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Frank­reich: Kann Éric Zemmour der nächste Prä­sident werden?

Die Financial Times nennt ihn “den extremen Rechts­aussen”. Für die New York Times ist er der “Rechte Experte”. Für Die Zeit ist er “der Mann, der Frank­reich spaltet”… Eric Zemmour, Jour­nalist und Essayist, ist (noch) kein offi­zi­eller Kan­didat für die fran­zö­sische Prä­si­dent­schaft, aber wegen seiner Popu­la­rität lebt Frank­reich bereits im Wahlkampffieber.

(von Yves Mamou)

Die Prä­si­dent­schafts­wahlen finden in etwa 200 Tagen statt, aber es vergeht keine Woche, ohne dass eine Umfrage Éric Zemmour in den Wäh­ler­pro­gnosen für 2022 immer weiter nach oben hebt. Laut einer Umfrage von Harris Inter­active, die am 6. Oktober vom Magazin Chal­lenges ver­öf­fent­licht wurde, liegt er bei 17 %. vor Marine Le Pen, der Kan­di­datin der Partei Ras­sem­blement National (mit 15 % nach 13 Punkten seit Sommer). Zemmour bleibt immer noch hinter dem amtie­renden Prä­si­denten Emmanuel Macron zurück, der auf 24% pro­gnos­ti­ziert wird. Aber wie lange noch?

Aus dem Ausland betrachtet mag eine pro­gnos­ti­zierte Stim­menzahl von 17% für Zemmour gering erscheinen. Aber in Frank­reich ist die Prä­si­dent­schaftswahl ein Zwei­runden-Wett­bewerb. Die hier zitierten Umfragen beziehen sich nur auf den ersten Wahlgang, in der 25 Kan­di­daten im Rennen sein können. Folglich sind die Abstim­mungs­ab­sichten in der ersten Runde zwangs­läufig frag­men­tiert. Wenn die Wahlen nächste Woche statt­finden würden, wären die ein­zigen beiden Kan­di­daten im zweiten Wahlgang Macron und Zemmour.

“Noch nie zuvor haben wir einen so kome­ten­haften Auf­stieg in so kurzer Zeit erlebt”, betont Jean-Daniel Lévy, stell­ver­tre­tender Direktor des Umfra­ge­un­ter­nehmens Harris Inter­active. “Wir erleben den Zusam­men­bruch des Herzens der Wäh­ler­schaft” von Marine Le Pen.

Wer ist Eric Zemmour? Er ist der Mann, der die glä­serne Decke durch­brach, um Themen wie “Ein­wan­derung” und “Dschihad” in die Medi­en­dis­kussion ein­zu­bringen – über die sich nie jemand öffentlich zu sprechen getraut hatte. Er ist ein Mann, der die Angst ver­körpert, das tra­di­tio­nelle Frank­reich – das der Kirch­türme und des “Baguette” – unter den Schlägen des Dschihad und der poli­ti­schen Kor­rektheit ver­schwinden zu sehen.

Ein am 16. Sep­tember von Zemmour ver­öf­fent­lichtes Buch mit dem Titel “La France n’a pas dit son dernier mot” (Frank­reich hat sein letztes Wort noch nicht gesprochen) handelt von natio­naler Iden­tität; In der ersten Woche wurden 100.000 Exem­plare ver­kauft. Zemmour reprä­sen­tiert das Frank­reich von damals: das Frank­reich von Napoleon, Notre Dame de Paris und General Charles de Gaulle, ein Frank­reich, das keine isla­mische Republik werden will. “Die Gefahr für Frank­reich besteht darin, ein zweiter Libanon zu werden”, sagt Zemmour oft und meint damit ein Land, das zwi­schen sek­tie­re­ri­schen Gemein­schaften zer­splittert ist, die sich hassen und fürchten.

Zemmour ist kein Berufs­po­li­tiker. Er begann in den 1990er Jahren als poli­ti­scher Reporter bei der Tages­zeitung Le Figaro, aber weil er brillant war und umfas­sende Urteile über fran­zö­sische Poli­tiker hatte und die poli­tische und his­to­rische Kultur sehr tief­gehend ver­stand, wurde er ins Radio und das Fern­sehen ein­ge­laden. Le Figaro gab ihm eine regel­mäßige Kolumne und 2006 wurde er ein echter Fern­sehstar. Seine fünf­jährige Teil­nahme an der Talkshow “On n’est pas couché” (“Wir schlafen nicht”) machte ihn in ganz Frank­reich bekannt. 2015 bedauerte der Mode­rator der Show, Laurent Ruquier, sich mit Zemmour zusam­men­getan zu haben. “Wir dachten nicht, dass ein Monster ent­stehen würde”, sagte Ruquier.

Warum ist Zemmour “ein Monster”? Weil er sagt, dass “Fran­zosen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund stärker kon­trol­liert werden als andere, weil die meisten Men­schen­händler Schwarze und Araber sind… Das ist eine Tat­sache.” Zemmour wurde dafür vor Gericht ver­ur­teilt, nicht weil es eine Lüge war, sondern weil eine solche Behauptung nicht zu beweisen ist. Das fran­zö­sische Gesetz hat es abge­lehnt, eth­nische Sta­tis­tiken zu ver­wenden, wie sie in Groß­bri­tannien oder den Ver­ei­nigten Staaten existieren.

Zemmour erscheint scho­ckierend, weil er aus­spricht, dass Frank­reich an dem Tag auf­gehört hat, Frank­reich zu sein, an dem es Eltern aus­län­di­scher Her­kunft erlaubt hat, ihren Kindern afri­ka­nische oder mus­li­mische Vor­namen zu geben (Mohammed ist der am wei­testen ver­breitete Name in den Pariser Vor­orten). Zemmour sagt, er möchte ein Gesetz aus dem 19. Jahr­hundert wie­der­her­stellen, das alle fran­zö­si­schen Bürger ver­pflichtet, ihren Kindern “fran­zö­sische Vor­namen zu geben”. Zemmour fordert auch, dass Frank­reich nicht mehr der Auto­rität der Richter des Euro­päi­schen Gerichtshofs EUGH und des Euro­päi­schen Gerichtshofs für Men­schen­rechte EGMR unter­liegt. Sie sind es, sagt Zemmour, die ver­hindern, dass aus­län­dische Kri­mi­nelle abge­schoben werden.

Auch in gesell­schaft­lichen Fragen ist er kom­pro­misslos: gegen assis­tierte Repro­duktion (“Ich möchte, dass Kinder einen Vater und eine Mutter haben”), Trans­gender-Pro­pa­ganda in Schulen, gleich­ge­schlecht­liche Ehe und LGBT-Militanz in der Schule. Zemmour ist nicht anti-homo­se­xuell, er sagt nur, dass “LGBT-Lobbys” und “Min­der­heiten” gegen Frank­reich Krieg führen, genauso wie Isla­misten gegen alle west­lichen Länder Krieg führen.

Zemmour ist nicht deshalb beliebt, weil er pro­vo­kative Bemer­kungen über Ein­wan­derung oder LGBT-Rechte macht. Beliebt ist er, weil er in die Medien Bedenken ein­bringt, die bisher nur in der Familie oder im Freun­des­kreis geäußert wurden. Zemmours Popu­la­rität wächst heute in den Umfragen, weil er die Debatte nun aus dem Medi­en­be­reich in den poli­ti­schen Bereich bringt.

Hat Zemmour tat­sächlich eine Chance, Prä­sident zu werden? Zemmour ist noch nicht einmal ein offi­zi­eller Kan­didat für die Prä­si­dent­schaftswahl. Er ist aber auch der Mann, der sagte, dass er “viele Leute ent­täu­schen würde, wenn ich nicht kan­di­dieren würde”.

Aus vielen Gründen hat Zemmour eine Chance, der nächste Prä­sident zu werden. Erstens, weil Macron bewiesen hat, dass eine Person gewinnen kann, die keiner poli­ti­schen Partei angehört. Diese Irre­gu­la­rität ist daher reproduzierbar.

Auch die Ver­fassung der Fünften Republik in Frank­reich ist voll­ständig darauf aus­gelegt, eine Begegnung außer­ge­wöhn­licher Per­sön­lich­keiten mit dem fran­zö­si­schen Volk zu orga­ni­sieren. Dieses System wurde für General de Gaulle ent­worfen und vom fran­zö­si­schen Volk direkt gewählt. Von diesem Stand­punkt aus ist die Begegnung zwi­schen Zemmour und den Fran­zosen bereits Rea­lität. Als Zemmour die Werbung für sein neu­estes Buch orga­ni­sierte, beeilten sich Tau­sende von Men­schen, ihm die Hand zu schütteln.

Es gibt noch andere Gründe, die die außer­ge­wöhn­liche Popu­la­rität von Zemmour erklären. Erstens ist die fran­zö­sische Bevöl­kerung heut­zutage in ver­schiedene Wäh­ler­gruppen oder Inter­es­sen­zentren unter­teilt. In Frank­reich ist das Haupt­cha­rak­te­ris­tikum all dieser Wäh­ler­gruppen im poli­ti­schen Bereich ein Gefühl von “Angst” und “Wut” gegenüber den Eliten, die die Mas­sen­ein­wan­derung för­derten, ohne die ein­hei­mische Bevöl­kerung zu kon­sul­tieren. Das Ver­trau­ens­ba­ro­meter, eine jährlich von Cevipof, dem For­schungs­zentrum des Pariser Instituts für Poli­tische Studien, in Frank­reich ver­öf­fent­lichte Umfrage, ist ein guter Indi­kator für die “Müdigkeit, Ver­dros­senheit, das Miss­trauen”, die die Mehrheit der fran­zö­si­schen Bevöl­kerung offenbar gegenüber der poli­ti­schen Klasse empfindet.

Aus der aktu­ellen Wäh­ler­falle herauskommen

Der kome­ten­hafte Auf­stieg von Zemmour hat einen zweiten Effekt: Er hat eine ent­wür­di­gende Wäh­ler­falle durch­brochen, in der das fran­zö­sische Volk stecken geblieben ist. Diese Wäh­ler­falle wurde Mitte der 1980er Jahre von Frank­reichs sozia­lis­ti­schem Prä­si­denten François Mit­terrand erfunden: Die Rechte zu spalten, um ihre Rückkehr an die Macht zu ver­hindern. Mit­terrand warb im staat­lichen Radio und Fern­sehen für eine mikro­sko­pisch kleine rechts­extreme Partei, den Front National, die erste, die es wagte, sich gegen die Ein­wan­derung auszusprechen.

Von Mitte der 80er Jahre bis heute haben Medien und Linke gemeinsam eine äus­serst starke Scham­ma­schi­nerie fabri­ziert, um jeden als “Rassist” und “Nazi” zu stig­ma­ti­sieren, der es wagte, seine Stimme in Ein­wan­de­rungs­fragen zu erheben.

Diese Scham­po­litik war so stark, dass kürzlich sogar Marine Le Pen, die Anfüh­rerin des Ras­sem­blement National (wie der Front National heute heißt), ver­suchte, dem Stigma, als “Nazi” bezeichnet zu werden, zu ent­kommen, indem sie positive Dinge über die mus­li­mische Ein­wan­derung sagte und Immi­gration zum Aus­gleich eines angeb­lichen Arbeits­kräf­te­mangels nicht ausschloss.

Mit Zemmour arbeiten die anti­ras­sis­ti­schen Medien jedoch nun im luft­leeren Raum. Je mehr die Medien ver­suchen, Zemmour als “Nazi” zu stig­ma­ti­sieren, desto größer ist seine Popu­la­rität bei den Wählern.

Darüber hinaus schlagen die Führer der rechts­ge­rich­teten Partei Les Répu­bli­cains, die sich nicht trauten, das Wort “Immi­gration” aus­zu­sprechen, jetzt vor, “der Migra­ti­ons­laschheit ein Ende zu setzen” und “unkon­trol­lierte Ein­wan­derung” zu stoppen. Sogar Macron hat privat zuge­geben, dass Zemmour in Bezug auf die Ein­wan­derung “Recht hatte”.

Der Kampf um Zemmour fängt gerade erst an. Fest steht jedoch: Zemmour stellt eine authen­tische demo­kra­tische Debatte über Themen wie Sicherheit, Ein­wan­derung, Islam wieder her, die den Fran­zosen echt am Herzen liegen. Für viele ist Zemmour die letzte Chance für Frank­reich, keine isla­mische Nation oder ein “Libanon in Europa” zu werden.

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Yves Mamou, Autor und Jour­nalist, lebt in Frank­reich und arbeitete zwei Jahr­zehnte als Jour­nalist für Le Monde.