des Syrers zusammengeführt worden, ergab die Untersuchung des Computers. Weil die VIVA-Fahndungsliste fälschlicherweise Amad A. als den gesuchten Malier ausspuckt und keiner der Polizeibeamten die übermittelten Daten mit den unterschiedlichen Lichtbildern vergleicht, wird der Syrer irrtümlich inhaftiert. Eine folgenschwere Nachlässigkeit der Polizei — aber kein Vorsatz, den Syrer gesetzeswidrig zu inhaftieren und in den Tod zu treiben. Sowohl die Polizei, als auch die Sachbearbeiterin werden entlastet.
Der Zellenbrand als Gelegenheit zum Mord?
Die Vorwürfe, die „Monitor“ dem Gefängnispersonal gemacht hatte, wurden ebenfalls überprüft und monatelang ermittelt. Auch hier hatten die Monitor-Redakteure eine Geschichte konstruiert, die den Angestellten der Justizanstalt im Prinzip einen Mord durch Unterlassene Hilfeleistung unterstellte.
Der Focus schreibt (Hervorhebung durch Focus):
„Der Report der Staatsanwaltschaft liest sich in Teilen wie eine Anklageschrift gegen die WDR-Medien. So soll etwa ein Zeuge vor der Kamera zu Falschaussagen zum Brandgeschehen verleitet worden sein. Ein Mithäftling des Amed A. bekundete in seiner Vernehmung bei Staatsanwaltschaft und Polizei: Die Sendung des TV-Magazins ‚Monito‘ entspreche nicht den Tatsachen. Man habe ihm die Antworten in den Mund gelegt. Dafür gab es 300 Euro.
‚Monitor‘ weist diese Anwürfe auf Anfrage von FOCUS Online zurück. Im Interview habe sich der Zeuge so geäußert wie dargestellt, heißt es. Auch seien ihm keine falschen Formulierungen in den Mund gelegt worden. Zudem habe der Zeuge ‚bei Nachfragen zu den Zeitabläufen keine sich widersprechenden Aussagen gemacht‘, betont die Redaktion. Die 300 Euro seien eine Aufwandsentschädigung für einen Verdienstausfall gewesen.
Doch damit nicht genug: ‚Monitor‘ und ‚Westpol‘ ziehen mit externen Experten das Brandschutzgutachten des Sachverständigen der Staatsanwaltschaft Kleve in Frage und drehen offenbar die Aussagen eines Zeugen nach ihrem Gutdünken.“
Die ermittelten Tatsachen, die im Focus-Artikel beschrieben werden zeigen, dass Amad A. aus den in der Zelle befindlichen Betttextilien ein Feuer entfacht. Er rennt dann zum Fenster und ruft um Hilfe, doch die Sauerstoffzufuhr lässt das Feuer noch höher auflodern. Der Rauch zieht auch in den Gang und löst Alarm aus. Die Beamten laufen los, doch zuerst in die falsche Etage, wo sie den Brand vermuten. Nach etwa dreieinhalb Minuten orten sie die Zelle von Amad A. als Brandherd. Als die Tür geöffnet wird, taumelt ihnen Amad A. entgegen. Die Beamten ziehen ihn aus der Gefahrenzone und löschen den Brand. Amad will Wasser trinken.
Er stirbt nach wochenlanger Behandlung im Krankenhaus an seinen Brandverletzungen. Einen Monat später wäre er aus der Haft entlassen worden. Einem Knastbruder habe er gesagt, ihm drohe eine Abschiebung nach Syrien, was er unbedingt verhindern wollte. Eine Selbstmordabsicht sei durchaus möglich, heißt es seitens der Behörden.
Ergebnis des Untersuchungsausschusses: Auch die Gefängnisbelegschaft ist von jedem Vorwurf reingewaschen.
WDR beharrt auf seinen Verschwörungstheorien
Doch nach wie vor wollen die Journalisten vom WDR nicht von ihrer schönen Verschwörungstheorie lassen. Man habe den Alarm des jungen Mannes aus der Rufanlage übersehen oder nicht beachtet, der Gefangene soll viel früher als berichtet um Hilfe gerufen haben, die Belegschaft habe viel zu spät reagiert. Nun präsentierte Monitor einen neuen Zeugen. Jan-Hendrik H., einen Mithäftling. Dieser sagt in dem neuen Monitor-Film aus, dass es bereits kurz nach 19 Uhr laute Aufregung wegen des Feuers im Gefängnis gegeben habe. Gefangene hätten gegen die Zellentüren getrommelt. Wenn das stimmte, hätte die Justiz massiv gelogen. Das hätte den Rücktritt des Ministers und eine vollkommen neue Untersuchung unumgänglich gemacht.
Focus schreibt (Hervorhebungen durch Focus):
Doch nichts davon ist laut dem Report der Staatsanwaltschaft Kleve wahr. In seiner Vernehmung bei Polizei und Staatsanwaltschaft erzählt Ex-Knacki H., was sich tatsächlich bei dem Monitor-Dreh zu getragen haben soll. Über Facebook habe ihn eine TV-Reporterin kontaktiert. Man habe sich in Dortmund getroffen. Jan-Hendrik H. hat nach eigenen Angaben stets betont, dass er nur vom Hörensagen wisse, dass sein syrischer Bekannter gegen 19 Uhr am Fenster um Hilfe gefleht habe. ‚Die Aufnahmen seien immer wieder neu gemacht worden mit verschiedenen Formulierungen‘, zitieren die Ermittler den Zeugen. ‚Es sei mit der Uhrzeit 19:00 auf ihn eingeredet worden‘, heißt es weiter. Aus diesem Grunde habe er letztlich ‚diese Zeit gesagt‘. Man habe ihm ‚die Antworten in den Mund gelegt.‘“
In Wahrheit, so Jan.Hendrik H., habe er von irgendwelchen Hilferufen gar nichts gehört. Erst gegen 19:30 wurde er wegen der lautstarken Aufregung und dem Türengetrommel aufmerksam. Das war etwa eine halbe Stunde nach der Brandstiftung, zu diesem Zeitpunkt war Amad A. aber schon längst aus der Zelle gerettet worden. Das, was Jan-Hendrik H. zu Protokoll gibt, deckt sich mit den Aussagen aller anderen, seiner Mithäftlinge und den JVA-Angestellten. „Monitor“ kann gar nicht verstehen, warum der Zeuge nun etwas anderes aussagt und führt allerhand Beteuerungen an, man habe eine gänzlich andere Aussage von ihm erhalten. Doch nichts, was „Monitor“ so empört und felsenfest behauptet, hielt einer Überprüfung stand.
Unschuldslämmlein Amad A.?
In dem Monitor-Bericht über den erfundenen Justiz-Skandal stellt Moderator Georg Restle den syrischen Flüchtling Amad A. als einen völlig unbescholtenen, Zuflucht suchenden Flüchtenden dar, der doch nur sein Leben retten wollte, indem er aus dem Kriegschaos Syriens nach Deutschland entfloh, wo er in keiner Weise negativ aufgefallen ist. Doch da haben die wackeren Rechercheure von Monitor wohl selber etwas geschlampt.
Schon vor der Belästigung junger Mädchen am Baggersee fiel Amad A. der Polizei mehrfach auf:
„Am 20. März 2016 reist Amed A. in die Bundesrepublik ein. Bei seiner Anhörung durch die Ausländerbehörde in Burbach spricht er weder von Folter, Gefangenschaft oder erlittener Kriegsverbrechen. Einzig die Angst, zur syrischen Armee eingezogen zu werden, habe ihn zur Flucht veranlasst (…) Fortan fällt Amed A. immer wieder durch gewaltsame Zwischenfälle auf. Er nimmt Drogen, mitunter wankt er volltrunken und orientierungslos durch die Straßen. Seine Arme zeugen von massiven Ritzspuren, die er sich selbst beigebracht hat. Eines nachts begrapscht er eine Frau in der Erstunterkunft in Siegen-Burbach und droht ihr Schläge an, sollte sie schreien.
Amed A. gilt fortan als Problemfall. Im Juli 2016 wird sein Asylantrag abgelehnt.“
Das Erstaufnahmeland Ungarn will ihn aber nicht aufnehmen, der Abflugtermin platzt. Die Kripo ermittelt mehrfach wegen Diebstahls gegen ihn. Davor flieht Amad A. nach Ungarn, dort wird er postwendend wieder nach Deutschland geschickt. Wieder hier, begeht er am laufenden Band neue, kleinere Delikte von Diebereien und Schwarzfahren über Marihuanabesitz. Im Oktober 2017 wird gegen ihn wegen mutmaßlicher räuberischer Erpressung ermittelt. Er kommt in Untersuchungshaft. Hier droht er schon mit Selbstmord, sollte er ins Gefängnis kommen. Man lässt ihn daher bald wieder frei. Amad A. pöbelt und tobt in seinem Deutschkurs herum und prügelt sich mit der Bundespolizei, die ihn beim Schwarzfahren erwischt. Einen Betreuer, den ihm die Behörden wegen seiner „psychischen Probleme“ zur Seite stellen wollen, lehnt er aber ab.
Er kommt in psychiatrische Behandlung, wo er unglaubliche Horrorgeschichten erzählt, was ihm alles Schreckliches in Syrien widerfahren sei. Mal behauptet er, Libyer zu sein, mal Algerier, mal war er in der Türkei, mal ist er Tuberkulosekranker. Ein behandelnder Arzt bezeichnet ihn als unreif, unehrlich und depressiv.
Amad A. erhielt zwar kein Asyl, aber dennoch „subsidiären Schutzstatus“. Bedeutet, er kann so lange hier bleiben, bis ihm in Syrien keine Gefahr mehr droht.
Ist der WDR nun still und entschuldigt sich für seine unglaublichen Unterstellungen?
Nein. Am 27. Januar 2020 veröffentlicht der WDR einen neuen Beitrag, in dem er wieder unterstellt, dass die bisherigen Ermittlungen nicht korrekt seien. Eine Gutachterin hat ein neues Gutachten erstellt und behauptet, eine versehentliche Verwechslung sei „unwahrscheinlich“. Sie stellt die bisherigen Ermittlungen „stark in Frage“.
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.