Die Begeisterung über die so großzügig vom Staat verteilte Energiepauschale hält sich arg in Grenzen. In vielen Fällen reicht sie nicht, um die in den Himmel schießenden Energiepreis-Steigerungen abzufedern. Wie schlimm die Teuerung der Energie noch werden wird, weiß auch noch niemand. Dazu kommen steigende Lebensmittelpreise und Benzinpreise und … und … und … Aber es ist noch schlimmer. Gerade denen, die schon mit den Zehenspitzen über dem Abgrund stehen, droht weiteres Ungemach: Die 300 € können auch noch weggepfändet werden!
In wenigen Tagen kommt die Zahlung der 300 € auf das Konto vieler Deutscher. Einen Anspruch auf die 300 Euro haben alle, die in Deutschland leben und arbeiten (auch Grenzpendler). Angestellte, Minijobber, Aushilfen und Auszubildende, Beamte, Soldaten und Firmenchefs. Sogar Arbeitnehmer in Altersteilzeit bekommen das Geld.
Der Arbeitgeber muss die Energiepauschale an die Mitarbeiter auszahlen und tut das sehr wahrscheinlich gleich mit dem Septembergehalt. Nur Unternehmen, die ihre Lohnsteueranmeldung nur einmal im Jahr machen, sind davon ausgenommen. Die Arbeitgeber ihrerseits dürfen die 300 € von der Lohnsteuer nehmen, die sie normalerweise vom Gehalt einbehalten und an das Finanzamt abführen. Später kann der Arbeitgeber die Summe bei der Lohnsteueranmeldung gesondert absetzen. Wäre der Lohnsteuerbetrag geringer als die 300 €, kann der Arbeitnehmer die Differenz vom Finanzamt ersetzt bekommen.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung (BAG-SB) machte sofort darauf aufmerksam, dass die Energiepreispauschale bei überschuldeten und hoch verschuldeten Haushalten überhaupt gar nicht erst ankommt. Ines Moers, die Geschäftsführerin des BAG-SB formulierte es im Interview Business Insider so: „Fast sieben Millionen überschuldete Menschen wurden beim Gesetzgebungsverfahren komplett vergessen“. Denn laut Gesetzgebung zum zweiten Entlastungspaket ist diese Pauschale nicht grundsätzlich unpfändbar. Es kann sogar zur Abzahlung der bestehenden Schulden sofort eingezogen werden. Eine laufende Lohn- oder Kontopfändung oder Insolvenz würde dazu führen, dass die Energiepreispauschale gar nicht erst auf dem Konto ankommt. Diese Probleme hatte es bereits bei den Corona-Hilfen gegeben, ohne dass die Behörden daraus gelernt haben.
Das kann für die Haushalte, die so gerade am Existenzminimum entlangschleifen, eine Katastrophe werden. Ihnen kann Strom und Gas schlicht abgedreht werden. Ein wirklich existenziell gefährliches Problem. Das muss nicht passieren, aber wenn es geschieht, dann kann das besonders im Winter sogar lebensbedrohlich werden. Die BAG-SB sieht den Systemfehler eben darin, dass diese 300 € nicht von vorneherein offiziell als kein Arbeitslohn und unpfändbar deklariert wurden. Das wäre nämlich rechtlich kein Problem gewesen:
Das Bundesfinanzministerium bessert nun eiligst nach und veröffentlichte auf seiner Bundesminsiteriums-Webseite: „Die Energiepreispauschale ist von einer Lohnpfändung nicht umfasst, da es sich arbeits- und sozialversicherungsrechtlich nicht um ‚Arbeitslohn‘ oder ‚Arbeitsentgelt‘ handelt“.
Die BAG-SB fordert aber mehr: „Wenn das Konto von Schuldnern gepfändet wird, reicht das auf keinen Fall aus“, heißt es in der Mitteilung des Verbandes. Das Bundesministerium müsse eine klare und unmissverständliche Ansage machen, dass die Energiepreispauschale nicht gepfändet werden darf. Da aber kneift das Bundesfinanzministerium: „Die Frage der Pfändbarkeit der Energiepreispauschale ist derzeit noch nicht geklärt“.
Kompetenz hört sich anders an. Dann hätte man sich den Satz mit dem „Kein Arbeitsgeld“ auch sparen können. Es sieht wieder einmal so aus, dass sich die Politik nicht festlegen will, sondern ihren Spielraum auslotet und möglichst alles auf die Bürger abwälzt. Und nur dann mal ein Beruhigungpillchen verteilt, wenn der Volkszorn droht.
Hat da im Ministerium niemand an die sieben Millionen Bürger gedacht, die wegen der steigenden Preise am meisten unter Druck geraten? Und warum speist man Menschen mit dreihundert läbschen Euro ab, wenn gleichzeitig allein der Energiekonzern RWE stolz einen 2,1 Milliardengewinn im ersten Halbjahr verkündet? Der bereinigte Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen stieg um mehr als ein Drittel auf 2,8 Milliarden Euro. Und das in der angeblichen Energiekrise? Warum sieht der Staat zu, wie die Energiekosten ausgerechnet jetzt durch die Decke gehen und die Energieriesen Milliarden scheffeln? Indirekt gibt der RWE ja zu, dass ihnen die gestiegenen Energiepreise die Kasse gefüllt haben.
Der RWE will dafür freiwillig auf die Gasumlage verzichten. Immerhin. Den größten Gasimporteur, Uniper, musste der Staat dafür mit Milliarden Steuergeldern vor der Pleite retten.
Bei den Bürgern ist der Staat nicht so fürsorglich und hilfsbereit. Man hat an die überschuldeten Haushalte offensichtlich gar nicht gedacht. Die Schuldnerberatungen wurden einfach nicht mit einbezogen. Man spielt den spendablen Papi Staat und verteilt Almosen, um „den Pöbel von der Straße wegzuhalten“– denn davor haben die Herrschaften in Berlin durchaus Angst.
Die Schuldnerberatungsstellen sind eigentlich sehr geübt darin, den Schuldnern zu helfen. Viele Hochverschuldete haben ein sogenanntes P‑Konto, ein Pfändungsschutz-Konto. Dort können die Schuldenabzahlungsbeträge nur bis zu einer bestimmten Untergrenze abgebucht werden. Der Kontoinhaber hat immer die monatliche Mindestsumme für seinen Lebensunterhalt frei. Kommen einmalige Sozialleistungen aus bestimmten Anlässen, können die Schuldnerberatungen eine Pfändungsschutzkonto-Bescheinigung freigeben und damit der Bank bestätigen, dass diese Summe X dem Schuldner zusteht und unantastbar ist.
Wahrscheinlich müssen die Betroffenen erst vor Gericht, um das zu erstreiten. Das versuchen aber die meisten gar nicht erst, denn wenn man da verliert, ist die Lage noch schlimmer als vorher. Und sehr viele Überschuldete möchten sich nicht outen und zur Schuldnerberatung gehen. Es werden also viele von der Energiepreispauschale gar nichts haben und ihre Energierechnungen nicht mehr zahlen können. Das wird den Staat dann jeweils deutlich mehr als 300 € kosten.
Auf seiner Website stellt die Schuldnerberatung jetzt entsprechende Musterbriefe zur Verfügung, die die Bürger nutzen können. Doch sie stellt gleichzeitig fest, dass es noch nicht sicher sei, ob Gerichte diesen Freigabeanträgen stattgeben werden.