von Roger Letsch
Überrascht vom Wahlausgang? Ich nicht. Kein bisschen! Und die Reaktionen der Wunden leckenden Parteigranden aus SPD und CDU am Tag danach belegt, dass man dort immer noch nicht begriffen hat, warum ihnen das Wasser bis zum Hals steht. Für die SPD ist es vermutlich bereits zu spät, sich mit der Realität auseinanderzusetzen. Aber selbst die Union geht offenbar weiter den Weg ihrer Selbstabschaffung, indem sie versucht, sich immer noch stärker an die Grünen anzuwanzen. Die initialen Fehler wurden jedoch nicht erst im Wahlkampf gemacht, sondern reichen mindestens fünf, wenn nicht gar zehn Jahre zurück.
Um das sehen zu können, muss man sich aber über die unterschiedlichen Rollen im Klaren sein, die konservative und linke oder grüne Kräfte in der Gesellschaft spielen. Aufgabe des Konservativismus ist es, belastbare Strukturen zu schaffen und zu schützen, Aufgabe der Linken hingegen ist es, diese Strukturen vor der Versteinerung zu bewahren und Unnötiges zu zerschlagen. Sehr vereinfacht ausgedrückt: Der Konservativismus allein neigt zu Filz, linke Weltverbesserungsideen ohne Gegengewicht neigen der Anarchie zu. Soweit, so normal. Problematisch wird es, wenn sich Konservative als linke Hammerschwinger betätigen, statt tragende Strukturen zu bauen und zu erhalten.
Dabei schwang man den Hammer anfangs noch lustlos, wie die einschlägigen Videomitschnitte der Kanzlerin aus den frühen 2010-er-Jahren zeigten. Und selbst danach schlug man gerade in Sachen Klima in der Union nie mit der Gewalt zu, wie es die Grünen verlangten, ganz gleich, wie radikal die Reden der späteren „Klimakanzlerin“ wurden. Der konservative Kern bremste erkennbar den Hammerschwung, schwächte ab, verzögerte, beschwichtigte, vertröstete. Doch der Widerstand wurde immer schwächer, mehr und mehr Konservative verließen enttäuscht ihre vermerkelte und entkernte Partei und kritisierten von der vermeintlich falschen Seite des Flusses weiter. Mit denen war man natürlich fertig! Gegen die brachte man alle erdenklichen Abwehrgeschütze in Stellung, gegen diese vermeintlich Abtrünnigen baute man auch den gesamten Europawahlkampf auf. Die verbliebenen Konservativen versammelten sich in der „Werte-Union“ und werden dort oft als lästige innerparteiliche Opposition wahrgenommen.
Macht kaputt, was nicht kaputt ist
Unterdessen läuft die CDU jeder noch so abwegigen Idee hinterher, wenn darin nur möglichst plakativ das Wort „Klimarettung“ vorkommt. Das atmet Zeitgeist und die Medien fragen ja auch immer nach, was man da zu tun gedenke. Also adaptiert man das Thema. Krisenzeiten sind Politikerzeiten, das wissen wir spätestens seit Churchill, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder, dem einst ein Hochwasser die Kanzlerschaft rettete. Nur waren dies alles echte Krisen, keine simulierten und absichtsvoll herbeiphantasierten! So wie Theresa May nicht glaubhaft von „Blood, toil, tears and sweat“ sprechen könnte, ist eine Megafon-Warnung bezüglich des Meeresspiegelanstiegs am Strand vor Sankt Peter Ording unglaubwürdig.
Der Spagat aus Noch-Konservatismus und Schon-Klimaalarm zerstört Glaubwürdigkeit statt sie zu verbessern. Eine Katastrophe, die nur in der Einbildung existiert, kann in einer Demokratie keinen Machtzuwachs bringen. Man kann auch nicht schadlos schützend vor einer Wand stehen und gleichzeitig den Abrisshammer willkommen heißen. Letzterer steht den Grünen deutlich besser, versprechen diese doch, um einiges kräftiger und mitleidloser zuzuschlagen, als es die Union in der Realität zu tun bereit ist.
Die Union zögert und taktiert, wenn grüne Pläne für Verbote, Steuern, beschleunigte Abschaltungen und andere Zwangsmaßnahmen anstehen. Aber man exekutiert diese Pläne letztlich doch und steht so als Kellner der Köche Baerbock und Habeck da. Die Eigengewächse der Ideengeber aus „Junger Union“ und „Werteunion“, denen man kaum Gehör schenkt, macht man stattdessen verantwortlich für das schlechte Abschneiden der Union. Nachdem Merkel ihre Partei lange Zeit gar nicht sozialdemokratisch genug zurechtschleifen konnte, soll Kramp-Karrenbauers Truppe heute einfach mehr wie Greta werden. Doch was bei der SPD noch funktionierte (Mindestlohn), will mit dem unrettbaren Klima so gar nicht gelingen. Die Wähler goutieren solche inhaltliche Camouflage jedoch nicht, die entscheiden sich lieber gleich für das Original – und wählen eben grün.
Es grünt so grün – Schule in Deutschland
Und war das nicht genau so zu erwarten? Wer heute 18 bis 25 ist, hat bereits ein vollständig ideologisch überformtes Schulsystem hinter sich gebracht, hat um Eisbären geweint, kann einen perfekten Wochenplan zur klimaneutralen Lüftung eines Klassenzimmers aufstellen und wohnt heute überwiegend in den großen Städten mit guter ÖPNV-Anbindung, ohne Auto und Führerschein, aber gut vernetzt. Jahrelang schossen die pädagogischen NGOs mit dunkelgrüner Agenda gerade in den Großstädten wie Pilze aus dem Boden, finanziert und unterstützt von Parteien, Stiftungen, Ministerien oder Hashtag-Initiativen. Zwischen deren Agenda und das Wahlprogramm der Grünen passt kein Blatt Recyclingpapier.
Dazu kommt, dass seit mehr als zehn Jahren und in schriller Steigerung die Medien vor der drohenden Klimakatastrophe warnen. Selbst die Zeugen Jehovas treffen heute vorsichtigere Aussagen bezüglich des Weltuntergangs als ZEIT, SZ oder Spiegel. Die Steigerungsvokabeln gehen ihnen bald aus, denn aus Fragenden und Skeptikern wurden Leugner gemacht, die immer weiter kriminalisiert werden, bis als verbales Endergebnis nur der „Klimaverbrecher“ oder „Klimamörder“ übrigbleibt. Kanzlerin und CDU-Parteipersonal können gar nicht schnell genug applaudieren und versprechen das Blaue vom Klimahimmel, wenn sie den Triple-F-Schulschwänzern artig die Hände küssen und ihnen für ihr politisches Engagement danken. Hatte man ernsthaft im Sinn, dass die Klimajugend dies in klingender Wählermünze vergilt? Luisa Neubauer, die deutsche Ausgabe von Greta Thunberg, kann sich über ein Stipendium der grünen Böll-Stiftung freuen. Wo Luisa wohl am Sonntag ihr Kreuz gemacht hat?
Hat im Konrad-Adenauer-Haus ernsthaft jemand geglaubt, eine Jugend, die Gentechnik verteufelt, CO2 für ein Gift hält, die Größe des deutschen ökologischen Fußabdrucks genauer kennt als die Herkunft ihres eigenen Smartphones und freitags das Klima rettet, gehöre zu ihrer Kernzielgruppe? Doch, genau das glaubte man! Deshalb war man auch so überrascht von jenem Rezo-Video, denn aus dieser Richtung hatte man keinen Schuss, sondern stilles Einvernehmen erwartet. Und das glaubt man übrigens immer noch, weshalb es nach der Wahl kein Halten mehr gibt: man habe den Klimaschutz vernachlässigt bei der CDU und würde nun hoch und heilig versprechen, das Thema noch viel viel ernster zu nehmen. Nicht die unreflektierte Übernahme grüner Utopien sei das Problem gewesen, sondern der eigene Konservatismus! Darauf muss man als dediziert konservative Partei erst mal kommen!
CDU zermürbt von grüner Utopie
Denkt man wie ein Klimahysteriker, genügt es nämlich nicht, Greta zu loben, ihre Hand zu schütteln und hinterher zu versuchen, sich mit Sachzwängen, Pragmatismus und „erwachsenen Argumenten” Zeit zu kaufen. Es gilt, durch und durch wie Greta zu werden und sofort zu handeln, wie Greta befiehlt. Das zu vermitteln, gelingt den Grünen deutlich glaubwürdiger. Schon deshalb, weil sie momentan noch nicht liefern müssen. Doch immer noch steckt die Union in dem Wahnsinn fest, noch schneller noch grüner werden zu wollen.
In von Panik durchdrungenen Statements und Analysen gibt man die Schuld an der Wahlschlappe ausgerechnet den paar restlichen Konservativen in der CDU und der „Jungen Union“, die man wohl am liebsten schließen und durch die „Grüne Jugend“ ersetzen würde. Konservative Standpunkte werden weiterhin diffamiert, „outgesourced“ und für ewiggestrig erklärt, weil sie samt den sie vertretenden Köpfen zwangsläufig bei der AfD oder den Freien Wählern landen. Doch die CDU kann machen was sie will, so grün wie die Grünen kann sie niemals werden.
Wenn wie postuliert derzeit tatsächlich der Klimawandel das Hauptproblem der Menschheit wäre (was ich ausdrücklich bestreite), wären die Grünen und nicht die CDU die beste Partei, mit dem Problem umzugehen. Pech für die CDU, dass sie dieses hirnrissige Postulat selbst vertritt. Den Prozess ihrer Selbstzerfleischung zu beobachten, dürfte momentan das größte Pläsir von Robert Habeck sein, weshalb er wohl gerade so gern und ohne zu grinsen von „Demut“ spricht, denn soviel unverlangte Schützenhilfe vom politischen Gegner ist schon eine feine Sache, da kann man ruhig mal demütig applaudieren.
Von fast überall her wird nach der EU-Wahl gemeldet, dass die CDU kapituliert hat, nicht zuletzt aus AKK’s Heimat Saarland, wo auch Ministerpräsident Hans ein „Umdenken beim Klimaschutz“ fordert. Die Kanzlerin auf Tauchfahrt ins Nichts, ihre designierte Nachfolgerin, schlotternd vor Angst vor ein paar YouTubern, bringt schon mal medial eingehegte Wahlkämpfe ins Gespräch, verkennend, dass wir die – auch auf Betreiben ihrer Partei – längst haben: jede Partei, von der Union bis zur Sonneborn-Komikertruppe erklärte sich zum Retter Europas vor den „Populisten“ – und dabei war ihnen jedes, wirklich jedes populistische Mittel recht! Diese Populisten seien durchweg Zerstörer, Leugner, Vernichter! Heute Europa, morgen das Klima und übermorgen die ganze Welt. Resos viraler Rundumschlag klang für mich auch nicht anders als das Kampagnenmaterial, das seit Jahren gegen die AfD in Stellung gebracht wird. Wie der Eskapismus von Seehofer, Karliczek, Stegner oder Maas ist auch der des YouTubers Rezo auf der eigenen Farbe des politischen Spektrums merkwürdig blind. Zu dumm nur, wenn’s auch mal die selbsternannten „Guten” trifft.
Die Feigheit der Union
Zu feige, auf konservative Werte zu bestehen, zu traditionell, sie ganz aufzugeben, zu phantasielos, die Klimahysterie abzumildern und in erträgliche Bahnen zu lenken – wenn nicht gar in sinnvolle. Stattdessen lässt die Union es zu, dass nach und nach ein ganzes Land in den Überlebensmodus schaltet und jeder Sekundarschüler bei Nieselregen in der Eifel am liebsten in eine Arche springen möchte, weil er glaubt, die Welt gehe bald unter. Es sieht derzeit nicht so aus, als könne dieses Land noch ohne Blessuren zur Rationalität zurückfinden. Man könnte fast den Eindruck haben, dass ein ausgeklügelter Plan dahinter steckt und die CDU sich vom Acker und aus der Verantwortung begeben möchte, bevor sie selbige freiwillig an die Grünen übergibt, die es dann zu Ende bringen können, das Projekt „Zurück ins vor-industrielle Paradies“.
So gesehen wäre es nur folgerichtig, dass es der grüne Kanzler Habeck sein wird, der, nachdem er in merkelscher Manier 2021 ein Moratorium über die verbliebenen Atom- und Kohlekraftwerke verhängt hat und dafür von der begeisterten Greta-Jugend auf Händen durch den Hambacher Forst getragen wurde, den Deutschen den sich anschließenden zweiwöchigen Blackout erklären muss.
Bis dahin, liebe CDU, hätte ich einen Plakat-Slogan für euch, der sehr viel konkreter ist als euer „Für Deutschlands Zukunft“. Denn damit Deutschland überhaupt noch eine Zukunft hat, steht Folgendes bombenfest, auch wenn ihr das übersehen habt: „Das Netz ist nicht der Speicher!“
Quelle: unbesorgt.de