China über­nimmt Hongkong: EU zuckt mit den Schultern

Nach der Ver­ab­schiedung eines neuen natio­nalen Sicher­heits­ge­setzes für Hongkong durch China, das de facto die durch einen inter­na­tio­nalen Vertrag garan­tierte Auto­nomie der ehe­ma­ligen bri­ti­schen Kolonie beendet, pro­tes­tierten zwei angel­säch­sische Demo­kratien sofort sehr lautstark.

(von Giulio Meotti)

Die Ver­ei­nigten Staaten und Groß­bri­tannien ver­suchten, eine Sitzung des UNO-Sicher­heits­rates ein­zu­be­rufen, um die Ange­le­genheit zu behandeln (China ver­hin­derte dies). Dann ver­öf­fent­lichten die Regie­rungen der Ver­ei­nigten Staaten, Groß­bri­tan­niens, Aus­tra­liens und Kanadas eine gemeinsame Erklärung, in der betont wurde, dass die inter­na­tionale Gemein­schaft ein dau­er­haftes Interesse an der Sta­bi­lität und Auto­nomie Hong­kongs hat. Groß­bri­tannien kün­digte sogar an, dass es für mehr als drei Mil­lionen Ein­wohner Hong­kongs ein ver­län­ger­bares Ein­jah­res­visum und die Mög­lichkeit, die bri­tische Staats­bür­ger­schaft zu erhalten, ver­längern wird. US-Außen­mi­nister Mike Pompeo sprach die Mög­lichkeit an, den pri­vi­le­gierten Han­dels­status auf­zu­heben, den die USA Hongkong bisher gewährt haben, und Prä­sident Donald Trump kün­digte Sank­tionen gegen chi­ne­sische Führer an, die für die Ein­führung des natio­nalen Sicher­heits­ge­setzes in Hongkong ver­ant­wortlich sind.

Der letzte bri­tische Gou­verneur von Hongkong, Chris Patten, sagte, China habe Hongkong “ver­raten”. Es stimmt, dass das chi­ne­sische Regime die im Vertrag fest­ge­legte Ver­pflichtung auf­ge­geben hat. Doch ein grö­ßerer Verrat kommt von Europa. Was hat die EU in Hongkong getan? Nichts. Sie erlaubt China ganz einfach, seine letzte Bastion der Freiheit zu über­wäl­tigen und zu zerschlagen.

Der Hohe Ver­treter der EU für Aus­wärtige Ange­le­gen­heiten, Josep Borrell, schloss Sank­tionen gegen China wegen der Initi­ierung des neuen Hongkong-Gesetzes aus. “Die Ent­scheidung der EU, ihren Ein­fluss als größter Han­dels­block der Welt nicht zu nutzen, steht in krassem Gegensatz zu den USA, die mit Han­dels­maß­nahmen drohen, wenn Peking mit der Ver­hängung natio­naler Sicher­heits­ge­setze wei­ter­macht”, so Politico.

Der fran­zö­sische Außen­mi­nister Jean-Yves Le Drian kün­digte bei einer Anhörung im Senat des Landes an, dass Europa sich nicht in einen Zusam­men­prall zwi­schen den USA und China hin­ein­ziehen lassen dürfe und dass ein “neuer kalter Krieg” ver­mieden werden müsse. “Eine Politik, die darauf abzielt, China zu iso­lieren, liegt nicht im Interesse Deutsch­lands oder Europas”, stellte Norbert Röttgen, Vor­sit­zender des Aus­wär­tigen Aus­schusses im Deut­schen Bun­destag, fest.

Diese Europäer sagen implizit, dass, wie bei der Übergabe des Sude­ten­landes der Tsche­cho­slo­wakei an Nazi-Deutschland vor etwa 80 Jahren, die Opferung Hong­kongs not­wendig ist, um seine Inves­ti­tionen in China zu schützen. “Letzten Endes fürchte ich, dass die Wirt­schafts­be­zie­hungen mit China einfach zu wichtig sind”, gestand ein euro­päi­scher Diplomat.

Die Selbst­zensur Europas gegenüber China ist grotesk. Brüssel hat bereits einen Bericht umge­schrieben, in dem China für seinen Umgang mit dem Coro­na­virus kri­ti­siert wird. Für Jonathan Holslag, einen bel­gi­schen Pro­fessor für inter­na­tionale Politik, ist die Krise nur ein wei­terer Indi­kator für die anhal­tende Schwä­chung eines oppor­tu­nis­ti­schen Europas ange­sichts eines auf­stre­benden Chinas. Nicole Gne­sotto, die den EU-Vorsitz am Natio­nalen Kon­ser­va­torium für Kunst und Handwerk innehat, bemerkte dazu: “Europa ist unreif: Ist es eine Kin­der­krankheit, die ver­gehen wird, oder eine Krankheit, die in den Genen steckt?

“Ich hoffe sehr, dass Angela Merkel die deut­schen Grund­werte nicht opfert, um die Wirt­schaft zu unter­stützen und China zu besänf­tigen”, sagte Joshua Wong, Hong­kongs heroi­scher Aktivist. “Die Abhän­gigkeit von China wird Deutschland früher oder später schweren Schaden zufügen”.

Im ver­gan­genen Jahr schäumte China wegen des Treffens zwi­schen Wong und dem deut­schen Außen­mi­nister. Nun, da China den letzten Nagel in den Sarg von Hongkong geschlagen hat, hat Deutschland Peking besänftigt und gesagt, dass es zwi­schen China und den USA betreffend Hongkong “ver­mitteln” wolle. Doch es gibt keine Ver­mittlung mit dem chi­ne­si­schen Imperialismus.

Der chi­ne­sische Künstler und Dis­sident Ai Weiwei griff die deutsche Beschwich­ti­gungs­po­litik an:

“Frank­reich, England, vor allem Deutschland sind die dun­kelsten, trick­reichsten, sie [Deutschland] haben auch eine große stra­te­gische Dis­ziplin, sie iden­ti­fi­zieren sich so sehr mit einem auto­ri­tären Staat, sie haben das im Blut, sie lieben China so sehr, man kann all diese [deut­schen] Poli­tiker sehen, sie gehen mehr nach China als zu ihrer Oma. Deutschland ist führend in ganz Europa, sie sind so ehr­geizig, sie wollen führend sein, aber mora­lisch sind sie so zusam­men­ge­brochen. In Deutschland ist es so Fake. Deshalb traut die euro­päische Familie Deutschland nicht. Sie wollen sich davon lösen, weil die Deut­schen den größten Nutzen aus China ziehen. Deutsche Wirt­schafts­führer haben offi­ziell bekannt gegeben, dass die deutsche Zukunft China gehört. Deutsche Banken, deutsche Tech­no­logie, sie unter­stützen das wirklich so gut. Und man kann nie sehen, dass deutsche Staats- und Regie­rungs­chefs China offen kri­ti­sieren, auch nicht während dieser Virus­krise, aber man kann das­selbe von jeder euro­päi­schen Nation sagen. Ich mache mir wirklich Sorgen. Der Westen geht so schnell unter, weil er seine Über­zeu­gungen nicht aufrechterhält”.

Europa macht sich über China Illu­sionen. Wie der fran­zö­sische Gelehrte François Heis­bourg bemerkte: “China ist ein Raubtier, und Europa ist seine Beute”.

“In der ganzen Welt sind Stimmen laut geworden, die Hong­kongs mutige pro-demo­kra­tische Demons­tranten unter­stützen”, schrieb der US-Autor George Weigel. “Hat man die Stimme des Hei­ligen Stuhls gehört? Wenn ja, habe ich es ver­passt und viele andere auch”.

Die EU und der Vatikan haben über die Über­nahme Hong­kongs durch China geschwiegen. Kritik kam auch vom Bischof von Hongkong, Joseph Zen: “Es tut mir leid, sagen zu müssen, dass wir vom Vatikan nichts zu erwarten haben. In den letzten Jahren haben sie nie etwas gesagt, um China ihre Ver­folgung vor­zu­werfen. Die Kirche hat vor der chi­ne­si­schen Auto­rität kapituliert.”

Die von Jesuiten her­aus­ge­gebene Zeit­schrift Civiltà Cat­tolica, die vor ihrem Erscheinen vom Vatikan rezen­siert wird, hat gerade eine neue chi­ne­sische Ausgabe her­aus­ge­bracht. Laut dem Vatikan-Experten John L. Allen Jr. ist dies der Beweis für ein ‘all in’ des Vatikans auf chi­ne­si­sches Werben”. Der Pakt des Vatikans mit China scheint das Schweigen des Hei­ligen Stuhls nicht nur auf Kosten von Mil­lionen von Katho­liken, sondern auch von Hongkong erkauft zu haben. “Wir stehen am Ende eines langen Pro­zesses der Kapi­tu­lation”, schloss Kar­dinal Zen.

Dank der Allianz der Demo­kratien um die Ver­ei­nigten Staaten, der Ein­däm­mungs­stra­tegie und des Kampfes um Werte, die die Dele­gi­ti­mierung der Lügen und des Terrors ermög­lichten, die als Zement für den sowje­ti­schen Kom­mu­nismus dienten, gelang es dem Westen, das Sowjet­im­perium zu besiegen und seinen Zusam­men­bruch von innen her her her­bei­zu­führen. Der Westen hat heute alle Res­sourcen, die er braucht, um den kom­mu­nis­ti­schen chi­ne­si­schen Impe­ria­lismus zu stoppen. Das Einzige, was fehlt, ist der Wille Europas, sich zu ver­tei­digen. Es bleibt noch Zeit, den fatalen Fehler der 1930er Jahre zu ver­meiden, als die euro­päi­schen Demo­kratien vor dem Auf­kommen des Tota­li­ta­rismus durch Ernied­rigung aus­ein­ander gerissen wurden. Europa muss auf­wachen und China entgegenwirken.

Auch Tibets geist­liches Ober­haupt, der Dalai Lama, for­derte Europa auf, China nicht zu beschwich­tigen: “Während Cham­berlain, kurz vor dem Zweiten Welt­krieg, schei­terten zu viele Beschwich­ti­gungen”, sagte er und bezog sich dabei auf den fehl­ge­lei­teten Versuch des bri­ti­schen Pre­mier­mi­nisters Neville Cham­berlain, in den 1930er Jahren eine Einigung mit Hitler-Deutschland zu erreichen. Chur­chill schrieb an Cham­berlain: “Sie hatten die Wahl zwi­schen Krieg und Ehr­lo­sigkeit. Sie haben die Unehre gewählt, und Sie werden Krieg haben”.

“Warum für Danzig sterben?”, fragte der fran­zö­sische Pazifist Marcel Déat 1939. Er meinte, das Schicksal der Stadt Danzig sei keine Kon­fron­tation wert. Er sprach sich für eine Beschwich­tigung mit Nazi-Deutschland aus, das die Annexion der halb­au­to­nomen Freien Stadt Danzig forderte.

“Warum für Hongkong sterben?”, scheinen die Europäer jetzt zu sagen.

Während des letzten Jahres der Pro­teste haben Hong­kongs Demons­tranten die ame­ri­ka­nische Flagge geschwenkt. China kennt die Bedeutung dieses kleinen Außen­postens vor seiner Haustür, der sich weigert, nach­zu­geben, mit seiner Rede­freiheit, Rechts­staat­lichkeit und Reli­gi­ons­freiheit, die auf dem chi­ne­si­schen Festland undenkbar sind.

Haben Sie gesehen, wie die euro­päische Flagge in Hongkong geschwenkt wird? Nein, und das aus gutem Grund.

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Giulio Meotti, Kul­tur­re­daktor für Il Foglio, ist ein ita­lie­ni­scher Jour­nalist und Autor.


Quelle: gatestoneinstitute.org