Ist das berüch­tigte RAND-Analyse-Papier ein Fake? Wenn ja, von wem?

Vor einiger Zeit, etwa Mitte Sep­tember, bekam ich das berühmt-berüch­tigte RAND-Paper in die Finger. Die Tele­fon­drähte liefen heiß, es wurde heftig dis­ku­tiert. Einige haben sofort darüber geschrieben und es als Ent­larvung der US-Politik gegen Deutschland und Europa gesehen. Für die­je­nigen, die nicht wissen, um was es geht: Die RAND Cor­po­ration ist ein Think Tank des mili­tä­risch-indus­tri­ellen Kom­plexes für die poli­ti­schen Ent­scheider. Das, was ich da gelesen habe ließ bei mir aber rote Alarm­lampen aufleuchten.

Das Ganze stammt angeblich aus dem Januar und sieht nach eine internen, gele­akten Geheim­papier aus. Der Inhalt beschäftigt sich auch damit, wie die USA ihre wirt­schaft­liche Rezession auf Kosten Deutsch­lands, der Ukraine und Russ­lands in den Griff bekommen könnte (deutsche Über­setzung aus dem Paper):

„Der gegen­wärtige Zustand der US-Wirt­schaft deutet nicht darauf hin, dass sie ohne finan­zielle und mate­rielle Unter­stützung von außen funk­tio­nieren kann. Die Politik der quan­ti­ta­tiven Lockerung, auf die die Fed in den letzten Jahren regel­mäßig zurück­ge­griffen hat, sowie die unkon­trol­lierte Ausgabe von Bargeld während der Covid-Lock­downs 2020 und 2021 haben zu einem starken Anstieg der Aus­lands­ver­schuldung und einer Zunahme des Dol­lar­an­gebots geführt. (…) Es ist dringend not­wendig, dass Res­sourcen in die nationale Wirt­schaft fließen, ins­be­sondere in das Ban­ken­system. Nur euro­päische Länder, die durch EU- und NATO-Ver­pflich­tungen gebunden sind, werden in der Lage sein, diese ohne erheb­liche mili­tä­rische und poli­tische Kosten für uns bereitzustellen.“

Die Stra­tegie, Deutschland gegen Russland aus­zu­spielen, ist lange bekannt und tat­sächlich ja auch eine seit langem eine Kon­stante der US-Geo­po­litik: Um jeden Preis ver­hindern, dass es zu einer deutsch-rus­si­schen Ver­stän­digung kommt. Das, so sagt der Stratege George Friedman vom „Infor­ma­ti­ons­dienst“ Stratfor, sei eine Kom­bi­nation und zusammen die einzige Macht, die die USA auf den zweiten Platz ver­weisen könnte. Hier kurz zur Erinnerung:

 

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Hier ist die besagte „RAND Analyse“ im Ori­ginal-Text und kom­plett zu lesen. Der Titel: „Extending Russia — Com­peting from Advan­ta­geous Ground“ 

Und hier die deutsche Über­setzung (der Teil der Deutschland und seine Rolle in Europa und für die USA betrifft): 
Russland über­fordern – aus einer vor­teil­haften Position heraus.

Sezieren wir also diesen duf­tenden Braten.

Es stimmt schon, dass in den Regie­rungs­kreisen der USA mit Argwohn darauf geschaut wurde und wird, dass Deutschland sich so langsam in den letzten 20 Jahren in die Position einer Mit­tel­macht vor­ge­ar­beitet hat und in der EU die Loko­motive ist, die den Kon­tinent wirt­schaftlich zieht:

„Das Haupt­hin­dernis dafür ist die wach­sende Unab­hän­gigkeit Deutsch­lands. Obwohl es immer noch ein Land mit ein­ge­schränkter Sou­ve­rä­nität ist, bewegt es sich seit Jahr­zehnten kon­se­quent darauf zu, diese Ein­schrän­kungen auf­zu­heben und ein voll­ständig unab­hän­giger Staat zu werden. Diese Bewegung ist langsam und vor­sichtig, aber stetig.“

Diese “RAND-Analyse” geht im Wei­teren davon aus, dass es jetzt wichtig sei, Europa zu desta­bi­li­sieren und in einen Krieg mit Russland zu treiben. Wie ich das ver­stehe, geht es dabei namentlich um die stärkste Kraft in der EU, Deutschland — und darum bedeute das – laut Papier — für die USA:

 

  1. a) Deutschland und Russland gegen­ein­ander zu positionieren
  2. b) mittels explo­die­render Ener­gie­preise und bre­chender Lie­fer­ketten Europas und zuvör­derst Deutsch­lands Industrie, Wirt­schaft und Gesell­schaft zu rui­nieren. Das wie­derum würde
  3. c) den Euro zu Fall bringen (tat­sächlich ver­liert der ja bereits beträchtlich an Wert gegen den Dollar). Das würde die euro­päi­schen Ver­mögen nach USA abfließen lassen und
  4. d) auch junge, gut aus­ge­bildete Europäer nach USA locken, die Inno­va­tionen und Know-How mitbringen.
  5. e) Die Ener­gie­un­si­cherheit würde deutsche – und andere euro­päische Unter­nehmen — zum Abwandern in die USA bewegen, wo ihnen Ener­gie­si­cherheit geboten wird, weniger Sozi­al­kosten und kaum Gewerk­schafts­pro­bleme (auch das hat mitt­ler­weile eingesetzt).
  6. f) Damit wäre Europa und ins­be­sondere Deutschland für Russland und China mehr oder weniger unin­ter­essant und das „Projekt Neue Sei­den­straße“ (One Belt one Road) — also ein Wirt­schaftsraum vom Pazifik bis zum Atlantik — keine loh­nende Sache mehr, was
  7. f) Russland als großes Roh­stoff- und Brü­cken­gebiet nach West­europa eben­falls marginalisiert.
  8. g) damit könnten die USA, laut dem Paper, Europa und ins­be­sondere Deutschland aus­bluten, den Euro schwächen, selbst aber durch neu ein­wan­dernde, qua­li­fi­zierte Unter­nehmen und Unter­nehmer und gut aus­ge­bildete, junge Europäer sozu­sagen fri­sches Blut her­ein­holen und die Tal­fahrt wieder bremsen und ins Gegenteil ver­kehren — und dem auf­stre­benden Eurasien den Saft abdrehen.

Das liest sich in dem Papier so:

„Eine Zunahme des Res­sour­cen­flusses von Europa in die USA ist zu erwarten, wenn Deutschland in eine kon­trol­lierte Wirt­schafts­krise gerät. Das Tempo der wirt­schaft­lichen Ent­wicklung in der EU hängt fast alter­na­tivlos von der Lage der deut­schen Wirt­schaft ab. Es ist Deutschland, das die Hauptlast der Aus­gaben für die ärmeren EU-Mit­glieder trägt. Das der­zeitige deutsche Wirt­schafts­modell stützt sich auf zwei Säulen. Das sind der unbe­grenzte Zugang zu bil­ligen rus­si­schen Ener­gie­res­sourcen und zu bil­ligem fran­zö­si­schem Strom, dank des Betriebs von Kern­kraft­werken. Die Bedeutung des ersten Faktors ist wesentlich höher. Eine Unter­bre­chung der rus­si­schen Lie­fe­rungen kann durchaus eine Sys­tem­krise aus­lösen, die für die deutsche Wirt­schaft und indirekt für die gesamte Euro­päische Union ver­heerend wäre.“

Soweit ist das alles schon im Gange und läuft – und ist ja auch keine Überraschung:

„Auf­grund von Koali­ti­ons­zwängen hat die deutsche Führung die Lage im Land nicht voll­ständig unter Kon­trolle. Dank unserer prä­zisen Aktionen war es möglich, die Inbe­trieb­nahme der Pipeline Nord Stream 2 trotz des Wider­stands der Lob­by­isten aus der Stahl- und Che­mie­in­dustrie zu verhindern.“ 

Aber, das kann auch in die falsche Richtung gehen, meint das Papier, – und auch das ist zutreffend:

„Die dra­ma­tische Ver­schlech­terung des Lebens­stan­dards könnte die deutsche Führung jedoch dazu bewegen, ihre Politik zu über­denken und zur Idee der euro­päi­schen Sou­ve­rä­nität und stra­te­gi­schen Auto­nomie zurück­zu­kehren. Der einzig gangbare Weg, Deutsch­lands Ablehnung rus­si­scher Ener­gie­lie­fe­rungen zu garan­tieren, ist die Ein­bindung beider Seiten in den mili­tä­ri­schen Kon­flikt in der Ukraine. Unser wei­teres Vor­gehen in diesem Land wird unwei­gerlich zu einer mili­tä­ri­schen Antwort Russ­lands führen. Die Russen werden den mas­siven Druck der ukrai­ni­schen Armee auf die nicht aner­kannten Donbass-Repu­bliken natürlich nicht unbe­ant­wortet lassen können. Das würde es ermög­lichen, Russland zum Aggressor zu erklären und das gesamte Paket der zuvor vor­be­rei­teten Sank­tionen gegen das Land anzuwenden.“

Tat­sächlich kam die For­derung der AfD „Öffnet Nord­stream 2!“ auf und wurde von Teilen der Bevöl­kerung auf­ge­nommen. Nord­stream 2 ist, wie wir alle mit­be­kommen haben, tot.

Und ja, wir erinnern uns: Der Herr Bun­des­kanzler Olaf Scholz hat sich mal in diese Richtung ver­quatscht, dass die ganze Ukraine-Geschichte genauso geplant war:

https://www.youtube.com/shorts/5w3g9svXC7Q

Jetzt kommt aber eine Passage, die so gar nicht zu RAND Ana­lysen passt, denn da ver­kaufen sie ihr Hand­werkszeug. Man verrät seine Taktik nicht:

„Die Vor­aus­setzung dafür, dass Deutschland in diese Falle tappen kann, ist die füh­rende Rolle der grünen Par­teien und Ideo­logie in Europa. Die deut­schen Grünen sind eine stark dog­ma­tische, ja sogar eifernde Bewegung, was es ziemlich einfach macht, sie dazu zu bringen, wirt­schaft­liche Not­wen­dig­keiten zu igno­rieren. In dieser Hin­sicht über­treffen die deut­schen Grünen ihre Pen­dants im übrigen Europa. Per­sön­liche Eigen­schaften und die man­gelnde Pro­fes­sio­na­lität ihrer Führer – allen voran Annalena Baerbock und Robert Habeck – lassen ver­muten, dass es für sie nahezu unmöglich ist, eigene Fehler recht­zeitig zuzu­geben. So wird es aus­reichen, das mediale Bild von Putins aggres­sivem Krieg schnell zu formen, um die Grünen zu glü­henden und hart­ge­sot­tenen Befür­wortern von Sank­tionen zu machen, zu einer „Partei des Krieges“. Auf diese Weise kann das Sank­ti­ons­regime ohne Hin­der­nisse ein­ge­führt werden. Die man­gelnde Pro­fes­sio­na­lität der der­zei­tigen Führer wird auch in Zukunft keinen Rück­schlag zulassen, selbst wenn die nega­tiven Aus­wir­kungen der gewählten Politik deutlich genug werden.“

Zwar ist es genau der Duktus und die Sprache, die diese RAND-Ana­lysen immer aus­zeichnen. Aber niemals werden diese Ana­lysten dann abfällig und das per­sönlich gegen poli­tische Per­sonen. Es passt auch nicht ins Bild, dass die Absichten so offen dar­gelegt werden. An der Ein­schätzung ist zwar sicherlich einiges dran, nur würde man das nicht so offen auf den Tisch legen bei RAND.

Die wei­teren Folgen dieses Vor­gehens gegen Deutschland werden auch ein wenig zu dras­tisch geschildert:
„Eine Ver­rin­gerung der rus­si­schen Ener­gie­lie­fe­rungen – im Ide­alfall ein völ­liger Stopp dieser Lie­fe­rungen – hätte kata­stro­phale Folgen für die deutsche Industrie. Die Not­wen­digkeit, erheb­liche Mengen rus­si­schen Gases für die Beheizung von Pri­vat­haus­halten und öffent­lichen Ein­rich­tungen im Winter umzu­leiten, wird die Eng­pässe weiter ver­schärfen. Still­le­gungen von Indus­trie­un­ter­nehmen werden zu Eng­pässen bei Kom­po­nenten und Ersatz­teilen für die Pro­duktion, zum Zusam­men­bruch der Logis­tik­ketten und schließlich zu einem Domi­no­effekt führen. In den größten Betrieben der Chemie‑, Metall­urgie- und Maschi­nen­bau­in­dustrie ist ein völ­liger Still­stand wahr­scheinlich, um den Ener­gie­ver­brauch zu senken. Das könnte zur Schließung von Unter­nehmen mit kon­ti­nu­ier­lichem Zyklus führen, was deren Zer­störung bedeuten würde.“

Wie wahr. Auch das ist mitt­ler­weile unüber­sehbar. Die Ver­fasser dieses Papiers, wer immer das auch sei, gehen aber bei all ihrer Weisheit davon aus, dass die USA nur Vor­teile von dieser geschil­derten Ent­wicklung habe und alles, was gut aus­ge­bildet und an soliden Unter­nehmen aus Deutschland flieht, nur ein Ziel kennt:  Die USA. Das wird nicht ganz so sein. Da gibt es einige andere Länder, die auf­streben, wo man viel­leicht bessere Chancen hätte, als in den krän­kelnden USA. Kanada, Süd­korea und das mar­gi­na­li­sierte China, dessen Rolle hier voll­kommen unter­schätzt wird und dessen Strahl­kraft nur en passant erwähnt wird:

„Leider dürfte auch China mit­tel­fristig von diesem sich ent­wi­ckelnden Sze­nario pro­fi­tieren. Gleich­zeitig erlaubt uns die starke poli­tische Abhän­gigkeit Europas von den USA, mög­liche Ver­suche ein­zelner euro­päi­scher Staaten, sich China anzu­nähern, wirksam zu neutralisieren.“ 

Das wie­derum ist ein bisschen naiv. So blöde und ahnungslos sind die Europäer schon lange nicht mehr. Mit einer anderen Regierung könnte Europa und damit Deutschland das rus­sische Gas und Öl auch über Umwege bekommen – bei­spiels­weise über Indien oder Iran. Schwer zu glauben, dass RAND sich solche For­mu­lie­rungen und Schnitzer leistet.

Deshalb war ich per­sönlich nicht über­zeugt von der Authen­ti­zität des Papiers. Ich habe dann einen Freund, der sich mit „sowas aus­kennt“, damit ver­sorgt und nach seiner Meinung gefragt. Wir haben eine ganze Weile dis­ku­tiert. Ich schätze seinen scharfen Ver­stand, sein sys­te­ma­ti­sches Denken und seine völlig sach­liche Art, an Dinge her­an­zu­gehen und seine Kennt­nisse. Wir kamen zu dem Ergebnis, dass viel­leicht die beschrie­benen Stra­tegien und Tak­tiken durchaus real sein können, es aber sehr wahr­scheinlich nicht eine RAND Analyse ist. Dass RAND seine Urhe­ber­schaft sofort demen­tierte, besagt gar nichts. Selbst, wenn das Papier authen­tisch sein sollte, würden sie es abstreiten müssen, wenn es wirklich durch­ge­stochen ist. (Am aller­we­nigsten über­zeugt deren Gegen­ar­gument: „Die RAND Cor­po­ration ist eine For­schungs­or­ga­ni­sation, die Lösungen für Her­aus­for­de­rungen der öffent­lichen Ordnung ent­wi­ckelt, um Gemein­schaften auf der ganzen Welt sicherer, gesünder und wohl­ha­bender zu machen.“) 

Da das Ding aber gleich an mehrere Medien in der alter­na­tiven und freien Presse geleakt wurde, liegt zwei andere Ver­mu­tungen nahe:

Mög­lichkeit eins, es ist ein rus­si­scher oder chi­ne­si­scher Fake. Die Tat­sache, das China nur am Rande erwähnt wird, spricht für Chinas Urhe­ber­schaft, das sich selbst mög­lichst nicht in den Fokus rückt und über seine eigenen Stra­tegien her­um­phi­lo­so­phiert. Ein rus­si­sches Täu­schungs­ma­növer ist aber eben­falls möglich, denn die dar­ge­legten Tak­tiken erzeugen den Ein­druck, dass Russland nur ein Opfer all dieser Machen­schaften sei, genau wie angeblich Deutschland.

Die zweite Mög­lichkeit, die auch in Kom­bi­nation mit eins denkbar ist: Es ist ein Geheim­dienst­papier und absichtlich an die alter­na­tiven Medien gerichtet, deren Theorien und Denkwelt bestä­tigend. Man könnte genau ver­folgen, wer darauf anspringt, wie es seinen Weg durch die Ziel­gruppe alter­na­tiver Mul­ti­pli­ka­toren findet und wer das Papier wie ein­ordnet, wer welche Leser­schaft hat und wie oft der jeweilige Beitrag wo gelesen, geteilt, kopiert oder dis­ku­tiert wird. Und da kämen auch durchaus ame­ri­ka­nische, bri­tische und deutsche Geheim­dienste in Frage.

Dass man in einem US-Geheim­dienst oder ‑Behörde damit ein Leck im eigenen Laden suchen wollte, ist eher unwahr­scheinlich. Die dar­ge­legten Pläne im Papier könnten zu nah an den tat­säch­lichen Abläufen liegen, als dass ein Dementi geglaubt würde.
Da wäre der Schaden viel­leicht größer, als der Nutzen.