Wie konnte es nur soweit kommen?

Ich sehe mich um und blicke dabei in aus­druckslose und nach unten gerichtete Gesichter, die kaum noch etwas von der realen Welt um sie herum mit­be­kommen. Wie see­lenlos wir­kende Wesen taumeln sie durch eine stetig unper­sön­licher und gefühls­kälter wer­dende Matrix, die ihnen ein vor­ge­fer­tigtes und auf­dik­tiertes Leben sug­ge­riert. Außer den starren Augen, die wie gebannt auf ihren kleinen Smart­phone-Bild­schirmen zu kleben scheinen, ist kaum noch etwas von ihnen zu erkennen. Mimik und sonstige Emo­tionen sucht man inzwi­schen ver­geblich und somit leider auch Nächs­ten­liebe, Anteil­nahme und Hilfs­be­reit­schaft. Statt­dessen funk­tio­nieren sie zuse­hends wie perfekt pro­gram­mierte Roboter, die einzig und allein ihrer offen­sicht­lichen Zweck­be­stimmung folgen sollen. Das innen­lie­gende Herz scheint bei ihnen somit mehr und mehr zu einem bloßen Organ zu ver­kümmern, welches lediglich seine kör­per­eigene Funktion zu erfüllen hat.

(von Thorsten Läsker)

Ich sehe zudem, dass diese Men­schen immer weniger mit­ein­ander kom­mu­ni­zieren oder inter­agieren, und wenn doch, dann häufig in einer sehr aggres­siven und recht­ha­be­ri­schen Art und Weise, bei der anders­lau­tende Mei­nungen kaum noch akzep­tiert, geschweige denn über­haupt angehört werden, während die eigenen Ansichten, die wie­derum oftmals selbst nur nach­ge­plap­perte Main­stream-Thesen sind, mit einer fast schon arro­ganten Über­heb­lichkeit ver­teidigt werden. Anders­den­kende mit teils etwas kon­tro­ver­seren Auf­fas­sungen erleben somit eine kate­go­rische Aus­grenzung, Anfeindung und Dis­kre­di­tierung. Will man sich davor schützen, schwimmt man ent­weder still in der Masse mit oder hält sich generell vom gesell­schaft­lichen Leben fern.

Ich sehe aller­dings, wie sich daraus eine stetig größer wer­dende Ver­ein­samung unter der Bevöl­kerung breit­macht, da jeder nur noch mit sich selbst beschäftigt ist und die Insti­tution „Familie“ immer mehr in den Hin­ter­grund rückt. Single-Haus­halte sind demnach keine Sel­tenheit mehr, und das unab­hängig vom Alter. Doch besonders die jüngere Gene­ration scheint davon betroffen zu sein, da sogar deren Freund­schaften zunehmend vir­tu­eller Natur sind und per­sön­liche Treffen somit immer sel­tener statt­finden. Und wenn doch, dann wird sich bei diesen Zusam­men­künften dennoch fast aus­nahmslos mit der medialen Scheinwelt beschäftigt und dem echten Gegenüber nur spo­ra­disch Beachtung geschenkt. Teil­nahmslos sitzen sie sich dabei gegenüber und wischen an ihren kleinen Gerät­schaften herum, während sie sich hin und wieder eine lustige Chat­nach­richt oder das neueste Video zusenden. Am besten prä­sen­tiert man bei dieser Gele­genheit gleich sein eigenes Kunstwerk, denn wer oben mit­spielen will, muss aktiver Teil des Ganzen werden. Schließlich dreht sich alles nur noch um „Clicks“ und „Likes“. Wer da nicht mit­halten kann, wird eben­falls ganz schnell zum Außen­seiter, was übrigens inzwi­schen wesentlich ein­facher zu bewerk­stel­ligen ist, als dazuzugehören.

Ich sehe daher eine stetig wach­sende Zahl an frus­trierten, ängst­lichen und hoff­nungs­losen Men­schen, die es kaum noch schaffen, in dieser leis­tungs­ori­en­tierten Welt ihren Platz zu finden. Depres­sionen, Burn-out und andere psy­chische Erkran­kungen sowie oftmals daraus resul­tie­rende kör­per­liche Befind­lich­keiten sind demnach an der Tages­ordnung, was wie­derum häufige Arzt­be­suche und ver­mehrte Krank­schrei­bungen zur Folge hat. Doch die dringend benötige Erholung wird immer sel­tener gelebt. Statt­dessen jagt man wei­terhin von Termin zu Termin, muss ständig erreichbar sein und setzt sich selbst unter einen mas­siven Erfolgs­druck. Kein Wunder also, dass kaum noch Zeit zum Essen, Trinken, Sport treiben oder Schlafen bleibt. Mit Auf­putsch­mitteln und Drogen sowie Alkohol, Fast-Food und diversen Online-Kursen wird dieses Ungleich­ge­wicht aus­zu­ba­lan­cieren ver­sucht. Haupt­sache schnell und einfach. Das Übel an der Wurzel zu packen, scheint für diese Men­schen eine aus­ster­bende Methode geworden zu sein. Lieber umsegeln sie das eigent­liche Problem und schieben es immer weiter von sich weg, bis es irgendwann mit einem lauten Knall explodiert.

Ich sehe mich weiter um und erblicke dabei, wie Kinder bereits in ganz jungen Jahren in fremde Hände gegeben werden, sodass sie ihre eigenen Eltern beim Abholen am Nach­mittag kaum wie­der­erkennen und demnach auch kei­nerlei Bindung auf­bauen können. Diese Art der Frem­der­ziehung zieht sich von Jahr zu Jahr fort und findet im Studium seinen Höhe­punkt. Um es aller­dings bis dahin zu schaffen, muss man immer schön auf Linie bleiben und darf ja nicht zu viele unbe­queme Fragen stellen, geschweige denn wider­sprechen, denn das könnte das Ende der schu­li­schen Laufbahn bedeuten und somit auch die Aus­sicht auf einen ange­se­henen Job zunich­te­machen. Die Lehr­an­stalten gleichen daher inzwi­schen mehr einer Indok­tri­nie­rungs­ein­richtung, in der es weniger um fun­dierte Wis­sens­ver­mittlung und För­derung der per­sön­lichen Fähig­keiten und Talente geht, sondern eher um Gleich­schaltung. Eigen­stän­digkeit und Selbst­be­stimmung sind demnach uner­wünscht, da diese Eigen­schaften lediglich Unruhe und Unordnung fördern, und das will der Staat natürlich nicht, denn der benötigt letzt­endlich eine folgsame und unkri­tische Masse, um seine vielen kleinen und großen Unre­gel­mä­ßig­keiten besser durch­bringen und anschließend kaschieren zu können.

Ich sehe und höre die ebenso gleich­ge­schal­teten Medien, die einen rund um die Uhr mit allerlei sinn­be­freiten, angst­ma­chenden und mani­pu­la­tiven Sen­dungen beschallen, nur um dadurch in erster Linie ihren gön­ner­haften Geld­gebern gerecht zu werden. Denn schließlich scheinen der Großteil der Sen­de­an­stalten sowie die meisten Radio­sender und Print­medien fast aus­schließlich den Vor­gaben, Wün­schen und Zielen der Inves­toren zu folgen. Am Ende gilt eben: „Dessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing.“

Hinzu kommt die massive Beför­derung des Kon­sum­ver­haltens, die sich natürlich eben­falls aus vor­ge­nanntem Grund ergibt. Demnach tragen die ent­spre­chenden Medien also nicht nur zur anstei­genden Volks­ver­dummung, sondern durch ihre stän­digen Werbe- und Ver­kaufs­sen­dungen leider auch zur stetig wach­senden Ver­schuldung bei. Mit halt­losen Ver­spre­chungen, psy­cho­lo­gi­schen Ver­kaufstricks und alters­ge­rechten Auf­ma­chungen wird einem das ent­spre­chende Produkt so richtig schön schmackhaft gemacht und somit regel­recht auf­ge­zwungen. Und was man sich nicht leisten kann, kauft man eben ganz bequem auf Raten. Nichts soll schließlich mehr uner­reichbar sein und niemand darf sich dies­be­züglich aus­ge­grenzt oder als „Mensch zweiter Klasse“ fühlen. Zumindest solange man die monat­lichen Zah­lungen auch immer schön pünktlich abstottert, ansonsten könnte es natürlich unge­mütlich werden, was bei den stei­genden Arbeits­lo­sen­zahlen sowie dem stets mas­siver wer­denden Kauf- und Bestellwahn keine Sel­tenheit mehr dar­stellt. Was folgt, ist ein Berg voller Schulden, der häufig in der Pri­vat­in­solvenz endet, und das bei zunehmend jün­geren Men­schen, die sich dadurch schon früh in eine staat­liche Abhän­gigkeit manö­vrieren, aus der es teil­weise kein Ent­rinnen mehr zu geben scheint. Zurück bleiben am Ende ein über­schul­deter Kon­sument sowie ein geprellter Ver­käufer, der zumeist eben­falls leer ausgeht, was nicht selten zu unaus­weich­lichen Geschäfts­schlie­ßungen führt.

Ich sehe daher einen zuneh­menden Unter­neh­mens­schwund, während die „Big Player“ ihre Umsätze und ihre globale Präsenz sub­stan­ziell aus­weiten und ver­größern können. Doch so ist es offenbar gewollt, denn der Mit­tel­stand ist den großen und mäch­tigen Kon­zernen bereits seit Län­gerem ein Dorn im Auge, den es besser heute als morgen zu ent­fernen gilt. Letzt­endlich scheinen die Eliten eine Monopol-Gesell­schaft anzu­streben, bei der die ganzen Kon­sum­be­reiche auf ein paar wenige Unter­nehmen auf­ge­teilt werden sollen, was aller­dings die wach­senden Müll­berge und die damit ein­her­ge­henden Umwelt,- Grund­wasser- und Luft­ver­schmut­zungen auch nicht wirklich mindern dürfte. Aber Weg­werf­pro­dukte, sprit­schlu­ckende SUVs, kli­ma­schäd­liche Urlaubs­flüge, strah­lungs­in­tensive WLAN-Ver­bin­dungen und dreifach ver­packte Indus­trie­nahrung gehören nun einmal zum guten Ton dazu und dürfen demnach in keinem modernen Haushalt mehr fehlen.

Ich sehe daher abschließend auf die Politik, die sich noch nie zuvor so wenig für die Belange, Ängste und Sorgen des kleinen Mannes inter­es­siert hat. Doch dies­be­züglich haben es die ganzen gewählten und nicht-gewählten Volks­ver­treter selten wirklich schwer gehabt, denn das schöne Wort „Wider­stand“ ist in unseren Gefilden noch nie besonders groß­ge­schrieben worden. Auf die alt­be­kannte Obrig­keits­hö­rigkeit konnten sich unsere Gesetz­geber schon immer recht gut ver­lassen. Von wegen „Land der Dichter und Denker“. „Land der Richter und Lenker“ würde es wohl besser treffen, denn wo so sonst gab es jemals so viele Ver­ord­nungen, Bestim­mungen und Gesetze wie in der guten alten BRD. Und dass wir von den feinen Herren und Damen da oben nach Strich und Faden belogen und betrogen werden, ist wohl keine Erkenntnis der Neuzeit, sondern eher ein alter Hut, selbst wenn ich mich nach wie vor nicht mit der zuneh­menden Anzahl an Exis­tenz­zer­stö­rungen, Gewalt­taten und welt­weiten Kriegen sowie den daraus resul­tie­renden Flücht­lings­strömen, Hun­gers­nöten und einer all­gemein immer größer wer­denden Armut abfinden kann.

Und auf einmal bemerke ich, dass ich mich gar nicht mehr in der Gegenwart befinde und auch nicht im Jahr 2020, sondern dass diese ganzen Beob­ach­tungen aus viel frü­heren Zeiten stammen, z. B. aus 2019, 2018 oder 2017.

Und die Frage: „Wie konnte es nur soweit kommen?“, stellt sich mir plötzlich nicht mehr, da die Ant­worten darauf nun klar und deutlich vor mir liegen.