Rück­sichts­loses Gut­men­schentum? Wie eine Gut­mensch-Leh­rerin einem Flüchtling wahr­scheinlich alles ver­masselt hat

Ein halbes Jahr ist es her, dass in Schiffdorf, im Land­kreis Cux­haven, helle Auf­regung herrschte. Mit rund 3.510 Seelen ist das kleine Städtchen – oder grö­ßeres Dorf —  wahr­scheinlich auch eher beschaulich. Mitsamt seinen ein­ge­mein­deten Ort­schaften kommt Schiffdorf gerade auf 14.000 Ein­wohner. Das Stan­desamt ist ein riet­ge­decktes altes Fach­werkhaus mit Zie­gel­ge­fache, der ört­liche Angel­sport­verein Wehden lud am 29. Sep­tember zum „Hege­fi­schen“ ein, und eine „End of Summer“ Quilt­aus­stellung sowie das Herbst­schüt­zenfest am selben Datum gehören zu den High­lights des kul­tu­rellen Lebens. Wun­derbare, heile Welt.
Nicht ganz. Am 7. März dieses Jahres spielte sich ein Drama an der Max-Eyth-Schule in Schiffdorf ab. Bewaffnete Zivil­fahnder wollten einen „jungen Mann aus dem Sudan“ abholen, schreibt die Seite „Nord24“. Eine Leh­rerin hat sich jedoch schützend vor den Gesuchten gestellt, wobei sie angeblich ver­letzt wurde.
Poli­zei­einsatz an einer berufs­bil­denden Schule wegen eines Flüchtlings

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Dass die Nord­deut­schen in der Regel nicht besonders gesprächig sind, ist bekannt. Doch trotz der ganzen Auf­regung wollte die betref­fende Schule über­haupt keinen Kom­mentar geben und verwies die Anfragen der Presse an die Lan­des­schul­be­hörde in Lüneburg. Aber auch da stießen die Jour­na­listen auf Schweigen. Ebenso ver­hielt sich der Leiter der Berufs­bil­denden Schulen in Schiffdorf, Meinhard Buchwitz: „Kein Kom­mentar“ und der Verweis auf die Lan­des­schul­be­hörde. Andreas Herbig, Sprecher dieser Behörde wollte die Vor­fälle eben­falls „nicht weiter kom­men­tieren“. Doch er machte eine kryp­tische Andeutung: Eine Beschulung könne „nur in einem angst­freien Raum statt­finden“. In welche Richtung der Vorwurf, Angst zu ver­breiten, ging, ist damit nicht ein­deutig gesagt, lässt aber die Ver­mutung zu, dass das gegen den Poli­zei­einsatz gerichtet war.
Auch weitere Aus­künfte aus der Lan­des­be­hörde bleiben mehr als vage, man könnte es auch als „mauern“ bezeichnen. Offen­sichtlich ist die Sache auch den Behörden zu heiß. Auch Bianca Schöneich von der Lan­des­schul­be­hörde möchte wenig zu mög­lichen, dienst­recht­lichen Kon­se­quenzen für die betref­fende Leh­rerin sagen, sondern ergeht sich in juris­tisch Unge­fährem. Man erhalte in der Behörde rou­ti­ne­mäßig Kenntnis von Straf­sachen gegen Beamte oder Tarif­be­schäf­tigte, die in Schulen tätig sind. Man prüfe grund­sätzlich nach dem Bekannt­werden ent­spre­chende dienst- oder arbeits­recht­liche Schritte. Und nein, aus per­sön­lich­keits­recht­lichen Gründen könne man den Namen der Leh­rerin natürlich nicht nennen.
Was war geschehen, dass ein solcher Eiertanz stattfindet?
Der 28jährige Flüchtling Mammoud F. aus dem Sudan war in Frank­reich zuerst regis­triert worden, wohin er nach den Richt­linien des Dublin-Ver­fahrens auch zurück­ge­führt werden sollte. Nach dieser Regelung muss ein Flüchtling oder Asyl­su­chender in dem Land, wo er zuerst regis­triert wird, auch die Ent­scheidung über seinen Asyl­antrag abwarten. Herr F. wäre zum 31. August aus­rei­se­pflichtig gewesen.
Es ging also kei­neswegs darum, ihn in den Sudan abzu­schieben oder gar darum, ihn dort irgend­einer dra­ko­ni­schen Strafe aus­zu­liefern, sondern einfach darum, ihn nach Frank­reich zurück­zu­bringen, was gemeinhin als zivi­li­siertes Land gilt und wo Herrn Mammoud F. sicherlich nichts Grau­en­haftes oder Men­schen­rechts­wid­riges drohte. Herr F. war schlicht und einfach illegal in Deutschland. Laut Nord24 ging es auch nur um eine vor­über­ge­hende Fest­nahme durch die Polizei zur Abwicklung des Vor­gangs und nicht um eine unge­rechte Einkerkerung.
Der junge Sudanese besuchte bekann­ter­maßen einen Sprach­för­derkurs an der Max-Eyth-Schule und wohnte in Schiffdorf. Auf dem Wege der Amts­hilfe kamen daher Poli­zei­beamte an die Schule und fragten eine Leh­rerin, in welchem Raum sich denn der suda­ne­sische Flüchtling Mammoud F. befinde. Dar­aufhin schickte die Leh­rerin die Beamten in einen fal­schen Raum, was diese sofort bemerkten und auch schnell den rich­tigen Raum fanden, in dem der Gesuchte sich auf­hielt. Die Leh­rerin stellte sich den Beamten in den Weg, um die Fest­nahme des Herrn Mammoud F. zu ver­hindern. Kor­rek­ter­weise erteilten ihr die Poli­zei­be­amten einen Platz­verweis. Die Leh­rerin, wahr­scheinlich bereits im Gut­men­schen-Helden-Ret­tungs­modus, „akzep­tierte den Platz­verweis nicht“, sie wollte also offen­sichtlich nicht weichen und die Zivil­fahnder setzten den Platz­verweis durch, indem sie die Frau zum Ausgang der Schule bringen wollten. Die riss sich aber los. Es muss ein ziem­liches Geschrei und Gezerre gegeben haben, wahr­scheinlich einen büh­nen­reifen Auf­tritt der Dame, denn zwei bewaffnete Fahnder lassen nicht so einfach los, wenn sie schon so weit gehen, jemanden mit Zwang aus einem Gebäude zu schleppen.
5000 Euro wegen Wider­standes gegen Vollstreckungsbeamte
Ober­staats­anwalt Kai Thomas Breas ist gleich­zeitig Pres­se­sprecher der Staats­an­walt­schaft in Stade. Er hat einen aus­ge­zeich­neten Ruf und sein aus­ge­prägter Gerech­tig­keitssinn wird immer wieder gerühmt. Er ermittelt gegen die Leh­rerin wegen „Wider­standes gegen Voll­stre­ckungs­beamte“. Seiner Meinung nach ist hier eine Strafe in Form von 50 Tages­sätzen á 100 Euro fällig. Die selbst­er­nannte Wider­stands­kämp­ferin hat dem­entspre­chend vom Amts­ge­richt Geestland — auf Antrag der Staats­an­walt­schaft – den Straf­befehl von 5000 Euro zuge­stellt bekommen, wie Amts­ge­richts­di­rektor Axel Döscher gegenüber der Presse erklärte. Ihr Ver­tei­diger habe dagegen frist­ge­recht Wider­spruch eingelegt.
Nun wird es also zu einer Haupt­ver­handlung am Amts­ge­richt Geestland kommen. Worauf sich die Argu­men­tation des Anwaltes wohl stützen wird? Wahr­scheinlich wird man nicht fehl gehen in der Annahme, dass es eine hyper­mo­ra­lische Cra­wamina sein wird, von der Mit­mensch­lichkeit und Hilfs­be­reit­schaft für Men­schen in Not und dass sich die Beschul­digte doch nur für das Wahre, Gute und Schöne ein­ge­setzt habe. Viel­leicht ein wenig zu nach­drücklich, ja, aber als „schuldig“ könne man die Guteste doch kei­neswegs einstufen.
Wider­spruch? Mit welcher Begründung bitte?
Nun, das Recht kennt viele Schuld­min­de­rungs- und aus­schluss­gründe. Aber über eine Neu­erfindung namens „Putativ-Not­hilfe-Exzess“ als Schuld­aus­schluss­grund könnte man auch in Fach­kreisen staunen. Ins­be­sondere, da eine der beiden Grund­vor­aus­set­zungen, nämlich die Rechts­wid­rigkeit des Angriffes fehlt, zumal der „Angriff“ schon nicht gegeben war. Außerdem ist eine Not­hil­felage auch dann nicht geltend zu machen, wenn der Ange­griffene sich nicht gegen den Angriff ver­tei­digen will. Die Dame meint also, eine nur ver­meint­liche Attacke auf einen gar nicht abwehr-wil­ligen Dritten abwehren gewollt zu haben, obwohl ihr voll­kommen klar sein musste, dass der nicht rechts­widrig sondern rechtlich geboten war. Damit war er schon nicht mehr ver­meintlich. Und diese Abwehr hat sie dann noch beachtlich über­zogen. Der Rechts­anwalt der Dame dürfte einige Schwie­rig­keiten haben, ihren Wider­stand gegen Voll­stre­ckungs­beamte in eine Art Not­hilfe umzuinterpretieren.
Das Leben von Mammoud F. ver­patzt? Egal, Haupt­sache Hypermoral!
Sie kann schon froh sein, wenn sie nicht noch wegen wei­terer Delikte belangt wird. Denn natürlich ist Herr Mammoud F. nicht mehr „an seiner Schiff­dorfer Wohn­adresse“ anzu­treffen und wurde daher zur Fahndung aus­ge­schrieben. Die Leh­rerin könnte dem jungen Mann durch ihren Auf­tritt durchaus auch einen immensen Bären­dienst getan haben, denn Herr F. befindet sich nach Ansicht der Behörden noch in Deutschland, wird aber jetzt keine Chance mehr haben, legal irgendwo Fuß zu fassen und eine unbe­lastete Existenz auf­zu­bauen. Er ist jetzt auf der Flucht in Deutschland oder Europa und wird sich in seiner Panik vor den Behörden ver­stecken statt Hilfe zu bekommen. Bisher scheint Herr F. ja nicht unan­genehm auf­ge­fallen zu sein, sondern im Gegenteil, einer der­je­nigen gewesen zu sein, die sich ein­gliedern, die Sprache lernen und gute Mit­bürger sein wollen.
Das hat ihm nun eine rück­sichtslose Gut­men­schen-Leh­rerin mög­li­cher­weise gründlich vermasselt.