Die grüne RAF spielt Jenga

Es scheint, die Zeit der Kin­der­kreuzzüge in der Epoche der Kli­ma­rettung ist vorbei. Jetzt haben die Erwach­senen über­nommen. Zumindest halten sich Akti­visten wie der Schwede Andreas Malm für sehr erwachsen, wenn sie Gewalt und Eska­lation das Wort reden. Schließlich gehe es beim Klima um nichts weniger als alles, was soll schon schief gehen! In einem soge­nannten Debat­ten­beitrag im Spiegel beschreibt Malm, wie er und seine Genossen sich die große Umer­ziehung der Menschheit vor­stellen. Denn unein­sichtig und ver­führt wie sie nun mal ist, hält diese hart­näckig an der Emission von CO2 fest, was ihr natürlich von den „herr­schenden Klassen“ auf­ok­troyiert ist. Wenn nur diese fossile, herr­schende Klasse nicht wäre, das Paradies wäre errungen. Denn der Mensch ist gut und emit­tiert nicht – er hat es nur ver­gessen, weil er vom bösen Fos­sil­ka­pi­ta­lismus über­formt wurde. Der Spiegel gibt sich bereit­willig her als Plattform zur Ver­breitung eines radikal gewalt­a­ffinen Mani­fests. Beim Lesen kommt einem ange­sichts des Klas­sen­kampf­ge­bimmels und der anma­ßenden Rhe­torik unwill­kürlich der Begriff „grüne RAF“ in den Sinn, nur um schließlich fest­stellen zu müssen, dass Malm diesen Begriff selbst für so passend hält, dass er ihn zur Beschreibung der her­bei­ge­wünschten Bewegung ver­wendet. Gewalt sei nötig, weil sich das „fossile Kapital“ der Ein­sicht verweigere.

„Sollte die Kli­ma­be­wegung den Kampf eska­lieren? Sollten wir mehr tun, als nur friedlich demons­trieren, höf­liche Peti­tionen ver­fassen und zivilen Protest leisten? Und statt­dessen zu Mitteln wie Sabotage und Sach­be­schä­digung greifen? In der Debatte der Kli­ma­be­wegung über zukünftige Stra­tegien argu­men­tieren einige von uns für eine solche Eska­lation. Das beste Argument dafür ist der objektive Zustand dieses Pla­neten, der sich auch im ver­gan­genen Jahr mit gewohnter Zuver­läs­sigkeit ver­schlechtert hat.“

Nein, nein und nochmals nein lauten die rechts­staat­lichen Ant­worten auf die drei Fragen. Aber wir wissen natürlich, dass die grüne RAF hier mit reli­giösen Über­zeu­gungen han­tiert und für den Zweck der „Erlösung“ zu allen Mitteln greifen darf. Sabotage und Sach­be­schä­digung? Der „objektive“ Zustand des Pla­neten erzwingt es! Sou­verän ist, wer über den Aus­nah­me­zu­stand ent­scheidet, wusste schon Carl Schmitt. Heute genügt die Defi­ni­ti­ons­macht über „objektive“ Zustände.

„Das fossile Kapital bereitet sich auf neue Reinves­ti­ti­ons­runden vor: mehr Bohr­inseln, mehr Platt­formen, mehr Ter­minals, mehr Pipe­lines. Natürlich tun sie dies, um mehr Kapital anzu­häufen – wozu sind sie denn Unternehmen?“

Wir lernen: Kli­ma­kampf ist Klas­sen­kampf und all die lieb­ge­won­nenen Marx’schen Kose­worte vom Kom­post­haufen der Geschichte feiern bei Malm Wie­der­auf­er­stehung. Die Maschine, die über­mächtige, see­lenlose Maschine des Unter­nehmers mit seinem fos­silen Kapital rafft Reich­tümer zusammen, auf die der Staat fette Mehr­fach­steuern erhebt, um damit jene poli­ti­schen Kräfte zu füttern, die das fossile Kapital geißeln. Wier dumm kann das fossile Kapital eigentlich sein? Und während die Zeit­zeugen des frühen Man­ches­ter­ka­pi­ta­lismus zumindest glaubten, auf der „anderen Seite“ eine mensch­liche Kom­po­nente zu ent­decken, die an den geschaf­fenen Reich­tümern beteiligt werden solle, möchte die grüne RAF die Maschine mit all ihren Platt­formen, Ter­minals und Pipe­lines durch eine andere, ver­meintlich bessere ersetzen. Doch sind es nicht auch Unter­nehmen, die Reinves­ti­ti­ons­runden fordern, Wind­räder, Solar­parks und Was­ser­stoff­pipe­lines bauen wollen und zu diesem Zweck Kapital anhäufen? Inves­ti­tionen ohne ange­häuftes Kapital sind – soweit ich das über­blicke – doch unmöglich, wenn man mal von der Anhäufung von Schulden absieht. Wer in diesem vor­ge­stellten Repla­cement der Maschinen also Schöpfer und wer Zer­störer ist, liegt ganz im Auge des jewei­ligen Investors bzw. Subventionsempfängers.

„Die Pole schmelzen mit einer von Wis­sen­schaftlern kaum für möglich gehal­tenen Geschwin­digkeit, aber das fossile Kapital läuft auf Hoch­touren. Die herr­schenden Klassen auf diesem Pla­neten sind ent­schlossen, das, was von ihm übrig ist, so schnell wie möglich zu ver­brennen, und nichts – gar nichts – hat sie bisher davon abge­halten. Sie sind voll­ständig und auf eine infer­na­lische und dämo­nische Art und Weise außer Kontrolle.“

Den Polen geht’s prächtig, von dort droht so schnell keine Gefahr. Und selbst wenn die Wahr­nehmung im Detail abweicht, gäbe es bisher nicht in Betracht gezogene Mittel, sie abzu­wenden. Im Fazit komme ich darauf zurück. Die auf­ge­blasene Rhe­torik Malms simu­liert einen Alar­mismus, den es nur innerhalb der Kli­ma­ret­ter­blase gibt. Und was die herr­schenden Klassen angeht, hat diese ideo­lo­gische Bubble doch längst die voll­ständige Kon­trolle über­nommen. Das einzige, was ihr noch im Weg steht, ist nicht das fossile Kapital, sondern die Physik. Denn die Maschine „Erneu­erbare“ funk­tio­niert nur im Über­mor­genland und braucht in der Praxis sehr viel fossile Hilfe.

„Eine Form äußerst fried­licher Sabotage ist das Luft­ab­lassen aus den Reifen von SUV. […] Wesentlich mili­tanter war der Angriff anonymer Akti­visten am 17. Februar 2022 auf eine Pipeline-Bau­stelle in British Columbia. Eine Gruppe von rund 20 Per­sonen, bewaffnet mit Äxten, Leucht­pis­tolen und Sprüh­farbe stürmte die Bau­stelle, wo die Coastal-GasLink-Pipeline unter dem Fluss Wedzin Kwa hin­durch verlegt werden sollte. Sie brachen Bull­dozer und Last­wagen auf und zer­trüm­merten damit andere Maschinen, Gene­ra­toren, schweres Gerät und Anhänger. Die wenigen ver­schwom­menen Bilder, die die Wach­leute mit ihren Handys auf­ge­nommen hatten, zeigen mas­kierte Per­sonen in weißen Overalls – dem Mar­ken­zeichen radi­kaler Klimaaktivisten.“

Ich emp­fehle allen Besitzern von Fahr­zeugen, die auch nur ent­fernt an einen dieser ver­teu­felten SUV erinnern, ihre Reifen nicht mit Luft, sondern mit CO2 zu füllen und in großen Buch­staben darauf hin­zu­weisen, damit die „äußerst fried­lichen“ Sabo­teure wenigstens in so etwas wie einen Ziel­kon­flikt geraten. Doch Spaß bei­seite, die beschrie­benen Sabo­ta­geakte sind alles andere als lustig. Die Detail­ver­liebtheit, mit der Malm hier kri­mi­nelle Aktionen und die Zer­störung nicht nur von Sach­werten, sondern auch von Lebens­grund­lagen beschreibt, ist obszön. Ich frage mich, woher die mas­kierten Per­sonen ihre weißen Overalls – ihr Mar­ken­zeichen – wohl haben und tippe mal auf chi­ne­sische Pro­duktion. Dort sind die­selben Overalls eben­falls Mar­ken­zeichen geworden: als Arbeits­be­kleidung der Block­warte und Prü­gel­kom­mandos der kom­mu­nis­ti­schen Zero-Covid-Partei. Der Nach­schub von Empö­rungs­ar­tikeln des täg­lichen Bedarfs würde weltweit zusam­men­brechen, wenn China keine mit fos­silem Kapital betrie­benen Schiffe und Flug­zeuge mehr schickt!

„Weil die herr­schenden Klassen sich weigern, sich von fos­silen Ener­gie­trägern zu ver­ab­schieden, sind die­je­nigen, denen ein lebens­werter Planet am Herzen liegt, gezwungen, den Einsatz zu erhöhen. Wer die Ver­ant­wortung dafür hat, sollte klar sein.“

Wer hier die Argu­men­tation auto­ri­tärer Eltern zu erkennen glaubt, die ihre Kinder mit den Worten „das tut mir jetzt mehr weh als dir“ auf Haus­arrest und WLAN-Entzug vor­be­reiten, liegt ver­mutlich richtig. Nicht der Saboteur einer Gas­leitung trägt laut Malm Ver­ant­wortung für den ange­rich­teten Schaden, sondern der Betreiber. Oder, noch etwas pro­vo­ka­tiver: nicht der Ver­ge­wal­tiger trage die Schuld, sondern der kurze Rock der Frau. Ob sich die dreiste Täter-Opfer-Umkehr der Dekar­bo­ni­sie­rungs­pi­raten auch irgendwann mangels poli­ti­scher Wider­stände bis ins Straf­recht durch­drücken lässt? Darauf würde ich wetten, ange­sichts des Zustandes unseres höchsten Gerichts, welches fak­tisch Men­schen zu Rechts­per­sonen mit Ansprüchen gegen Deutschland und sein Grund­gesetz erklärt, die in Indien oder Afrika leben oder noch nicht einmal geboren sind.

„Das soll nicht heißen, dass ich oder andere Eska­la­ti­ons­be­für­worter mit Sicherheit wissen, welche Maß­nahmen die beab­sich­tigte Wirkung erzielen: Das kann nur in der Praxis her­aus­ge­funden werden. Würde es aber Dut­zende solcher Aktionen wie beim Wedzin Kwa geben oder würden in euro­päi­schen Städten Tau­senden von SUV die Luft abge­lassen, wäre es denkbar, dass der Ausbau der Infra­struktur für fossile Brenn­stoffe und unver­tretbare Luxus­e­mis­sionen wirklich gebremst würden.“

Man merke sich den Ter­minus „Luxus­e­mis­sionen“, denn der wird hier auf alles ange­wendet. Ob im Feind-SUV ein Notarzt oder ein Aramco-Manager sitzt, wird schließlich auch nicht abge­fragt. „Ver­tretbar“ ist hier ein ebenso inter­es­santer Begriff, denn über die Ver­tret­barkeit bestimmt natürlich der Eska­la­ti­ons­be­für­worter. Und zwar eska­lierend und im Gleich­schritt mit der vor­aus­ei­lenden Legis­lative, die wie in Berlin durch Ver­kehrs­still­legung ganzer Straßen und Park­flä­chen­ver­drängung durch soge­nannte „Parklets“ den Jäger Jan-Kli­ma­retter-Malte von seiner Beute SUV abschneidet. Handel und Handwerk brechen ein? Geschenkt! Es gibt schließlich kein Problem, das man mit Umver­teilung und Neu­ver­schuldung nicht lösen könnte! Nach­hal­tigkeit muss nur neu gedacht werden!

„Eine ent­schei­dende Vor­aus­setzung dafür ist, dass die Grenze zwi­schen Sachen und Men­schen strikt ein­ge­halten wird“

Jede selbst­ge­rechte und selbst­re­fe­ren­zielle Terror-Ideo­logie hat mal klein ange­fangen. Auch jede RAF, die rote wie die grüne. Auch der Kauf­haus­brand in Frankfurt 1968 war ein Anschlag „nur gegen Sachen“, doch irgendwann reicht das eben nicht mehr. Zwi­schen guter Gewalt und schlechter Gewalt zu unter­scheiden ist ein Fei­gen­blatt, das schnell verwelkt.

„Solange die Regie­rungen die Pro­du­zenten fos­siler Brenn­stoffe fördern, müssen Men­schen außerhalb der Staats­ap­parate die Dinge selbst in die Hand nehmen. Die Frage ist nicht, warum jemand so etwas tun sollte. Die Frage ist, warum es nicht mehr Men­schen tun und warum wir so lange gewartet haben.“

Staats­ap­parate? Auch hier denkt Malm in auto­ri­tären Kate­gorien. Das gewünschte Ergebnis in Form von Wahlen anzu­streben, ver­bietet sich natürlich für eine Ideo­logie, die die Bürger generell nicht um ein Plazet bittet. Statt­dessen über­nimmt in seiner Utopie eine „Partei der Kli­ma­ver­stän­digen“ die Deutung des Willens der Massen, genau wie die „Partei der Arbei­ter­klasse“ im Staats­so­zia­lismus Wahrheit und Wille des dummen Volkes ver­waltete. Selbst der Wunsch der immer weiter vor­an­schrei­tenden Mobi­li­sierung – ob für oder gegen etwas – wird for­mu­liert, laut Hannah Ahrendt ein Wesens­merkmal aller tota­li­tären Regime. Immer muss man im Tota­li­ta­rismus dabei sein, mit­machen, Stellung beziehen und für oder gegen etwas sein. Indif­ferenz und Ver­wei­gerung werden als Feind­schaft inter­pre­tiert. Dabei sein statt frei sein.

Fazit

Ver­mutlich denken einige meiner Leser, dieser Spiegel-Artikel sei schon fast ein Aufruf zu kri­mi­nellen Hand­lungen. Das kann man so sehen. Er ist aber auch der lebendige Beweis dafür, wie weit man in diesem Land heute gehen kann, ohne vom Rechts­staat des Hasses oder des Aufrufs zur Gewalt belangt zu werden. Solange das poli­tische Nar­rativ stimmt, geht hier so ziemlich alles ungerügt durch. Dem Rechts­staat scheint die Kraft abhanden gekommen zu sein, sich gegen jene zu behaupten, die ihn abschaffen und gegen etwas Kol­lek­ti­vis­ti­sches und Gleich­ge­schal­tetes ein­tau­schen wollen.

Sind wir müde geworden? Oder gleich­gültig? Wächst in den Men­schen tat­sächlich der Wille, die Markt­wirt­schaft zu besei­tigen und durch etwas anderes, viel­leicht öko­lo­gisch-auto­ri­täres zu ersetzen? Selbstmord aus Langeweile?

Die Öko­ter­ro­risten adres­sieren jedoch ein Problem, für das sie die Lösung nicht sehen wollen. Sucht man nach einem bestim­menden Merkmal aller wohl­ha­benden Indus­trie­staaten, das sie sicher von Ent­wick­lungs­ländern unter­scheidet, findet man stets eines: den unbe­schränkten, gesi­cherten und bil­ligen Zugang zu Energie. Diesen sicher­zu­stellen ist eine der Haupt­auf­gaben eines funk­tio­nie­renden Staates, alle anderen Auf­gaben bauen darauf auf, auch die kari­ka­tiven und inter­na­tio­na­lis­ti­schen. Selbst wenn wir die Ver­meidung von CO2-Emis­sionen zum über­le­bens­wich­tigen Staatsziel erklären wollten, bräuchten wir zu dessen Errei­chung zuver­lässige und billige Energie. Statt­dessen spielen wir mit unserer Ener­gie­ver­sorgung seit meh­reren Dekaden „Jenga“ und zogen aus­ge­rechnet die unteren Steine des Turms, die Kern­kraft, als erstes raus. Doch selbst jetzt, da uns ange­sichts des rus­si­schen Kriegs in der Ukraine der ener­ge­tische Supergau droht, kommen unsere Reak­tionen über ein zag­haftes „Hätten wir nur nicht…“ hinaus. Wir sind fest ent­schlossen, auch noch die letzten drei zuver­läs­sigen und CO2-freien Kraft­werke abzu­schalten und rütteln weiter am Jen­gaturm. Wir lernen nicht aus unseren Fehlern, weil wir die Folgen der Politik nicht in Betracht ziehen. Es genügt uns zu glauben, sie sei die richtige und dieser Glaube ist offenbar durch nichts zu erschüttern.

Gerade eben über­schlagen sich die alar­mis­ti­schen Mel­dungen über eine eigentlich gut bekannte Virus­er­krankung aus West­afrika, die Affen­pocken. Die Struk­turen in Medien und Politik sind noch warm und ein­ge­spielt, welche uns zwei Jahre lang mit Corona in Angst und Schrecken ver­setzt hatten. Es wird ihnen wohl nicht gelingen, das ver­traute Pani­k­level zu erreichen und ich will mich hier auch nicht dieser lächer­lichen Dis­kussion betei­ligen. Mir geht es um den „hätten-wir-nur-nicht“-Effekt. Genau wie in Sachen Ener­gie­ver­sorgung an der Kern­kraft haben wir uns auch bei Corona mit ideo­lo­gi­scher Wucht an einem Gegner abge­kämpft, der in Wirk­lichkeit nicht bedrohlich für uns war. Nun sind unsere Res­sourcen erschöpft, Reserven auf­ge­braucht, die Wirt­schaft schwä­chelt und die Ver­sor­gungslage neigt sich weltweit in Richtung „kri­tisch“. Was, wenn statt der Affen­pocken gerade jetzt mal eine wirklich bedroh­liche Pan­demie aus­bräche? Was hätten wir dem wohl momentan ent­ge­gen­zu­setzen? Nicht mehr viel, fürchte ich. Denn wir haben alle Kraft und Auf­merk­samkeit für das ver­gleichs­weise harmlose Covid ver­schwendet. Hätten wir nur nicht… Und hätten wir nur die Kern­kraft in Ruhe gelassen, jetzt, wo uns das Gas knapp wird, mit dem wir den Ausbau der vola­tilen Erneu­er­baren gecovert haben. War wohl auch keine so gute Idee.


Quelle: unbesorgt.de