Der pensionierte Oberst, Colonel (Oberst) der US-Army, Douglas Abbott Macgregor ist Politikwissenschaftler, Militärtheoretiker, Buchautor, Autor in militärischen Fachzeitschriften und militärischer Berater des US-Verteidigungsministeriums. Ihm werden gute Verbindungen zu den Geheimdiensten nachgesagt. Er hat eine vielbeachtete Schrift „Breaking the Phalanx: A New Design for Landpower in the 21st Century“, in der er eine umfassende Heeresreform der US-Streitkräfte fordert. In politischen und in Militärkreisen erwarb er sich dadurch den Ruf eines Querdenkers. So sah er die vielen US-Militärbasen in Übersee als unnötig, sie könnten eingespart werden. Die NATO sieht er als Zombie. Nun sagt er klipp und klar, dass die USA den Ukraine-Krieg bereits jetzt verloren hat. Jetzt habe die „Biden-Phase“ des Krieges begonnen.
„Die Ukraine hat ihr Bestes getan. Die Biden-Phase bedeutet, dass die Ukraine militärisch, wirtschaftlich und finanziell der 51 Bundesstaat der Vereinigten Staaten geworden ist. Die Biden-Regierung ist faktisch zum Eigentümer der Ukraine geworden“, umreißt MacGregor die Situation.
Offenbar setzt der Westen, nachdem ihm die Ukrainer ausgegangen sind, jetzt vermehrt Raketen, Drohnen und Marschflugkörper ein. MacGregor hierzu:
„Ich glaube also, wir befinden uns in einer neuen Phase. Ein Freund kontaktierte mich heute und sagte: Ich glaube, wir treten jetzt in Bidens Phase des Krieges ein. Und ich sagte: Wovon sprichst du? Er antwortete: Nun, da den Ukrainern die Bodentruppen ausgehen, die sie dem Feind entgegenwerfen können, können sie nur noch Langstreckenwaffen wie die Storm Shadow oder die Taurus-Rakete nutzen und diese dann auf die Russen schleudern. Ich glaube, das haben wir kürzlich gesehen. Da war ein großer Schlag gegen die Krim. Ich glaube, es waren insgesamt 11 Storm Shadow-Raketen, die von SU-24 gestartet wurden, die gestartet sind, ihre Raketen abgefeuert haben und dann schnell verschwunden sind, aus Angst, abgeschossen zu werden. Von den 11 Raketen wurden acht tatsächlich von der integrierten russischen Luftabwehr zerstört, aber drei kamen durch und verursachten erhebliche Schäden an Schiffen, die in einem Trockendock oder im Hafen von Sewastopol lagen.“
Diese Eskalation bedeutet allerdings nichts anderes, als dass die USA sich mit diesen Aktionen in den Bereich der Kriegspartei begibt. Sie unterstützt also nicht mehr „nur als Außenstehender“ die Ukraine, sondern greift mit eigenen Streitkräften in das Geschehen ein, wie der Colonel berichtet:
„Am beunruhigendsten ist, dass sowohl US-amerikanische als auch britische und möglicherweise französische ISR-Plattformen (Intelligence Surveillance Reconnaissance), unbemannte und möglicherweise bemannte Plattformen, zur Steuerung dieser Angriffe eingesetzt wurden, und zwar sowohl die unbemannten Unterwassersysteme als auch die Storm Shadow-Raketen. Dazu würde auch ein Global Hawk gehören. Die Russen haben bereits einen Global Hawk über dem Schwarzen Meer abgeschossen, und offenbar haben wir einen weiteren Global Hawk zur Unterstützung dieses Angriffs eingesetzt. Der Grund, warum das beunruhigend ist, sollte für alle Ihre Zuhörer offensichtlich sein: Das bedeutet, dass wir in jeder Hinsicht Mitkriegsparteien sind. Die eigentliche Frage ist, wie lange sich die Russen noch zurückhalten werden, die Quelle dieser Waffen und Fähigkeiten anzugreifen, nämlich Großbritannien, die Vereinigten Staaten, Frankreich und möglicherweise sogar Deutschland. Also, ich kenne die Antwort darauf nicht. Der Punkt ist, dass wir uns in einer neuen Phase befinden. Wir befinden uns in einer Art Fernangriffsphase, denn die Ukrainer haben nichts anderes in die Waagschale zu werfen, und das ist eine sehr gefährliche Sache.“
Experten haben früh gewarnt: Dieser Krieg ist nicht zu gewinnen
Der alte, schottische Haudegen behauptet, dass die ukrainischen Streitkräfte so gut wie ausgerottet worden sind. Er sagt, die USA haben (nach dem Maidan) acht Jahre gebraucht, um eine ukrainische Armee von ca. 600.000 Mann aufzubauen, von der ca. 90.000 bis 100.000 bereits tot und zwischen 300.000 und 400.000 verwundet, verschwunden oder gefangengenommen worden sind. In einem unten verlinkten Interview spricht MacGregor allerdings von wahrscheinlich über 430.000 toten ukrainischen Soldaten.
Und dabei, so Macgregor in einem Interview mit Clayton Morris, habe Russland nur 20 Prozent seines stehenden Heeres eingesetzt – und davon einen ganzen Teil nach den ersten vier Monaten wieder abgezogen. Was in der Ukraine zurzeit noch mit den russischen Soldaten zusammen kämpft, sei ein Konglomerat aus Freiwilligen: Milizen, einigen alliierten Kräften wie die Tschetschenen, kubanische und kosakische Freiwillige, die sich als sehr gute Kämpfer herausgestellt haben. Einen Gutteil der russischen Erfolge ist der Wagnergruppe zuzuschreiben.
Schon vor ziemlich genau einem Jahr, im Oktober 2022, sagte der stets exzellent informierte Oberst, dass die Angriffspläne der USA gegen Russland schon längst standen. Präsident Putin sei der westlichen Offensive nur zuvorgekommen:
„Wir (USA) haben diese (ukrainische) Armee 8 Jahre lang zu dem Zweck aufgebaut, Russland anzugreifen. Dafür wurde sie geformt. Das ist der Grund, warum die Russen sie angegriffen haben. Außerdem wollten wir Raketen in der Ostukraine stationieren, mit denen wir Russland hätten bedrohen können. Also nochmal: Die Ostukraine musste neutralisiert werden – und das ist der Grund, weshalb die Russen dort intervenierten. Dabei haben sie sich, wie ich vorher schon ausführte, große Zurückhaltung auferlegt. (…) … womit sie (die Russen) zeigten, dass in der Ukraine nirgendwo irgendwas geschieht, ohne dass sie es wissen. Nicht einmal in der westlichen Ukraine passiert etwas, ohne dass Moskau es weiß. Es gibt dort nichts, das die Russen nicht erreichen und zerstören könnten. Ich denke, wir haben einen kleinen Vorgeschmack davon bekommen, was im Herbst auf uns zukommen wird.“
Die glorreiche US-Armee hat fertig
Der Mann hatte Recht. Nicht nur das, in einem neue Interview mit der ungarischen Zeitung „Magyar nemzet“ nannte er Ross und Reiter, wobei das Ross erheblich lahmt und der Reiter erschöpft im Sattel hängt. Er twitterte auch auf „X“ entsprechend:
Übersetzung:
Die Streitkräfte der USA, wie sie 1991 existierten, gibt es nicht mehr.
Wir haben eine schwache Bank.
(Das ist ein Begriff aus dem Mannschaftssport und meint, dass sowohl die Spieler auf dem Feld, als auch die am Feldrand auf der Bank sitzenden Spieler zu schwach und unfähig sind, das Spiel zu gewinnen)
Die Armee kann nicht rekrutieren.
Amerika ist auf den einen, großen Krieg hin strukturiert und auf den einen möglichen Verteidigungsfall.
Die Wahrheit zeigt sich jetzt, wir sind noch nicht einmal für den einen großen Krieg strukturiert.
Wir haben unsere Fähigkeit, sinnlose Besatzungskriege durchzufechten, selbst zerlegt.
Wir wollen keinen Krieg!
Die ukrainische Armee ist nur noch ein erschöpfter Restbestand
Colonel MacGregors Urteil zum Status der ukrainischen Armee ist bitter:
„Die ukrainische Armee ist völlig erschöpft. Die Ukrainer können eigentlich nur noch kleinere, begrenzte Angriffe, zur Illusion von Gewalt aufrechterhalten. In der Zwischenzeit hat aber Moskau mit dem Bau Hunderter Kilometer neuer Eisenbahnlinien in der Ostukraine begonnen – wie aus verfügbaren Quellen und Informationen hervorgeht. Ein Abschnitt erstreckt sich von Burne, Donezk, bis Marovodne. Damit verkürzt sich die Distanz zwischen Rostow am Don und Mariupol im Westen Russlands und die Gefahr ukrainischer Artillerie- und Raketenangriffe ist abgewendet.
Danach geht es weiter entlang der Küste nach Berdjansk, von wo aus es nach Melitopol geht. Dank dieser infrastrukturellen Entwicklungen sind die russischen Logistikrouten außerhalb der Reichweite amerikanischer „HIMARS“-Raketensysteme. Allerdings können sie von Ukrainern immer noch mit britischen „Storm Shadow“-Marschflugkörpern oder amerikanischen ‚ATACMS‘-Raketen erreicht werden. Darüber hinaus werden die neuen Nachschublinien es den Russen aber ermöglichen, in Zukunft eine Großoffensive zu starten.“
Und er zieht das Resümee, dass die Erwartungshaltung der USA an die militärischen Fähigkeiten „nie realistisch“ waren und auch mit moderner Bewaffnung nicht funktionieren würden:
„Man kann nicht einfach Armeen im Krieg aufbauen. Dies ist ein Prozess, der im Lauf von vielen Jahren geschieht, auch in Bezug auf die Humanressourcen, die militärische Ausrüstung, die Modernisierung und die Ausbildung.
Die Erwartungen an einen Erfolg auf dem Schlachtfeld in der Ukraine waren nie realistisch. Zudem passen die NATO-Ausbildung nicht zur Kriegsführung in der Ostukraine. Die russische Militärmacht stützt sich auf die systematische Integration von Angriffsmitteln – Raketen, Artillerie, Drohnen und Kampfjets – in Verbindung mit Weltraum- und Bodenüberwachung.
Während russische Einheiten in der Ostukraine eine Tiefenverteidigung errichteten, hatten die ukrainischen Boden- und Luftstreitkräfte fast keine Chance gegen präzise und verheerende Artillerie- und Raketenangriffe.“
Die Analysen des Oberst sind zwar unbeliebt bei der USA-Regierung, Armeeführung und der NATO, aber sind und waren von Anfang an zutreffend. Am 15. September 2023 führte er ein 42 Minuten langes Gespräch mit dem norwegischen Politikwissenschaftler Glenn Diesen.
Auf der Seite „Seniora.org“ ist dieses Interview auf Deutsch übersetzt zu lesen. Das sollte man wirklich unbedingt anschauen.
Hier kommen die noch viel erschreckendere Zahlen und Einschätzungen:
„Nun, ich denke, man kann mit Fug und Recht behaupten, dass die Bodenoperationen für das ukrainische Militär weitgehend beendet sind. Ihre Verluste waren entsetzlich. Ich habe Schätzungen gesehen, die von über 430.000 toten ukrainischen Soldaten ausgehen. Einige Leute gehen von höheren Zahlen aus. Im Westen hört man das nicht, weil die Medien solche Informationen natürlich zensieren. (…) Ich denke also, dass der ukrainische Bodenkrieg im Grunde genommen entweder zum Stillstand gekommen oder vielleicht sogar vorbei ist. Sie suchen verzweifelt nach Leuten und versuchen, Menschen im Land in die Uniform zu zwingen, die nicht wirklich in der Lage sind, zu kämpfen. Und wie Sie wissen, versuchen sie, Ukrainer im wehrfähigen Alter aus dem Ausland zu repatriieren. Aber ich glaube nicht, dass das passieren wird. Ich glaube nicht, dass die meisten Regierungen in Europa bereit sind, Personal einzusetzen, um junge ukrainische Männer gewaltsam zu verhaften und dann abzuschieben.“
Der Ausblick verdüstert sich ständig weiter in Richtung Dritter Weltkrieg
Wie wird es weitergehen? — ist nun die drängendste Frage. Sehr interessant die Antwort von Douglas MacGregor:
„… es besteht kein Zweifel daran, dass es in Moskau hochrangige Generalstabsoffiziere und Mitglieder des Beraterstabs von Präsident Putin sowie Mitglieder der Regierung gibt, die alle auf offensive Maßnahmen drängen. Daran gibt es keinen Zweifel. Nochmals: Dieser Mann, Putin, hat, glaube ich, immer eine direkte Konfrontation mit der NATO und den Vereinigten Staaten vermeiden wollen. Er denkt wahrscheinlich, dass, wenn er noch etwas länger wartet, die wirtschaftliche Situation in Europa und die finanzielle und wirtschaftliche Situation in den Vereinigten Staaten einen Teil der Arbeit für ihn erledigen könnte. Aber ich glaube, dass der Druck, zu handeln und eine Großoffensive zu starten, um diese Angriffe zu beenden und – offen gesagt – dem Zelenski-Regime ein Ende zu setzen, zunehmend den Siedepunkt erreicht. Ich weiß nur nicht, wann es überkochen wird. (…) Denken Sie daran: Es gibt 300.000 Soldaten in Reserve, die von den Russen jederzeit gegen das, was von der Ukraine übrig geblieben ist, eingesetzt werden können, wenn sie es wollen. Was wir nicht wissen, ist, wie die logistische Situation aussieht.“
Was das heißt? Werden wir in Europa von einem Dritten Weltkrieg und dem russischen Heer überrollt? Die deutsche Bundeswehr kann mit ihrer Mannstärke und Ausrüstung nur freundlich winkend am Wegesrand stehen, und die schwangeren Panzerfahrer_*Innen auf ihren Spezialsitzen werden das Land auch nicht retten. Die gute Seite: Wir stellen keine Bedrohung für die russischen Streitkräfte dar, wenn wir Glück haben, nehmen sie uns gar nicht ernst. Aber was dann? Könnte es einen Atomkrieg geben?
„Der Krieg ist vor Ort verloren. Ich denke, dass die Menschen im Westen diese Realität langsam begreifen. Also wenden sie sich dem Angriff mit Langstreckenraketen zu. Der Ball liegt sprichwörtlich in Russlands Spielfeld. Wenn die Russen weiterhin in der Defensive bleiben, werden sie angegriffen werden. Sie könnten also zu dem Schluss kommen, dass die einzige Möglichkeit, die Situation zu beenden, darin besteht, umzudrehen und sowohl am Boden als auch in der Luft mit erheblicher offensiver Kampfkraft anzugreifen. (…)
Sie erwähnen immer wieder Atomwaffen, und ich denke, es ist wichtig, dass die Menschen verstehen, dass Russland kein Interesse daran hat und ich offen gesagt auch kein Interesse daran sehe, dass Washington zu Atomwaffen greift. Nun könnte man argumentieren, dass Washington bereits eine Reihe von roten Linien überschritten hat, warum also nicht auch diese Linie in Zukunft überschreiten? Ich denke, es besteht Einigkeit darüber, dass diese rote Linie Armageddon bedeutet. Und deshalb sehe ich keine Anzeichen dafür, dass die Menschen in Washington D.C. so geistesgestört sind, dass sie das Überleben unseres Landes sowie des Westens und der Zivilisation im Allgemeinen durch den Einsatz von Atomwaffen riskieren würden. Ich glaube also nicht, dass es dazu kommen wird, und ich weiß, dass die Russen nicht die Absicht haben, sie einzusetzen, es sei denn, sie werden mit Atomwaffen angegriffen.“
Dieses Interview ist einen Monat alt. In der Zwischenzeit eskalierte die Lage in Israel. Das könnte dazu führen, dass die USA wegen Israel die Kriegsplanungen in der Ukraine erst einmal auf Eis legt. Denn die Lage in Israel scheint sich keineswegs zu beruhigen. Im Gegenteil: Die Konfrontation zwischen muslimischen Palästinensern und Jüdischen Israelis spitzt sich sowohl vor Ort, als auch überall in den westlichen Ländern zu. Und es lenkt die Aufmerksamkeit von dem Kriegsgeschehen in Osteuropa weg. Dieser Krieg ist bereits in unseren Städten. Seltsam, dass dieser alte Sprengsatz gerade jetzt hochgeht. Wer hat das größte Interesse daran? Die USA, weil sie vielleicht die ganze Sache mit der Ukraine dabei unauffällig auf Eis legen können? Russland, weil dadurch die USA noch einmal geschwächt wird – und man in Moskau genau diese Reaktion eingerechnet hat? Immerhin: Bei einem Weltkrieg würde keine Seite gewinnen.
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