Natio­nal­archiv gibt Rudolf-Heß-Akte frei – Geheimnis wird obskurer (Video)

Die vielen Ver­schwö­rungs­theorien zum Tod von Rudolf Heß hat das bri­tische Geheim­archiv nicht zer­streut – wohl aber die Hoff­nungen auf Klarheit in dem Fall des deut­schen Vizeführers.

Dass Hitlers Stell­ver­treter Rudolf Heß seinen wag­hal­sigen Flug nach Groß­bri­tannien als Frie­dens­mission unter­nommen haben könnte – diese Version lehnten bri­tische Regie­rungen immer wieder ab. Warum sollte Heß aber sonst mitten im Blitz-Bom­ben­regen auf eng­lische Städte nach Groß­bri­tannien fliegen?

Manche His­to­riker ver­muten, das Motiv hinter seinem Flug seien „Gemein­sam­keiten“ zwi­schen den Nazis und den pro-deut­schen Kreisen im bri­ti­schen Estab­lishment gewesen. Es gibt viele Bücher über Hitlers Wunsch, einen Frie­densdeal mit London zu erzielen, um beide Hände für den Überfall auf die Sowjet­union frei zu haben oder die Briten gar für einen gemein­samen Kreuzzug gegen die – bei Hitler und Chur­chill glei­cher­maßen ver­hassten – Kom­mu­nisten zu gewinnen.

In der Tat: Heß flog nur sechs Wochen vor dem Überfall Deutsch­lands auf die UdSSR nach Groß­bri­tannien. Dass Heß ihnen von der Ope­ration Bar­ba­rossa erzählt hatte, bestritten die Briten zwar. Stalin jedoch war über­zeugt, Heß habe ihnen davon nicht nur erzählt, sondern auch ange­boten, sich dem Überfall anzu­schließen. Bei all seinem Anti-Kom­mu­nismus nahm Chur­chill das Angebot nicht an, sondern ließ den Hitler-Stell­ver­treter Heß als Kriegs­ge­fan­genen ver­haften (Nazi-Relikte: Das Hitler-Rätsel von Argen­tinien (Videos)).

Im Nürn­berger Prozess von 1946 wurde Heß wegen Ver­brechen gegen den Welt­frieden zu lebens­langer Haft ver­ur­teilt. Bis zu seinem Tod im Jahr 1987 betonte Heß immer wieder, der Rich­ter­spruch sei eine Per­version, habe er doch Leib und Leben für eine „Frie­dens­mission“, den Flug nach Groß­bri­tannien, riskiert.

Von der übrigen Welt kom­plett abge­schnitten, machte Heß im Span­dauer Kriegs­ver­bre­cher­ge­fängnis der Alli­ierten heim­liche Notizen über seine gewagte Unter­nehmung. Auf Toi­let­ten­pa­pier­rollen schrieb er seinen Bericht und wollte ihn über einen fran­zö­si­schen Pastor aus dem Gefängnis schmuggeln.

Dieses Kom­plott flog jedoch auf, sodass die Welt keine Chance mehr hat, aus erster Hand zu erfahren, was zwi­schen Heß und den Briten im Mai 1941 wirklich pas­siert war.

Jahr­zehn­telang wurden sämt­liche Infor­ma­tionen über diesen Fall geheim gehalten und nur auf Druck von Öffent­lichkeit und Geschichts­wis­sen­schaftlern stück­chen­weise her­aus­ge­geben. Und selbst in der jüngsten Ver­öf­fent­li­chung 30 Jahre nach Heß‘ Tod klaffen deut­liche Lücken. Der Bericht der Royal Military Police über ihre Ermitt­lungen und die Doku­mente über die Folgen von Heß‘ Tod wurden vom bri­ti­schen Außen­mi­nis­terium wieder eingezogen.

(Reichs­par­teitag in Nürnberg 1938: Rudolf Heß (der zweite von links), Adolf Hitler steht vor Lichtdom)

Heß hatte in den 40 Jahren seiner Gefan­gen­schaft beharrlich um Frei­lassung ersucht und die Nach­richt von seinem Tod am 17. August 1987 erregte bei vielen Ver­dacht. Waren es die Briten selbst, die den ehe­ma­ligen Hitler-Stell­ver­treter endlich los­ge­worden sind, um sich die Pein­lichkeit mög­licher Ent­hül­lungen zu ersparen? Dies behaupten jeden­falls einige His­to­riker und die jüngst ver­öf­fent­lichten Doku­mente zeigen: Das letzte Wort in dieser Sache ist noch nicht gesprochen.

Heß habe Selbstmord begangen, lautete eine gemeinsame Erklärung, die die vier Mächte Frank­reich, Groß­bri­tannien, USA und UdSSR, zwei Tage nach seinem Tod ver­öf­fent­lichten. Die Sie­ger­mächte betrieben das Kriegs­ver­bre­cher­ge­fängnis in Berlin-Spandau gemeinsam.

 

Ein jetzt frei­ge­ge­benes Tele­gramm des bri­ti­schen Außenamts zeigt aber: Diese Erklärung wurde lediglich von drei der vier „Gefäng­nis­be­treiber“ ver­fasst und der Sowjet­union dann als voll­endete Tat­sache vorgelegt.

„Eine Pres­se­mit­teilung über die Obduktion wurde von den drei Alli­ierten an diesem Nach­mittag abge­stimmt und dann den Russen bei einem Treffen in Spandau vor­gelegt, unter der Maßgabe, dass sie um 18 Uhr in jedem Fall ver­öf­fent­licht wird“, heißt es in jenem Dokument.

(Bri­ti­sches Tele­gramm bezüglich der Pres­se­mit­teilung über Heß‘ Tod)

Und die Mit­teilung wurde in der Tat ver­öf­fent­licht – trotz der Bedenken der Sowjet­union über die Todesursache.

Auch wurde über das Selbst­mord­in­strument viel geschrieben und gesagt, welches Heß angeblich gewählt hatte: Ein Ver­län­ge­rungs­kabel, das um seinen Hals gewi­ckelt war, als Heß‘ Leiche in der Gar­ten­laube auf dem Gefäng­nis­ge­lände ent­deckt wurde.

Heß‘ Sohn Wolf-Rüdiger und sein Anwalt Alfred Seidl behaup­teten später, Rudolf Heß hätte nie und nimmer einen Knoten in das Kabel binden können: Wegen Arthrose habe Heß Schwie­rig­keiten gehabt, sich sogar die Schnür­senkel zuzubinden.

(Foto des Ver­län­ge­rungs­kabels, das an dem Fenster der Gar­ten­laube befestigt ist, in der Heß erdrosselt auf­ge­funden wurde)

Die frei­ge­ge­benen Doku­mente werfen eine aber­witzige Erklärung dafür auf: „Das Ver­län­ge­rungs­kabel, das benutzt wurde, wurde manchmal in der Gar­ten­laube gelassen, und wenn es nicht gebraucht wurde […], wurde es mit einem Knoten am Fenster befestigt, damit Heß es nicht extra holen musste.“

Wie überaus bequem! Aber ist es nicht gängige Gefäng­nis­praxis, die Insassen von allem fern­zu­halten, womit sie sich und anderen Schaden zufügen können? In den 40 Jahren seiner Gefan­gen­schaft hatte Heß mehrmals ver­sucht, sich das Leben zu nehmen. Die Gefäng­nis­leitung hätte also ange­messene Maß­nahmen ein­leiten müssen, um einen wei­teren Sui­zid­versuch zu verhindern.

Eine biegsame Ver­län­ge­rungs­schnur ist ein ideales Selbst­mord­in­strument. Allein die Tat­sache, dass sie an einem Ort auslag, an dem der Häftling häufig, auch wenn nur für wenige Minuten, allein­ge­lassen wurde, kommt zumindest einer groben Fahr­läs­sigkeit gleich, wenn nicht einem straf­recht­lichen Vorsatz.

Ganz abge­sehen davon ist der Knoten auf dem Foto aus dem frei­ge­ge­benen Geheim­archiv ein kom­pli­zierter See­manns­knoten – dafür bestimmt, schweres Gewicht aus­zu­halten. Warum um alles in der Welt sollte jemand ein Ver­län­ge­rungs­kabel auf diese son­derbare Weise auf­be­wahren, zumal im Gefängnis!

Dies war schon ein erstaun­licher Bruch mit allen Sicher­heits­regeln in einem Gefängnis, die in Spandau regel­mäßig dis­ku­tiert und über­ar­beitet wurden, wie aus den ver­öf­fent­lichten Pro­to­kollen der Gefäng­nis­leitung hervorgeht.

 

Aber mit den Regel­brüchen war es damit nicht vorbei. So heißt es in den Unter­lagen: Der sowje­tische Kom­mandant des Span­dauer Gefäng­nisses sei über­rascht gewesen, „zu erfahren, dass die Son­der­er­mittler der British Royal Military Police bereits Zugang zu der Gar­ten­laube gehabt hatten, obwohl das Abkommen über die Gefäng­nis­ver­waltung vor­schreibt, dass der Bereich um den Zel­len­block vom US-Kom­man­danten unver­züglich abge­riegelt werden musste [Im August waren die US-Ame­ri­kaner für die Ver­waltung des Span­dauer Gefäng­nisses ver­ant­wortlich – Anm. d. Autors]“.

Der vor­sit­zende US-Kom­mandant argu­men­tierte, er habe die Befugnis gehabt, die Son­der­er­mittler der bri­ti­schen Mili­tär­po­lizei hin­ein­zu­lassen. Er und der fran­zö­sische Kom­mandant haben jeden­falls ange­boten, ihre Vor­ge­setzten unver­züglich zum Zugang der bri­ti­schen Son­der­er­mittler zu konsultieren.

Der bri­tische Kom­mandant ver­traute seinen Chefs an: „Infor­ma­tionen darüber, dass jemand, ver­mutlich ein bri­ti­scher Wächter, sie her­ein­ge­lassen hatte und sie in der Lage gewesen waren…“ An dieser Stelle endet das Dokument abrupt und der end­gültige Bericht der bri­ti­schen Son­der­er­mittler bleibt bis heute unter Ver­schluss. Auch der Obduk­ti­ons­be­richt war lange geheim und ist erst jetzt ver­öf­fent­licht worden.

(Bericht zur Obduktion von Rudolf Heß‘ Leiche)

Gleichwohl bemerkten die West-Alli­ierten: „Der Obduk­ti­ons­be­richt ist zur Ver­öf­fent­li­chung unge­eignet. Es wäre vor­zugs­weise auch zu ver­meiden, dass er an Wolf-Rüdiger Heß [Heß‘ Sohn] aus­ge­händigt wird.“

Was war denn so unge­eignet an diesem Bericht, dass er der Öffent­lichkeit 30 Jahre lang vor­ent­halten werden musste? Viel­leicht diese uner­klär­liche Prellung an Heß‘ Kopf?

 

Und wieder ver­suchten die drei West-Alli­ierten das Thema abzu­wiegeln und ihre Sowjet­partner ruhigzustellen.

„Der bessere Weg war aus unserer Sicht eine klare und starke Erklärung an die Presse – abge­stimmt zumindest mit den US-Ame­ri­kanern und den Fran­zosen –, die an deren Ergeb­nisse und an den Bericht der bri­ti­schen Son­der­er­mittler anknüpfte und dafür bestimmt war, wei­teren Zweifeln und Spe­ku­la­tionen ein Ende zu setzen.“ (Hitlers ame­ri­ka­nische Lehrer: Die Eliten der USA als Geburts­helfer der Nazi-Bewegung (Videos))

Erreicht hat dieser Ansatz exakt das Gegenteil: Zweifel und Spe­ku­la­tionen über den Tod des Häft­lings Nr. 7 im Span­dauer Kriegs­ver­bre­cher­ge­fängnis dürften jetzt umso mehr sprießen.

Video:

https://youtu.be/_rpffAYDwq0

Quellen: PublicDomain/de.sputniknews.com am 22.07.2017

Dieser Artikel erschien zuerst hier:

https://www.pravda-tv.com/2017/07/nationalarchiv-gibt-rudolf-hess-akte-frei-geheimnis-wird-obskurer-video/