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Rezension: Das Ende der Uni­ver­sität — Von der Alma Mater zur Ideologie-Fabrik

Blurb: Der Sam­melband Das Ende der Uni­ver­sität ist eine intel­lek­tuelle Streit­schrift gegen den Nie­dergang der euro­päi­schen Uni­ver­sität. Mit scharfer Analyse und his­to­ri­schem Weit­blick zeigen die Autoren, wie eine ehemals freie Bil­dungs­in­sti­tution in Ideo­logie, Mas­sen­ab­fer­tigung und Ver­wal­tungswahn ver­sinkt – und welche Wege es noch zur Rettung gäbe.

Der Titel Das Ende der Uni­ver­sität wirkt zunächst wie ein kul­tur­pes­si­mis­ti­sches Lamento, doch der von Harald Schulze-Eisen­traut und Alex­ander Ulfig her­aus­ge­gebene Sam­melband erweist sich als tief­gründige und dif­fe­ren­zierte Analyse des Zustands der euro­päi­schen Uni­ver­sität im 21. Jahr­hundert. In einer Vielzahl hoch­ka­rä­tiger Bei­träge aus Phi­lo­sophie, Poli­tik­wis­sen­schaft, Sozio­logie, Päd­agogik und Wis­sen­schafts­ge­schichte wird ein düs­teres, aber not­wen­diges Bild vom Nie­dergang einer Insti­tution gezeichnet, die über Jahr­hun­derte hinweg Trä­gerin von Wahr­heits­suche, Bil­dungs­ideal und wis­sen­schaft­licher Freiheit war.

Bereits das pro­gram­ma­tische Vorwort (S. 1–7) skiz­ziert mit klarer Feder, wie sich eine jahr­tau­sen­dealte Insti­tution – von den Scho­la­ren­uni­ver­si­täten des Mit­tel­alters über die Humboldt’sche Bil­dungs­reform bis hin zur heu­tigen »unter­neh­me­ri­schen Hoch­schule« – schlei­chend in ihr Gegenteil ver­kehrt hat. Die Ursachen sind viel­fältig: Poli­ti­sierung, Büro­kra­ti­sierung, Digi­ta­li­sierung, Bologna-Prozess, Gleich­stel­lungs­po­litik, Cancel Culture – die Autoren lassen kein Tabu unangetastet.

Besonders her­vor­zu­heben ist der Beitrag von Peter J. Brenner (Idee und Wirk­lichkeit der deut­schen Uni­ver­sität, S. 8–27), der in klas­si­scher Bil­dungs­sprache eine his­to­rische Genea­logie der Uni­ver­sität liefert und zeigt, wie das hum­boldtsche Ideal der »Einheit von For­schung und Lehre« in eine büro­kra­ti­sierte Illusion per­ver­tiert wurde. Mit einer Fülle von his­to­ri­schen Belegen und einem scharfen Gespür für insti­tu­tio­nelle Mecha­nismen schildert Brenner, wie aus der »Uni­ver­sitas magis­trorum et scho­larium« ein Mar­ke­ting­be­trieb mit Diversity-Abteilung wurde – ent­kernt und fremdbestimmt.

Noch radi­kaler dia­gnos­ti­ziert Egon Flaig in seinem Essay Die Intel­lek­tu­ellen ohne Uni­ver­sität (S. 28–40) den Bruch zwi­schen aka­de­mi­scher und geis­tiger Kultur. Für ihn hat sich der Typus des freien Intel­lek­tu­ellen längst aus der Uni­ver­sität zurück­ge­zogen – nicht aus Mangel an Interesse, sondern aus Notwehr gegen eine Atmo­sphäre der Ein­schüch­terung, Ideo­lo­gi­sierung und Selbst­zensur. Die Uni­ver­sität, so Flaigs These, ist nicht mehr Ort des Denkens, sondern der Konformität.

Die wei­teren Bei­träge ver­tiefen dieses Bild. Josef Kraus schildert, wie das Ansehen der Wis­sen­schaften durch mediale und poli­tische Ver­ein­nahmung ver­spielt wurde (S. 51–60); Kovács deckt die Mecha­nismen hinter der »Inzucht« bei Beru­fungs­ver­fahren auf (S. 78–105); Patzelt berichtet aus der Praxis poli­tik­wis­sen­schaft­licher For­schung und wie bestimmte Themen de facto nicht mehr beforscht werden können (S. 106–145). Uwe Jochum lässt mit seinem Aufsatz Die Rückkehr des Gift­schranks (S. 146–157) die dunklen Schatten biblio­the­ka­ri­scher Zensur wieder auferstehen.

David Engels schließlich wagt in Ausweg aus der Bil­dungs­misere: ein neues Cluny? (S. 168–179) einen fas­zi­nie­renden Vor­schlag: Die Neu­gründung klos­ter­ähn­licher Bil­dungs­stätten, in denen die Tugenden von Dis­ziplin, Geis­tigkeit und Tra­di­ti­ons­bindung in einer kleinen, aber intel­lek­tuell dichten Umgebung gepflegt werden – als letzte Bastion gegen das Aus­ein­an­der­fallen des aka­de­mi­schen Ethos.

Trotz der Vielzahl an Stimmen ist der Band sti­lis­tisch kohärent, intel­lek­tuell anspruchsvoll und the­ma­tisch fokus­siert. Der Reiz liegt gerade in der poly­phonen Anklage: Es sind keine kul­tur­pes­si­mis­ti­schen Ein­zel­mei­nungen, sondern sich gegen­seitig ver­stär­kende Beob­ach­tungen, die aus unter­schied­lichen Fach­be­reichen das gleiche Bild zeichnen – das der Uni­ver­si­täts­land­schaft als Geis­ter­stadt des Denkens.

So brillant die Analyse in Breite und Tiefe ist, so sehr fehlt dem Band ein sys­te­ma­ti­scher Blick auf inter­na­tionale Reform­an­sätze, die als positive Kon­trast­folie dienen könnten. Die Autoren kon­zen­trieren sich fast aus­schließlich auf Deutschland und Mit­tel­europa. Gerade ange­sichts der glo­balen Dimension der Bologna-Reform und der Digi­ta­li­sierung wäre ein kom­pa­ra­tiver Blick in Richtung angel­säch­si­scher Modelle (z. B. Great Books Col­leges in den USA oder kleine klas­sische Hoch­schulen wie Campion College in Aus­tralien) hilf­reich gewesen. Hier hätte man zeigen können, dass Erneuerung nicht nur als kon­ser­va­to­ri­scher Reflex zu denken ist, sondern als bewusst gestal­teter Neu­anfang aus der Krise heraus.

Das Ende der Uni­ver­sität ist ein Mei­len­stein des kon­ser­va­tiven Bil­dungs­denkens im besten Sinne: Kein lar­moy­anter Abgesang, sondern ein lei­den­schaft­licher Appell zur Wie­der­ge­winnung von Wis­sen­schaft­lichkeit, Urteils­kraft und Freiheit. Der Band liest sich wie ein Weckruf – an Leh­rende, Stu­die­rende, Poli­tiker und Bürger. Wer wissen will, warum die Uni­ver­sität ihre Seele ver­loren hat und was noch zu retten wäre, kommt an diesem Buch nicht vorbei.

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ISBN: 978–3‑86888–211‑7

Der Artikel erschien zuerst bei freiewelt.net.