In einem interessanten Video-Gespräch [siehe auch Version auf YouTube HIER] diskutieren Prof. Jeffrey Sachs, Alexander Mercouris und Glenn Diesen über die Deindustrialisierung und den politisch-diplomatischen Bedeutungsverfall Europas und insbesondere Deutschlands. Europa verliere in der globalisierten Welt zunehmend an Relevanz.
Prof. Sachs konstatiert, dass das Konstrukt der Europäischen Union ein Experiment ist, die Nationalstaaten zu überwinden. Bislang habe EU-Europa hinsichtlich der Lebenserwartung, Gesundheit und sozialer Rahmenbedingungen die höchste Lebensqualität in der Welt. Doch dieser Zustand werde nicht von Dauer sein. Europa habe, so Sachs, fundamentale Fehler begangen.
Ein fundamentaler Fehler war es zum Beispiel, die Hauptstadt der EU und den Sitz der NATO in dieselbe Stadt zu legen, nämlich nach Brüssel.
Durch die direkte Verknüpfung von EU und NATO wurde Europa verstärkt in den Vasallen-Status der USA gedrängt. Die USA agieren in ihren eigenen Interessen, nicht im Sinne der europäischen Interessen. Durch die Verknüpfung von EU-Interessen und NATO-Interessen vertritt die EU zunehmend amerikanische Interessen und vernachlässigt die eigenen.
Wie sehr die EU-Interessen und NATO-Interessen verknüpft sind, zeige sich daran, so Sachs, dass Ursula von der Leyen versucht habe, vom Amt des EU-Kommissionspräsidenten zum Amt des NATO-Generalsekretärs zu wechseln. Die Tatsache, dass die Stelle des NATO-Generalsekretärs höher bewertet wird als die des EU-Kommissionspräsidenten sage viel aus über die Hierarchie.
Europa verfüge über keine strategische Autonomie, sondern sei diesbezüglich vollkommen von den Amerikanern abhängig. Die USA haben Europa missbraucht, so Prof. Sachs, um ihre eigenen geo-strategischen Interessen durchzusetzen. Doch die US-Strategie in Bezug auf die Ukraine und Russland sei gescheitert, weil der Vordenker dieser US-Politik, Zbigniew Brzeziński, von falschen Parametern ausgegangen sei und die Zusammenarbeit von Russland und China unterschätzt hatte.
Nach der Auffassung von Sachs sei die US-Politik in Bezug auf Osteuropa auf dem falschen Pfad gewesen. Man sei nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion überheblich gewesen und habe darauf bestanden, die globale US-Hegemonie anzustreben, anstatt eine Partnerschaft mit Russland anzuvisieren. Und viele europäische Regierungen haben sich in den letzten zwanzig Jahren mit auf diesen Irrweg führen lassen.
Zu den wenigen Spitzenpolitikern in Europa, die diese Fehlentwicklung durchschauen, gehört nach Ansicht von Jeffrey Sachs der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán. Dies sei der Grund, weshalb er sowohl von Brüssel als auch von Washington aus bekämpft werde.
Europa solle sich, so Sachs, auf eigene Interessen besinnen und nicht nur die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den USA in den Fokus rücken, sondern auch die Kooperation mit Russland und China. Stattdessen lässt man sich auf die Interessen der USA ein, die Deutschland und Russland voneinander fernhalten wollen.
Die USA versuchen, einen Keil zwischen Europa und China zu werfen. Damit wird das Voranschreiten der inner-eurasischen Infrastruktur-Bildung behindert. Das alles ist im US-Interesse und gegen das Interesse Europas. Trotzdem macht die EU bei diesem Spiel mit.
Ein Beispiel sei, wie die US-Biden-Administration die italienische Premierministerin Giorgia Meloni dazu gedrängt habe, dass Italien die chinesische Seidenstraßen-Initiative verlässt, obwohl die Initiative im italienischen Interesse liegt. Aber im Zweifelsfall entscheiden die US-Interessen.
Aber es scheint, dass die Bürger Europas das Spiel durchschauen. Denn viele der Politiker, die sich zu sehr den US-Interessen beugen, gehören in ihren eigenen Ländern zu den unbeliebtesten Politikern und drohen abgewählt zu werden. Ein Beispiel sei Emmanuel Macron, dessen Stern sinkt, während sich Viktor Orbán weiterhin großer Beliebtheit im eigenen Land erfreut.
Zuerst erschienen bei freiewelt.net.
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