Bild: Bill Cosby, Wikimedia Commons, The World Affairs Council of Philadelphia, CC BY 2.0

„Offi­ziell unschuldig“ – trotz erwie­sener Schuld: Bill Cosby ist wieder frei

Er war der mora­lische Leuchtturm der Nation. Er stand für Mit­mensch­lichkeit, Gleich­be­rech­tigung, Bür­ger­rechte. Er war ein warm­her­ziger, freund­licher, großer Bär, stets zu Späßen auf­gelegt. So schien es jeden­falls. Diese leuch­tende Ikone der Moral hatte aber eine pech­schwarze Seite. Mehr als 60 Frauen warfen ihm im Zuge der Me-too-Bewegung vor, sie betäubt und sexuell miss­braucht zu haben. Und dennoch geht er jetzt als freier Mann aus dem Gefängnis.

Das Straf­gesetz hat strenge Regeln. Überall auf der Welt, wo es zivi­li­sierte Staaten gibt. Nur der Staat darf und muss seine Bürger vor Gewalt und Straf­taten schützen und Recht und Ordnung auf­recht­erhalten. Denn nur dann hat der Staat die Befugnis, im Namen der Bürger, die ihm die „staat­liche Gewalt“ über­tragen haben, diese aus­zuüben. Das ist im Prinzip auch gut so, denn Selbst­justiz, ins­be­sondere Lynch­justiz und Rache­feldzüge scheren sich selten um eine saubere Beweis­führung und Augenmaß. Zu diesen Regeln gehören auch Ver­jährung, Begrenzung durch gesetzlich vor­ge­gebene Straf­rahmen (Höchst­strafen), Schuld­aus­schluss­gründe usw.. Nimmt der Staat diese Aufgabe nicht wahr, nehmen die Bürger irgendwann aus blanker Not das Recht und ihren Schutz wieder in die eigenen Hände. Leider ist das oft mit schwerem Unrecht und Gräu­el­taten verbunden.

Ande­rer­seits kann es ver­ständ­li­cher­weise als durchaus unge­recht emp­funden werden, wenn ein Straf­täter, ins­be­sondere ein noto­ri­scher Straf­täter, wie es Mr. Bill Cosby angeblich gewesen sein soll, einfach so davon­kommt, nur weil — bis auf eine – alle seine absto­ßenden Taten ver­jährt sind. Und bei der einen aus 2004, die noch straf­rechtlich relevant war, scheitert es daran, dass Mr. Cosby einen „Deal“ mit der Staats­an­walt­schaft abge­schlossen hatte, so dass die Wie­der­auf­nahme des Ver­fahrens nach dem angel­säch­si­schen Recht nicht statthaft war.

Diese „Deals“ mit den Staats­an­wälten sind ganz normale Praxis in den USA. Anders als in Europa, wo die Staats­an­wälte neutral sind und auf unschuldig plä­dieren müssen, wenn die Ermitt­lungslage das ergeben hat (ohne dass der Staats­anwalt davon irgend­welche Nach­teile hat), hängt die Kar­riere eines US-Staats­an­waltes ent­scheidend davon ab, dass er seine Fälle „gewinnt“, Dort setzt der Staats­anwalt, der den Fall zuge­teilt bekommen hat, in den Ermitt­lungen alles daran, den Beschul­digten zu über­führen und einen Schuld­spruch zu erwirken. Ist die Beweislage zu unsicher, neigt er eher dazu, mit dem Ver­däch­tigen einen „Deal“ zu machen, als den Fall zu ver­lieren und seine Kar­riere zu gefährden. Ob der­jenige eigentlich schuldig ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Dazu kann man stehen, wie man will, das ist in den USA so. Was sich dort an den Gerichten abspielt ist manchmal schwer nachvollziehbar.

Über 60 Frauen soll der beliebte und bewun­derte Enter­tainer betäubt und miss­braucht haben. Die Frauen, die die Anklage erhoben, rückten damit aber erst zu einem Zeit­punkt heraus, als die Tat schon ver­jährt war (bis auf die eine aus 2004). Man macht es sich zu einfach, wenn man den Frauen ent­ge­genhält, dass sie damit früher hätten her­aus­rücken müssen. Jemanden der, wie Mr Cosby, der­artig präsent ist und fast schon das Image eines Hei­ligen hat, mit so etwas zu beschul­digen – das hätte keine der Frauen durch­ge­standen, und da sie alle so dachten und sich nicht unter­ein­ander kannten und nicht gemeinsam auf­traten, schwiegen sie auch alle. Die Me-Too-Bewegung änderte das schlag­artig. Mög­li­cher­weise gibt es unter den sechzig Anschul­di­gungen auch einige erfundene, wo allzu eifrige „Me-Too-Akti­vist_*Innen“ meinten, es treffe eh den Rich­tigen und sie dienten damit nur „der Sache“.

Es war auch ein Kri­tik­punkt der Richter, dass in dem Prozess gegen Mr. Cosby im Jahr 2018 nicht nur die miss­brauchte Andrea Con­stand als Zeugin aus­sagte, sondern dass fünf andere Frauen aus ver­jährten Taten vor Gericht gehört wurden. Das habe die Jury sehr beein­flusst, es sei keine unvor­ein­ge­nommene Her­an­ge­hens­weise der Geschwo­renen an den Fall mehr gegeben gewesen. Dazu kommt, dass im Vorfeld dieses Pro­zesses Ver­ein­ba­rungen mit der Staats­an­waltshaft getroffen worden waren, woran man sich dann nicht gehalten habe.

Mr. Cosby saß seit Sep­tember 2018 in der Haft­an­stalt „SCI Phoenix“, nahe Phil­adelphia in Penn­syl­vania als Insasse „NN7687“ ein. Von seiner anste­henden Frei­lassung erfuhr er von seinem Zellennachbarn.

Viele Fans bejubeln die Frei­lassung des berühmten Come­dians, der schon wieder Pläne für eine große Tournee schmiedet. Wahr­scheinlich konnten und wollten sie einfach nicht glauben, dass ihr Idol sich diese Taten wirklich hat zuschulden kommen lassen. Gerade die Akti­visten der Frau­en­be­wegung „Me-Too“ fragen, wo hier die Gerech­tigkeit bleibt. Aus Sicht der Opfer ist das menschlich absolut ver­ständlich. Aus Sicht der Funk­tio­na­lität und der Regeln eines Rechts­staates weniger.

‘Ich bin wütend, diese Nach­richt zu hören. Ich kenne per­sönlich Frauen, die dieser Mann mit Drogen bewusstlos gemacht und ver­ge­waltigt hat. Schande über das Gericht für diese Ent­scheidung‘, kom­men­tierte die Schau­spie­lerin Amber Tamblyn auf Twitter. Die #Metoo-Akti­vistin und Schau­spie­lerin Rosanna Arquette nannte die Ent­scheidung ‚widerlich‘.“

Nein, nicht die Ent­scheidung ist widerlich. Die Taten ja. Das Mit­gefühl für die Opfer ist gut und richtig. Alle Straf­taten haben leider Opfer. Diese Opfer sind immer – und zu Recht! — ver­letzt und wütend, tragen Traumata und Wunden für‘s Leben davon — und fordern Gerech­tigkeit. Das ist auch voll­kommen richtig. Genau dafür sind die Strafen auch da. Doch die Regeln der Ver­jährung gibt es nicht ohne Grund. Dass auch der Schuld­spruch im letzten, noch nicht ver­jährten Fall durch einen „Deal“ aus­ge­bremst wurde, ist schwer nach­voll­ziehbar. Eine Strafe von drei Jahren Haft hat Mr. Cosby dennoch ableisten müssen. Das mildert das Unrecht ein bisschen.

Dass die geplante „Bill Cosby-Tournee“ ein Erfolg wird, ist kaum vor­stellbar. Es wird wahr­scheinlich im Gegenteil, ein Grund für dau­ernde „Vor­fälle“ und Poli­zei­ein­sätze sein. Wo er auch auf­treten will, werden schon Aktivist_*Innen vor Ort sein und die Ver­an­staltung ver­hindern oder stören, so gut sie können. Mr. Cosby wird Absagen von Ver­an­staltung-Loka­li­täten erhalten, weil Akti­visten Druck auf­machen. Britney Spears sieht das „Patri­archat“ auf der Sie­gesspur. Mein Mitleid mit ihm hält sich, offen gesagt, in Grenzen. Schwarz­ame­ri­ka­nische Anhänger von Mr. Bill Cosby stehen fest auf seiner Seite, schon allein, weil er schwarz ist. Sie werden sich mit den Me-Too-Akti­visten schon Stunden vorher in die Haare geraten. Nun, das gibt Stoff für die Presse und schöne Skandalfotos.

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Quellen:

https://www.nytimes.com/2021/07/01/arts/television/bill-cosby-conviction-overturned-career-future.html

https://apnews.com/article/bill-cosby-conviction-overturned-5c073fb64bc5df4d7b99ee7fadddbe5a

https://jamaica-gleaner.com/article/letters/20210703/happy-bill-cosby-free-last

https://www.vice.com/en/article/epnayj/bill-cosby-is-free-sexual-assault-survivors-are-shocked-and-angry

https://assets.billboard.com/articles/news/9595795/bill-cosby-britney-spears-cases-public-reactions

https://www.theweek.co.uk/news/world-news/us/953348/why-bill-cosby-is-walking-free-from-prison

https://www.sueddeutsche.de/panorama/bill-cosby-prozess-me-too-sexueller-missbrauch‑1.5338971

https://www.tagesschau.de/ausland/cosby-137.html

https://www.bild.de/unterhaltung/leute/leute/bill-cosby-er-erfuhr-durch-zellen-nachbarn-von-der-freiheit-76940650.bild.html