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Nein Herr Putin: Wie­der­ver­ei­nigung geht anders!

Deutsche Einheit dank Gor­bat­schow statt mit Refe­rendum — Wo bleiben Poli­tiker, die auch Russen die Einheit gönnen? — Wann wird das Recht der Völker endlich zum Völkerrecht?

(von Albrecht Künstle)

In den Volks­re­pu­bliken Donezk und Lugansk sowie den ukrai­ni­schen Oblasten Cherson und Sapo­rischschja fanden Refe­renden statt mit dem Ziel, dass diese Gebiete den Anschluss an Russland ver­langen, damit sie von diesem annek­tiert werden können. Die Abstim­mungen erfolgten nicht auf Druck der Straße, nicht per Akkla­mation oder durch Schät­zungen wie bei den letzten Wahlen in Berlin. Die Refe­renden erfolgten auf Scheinen. Sie können zurecht als Schein-Refe­renden in die Geschichte eingehen.

Medien und die Politik the­ma­ti­sierten besonders den Umstand, dass bei den Wahl­hand­lungen rus­sische Sol­daten zugegen waren. Als ob dies der Haupt­grund der Nich­tigkeit der Refe­renden war. Dann war viel­leicht auch die Corona-Impf­of­fensive des letzten Jahres ungültig bzw. rechts­widrig, denn auch diese erfolgte unter Einsatz von Sol­daten der Bun­deswehr. Auch dass Russen im Hoheits­gebiet der Ukraine abstimmten, ist nicht das eigent­liche Problem. Auch in Deutschland bestimmen Fremde, die auch in ihrem Hei­matland wählen, darüber ab wie es mit unserem Land wei­ter­gehen soll, so z.B. Türken.

Die Refe­renden sind als ungültig anzu­sehen, weil Hun­dert­tau­sende Abstim­mungs­be­rech­tigter am Votum gehindert waren, weil sie sich im Ausland befanden und keine Abstimmung per Brief möglich war. So standen die Ergeb­nisse schon im Vor­hinein fest, die Refe­renden waren somit eine Farce. Damit ent­fällt auch die Legi­ti­mation, den Bei­tritt der Repu­bliken zu Russland zu fordern, und seitens Russ­lands, diese Gebiete zu annek­tieren. Es ist ein Verstoß gegen das Völ­ker­recht, auch wenn es das Recht auf Volks­ab­stim­mungen selbst­ver­ständlich geben sollte.

In den Volks­re­pu­bliken Donezk und Lugansk fanden vor Jahren Volks­ab­stim­mungen statt, in denen 89 bzw. 96 Prozent für ihre Unab­hän­gigkeit stimmten. Die Teil­nahme an jenen Refe­renden vom 11. Mai 2014 war im Gegensatz zu der jet­zigen allen möglich. Trotzdem wurden sie weder von Kiew noch von den meisten anderen Staaten aner­kannt. Obwohl sie keinen Anschluss an Russland ver­langten, sondern „nur“ die Auto­nomie. Bei den Refe­renden am 30. Sep­tember 2022 war das nun anders. Aber das Abstim­mungs­re­sultat ist nicht wegen des Bei­tritts­be­gehrens zu Russland abzu­lehnen, sondern weil unbe­kannt ist, wie die im Ausland Wei­lenden abge­stimmt hätten. Nein, Wie­der­ver­ei­nigung geht anders Herr Putin.

Die Men­schen in der DDR brauchten keine Wahl­scheine oder Schein­wahlen; sie stimmten mit den Füßen ab. „Kommt die Mark nicht nach hier, gehen wir zu ihr“ war ihr Motto. Die Bereit­schaft die DDR zu „annek­tieren“ war auch auf west­deut­scher Seite über­wiegend vor­handen. Man weiß zwar nicht, zu wieviel Prozent, weil keine Volks­ab­stimmung durch­ge­führt wurde. Wozu brauchte es eine solche auch, west­liche Regie­rungen wissen schließlich, was für ihre Völker gut ist? Die Schweiz ist mit ihren Volks­ab­stim­mungen eine Ausnahme.

Die deutsche Wie­der­ver­ei­nigung blieb Chef­sache von oben – Sache der zwei deut­schen Staaten als Begüns­tigte plus der vier Sie­ger­mächte, nie­der­gelegt im „2 + 4 Vertrag“. Auch über eine gemeinsame Ver­fassung durften wir nicht abstimmen – „soweit kommt’s noch.“ Die Wie­der­ver­ei­nigung erfolgte von oben herab, ins­be­sondere durch die damalige Sowjet­union. Deren Prä­sident Gor­bat­schow gab sein OK, fast als Geschenk des Himmels. Aber dieser Mann ist tot und ein ent­spre­chendes Pendant im Westen, der die ehe­ma­ligen rus­si­schen Gebiete nach 31 Jahren Ukraine auch wieder ziehen lassen würde, gibt es nicht.

Im Gegenteil, den abtrün­nigen Volks­re­pu­bliken wurde 2014 der Krieg erklärt und seither geführt. Die Ver­mitt­lungs­ver­suche Minsk I und II wurden von der Ukraine in den Wind geschlagen. Deshalb scheint Putin sich gesagt zu haben, wenn reguläre Volks­ab­stim­mungen nicht aner­kannt wurden, kann ich meinen Ruf mit irre­gu­lären Abstim­mungen auch nicht mehr ver­lieren. Das­selbe gilt aber auch für die Scharf­macher und Kriegs­treiber im Westen, sie haben ihren guten Ruf eben­falls ver­loren. Ist es nicht schäbig, Russland für seinen Großmut im Jahr 1990 zu danken, aber umge­kehrt den ukrai­ni­schen Russen die Selbst­be­stimmung bzw. Einheit zu verwehren?

Viel­leicht aber ist einfach die Zeit noch nicht reif für die Ost­ukraine, ent­scheiden zu dürfen, zu wem sie gehören will. Wir Deutsche war­teten 40 Jahre auf die Wie­der­ver­ei­nigung, die wir jetzt wieder feiern. Die Ukraine als sou­ve­ränen Staat gibt es erst seit 1991, also erst seit 31 Jahren. Viel­leicht proben die Ukrai­ne­rinnen und Ukrainer aber schon jetzt, wie es die DDR-Bürger gemacht haben: Sie stimmen mit den Füßen ab. Mil­lionen Ost­deutsche sie­delten in den Westen über, was jetzt auch die Ukrainer tun. Ob sie dadurch aber auto­ma­tisch auch gute Deutsche werden? Die Ein­ladung an die Ukrainer ist aber ein­deutig; die „Begrü­ßungs­gelder“ sind deutlich höher als sie es für unsere eigenen Lands­leute im Osten waren.

Abschließend nochmals zu den „Schein-Refe­renden“ Putins, die tat­sächlich nicht demo­kra­tisch legi­ti­miert waren, weil Zig­tau­sende an der Stimm­abgabe gehindert waren. Die herr­schende Klasse in Berlin und Brüssel steht Volks­ab­stim­mungen grund­sätzlich ablehnend gegenüber, weil sie elitär behauptet, sie alleine sei demo­kra­tisch legi­ti­miert und die Themen viel zu komplex, um vom gemeinen Volk ver­standen zu werden. Sahra Wagen­knecht the­ma­ti­siert das in ihrem Buch „Die Selbst­ge­rechten und schreibt, „In anderen Ländern, etwa in Deutschland, fanden ohnehin nie Refe­renden über euro­päische Ver­träge statt.“

Und wenn das Volk ein Votum abgeben durfte, wurde oft sein Wille ver­fälscht. Manfred Weber z.B. war 2019 Spit­zen­kan­didat der euro­päi­schen Volks­par­teien EVP für das Amt des Kom­mis­si­ons­prä­si­denten. Doch Macron und Merkel im Hin­ter­grund zogen die Strippen und Ursula von der Leyen erhielt dieses ein­fluss­reiche Amt. Und diese Frau bestimmt nun ohne demo­kra­tische Legi­ti­mation, ohne Urwahl, ohne Refe­rendum, wie die 27 Mit­glieds­staaten zu mar­schieren haben.

Besser über­haupt keine Refe­renden als weniger per­fekte? Seien wir an diesem 3. Oktober froh, dass die Abstimmung mit den Füßen 1989/90 friedlich ausging. Und hoffen wir, dass die Abstim­mungen in den Kriegs­ge­bieten der Jahre 2014 und 2022 bald­mög­lichst unter der Auf­sicht der OSZE legi­ti­miert werden können. Und dass dann das Recht der Völker, über sich selbst abzu­stimmen, auch juris­tisch zum Völ­ker­recht wird.

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