Dauer-Über­wa­chung: Aldous Huxley warnte schon 1958 vor Eliten-Welt-Diktatur

Wie stellte man sich früher die Welt von Heute vor? Ein inter­es­santes Interview mit dem Autor Aldous Huxley gibt Auf­schluss. Denn die Zukunfts-Dys­topien von einst haben nichts an Brisanz und Aktua­lität ein­gebüßt. Das Ori­ginal-Inter­views aus dem Jahre 1958 finden Sie hier.

Der Glaube an eine größere und bessere Zukunft ist einer der mäch­tigsten Feinde gegen­wär­tiger Freiheit.“ Aldous Huxley, Autor des 1932 erschie­nenen, heute als visionär betrach­teten Romans „Schöne neue Welt“ im Interview, das schon 1958 auf­ge­zeichnet wurde und doch brand­ak­tuell ist. Hier die Übersetzung:

Inter­viewer WALLACE: Hier ist Aldous Huxley, ein Mann, der von einer Vision der Hölle auf Erden heim­ge­sucht wird. Huxley, ein scharfer Gesell­schafts­kri­tiker, schrieb vor 27 Jahren „Brave New World“, einen Roman, der vor­aus­sagte, dass die ganze Welt eines Tages unter einer erschre­ckenden Dik­tatur leben würde. Heute sagt Huxley, dass seine fiktive Welt des Grauens wahr­scheinlich für uns alle nur um die nächste Ecke ist. Wir werden gleich her­aus­finden, warum.

Er hat gerade eine Reihe von Essays mit dem Titel „Enemies of Freedom“ auf deutsch: Feinde der Freiheit fer­tig­ge­stellt, in denen er einige der Bedro­hungen unserer Freiheit in den Ver­ei­nigten Staaten skiz­ziert und defi­niert, Mr. Huxley, ich frage Sie ganz direkt: Wer und was sind Ihrer Meinung nach die Feinde der Freiheit hier in den Ver­ei­nigten Staaten?

HUXLEY: Nun, ich glaube nicht, dass man sagen kann, wer das in den Ver­ei­nigten Staaten ist. Ich glaube nicht, dass es finstere Per­sonen gibt, die absichtlich ver­suchen, Men­schen ihre Freiheit zu rauben, ich denke in erster Linie, dass es eine Reihe von unper­sön­lichen Kräften gibt, die in Richtung immer weniger Freiheit drängen und ich denke auch, dass es eine Reihe von tech­ni­schen Mitteln gibt, die jeder, der will, benutzen kann, um diesen Prozess der Abkehr von der Freiheit, der Auf­er­legung von Kon­trolle zu beschleunigen.

WALLACE: Was sind diese Kräfte und was diese Mittel, Mr. Huxley?

HUXLEY: Ich würde sagen, dass es zwei haupt­säch­liche unper­sön­liche Kräfte gibt, die erste von ihnen ist gegen­wärtig in den Ver­ei­nigten Staaten nicht über­mäßig wichtig, obwohl sie in anderen Ländern sehr wichtig ist. Das ist die Kraft, die man all­gemein Über­be­völ­kerung nennen kann, den wach­senden Druck der Bevöl­kerung auf die vor­han­denen Ressourcen.

Das ist ein außer­ge­wöhn­liches Ereignis; etwas pas­siert, was noch nie zuvor in der Welt­ge­schichte pas­siert ist, nehmen wir nur die schlichte Tat­sache, dass sich zwi­schen der Zeit der Geburt Christi und der Landung der May­flower die Bevöl­kerung der Erde ver­doppelt hat. Sie stieg von zwei­hun­dert­fünfzig Mil­lionen auf wahr­scheinlich fünf­hundert Mil­lionen. Heute wächst die Bevöl­kerung der Erde mit einer solchen Geschwin­digkeit, dass sie sich in einem halben Jahr­hundert ver­doppeln wird.

WALLACE: Warum sollte die Über­be­völ­kerung dazu bei­tragen unsere Frei­heiten einzuschränken?

HUXLEY: In vie­lerlei Hin­sicht. Ich meine, die Experten auf diesem Gebiet, wie zum Bei­spiel Har­rison Brown, haben darauf hin­ge­wiesen, dass in den unter­ent­wi­ckelten Ländern der Lebens­standard derzeit tat­sächlich sinkt. Die Men­schen haben pro Kopf weniger zu essen und weniger Güter als vor fünfzig Jahren und da die wirt­schaft­liche Situation dieser Länder immer pre­kärer wird, muss natürlich die Zen­tral­re­gierung immer mehr Ver­ant­wortung über­nehmen, um das Staats­schiff im Gleich­ge­wicht zu halten. Unter solchen Bedin­gungen wird
es wahr­schein­licher zu sozialen Unruhen kommen, wie­derum mit einem Ein­greifen der Zentralregierung.

Ich denke also, dass man hier ein Muster sieht, das sehr stark in Richtung eines tota­li­tären Regimes zu drängen scheint. Und leider, da in all diesen unter­ent­wi­ckelten Ländern die einzige hoch orga­ni­sierte poli­tische Partei die Kom­mu­nis­tische Partei ist, sieht es eher so aus, als ob sie die Erben dieses unglück­lichen Pro­zesses sein werden, dass sie in die Macht­po­si­tionen kommen werden.

WALLACE: Nun, iro­ni­scher­weise scheint uns eine der größten Kräfte gegen den Kom­mu­nismus in der Welt, die katho­lische Kirche, gemäß Ihrer These direkt in die Hände der Kom­mu­nisten zu treiben, weil sie gegen die Gebur­ten­kon­trolle sind.

HUXLEY: Nun, ich denke, dieses seltsame Para­doxon ist wahr­scheinlich wahr. Es ist tat­sächlich eine außer­ge­wöhn­liche Situation. Ich meine, man muss es natürlich aus bio­lo­gi­scher Sicht betrachten: Das ganze Wesen des bio­lo­gi­schen Lebens auf der Erde ist eine Frage des Gleich­ge­wichts. Was wir getan haben, ist, eine äußerst intensive Kon­trolle über den Tod aus­zuüben ohne dies auf der anderen Seite mit Gebur­ten­kon­trolle aus­zu­ba­lan­cieren. Folglich bleiben die Gebur­ten­raten so hoch wie sie waren und die Sterb­lich­keits­raten sind erheblich gesunken.

WALLACE: Also gut, so viel, jeden­falls vorerst, zur Über­be­völ­kerung. Welche weitere Kraft schränkt unsere Frei­heiten ein?

HUXLEY: Nun, eine andere Kraft, die meines Erachtens sehr stark in diesem Land wirksam ist, ist die Kraft dessen, was man als Über­re­gu­lierung oder Über­or­ga­ni­sation bezeichnen könnte. Da die Tech­no­logie immer kom­pli­zierter wird, wird es not­wendig, immer aus­ge­feiltere Orga­ni­sa­tionen zu haben, hier­ar­chi­schere Orga­ni­sa­tionen, übrigens wird der Fort­schritt der Tech­no­logie von einem Fort­schritt in der Wis­sen­schaft der Orga­ni­sation begleitet.

Es ist jetzt möglich, Orga­ni­sa­tionen in grö­ßerem Umfang als jemals zuvor zu gründen, und deshalb gibt es immer mehr Men­schen, die ihr Leben als Unter­gebene in diesen hier­ar­chi­schen Sys­temen ver­bringen, die von der Büro­kratie kon­trol­liert werden, ent­weder die Büro­kratien von „Big Business“ oder die Büro­kratien von „Big Government“ (ame­ri­ka­ni­scher Begriff für über­mächtige, über­griffige Regierungsorganisationen).

WALLACE: Jetzt zu den Mitteln, die Sie ange­sprochen haben, gibt es spe­zielle Geräte oder Kom­mu­ni­ka­ti­ons­me­thoden, die unsere Frei­heiten zusätzlich zu Über­be­völ­kerung und Über­or­ga­ni­sation einschränken?

HUXLEY: Es gibt sicher Mittel, die auf diese Weise ver­wendet werden können. Ich meine, nehmen wir doch ein Stück neuer und sehr schmerz­hafter Geschichte, die von Hitler ein­ge­setzte Pro­pa­ganda, die unglaublich effektiv war.

Was waren Hitlers Methoden? Hitler benutzte einer­seits Terror, brutale Gewalt, aber er benutzte auch eine sehr effi­ziente Form der Pro­pa­ganda, er benutzte damals jedes moderne Gerät. Er hatte kein Fern­sehen, aber er hatte Radios, die er in vollem Umfang nutzte und er war in der Lage, einer rie­sigen Masse von Men­schen seinen Willen auf­zu­zwingen. Ich meine, die Deut­schen waren ein hoch­ge­bil­detes Volk.

WALLACE: Nun, wir sind uns all dessen bewusst, aber wie können wir Hitlers Gebrauch von Pro­pa­ganda mit der Art und Weise gleich­setzen, wie Pro­pa­ganda, wenn Sie so wollen, hier in den Ver­ei­nigten Staaten ver­wendet wird? Meinen Sie damit, dass es Par­al­lelen gibt?

HUXLEY: Unnötig zu sagen, dass Pro­pa­ganda jetzt nicht auf diese Weise ver­wendet wird, aber der Punkt ist, wie mir scheint, dass es derzeit ver­fügbare Methoden gibt, Methoden, die Hitlers Methode in mancher Hin­sicht über­legen sind, die in einer schlechten Situation ver­wendet werden könnten. Ich meine, ich habe das sichere Gefühl, dass wir nicht ris­kieren dürfen, von unserer eigenen fort­schrei­tenden Tech­no­logie über­rascht zu werden.

Das ist in der Geschichte mit den Fort­schritten der Tech­no­logie immer wieder pas­siert und das ver­ändert die sozialen Bedin­gungen und plötzlich befinden sich Men­schen in einer Situation, die sie nicht vor­her­ge­sehen haben und tun alle mög­lichen Dinge, die sie nicht wirklich tun wollten.

WALLACE: Und dann, was … was meinen Sie? Denken Sie, wir ent­wi­ckeln und ver­bessern unseren Fern­seher, wissen aber nicht, wie man richtig damit umgeht, ist das der Punkt, auf den Sie hinaus wollen?

HUXLEY: Nun ich glaube, im Moment wird das Fern­sehen ziemlich harmlos benutzt, ich habe das Gefühl, es wird zu viel benutzt, um alle die ganze Zeit abzu­lenken. Aber ich meine, stellen Sie sich vor, wie die Situation in allen kom­mu­nis­ti­schen Ländern sein muss, wo das Fern­sehen exis­tiert, die ganze Zeit immer das­selbe sagt; es ist immer präsent.

Es erzeugt keine breite Front der Ablenkung, es erzeugt ein ziel­ge­rich­tetes Ein­hämmern einer ein­zigen Idee, die ganze Zeit. Es ist offen­sichtlich ein immens mäch­tiges Instrument.

WALLACE: Sie sprechen also von einem mög­lichen Miss­brauch des Instruments.

HUXLEY: Genau. Alle Technik ist an sich mora­lisch und neutral. Das sind nur Kräfte, die ent­weder gut oder schädlich ein­ge­setzt werden können. Mit der Atom­energie ist es genauso, wir können uns damit ent­weder selbst in die Luft sprengen oder wir können sie als Ersatz für die zur Neige gehende Kohle und das zur Neige gehende Öl verwenden.

WALLACE: Sie haben sogar über den Konsum von Drogen unter diesem Aspekt geschrieben.

HUXLEY: Das ist ein sehr inter­es­santes Thema. Ich meine, in diesem Buch, das Sie erwähnt haben, diesem Buch von mir, „Brave New World“, beschrieb ich eine Sub­stanz namens „Soma“, eine sehr viel­seitige Droge. In kleinen Dosie­rungen sollte es Men­schen glücklich machen, in mitt­leren Dosen Visionen erzeugen und in großen Dosen Men­schen ein­schlafen lassen.

Nun, ich glaube nicht, dass ein solches Medi­kament jetzt exis­tiert, noch glaube ich, dass es jemals exis­tieren wird. Aber wir haben Drogen, die einige dieser Dinge bewirken und ich halte es für wahr­scheinlich, dass wir Drogen haben werden, die unseren Geis­tes­zu­stand grund­legend ver­ändern, ohne uns zu schaden.

Ich meine, durch die gerade statt­fin­dende phar­ma­ko­lo­gische Revo­lution haben wir jetzt starke, bewusst­seins­ver­än­dernde Medi­ka­mente, die phy­sio­lo­gisch gesehen fast kos­tenlos sind. Ich meine, sie sind nicht wie Opium oder Kokain, die den Geis­tes­zu­stand ver­ändern, aber phy­sio­lo­gisch und mora­lisch schreck­liche Folgen haben.

WALLACE: Mr. Huxley, in Ihren neuen Essays stellen Sie fest, dass diese ver­schie­denen „Feinde der Freiheit“ uns in eine reale „schö­neneue Welt“ drängen und Sie sagen, dass dies uns gleich ums Eck erwartet. Können Sie uns zual­lererst erläutern, welches Leben in dieser schönen neuen Welt Sie so sehr fürchten würden oder wie das Leben aus­sehen könnte?

HUXLEY: Nun, zunächst einmal denke ich, dass diese Art von Dik­tatur der Zukunft sehr anders sein wird als die Dik­ta­turen, die wir aus der unmit­tel­baren Ver­gan­genheit kennen. Nehmen Sie ein anderes sehr bemer­kens­wertes Buch, das in der Zukunft spielt, George Orwells „1984“.

Dieses Buch wurde auf dem Höhe­punkt des sta­li­nis­ti­schen Regimes und kurz nach dem Hitler-Regime geschrieben und Orwell sah eine Dik­ta­tur­voraus, die aus­schließlich die Methoden des Terrors, die Methoden der phy­si­schen Gewalt ein­setzte. Ich denke, was in Zukunft pas­sieren wird ist, dass Dik­ta­toren fest­stellen werden, wie das alte Sprichwort sagt, dass man mit Bajo­netten alles machen kann, aber man kann nicht darauf sitzen!

WALLACE: (LACHT)

HUXLEY: Aber wenn man seine Macht auf unbe­stimmte Zeit behalten will, muss man die Zustimmung der Beherrschten ein­holen und das werden sie teil­weise durch Drogen erreichen, wie ich in „Brave New World“ vor­aus­ge­sehen habe, teil­weise durch diese neuen Pro­pa­ganda-Tech­niken. Sie werden diese rationale Seite des Men­schen umgehen und an sein Unter­be­wusstsein, seine tie­feren Emo­tionen und sogar an seine kör­per­lichen Vor­gänge appel­lieren und ihn so dazu bringen, seine Skla­verei tat­sächlich zu lieben.

Ich meine, die Gefahr ist, dass die Men­schen unter dem neuen Regime in gewisser Weise glücklich sein mögen, aber dass sie in Situa­tionen glücklich sein werden, in denen sie nicht glücklich sein sollten.

WALLACE: Ich möchte Sie Fol­gendes fragen: Sie sprechen von einer Welt, die sich innerhalb der Grenzen eines tota­li­tären Staates abspielen könnte. Lassen Sie uns direkter und akuter werden. Wir glauben, dass wir hier in den Ver­ei­nigten Staaten in einer Demo­kratie leben. Glauben Sie, dass diese schöne neue Welt, von der Sie sprechen, sagen wir, im nächsten Vier­tel­jahr­hundert, hierher an unsere Küsten kommen könnte?

HUXLEY: Ich denke schon. Ich meine, deshalb finde ich es so extrem wichtig, hier und jetzt anzu­fangen, über diese Pro­bleme nach­zu­denken. Wir sollten uns nicht über­ra­schen lassen von den neuen tech­no­lo­gi­schen Fort­schritten. Ich meine zum Bei­spiel in Bezug auf den Gebrauch der Drogen.

Wir wissen, dass es jetzt genügend Beweise gibt, um auf der Grundlage dieser Beweise und mit einem gewissen Maß an krea­tiver Vor­stel­lungs­kraft die Art der Ver­wendung vor­her­sehen zu können, die von Men­schen mit schlechtem Willen mit diesen Dingen gemacht werden könnte und auch zu ver­suchen das auf die­selbe Weise zu ver­hindern. Ich denke, mit diesen anderen Pro­pa­ganda-Methoden können wir voraus sehen und viel tun, um dem ent­gegen zu treten.

Ich meine, schließlich ist der Preis der Freiheit ewige Wachsamkeit.

WALLACE: Sie schreiben in „Enemies of Freedom“ spe­ziell über die Ver­ei­nigten Staaten. Wenn Sie über ame­ri­ka­nische poli­tische Kam­pagnen schreiben sagen Sie: „Alles, was benötigt wird, ist Geld und ein Kan­didat, dem man bei­bringen kann, auf­richtig zu wirken, poli­tische Prin­zipien und kon­krete Akti­ons­pläne haben an Bedeutung ver­loren. Auf die Per­sön­lichkeit des Kan­di­daten kommt es an, wie er von den Werbe-Experten dar­ge­stellt wird.“

HUXLEY: Ja, während der letzten Kam­pagne gab es eine Menge solcher Aus­sagen von den Wer­be­ma­nagern der Wahl­kampf­par­teien. Diese Idee, dass die Kan­di­daten wie Seife und Zahn­pasta ver­marktet werden müssten und man sich ganz auf die Per­sön­lichkeit ver­lassen müsse. Ich meine, Per­sön­lichkeit ist wichtig, aber es gibt sicherlich Men­schen mit einer äußerst lie­bens­wür­digen Per­sön­lichkeit,  – besonders im Fern­sehen –  die mög­li­cher­weise nicht unbe­dingt sehr gut in poli­ti­schen… Posi­tionen sind, wenn es um poli­ti­sches Ver­trauen geht.

WALLACE: Nun, haben Sie das Gefühl, dass Männer wie Eisen­hower, Ste­venson, Nixon mit vor­aus­schau­endem Wissen ver­sucht haben, der ‚ame­ri­ka­ni­schen Öffent­lichkeit Sand in die Augen zu streuen?

HUXLEY: Nein, aber sie wurden von mäch­tigen Wer­be­agen­turen beraten, die ganz andere Kam­pagnen machten als früher und ich denke, wir werden wahr­scheinlich alle mög­lichen neuen Mittel sehen, die ins Spiel kommen. Ich meine zum Bei­spiel diese Sache, die letzten Herbst viel Publicity bekommen hat, die unter­schwellige Vorstellung.

Im Moment ist diese Sache meiner Meinung nach keine Bedrohung für uns, aber ich habe kürzlich mit jemand gesprochen, der damit am meisten expe­ri­men­telle Arbeit im psy­cho­lo­gi­schen Labor geleistet hat. Er sagte auch, dass es im Moment keine Gefahr dar­stellt, aber wenn man einmal das Prinzip erkannt hat wie etwas funk­tio­niert, dann kann man absolut sicher sein, dass sich die Technik stetig ver­bessern wird. Seine Ansicht zu diesem Thema war : Viel­leicht werden sie es in der Kam­pagne 1960 bis zu einem gewissen Grad ein­setzen, aber sie werden es wahr­scheinlich in der Kam­pagne 1964 mehr und viel effek­tiver ver­wenden, weil das die Art von Geschwin­digkeit ist, mit der die Tech­no­logie voran schreitet.

WALLACE: Und wir werden über­redet, für einen Kan­di­daten zu stimmen, ohne dass uns bewusst ist, dass wir über­redet werden, für ihn zu stimmen.

HUXLEY: Genau, ich meine, das ist die ziemlich alar­mie­rende Vor­stellung, dass man unterhalb der Ebene von freier Wahl und Ver­nunft über­redet wird.

WALLACE: In Bezug auf die Werbung, die Sie gerade erwähnt haben, greifen Sie in Ihren Schriften, ins­be­sondere in „Feinde der Freiheit“, die Madison Avenue an, die den Großteil unserer Fernseh‑, Radio- und Zei­tungs-Werbung usw. kon­trol­liert. Warum greifen Sie die Wer­be­agen­turen immer wieder an…

HUXLEY: Nun, nein, ich denke Werbung spielt eine sehr not­wendige Rolle, aber die Gefahr, die mir in einer Demo­kratie erscheint, ist fol­gende … Ich meine, wovon hängt eine Demo­kratie ab?

Eine Demo­kratie hängt davon ab, dass der ein­zelne Wähler unter allen Umständen eine intel­li­gente und rationale Ent­scheidung für das trifft, was er als sein auf­ge­klärtes Eigen­in­teresse ansieht.

Aber was diese Leute tun, beide, sowohl die, die Waren  ver­kaufen wollen, als auch die dik­ta­to­ri­schen Pro­pa­gan­disten, ist zu ver­suchen, die rationale Seite des Men­schen zu umgehen und sich direkt an diese unbe­wussten Kräfte unter der Ober­fläche zu wenden. In gewisser Weise wird so das gesamte demo­kra­tische Ver­fahren unsinnig gemacht, das auf einer bewussten Ent­scheidung auf ratio­naler Grundlage beruht.

WALLACE: Natürlich, nun, viel­leicht haben Sie gerade diese nächste Frage beant­wortet, weil Sie in Ihrem Essay über Fernseh-Werbung schreiben, nicht nur über poli­tische Werbung, sondern Fernseh-Werbung als solche, wie Sie es aus­drückten: „Die Kinder von heute laufen herum und singen Bier Wer­be­spots und Zahnpasta-Werbespots.“

Dann ver­binden Sie dieses Phä­nomen in gewisser Weise mit den Gefahren einer Dik­tatur. Könnten Sie jetzt die Ver­bindung deutlich machen oder haben Sie das Gefühl, dass Sie dies schon aus­rei­chend deutlich gemacht haben?

HUXLEY: Ich meine, diese ganze Frage der Kinder ist furchtbar wichtig, weil Kinder ganz ein­deutig viel beein­fluss­barer sind als der durch­schnitt­liche Erwachsene.
Wenn man wieder annimmt, dass aus dem einen oder anderen Grund die gesamte Pro­pa­ganda in den Händen einer oder sehr weniger Agen­turen läge, würden diese eine außer­or­dentlich starke Kraft auf die her­an­wach­senden Kinder ausüben, die dem­nächst Erwachsene sein werden. Ich denke, dass dies keine unmit­telbare Bedrohung ist, aber es bleibt eine mög­liche Bedrohung …

WALLACE: Sie haben in Ihrem Aufsatz etwas dahin­gehend gesagt, dass die Kinder Europas früher „Kano­nen­futter“ genannt wurden und hier in den Ver­ei­nigten Staaten „Fernseh– und Radiofutter“.

HUXLEY: Immerhin kann man in den Fach­zeit­schriften aus­führ­liche Berichte darüber lesen, wie not­wendig es ist, der Kinder habhaft zu werden, denn dann sind sie später treue Mar­ken­käufer. Aber über­setzt man das wieder in poli­tische Begriffe, dann sagt der Dik­tator, sie werden alle Ideo­lo­gie­käufer sein, wenn sie erwachsen sind.

WALLACE: Wir hören so viel über Gehirn­wäsche, wie sie von den Kom­mu­nisten ange­wendet wird. Sehen Sie andere Gehirn­wäsche als die, über die wir gerade gesprochen haben, die hier in den Ver­ei­nigten Staaten ange­wandt wird, andere Formen der Gehirnwäsche?

HUXLEY: Nicht in der Form, wie sie in China und Russland ver­wendet wurde, weil dies im Wesent­lichen die Anwendung von besonders gewalt­tä­tigen Pro­pa­ganda-Methoden auf Ein­zel­per­sonen ist; es ist keine Schrot­flinten-Methode wie die Wer­be­me­thode. Es geht darum, sich der
Person zu bemäch­tigen und sowohl auf ihre Phy­sio­logie als auch auf ihre Psy­cho­logie ein­zu­wirken, bis sie wirklich zusam­men­bricht, dann kann man eine neue Idee in ihren Kopf einpflanzen.

Die Beschrei­bungen der Methoden sind wirklich blut­rünstig, nicht nur der Methoden, die auf poli­tische Gefangene ange­wendet werden, sondern auch die Methoden, die zum Bei­spiel bei der Aus­bildung junger kom­mu­nis­ti­scher Ver­wal­tungs­be­amter und Mis­sionare ange­wendet werden. Sie werden einem unglaublich harten Training unter­zogen, das viel­leicht fünf­und­zwanzig Prozent von ihnen zum Zusam­men­bruch oder Selbstmord bringen kann, aber fünf­und­siebzig Prozent zu völlig ziel­stre­bigen Fana­tikern macht.

WALLACE: Die Frage, die mir natürlich immer wieder in den Sinn kommt, ist fol­gende: Offen­sichtlich ist die Politik an sich nicht böse, das Fern­sehen ist an sich nicht böse, die Atom­energie ist nicht böse und doch scheinen Sie zu befürchten, dass sie auf böse Weise genutzt werden. Warum werden sie Ihrer Ein­schätzung nach nicht von den rich­tigen Per­sonen ver­wendet? Warum ver­wenden die fal­schen Leute diese ver­schie­denen Mittel und aus den fal­schen Motiven?

HUXLEY: Nun, ich denke, einer der Gründe ist, dass dies alles Instru­mente sind, um Macht zu erlangen und offen­sichtlich ist die Lei­den­schaft für Macht eine der bewe­gendsten Lei­den­schaften, die im Men­schen exis­tiert  und schließlich basieren alle Demo­kratien auf der These, dass Macht sehr gefährlich ist und dass es äußerst wichtig ist, keinem ein­zelnen Mensch oder keiner kleinen Gruppe zu lange zu viel Macht zu lassen.
Denn was sind die bri­tische und die ame­ri­ka­nische Ver­fassung außer Mitteln zur Macht­be­grenzung und all diese neuen Ver­fahren sind äußerst effi­ziente Instru­mente zur Macht­aus­übung durch kleine Gruppen über größere Massen.

WALLACE: Ich stelle Ihnen Ihre eigene Frage, die Sie selbst in „Feinde der Freiheit“ gestellt haben: „Wie können wir in einem Zeit­alter der sich beschleu­ni­genden Über­be­völ­kerung, der sich beschleu­ni­genden Über­or­ga­ni­sation und immer effi­zi­en­terer Bedeutung der Mas­sen­kom­mu­ni­kation die Inte­grität bewahren und den Wert des mensch­lichen Indi­vi­duums wieder herstellen?“
Sie haben die Frage gestellt, jetzt haben Sie die Chance, sie zu beant­worten, Mr. Huxley.

HUXLEY: Nun, das ist offen­sichtlich … zunächst einmal ist es eine Frage der Bildung. Ich finde es unge­heuer wichtig, auf indi­vi­du­ellen Werten zu bestehen, ich meine, was ist eine … es gibt eine Tendenz… Sie haben wahr­scheinlich ein Buch von Whyte gelesen, „The Orga­nization Man“, ein sehr inter­es­santes, wert­volles Buch, wie ich finde, wo er von der neuen Art der Grup­pen­moral spricht, der Grup­pen­ethik, die über die Gruppe spricht, als ob die Gruppe irgendwie wich­tiger wäre als das Individuum.

Aber das scheint meiner Meinung nach im Wider­spruch zu dem zu stehen, was wir über die gene­tische Aus­stattung des Men­schen wissen, dass jeder Mensch ein­zig­artig ist. Und auf dieser gene­ti­schen Grundlage basiert natürlich die ganze Vor­stellung vom Wert der Freiheit. Und ich denke, es ist äußerst wichtig für uns, dies in unserem gesamten Bil­dungs­leben zu betonen und ich würde sagen, es ist auch sehr wichtig, den Men­schen bei­zu­bringen, auf der Hut zu sein vor der Art ver­baler Spreng­fallen, in die sie immer geführt werden, damit sie ana­ly­sieren können, was ihnen gesagt wird. Nun, ich denke, es gibt diese ganze erzie­he­rische Seite von … und ich denke, es gibt noch viel mehr Dinge, die man tun könnte, um die Men­schen zu stärken und ihnen bewusster zu machen, was geschieht.

WALLACE: Sie sind ein Für­sprecher der Dezentralisierung?

HUXLEY: Ja, wenn es möglich ist. Es ist eine der Tra­gödien, wie mir scheint. Ich meine, viele Leute haben über die Wich­tigkeit der Dezen­tra­li­sierung gesprochen, um dem Wähler den Sinn direkter Macht zurück­zu­geben. Ich meine, der Wähler in einem rie­sigen Wäh­lerfeld ist ziemlich machtlos und seine Stimme scheint nichts zu zählen.

Dies gilt nicht, wenn die Wäh­ler­schaft klein ist und wenn der Wähler es mit einer Gruppe zu tun hat, die er beein­flussen und ver­stehen kann und wenn man — die Jef­ferson vor­ge­schlagen hat- die Ein­heiten in immer kleinere Ein­heiten auf­teilen und so eine echte, selbst­ver­waltete Demo­kratie erreichen kann.

WALLACE: Nun, zu Jef­fersons Zeiten war das alles schön und gut, aber wie können wir unser Wirt­schafts­system umge­stalten und dezen­tra­li­sieren und gleich­zeitig mili­tä­risch und wirt­schaftlich der harten Her­aus­for­derung eines Landes wie Sowjet­russland begegnen?

HUXLEY: Nun, ich denke, die Antwort darauf ist, dass es meiner Meinung nach zwei Arten von indus­tri­eller Pro­duktion gibt. Es gibt einige Arten der indus­tri­ellen Pro­duktion, die offen­sichtlich sehr hohe Zen­tra­li­sierung benö­tigen, wie zum Bei­spiel die Her­stellung von Autos. Aber es gibt noch viele andere Arten, bei denen man ganz einfach und wahr­scheinlich ziemlich wirt­schaftlich dezen­tra­li­sieren könnte, so, dass man dann diese Art von Dezen­tra­li­sierung hätte, die man jetzt sieht, wenn man durch den Süden reist, wo diese dezen­tra­li­sierte Tex­til­in­dustrie entsteht.

WALLACE: Mr. Huxley, ich will Sie ernsthaft fragen, ist Freiheit notwendig?

HUXLEY: Für mich ja.

Wallace: Warum? Ist Freiheit not­wendig für eine pro­duktive Gesellschaft?

HUXLEY: Ja, das würde ich sagen. Ich meine, eine wirklich pro­duktive Gesell­schaft. Ich meine, man könnte ohne viel Freiheit viele Waren pro­du­zieren, aber ich denke, dass die ganze Art des krea­tiven Lebens des Men­schen letzt­endlich unmöglich ist ohne ein beträcht­liches Maß an indi­vi­du­eller Freiheit, an Initiative, an Schöpfung, all diesen Dingen, die wir schätzen und ich denke echte Werte sind ohne ein großes Maß an Freiheit nicht möglich.

Der Schocker

WALLACE: Nun, Mr. Huxley, werfen Sie noch einmal einen Blick auf das Land, das wohl die ent­ge­gen­ge­setzte Haltung zeigt, Sowjet­russland. Es ist stark und wird stärker, wirt­schaftlich, mili­tä­risch, gleich­zeitig ent­wi­ckeln sich Kunst­formen, anscheinend wird Krea­ti­vität nicht unnötig unter­drückt. Und doch ist es keine freie Gesellschaft.

HUXLEY: Es ist keine freie Gesell­schaft, aber hier ist etwas sehr Inter­es­santes: Den Mit­gliedern der Gesell­schaft, wie den Wis­sen­schaftlern, die die kreative Arbeit leisten, wird viel mehr Freiheit ein­ge­räumt als allen anderen. Ich meine, es ist eine pri­vi­le­gierte aris­to­kra­tische Gesell­schaft, in der diese Leute, sofern sie ihre Nase nicht in poli­tische Ange­le­gen­heiten stecken, viel
Prestige, ein beträcht­liches Maß an Freiheit und eine Menge Geld genießen können.

Ich meine, das ist eine sehr inter­es­sante Tat­sache des neuen Sowjet­re­gimes und ich denke, was wir sehen werden, ist ein Volk das im Großen und Ganzen sehr wenig Freiheit hat, aber mit einer Olig­archie an der Spitze, die ein beträcht­liches Maß an Freiheit genießt und einen sehr hohen Lebensstandard.

WALLACE: Und die Leute da unten, die „Epsilons“ da unten?

HUXLEY: Die genießen sehr wenig.

WALLACE: Und denken Sie, so eine Situation kann lange bestehen?

HUXLEY: Ich denke, das kann sicherlich viel länger dauern, als wenn alle draußen bleiben. Ich meine, sie können ihre tech­no­lo­gi­schen und wis­sen­schaft­lichen Ergeb­nisse sicherlich auf einer solchen Grundlage erzielen.

WALLACE: Nun, wenn ich das nächste Mal mit Ihnen spreche, sollten wir viel­leicht die Mög­lich­keiten einer solchen Gesell­schaft weiter unter­suchen, in der die Drohnen für die Bie­nen­kö­nigin oben arbeiten.

HUXLEY: Ja, aber ich muss sagen, ich glaube immer noch an die Demo­kratie, wenn wir das Beste aus den krea­tiven Akti­vi­täten der Leute an der Spitze und zusätzlich der Leute unten machen können, umso besser.

WALLACE: Mr. Huxley, ich danke Ihnen sehr, dass Sie diese halbe Stunde mit uns ver­bracht haben, und ich wünsche Ihnen viel Erfolg, Sir.

HUXLEY: Danke.

WALLACE: Aldous Huxley befindet sich dieser Tage in einer merk­wür­digen und beun­ru­hi­genden Lage: Ein Vier­tel­jahr­hundert, nachdem er einen auto­ri­tären Staat pro­phezeit hat, in dem die Men­schen zu Chiffren werden, kann er auf Sowjet­russland zeigen und sagen: „Ich habe es euch doch gesagt!“ Die ent­schei­dende Frage, so sieht er es jetzt, ist, ob die soge­nannte Freie Welt Mr. Huxley in Kürze die weitere zwei­fel­hafte Genug­tuung ver­schaffen wird, das­selbe über uns zu sagen.


Quelle: pravda-tv.com