Das Verbot, die dornige Chance

Die Gazetten sind voll von Geschichten, die auf den ersten Blick aus­sehen, als wären sie im Pau­la­ner­garten geschrieben worden. Da liest man ungläubig von Erben, die „besteuer‘ mich härter, Staat!“ rufen oder von ver­wirrten Akti­visten, welche, „ver­bietet uns endlich etwas“ fordern. Man fragt sich, was das wohl für Men­schen sind und ob sich deren Ruf nach Fremd­be­stimmung nicht prak­ti­scher durch Eigen­in­itiative und Selbst­ver­zicht würde befrie­digen lassen. Schließlich hält der Finanz­mi­nister für Men­schen, die unter diesem Zwang leiden, diskret eine Kon­to­nummer bereit und das Verbot zu fliegen oder Fleisch zu essen kann man sich – noch dazu mit sozi­al­me­dialem Applaus – auch selbst auf­er­legen. Doch aus dem Holz, aus welchem solche Men­schen gemacht sind, werden nun mal die Löffel geschnitzt, mit denen der Rest der Republik die von der Politik bereitete Suppe aus­löffeln muss. Die neueste über­schwäng­liche Äußerung aus dieser Reihe gehört deshalb etwas genauer unter die Lupe genommen. Die RND-Kolum­nistin Insa Thiele-Eich hat sie geschrieben, „Warum ich mir mehr Verbote wünsche“ ist der Artikel betitelt.

Das Verbot als Erleichterung

„Nicht im Restaurant rauchen, nicht ohne Gurt fahren: Unser Alltag ist voller Verbote, manche von ihnen bemerken wir schon gar nicht mehr. Aus Sicht von RND-Kolum­nistin Insa Thiele-Eich können Verbote eine Erleich­terung sein. Ja, sie findet sogar: Gerade wenn es um den Kli­ma­schutz geht, braucht es mehr Verbote.“

An dieser redak­tio­nellen Ein­führung sind gleich mehrere Dinge bemer­kenswert. Leicht erkennt man zunächst den Ver­käu­fer­trick: ziehe zur Unter­mauerung deiner Argu­mente keine strit­tigen Sach­ver­halte heran und ver­meide, die Antwort „nein“ zu erhalten. Gesetz­liche Rege­lungen (die nebenbei gesagt auch nicht in Stein gemeißelt sind) als Bei­spiele zu nehmen, die keinen Wider­spruch her­vor­rufen, bringt den Leser gleich auf die Seite der Autorin. Wer bekennt schon öffentlich, sich im Auto nicht anzu­gurten? Wer wagt es heute, sich im Restaurant eine Zigarre anzu­zünden und den Kellner nach einem Aschen­becher zu fragen? Und wer das alles nicht tut, der will doch sicher auch dem Klima helfen, oder?

Womit wir beim heim­lichen Teil wären, der kurzen Fahrt ohne Gurt, dem Clubraum in der Kneipe, in dem ver­bots­widrig bis heute geraucht wird, der roten Ampel, nachts um halb drei zwi­schen Klein­siehs­tenich und Hin­ter­tup­fingen. Oder, wenn wir schon beim Klima sind, beim heim­lichen Gas­grill, der zweiten Brat­wurst in fleisch­loser Zeit, der Katze, dem Hund, dem Ben­zin­ra­sen­mäher. Verbote, die das Ver­halten von Men­schen regeln, sind nur so gut wie der der Wille, sie zu achten oder die Macht, sie zu erzwingen. Fragen Sie unsere Faerser-Nancy, die mit Mes­ser­ver­boten gerade von Erfolg zu Erfolg eilt.

Ein wei­teres Merkmal, das man leicht über­sieht, ist das beim Leser vor­aus­ge­setzte Gefühl, dass die Gurt­pflicht (StVO) und der akti­vis­tisch auf­ge­blasene Kli­ma­schutz in die­selbe Kate­gorie fallen. Da steht scheinbar nichts mehr in Frage, wer sich im Auto anschnallt, dem kann man auch fürs Klima irgendwas verbieten.

„Wie so manche kleine Kinder mag auch meine jüngste Tochter nicht immer im Kin­dersitz ange­schnallt werden, egal ob im Auto oder auf dem Fahrrad. (Das ist eine Unter­treibung. Sie schreit Zeter und Mordio.) Aber es ist sicherer so, das sagt der ADAC, man kann es selbst in Crash-Test-Videos sehen, und auch wenn man von der not­wen­digen Sicherheit eines Kin­der­sitzes nicht über­zeugt ist: Es ist unter keinen Umständen erlaubt, sein Kind ohne Kin­dersitz zu trans­por­tieren. Verboten!“

Als nächstes wird das Gefälle ein­ge­führt zwi­schen denen, die Verbote erlassen, denen, die Verbote durch­setzen und denen, die sie zu erdulden haben. Das Kind in dieser Beziehung sind Sie, lieber Leser und nun quengeln Sie mal nicht so rum, Sie müssen ange­schnallt werden! Mutti will es so und Vater Staat auch! Inter­essant, dass die Mutter den Staat als innere Stütze braucht, um eine simple und völlig sinn­volle Schutz­maß­nahme zu akzep­tieren. Erklärt bekommt das Kind hier übrigens nichts. So wie Sie als attes­tierter Kli­ma­sünder auch nichts erklärt bekommen. Das ist so, weil es so ist. Und jetzt frag nicht mehr, Kind!

„Verbote dienen dem Schutz“

„Und das ist gut so. Nicht nur, weil es natürlich dem Schutz der Kinder dient, sondern weil es auch uns Eltern das Leben erleichtert. Denn wenn meine Tochter sich wie ein wild gewor­dener Oktopus auf­bäumt und schreiend pro­biert, dem Kin­dersitz zu ent­kommen, hilft mir das Verbot als Elternteil dabei, durch­zu­atmen und klar anzu­kün­digen: „Ich sehe, dass du nicht in den Sitz möchtest. Trotzdem musst du ange­schnallt werden, damit wir nach Hause fahren können.“ Punkt. So einfach ist das.“

Verbote erleichtern also das Leben. Der Tag bekommt einfach Struktur, wenn die Kette am Fuß nicht zu lang ist. Wem weniger Türen offen­stehen, der geht nicht so oft durch die fal­schen. Augen zu und denk‘ ans Klima! Der Bürger, dieses wider­willig ange­schnallte Kind auf dem Rücksitz, schreit übrigens immer noch und hegt all­mählich Mord­ge­lüste gegen seine Helikoptermama.

„Auch unser Erwach­se­nen­alltag ist voll von Ver­boten, Restrik­tionen, Dekreten, Neins: Ich muss mich anschnallen, darf nicht bei Rot über die Ampel gehen, darf die brü­tende Stockente auf meinem Balkon nicht stören, meine Kinder dürfen nicht einfach so der Schule fern bleiben …“

Die brü­tende Ente möchte ich sehen! Stören würde ich die natürlich auch nicht, dazu wäre dies ein viel zu schönes Kuriosum. Die Sache mit der Ampel hatten wir schon, kommen wir zu Schul­pflicht. Denn das ist ein äußerst ungüns­tiges Bei­spiel für die Ver­bots­apostel. Der Staat hat sich hier­zu­lande das Quasi-Monopol ver­schafft, das er jedoch nur unzu­rei­chend zum Zweck der Bildung, sondern in erster Linie zur „Beschulung“ und über das Cur­ri­culum immer mehr zur Indok­tri­nation nutzt. Die Ergeb­nisse müssten sich aber am Zweck messen. Ebenso wie die Anwendung von Gesetz und Verbot.

Manche Soziotope erreicht die staat­liche Schul­pflicht inhaltlich und orga­ni­sa­to­risch kaum noch, ohne dass der Staat hier mit Nach­druck die Gurte der Kin­der­sitze schließen würde. Im Übrigen muss ich hier auf eine juris­tische Spitz­fin­digkeit bestehen. Nicht das Verbot, der Schule fern­zu­bleiben ist defi­niert, sondern die Schulpflicht als solche, woraus sich das „Verbot“ ergibt. Man kann seine Kinder aber auch aus der staat­lichen Schule nehmen und auf eine (oft bessere) Pri­vat­schule schicken.

„Viele dieser Verbote bemerken wir schon gar nicht mehr – so selbst­ver­ständlich sind sie geworden. Man denke nur an das Rauch­verbot. Es ist natürlich, dass wir an einem Ort, wo so viele Men­schen zusam­men­leben, Regeln und Verbote brauchen. Sie dienen zum Schutz, ja. Aber gleich­zeitig sind sie eben eine Erleich­terung, um nicht ständig neu recher­chieren und aus­ta­rieren zu müssen, was denn jetzt die richtige Ent­scheidung für ein gutes gemein­sames Mit­ein­ander ist.“

Wir merken uns: Verbote tun gar nicht weh! Außer Rau­chern viel­leicht die Rauch­verbote und Por­sche­fahrern Tem­po­limits. Wo viele Men­schen zusam­men­leben, stellen sich immer Regeln ein, deren Nicht­ein­haltung die Gemein­schaft ahndet. Das ist eine Binse und kein Argument für mehr Verbote. Deshalb sind Bei­spiele, die das gesell­schaft­liche Zusam­men­leben in unserem Land als posi­tives Bei­spiel für das Wirken von Ver­boten zitieren, voll­kommen lächerlich. Gerade in diesem Bereich erregen aus­drück­liche Verbote heute oft Hei­terkeit oder werden nur als grobe Emp­fehlung gedeutet.

Es ist zum Bei­spiel ver­boten, andere Men­schen einfach weg­zu­messern, im Freibad fremde Biki­ni­zonen zu erfor­schen und des Nachts spontane Wer­te­über­tra­gungen im Dresdner Grünen Gewölbe durch­zu­führen. Inter­es­siert nur nicht mehr jeden. Schwie­riger ist es schon, das seit April in diesem Land gel­tende Verbot zu über­treten, mit Kern­spaltung Energie zu erzeugen. Dazu braucht es nämlich mehr als kri­mi­nelle Energie und den Mut, eine einsame rote Ampel zu igno­rieren. Die Autorin irrt sich gewis­ser­maßen in der Wir­kungs­sphäre, wenn sie fort­während gesell­schaft­liche Normen und Regeln mit den irr­sin­nigen wie will­kür­lichen Kli­ma­ret­tungs­es­ka­paden vergleicht.

„Es tut auch gar nicht weh“

„Deshalb wünsche ich mir sogar mehr Verbote – gerade wenn es um den Kli­ma­schutz geht. In Frank­reich gilt für die kom­menden drei Jahre ein Flug­verbot auf drei Inlands­strecken, es betrifft zum Bei­spiel Lini­en­flüge von Bor­deaux nach Paris. Auf den ersten Blick eine deut­liche Ein­schränkung der indi­vi­du­ellen Mobi­lität. Doch gleich­zeitig wird darauf geachtet, das Reisen auf dieser Strecke in 2,5 Stunden ver­lässlich mit dem Zug zu ermög­lichen, und diesen so fahren zu lassen, dass Pas­sa­giere dennoch acht Stunden vor Ort sein können. Wie schön wäre das in Deutschland für manche Strecken! Es würde kli­ma­be­wusste Mobi­lität sehr viel ein­facher machen.“

Na, endlich mal was Tech­no­lo­gi­sches! Aber schauen wir mal etwas genauer hin. Das Flug­verbot gilt nämlich nur, wenn es eine schnelle und zuver­lässige Bahn­ver­bindung gibt. Außerdem ging das Verbot im streik­freu­digen Frank­reich nur deshalb so but­ter­weich durch, weil die drei betrof­fenen Strecken seit 2020 ohnehin nicht mehr geflogen werden. Das von der Autorin als Vorbild gepriesene Verbot ist somit das bil­ligst zu habende Moral­signal und bewegt sich auf dem Niveau eines Verbots, Dodos zu jagen. Im Übrigen dürfen wir getrost annehmen, dass private Flüge zwi­schen Bor­deaux und Paris wei­terhin möglich sind. Mit und ohne Kindersitz.

Will­kommen hinter der Fichte, wo ich noch ein anderes Gegen­bei­spiel anbringen möchte. Das implizite Verbot, als Beschäf­tigter im Gesund­heits­wesen oder Soldat von der Covid-Gen­the­rapie ver­schont zu bleiben, war für sehr viele Men­schen alles andere als schmerzfrei. Das Verbot, unge­impft zu bleiben hat Kar­rieren zer­stört, Leben rui­niert, Men­schen­leben gekostet und das Ver­trauen der Bürger in Insti­tu­tionen wie Regierung, For­schung, Medien und das Gesund­heits­system als Ganzes nach­haltig beschädigt. Um im Bild der Autorin zu bleiben: man hat das zap­pelnde und ver­un­si­cherte Kind am Hals angeschnallt.

„Auch am Bei­spiel des EU-Ein­weg­plastik-Verbots kann man sehen, wie wir­kungsvoll es sein kann, sich für ein Verbot zu ent­scheiden. Denn seitdem wird ver­stärkt über Alter­na­tiven nach­ge­dacht, der Einsatz von Kunst­stoff grund­sätzlich stärker hin­ter­fragt. Und ich als Ver­brau­cherin habe plötzlich viel mehr Mög­lich­keiten als vorher, meinen Mehr­weg­kaf­fee­becher einzusetzen.“

Wie sinnvoll sind Verbote und wer ist im Besitz des wer­tenden Maß­stabes? Sinn und Zweck des Plas­tik­verbots war ja nicht, Ver­braucher zum Nach­denken über Alter­na­tiven anzu­regen, sondern mal wieder die Welt zu retten. Diesmal vor Plastik aus euro­päi­schen Haus­halten, das im Unter­schied zu indi­schem, chi­ne­si­schem und latein­ame­ri­ka­ni­schem Plastik die Welt­meere gar nicht verschmutzte.

„Insofern sind Verbote (quasi) wie dornige Chancen – für uns alle. Sie befreien. Und sie tun auch gar nicht weh. Genauso wie das Anschnallen im Kindersitz.“

Wenn Verbote befreien, schränkt Freiheit uns ein. Wer mit dieser geis­tigen Selbst­schuss­anlage im Kopf leben muss, ist genug bestraft, denke ich.

Fazit

Wir lernen also, das die besten Verbote jene sind, die nichts bewirken oder die einen selbst nicht betreffen. Wenn sich Verbote nicht aus kul­tu­rellem Hin­ter­grund und einer Logik ergeben, für die „Volks­schule Sau­erland“ genügt, dienen sie meist lediglich einer ange­maßten auto­ri­tären Erziehung der Men­schen und lassen gern Schlupf­löcher für den eigenen Komfort. Kli­ma­ak­ti­visten mit dicken Flug­mei­len­konto fordern Flug­verbote, Las­ten­fahr­rad­fahrer fordern Tem­po­limits, Stadt­bahn­fahrer ver­langen auto­freie Innen­städte und Veganer den Fleisch­ver­zicht. Dass eine ange­hende Astro­nautin (Thiele-Eich trai­niert für eine Mission zur ISS) Flug­verbote auf der Kurz­strecke feiert, ist deshalb nur zu ver­ständlich. Sie selbst will sich schließlich auf die denkbar längste Flug­reise mit geradezu ele­fan­tösem CO2-Ausstoß machen, die sich derzeit auch nur denken lässt. Es ist anzu­nehmen, dass sie nicht warten will, bis Ver­kehrs­wende mit Wind- und Solar­energie auch bei Orbi­tal­flügen ange­kommen sind. Das täte ihr nämlich weh.


Quelle: unbesorgt.de