Er war der moralische Leuchtturm der Nation. Er stand für Mitmenschlichkeit, Gleichberechtigung, Bürgerrechte. Er war ein warmherziger, freundlicher, großer Bär, stets zu Späßen aufgelegt. So schien es jedenfalls. Diese leuchtende Ikone der Moral hatte aber eine pechschwarze Seite. Mehr als 60 Frauen warfen ihm im Zuge der Me-too-Bewegung vor, sie betäubt und sexuell missbraucht zu haben. Und dennoch geht er jetzt als freier Mann aus dem Gefängnis.
Das Strafgesetz hat strenge Regeln. Überall auf der Welt, wo es zivilisierte Staaten gibt. Nur der Staat darf und muss seine Bürger vor Gewalt und Straftaten schützen und Recht und Ordnung aufrechterhalten. Denn nur dann hat der Staat die Befugnis, im Namen der Bürger, die ihm die „staatliche Gewalt“ übertragen haben, diese auszuüben. Das ist im Prinzip auch gut so, denn Selbstjustiz, insbesondere Lynchjustiz und Rachefeldzüge scheren sich selten um eine saubere Beweisführung und Augenmaß. Zu diesen Regeln gehören auch Verjährung, Begrenzung durch gesetzlich vorgegebene Strafrahmen (Höchststrafen), Schuldausschlussgründe usw.. Nimmt der Staat diese Aufgabe nicht wahr, nehmen die Bürger irgendwann aus blanker Not das Recht und ihren Schutz wieder in die eigenen Hände. Leider ist das oft mit schwerem Unrecht und Gräueltaten verbunden.
Andererseits kann es verständlicherweise als durchaus ungerecht empfunden werden, wenn ein Straftäter, insbesondere ein notorischer Straftäter, wie es Mr. Bill Cosby angeblich gewesen sein soll, einfach so davonkommt, nur weil — bis auf eine – alle seine abstoßenden Taten verjährt sind. Und bei der einen aus 2004, die noch strafrechtlich relevant war, scheitert es daran, dass Mr. Cosby einen „Deal“ mit der Staatsanwaltschaft abgeschlossen hatte, so dass die Wiederaufnahme des Verfahrens nach dem angelsächsischen Recht nicht statthaft war.
Diese „Deals“ mit den Staatsanwälten sind ganz normale Praxis in den USA. Anders als in Europa, wo die Staatsanwälte neutral sind und auf unschuldig plädieren müssen, wenn die Ermittlungslage das ergeben hat (ohne dass der Staatsanwalt davon irgendwelche Nachteile hat), hängt die Karriere eines US-Staatsanwaltes entscheidend davon ab, dass er seine Fälle „gewinnt“, Dort setzt der Staatsanwalt, der den Fall zugeteilt bekommen hat, in den Ermittlungen alles daran, den Beschuldigten zu überführen und einen Schuldspruch zu erwirken. Ist die Beweislage zu unsicher, neigt er eher dazu, mit dem Verdächtigen einen „Deal“ zu machen, als den Fall zu verlieren und seine Karriere zu gefährden. Ob derjenige eigentlich schuldig ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Dazu kann man stehen, wie man will, das ist in den USA so. Was sich dort an den Gerichten abspielt ist manchmal schwer nachvollziehbar.
Über 60 Frauen soll der beliebte und bewunderte Entertainer betäubt und missbraucht haben. Die Frauen, die die Anklage erhoben, rückten damit aber erst zu einem Zeitpunkt heraus, als die Tat schon verjährt war (bis auf die eine aus 2004). Man macht es sich zu einfach, wenn man den Frauen entgegenhält, dass sie damit früher hätten herausrücken müssen. Jemanden der, wie Mr Cosby, derartig präsent ist und fast schon das Image eines Heiligen hat, mit so etwas zu beschuldigen – das hätte keine der Frauen durchgestanden, und da sie alle so dachten und sich nicht untereinander kannten und nicht gemeinsam auftraten, schwiegen sie auch alle. Die Me-Too-Bewegung änderte das schlagartig. Möglicherweise gibt es unter den sechzig Anschuldigungen auch einige erfundene, wo allzu eifrige „Me-Too-Aktivist_*Innen“ meinten, es treffe eh den Richtigen und sie dienten damit nur „der Sache“.
Es war auch ein Kritikpunkt der Richter, dass in dem Prozess gegen Mr. Cosby im Jahr 2018 nicht nur die missbrauchte Andrea Constand als Zeugin aussagte, sondern dass fünf andere Frauen aus verjährten Taten vor Gericht gehört wurden. Das habe die Jury sehr beeinflusst, es sei keine unvoreingenommene Herangehensweise der Geschworenen an den Fall mehr gegeben gewesen. Dazu kommt, dass im Vorfeld dieses Prozesses Vereinbarungen mit der Staatsanwaltshaft getroffen worden waren, woran man sich dann nicht gehalten habe.
Mr. Cosby saß seit September 2018 in der Haftanstalt „SCI Phoenix“, nahe Philadelphia in Pennsylvania als Insasse „NN7687“ ein. Von seiner anstehenden Freilassung erfuhr er von seinem Zellennachbarn.
Viele Fans bejubeln die Freilassung des berühmten Comedians, der schon wieder Pläne für eine große Tournee schmiedet. Wahrscheinlich konnten und wollten sie einfach nicht glauben, dass ihr Idol sich diese Taten wirklich hat zuschulden kommen lassen. Gerade die Aktivisten der Frauenbewegung „Me-Too“ fragen, wo hier die Gerechtigkeit bleibt. Aus Sicht der Opfer ist das menschlich absolut verständlich. Aus Sicht der Funktionalität und der Regeln eines Rechtsstaates weniger.
„‘Ich bin wütend, diese Nachricht zu hören. Ich kenne persönlich Frauen, die dieser Mann mit Drogen bewusstlos gemacht und vergewaltigt hat. Schande über das Gericht für diese Entscheidung‘, kommentierte die Schauspielerin Amber Tamblyn auf Twitter. Die #Metoo-Aktivistin und Schauspielerin Rosanna Arquette nannte die Entscheidung ‚widerlich‘.“
Nein, nicht die Entscheidung ist widerlich. Die Taten ja. Das Mitgefühl für die Opfer ist gut und richtig. Alle Straftaten haben leider Opfer. Diese Opfer sind immer – und zu Recht! — verletzt und wütend, tragen Traumata und Wunden für‘s Leben davon — und fordern Gerechtigkeit. Das ist auch vollkommen richtig. Genau dafür sind die Strafen auch da. Doch die Regeln der Verjährung gibt es nicht ohne Grund. Dass auch der Schuldspruch im letzten, noch nicht verjährten Fall durch einen „Deal“ ausgebremst wurde, ist schwer nachvollziehbar. Eine Strafe von drei Jahren Haft hat Mr. Cosby dennoch ableisten müssen. Das mildert das Unrecht ein bisschen.
Dass die geplante „Bill Cosby-Tournee“ ein Erfolg wird, ist kaum vorstellbar. Es wird wahrscheinlich im Gegenteil, ein Grund für dauernde „Vorfälle“ und Polizeieinsätze sein. Wo er auch auftreten will, werden schon Aktivist_*Innen vor Ort sein und die Veranstaltung verhindern oder stören, so gut sie können. Mr. Cosby wird Absagen von Veranstaltung-Lokalitäten erhalten, weil Aktivisten Druck aufmachen. Britney Spears sieht das „Patriarchat“ auf der Siegesspur. Mein Mitleid mit ihm hält sich, offen gesagt, in Grenzen. Schwarzamerikanische Anhänger von Mr. Bill Cosby stehen fest auf seiner Seite, schon allein, weil er schwarz ist. Sie werden sich mit den Me-Too-Aktivisten schon Stunden vorher in die Haare geraten. Nun, das gibt Stoff für die Presse und schöne Skandalfotos.
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Quellen:
https://apnews.com/article/bill-cosby-conviction-overturned-5c073fb64bc5df4d7b99ee7fadddbe5a
https://jamaica-gleaner.com/article/letters/20210703/happy-bill-cosby-free-last
https://assets.billboard.com/articles/news/9595795/bill-cosby-britney-spears-cases-public-reactions
https://www.theweek.co.uk/news/world-news/us/953348/why-bill-cosby-is-walking-free-from-prison
https://www.sueddeutsche.de/panorama/bill-cosby-prozess-me-too-sexueller-missbrauch‑1.5338971
https://www.tagesschau.de/ausland/cosby-137.html
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