Was wäre, wenn?
In den ersten Julitagen schlug eine Nachricht buchstäblich ein, wie eine Bombe. Mit einem neuerlichen Raketenstart gelang es Nordkorea — nach einigen Fehlverusuchen — der Welt eine echte Weiterentwicklung vorzuführen. Eine Trägerrakete erzielte eine Leistung, die sie als Interkontinentalrakete qualifiziert. Endlich hat Pyönyang etwas in der Hand, was als ernstzunehmende Bedrohung für die USA aufgefasst werden kann. Bis zu 10.000 Kilometer Reichweite sollen diese Raketen der neueren Generation haben, genug, um weite Teile der USA abzudecken.
Die Amerikaner üben über China enorm Druck auf Nordkorea aus. Die Chinesen haben wenig Freude an dieser geopolitischen Rangelei. Sie wollen in Ruhe ihren Geschäften nachgehen und weder Sanktionen noch Handelskrieg mit den USA. Andererseits lassen sie auch wenig Zweifel daran, dass sie keinesfalls zusehen werden, wenn die USA einen Militärschlag gegen Nordkorea, Chinas weichen Unterbauch, ausführen. US-Verteidigungsminister Mattis warnte heute Nordkorea noch einmal drastisch vor irgendwelchen “Warnschüssen” gegen Guam, denn dann gehe es los dann sei “Game on”.
Doch Nordkorea ist nicht die einzige, gefährliche Bedrohung für die USA. China ist eine voll ausgerüstete, hochentwickelte Atommacht. Auch der IS soll schon im Besitz schmutziger Atombomben sein. Das Verhältnis Russland-USA ist sehr fragil. Russland verfügt über ein beachtliches Atombomben-Arsenal. Eine Raketenabwehr mag noch so effektiv sein. Irgendwann kommt ein Projektil durch, und die Katastrophe nimmt ihren Lauf.
Schon seit einiger Zeit gibt es Berichte, dass etwas vorsichtigere und betuchtere New Yorker sich als Notfallplan ein Boot zulegen. Nun gibt es neue Möglichkeiten. Aufgrund der deutlich gestiegenen Nachfrage nach effektiven Fluchtmöglichkeiten aus der City entstand ein neues Modell. Die Firma heißt „Plan B Marine“. Für 90.000 $ im Jahr bekommt man den Schlüssel zu einem Boot, das von der Firma ständig gewartet und voll betankt zur Flucht bereit steht. Die Firma arbeitet mit jedem Kunden einen persönlichen Fluchtplan und die optimale Route aus, je nachdem, welcher Notfall eine Flucht erfordert. Bei Bürgerkriegsunruhen (siehe Charlotteville) reicht es, zum Wochenendhäuschen 70 Kilometer ausserhalb New Yorks, möglichst am Wasser, zu kommen. Eine Bombe oder gar Atombombe auf New York erfordert, eine wesentlich größere Distanz zu überwinden, und das in möglichst kurzer Zeit.
Grund für den Fluchtweg zu Wasser aus New York heraus ist die Lage der Innenstadt. Die Karte links zeigt die Zeit, die eine Evakuierung der jeweiligen Großstadt in Anspruch nehmen würde. New Orleans, Fort Myers und Ocean City bräuchten 50–60 Stunden für eine Evakuierung, Long Island, östlich von New York, 20–29 Stunden wie die meisten Großstädte an der Ostküste. Downtown Manhattan wäre allerdings deutlich schlechter dran. Die Fährverbindungen und Brücken würden nicht ausreichen. Die Halbinsel Manhattan hat nur drei Brücken nach Westen auf das Festland, einige nach Osten auf Long Island, das man dann überqueren müsste um mit Fähren von da aus zu entkommen. Das kostet Zeit. Auf dem Landweg nordwärts aus Manhattan heraus ginge es durch die Bronx. Es gibt kaum eine schlechtere Idee, als dort hindurch zu fliehen.
Die Amerikaner sind sich bewusst geworden darüber, dass sie bei einem Krieg nicht mehr unangreifbar sind. Die heutigen Waffensysteme und Langstreckenraketen erreichen jeden Punkt in den USA. Sogar Nordkorea erreicht mit seinen Raketen die großen Städte der US-Westküste bis weit ins amerikanische Herzland hinein. An Drohungen lässt es Kim Yong Un nicht fehlen. An New York käme er allerdings von Nordkorea aus nicht heran.
Da können die Chinesen schon mit deutlich weitreichenderen, ballistischen Waffen aufwarten. Wie die britische Daily Mail am 24. Januar 2017 berichtete, verlegte China Teile seines Missile-Arsenals nach Heilongjiang im nordöstlichen Zipfel des Riesenreiches, um eine adäquate Abschreckung und Antwort auf die antichinesische Haltung des US-Präsidenten Trump zu geben. Die Reichweite der Raketen des Reiches der Mitte bestreicht mit Leichtigkeit Moskau und London. Aber eben auch Washington und New York. Sie reicht einmal über den Riesenkontinent herüber, wie die Grafik zeigt. Dieser Umstand ist dem US-Militär und auch Präsident Trump bekannt.
Das Wissen, dass keine Stadt der USA mehr vor Angriffen mit Raketen mit Wasserstoff‑, Neutronen- oder Nuklearsprengköpfen sicher ist, verunsichert die Amerikaner durchaus.
Als die Spannungen durch das Engagement der Russen in Syrien und im Donbass zwischen den USA und Russland schärfer wurden, führte das Säbelrasseln der US-Falken-Neocons dazu, dass man zum ersten Mal in den US-Medien Karten mit möglichen Zielstädten in den USA veröffentlichte. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen nahmen Joe und Jane Sixpack zur Kenntnis, dass sie eigentlich nirgendwo in God’s own country mehr unbeschadet einen neuen Weltkrieg überstehen würden. Nimmt man in die Kalkulation noch die Atomkraftwerke mit auf (nuclear power plants), würde der größte Teil der USA radioaktiv verseucht und auf lange Zeit unbewohnbar werden.
Die entsprechenden Karten gehen dabei „nur“ von dreißig bis fünzig Treffern auf die dreißig größten Städte aus.
Nachdem die Kommando- und Kontrollzentralen der US-Army vernichtet worden wären, kämen möglicherweise die großen Städte dran. Die USA und Russland verfügen zusammen über ca. 20.000 Atomsprengköpfe. Das Raketenabwehrsystem könnte sicher auf beiden Seiten einiges an heranfliegenden Raketen abschießen. Aber ein paar kämen sicher durch, vermutet man.
Hier ist eine solche Karte. Die dreißig größten Städte oder Ballungsgebiete sind hier eingezeichnet. Die farbigen Kreise repräsentieren das Gebiet, das man bei einem nuklearen Treffer zügigst räumen müsste, um dem radioaktiven Fallout zu entkommen. Im direkten Umkreis um den Bombentreffer gäbe es nichts mehr zu räumen, dort wäre alles verglüht. Die zu räumenden Gebiete sind allerdings riesig und würden wahre Völkerwanderungen in Gang setzen:
Auffallend: Das größte, überlappende Gebiet mehrerer Kreise und wo die meisten aktiven Atomkraftwerke stehen, liegt an der Nordostküste der USA, um New York und südlich der Großen Seen. Man geht in den USA davon aus, dass New York “Ziel Nummer Eins” sein würde. Aus zwei Gründen: Zuerst einmal ist NY mit weitem Abstand die größte und bevölkerungsreichste Stadt in den USA. Die Stadt selbst beherbergt fast 8,2 Millionen Einwohner, der Großraum New Yorks fast 20 Millionen Einwohner. Hier eine Liste mit den Einwohnerzahlen der US-Großstädte selbst (City Limits) und ihrer Einzugsgebiete (Metro Areas):
CITY LIMITS POPULATION
1. New York (8,175,133)
2. Los Angeles (3,792,621)
3. Chicago (2,695,598)
4. Houston (2,099,451)
5. Philadelphia (1,526,006)
6. Phoenix (1,445,632)
7. San Antonio (1,327,407)
8. San Diego (1,307,402)
9. Dallas (1,197,816)
10. San Jose (945,942)
11. Jacksonville (821,784)
12. Indianapolis (820,445)
13. San Francisco (805,235)
14. Austin (790,390)
15. Columbus (787,033)
16. Fort Worth (741,206)
17. Charlotte (731,424)
18. Detroit (713,777)
19. El Paso (649,121)
20. Memphis (646,889)
21. Baltimore (620,961)
22. Boston (617,594)
23. Seattle (608,660)
24. Washington (601,723)
25. Nashville (601,222)
26. Denver (600,158)
27. Louisville (597,337)
28. Milwaukee (594,833)
29. Portland (583,776)
30. Las Vegas (583,756)
METRO AREAS (population – millions)
1. New York (19.6)
2. Los Angeles (12.8)
3. Chicago (9.5)
4. Dallas-Fort Worth (6.4)
5. Houston (5.9)
6. Philadelphia (5.9)
7. Washington (5.6)
8. Miami (5.6)
9. Atlanta (5.3)
10. Boston (4.6)
11. San Francisco (4.3)
12. Riverside (4.2)
13. Phoenix (4.2)
14. Detroit (4.2)
15. Seattle (3.4)
16. Minneapolis-St. Paul (3.3)
17. San Diego (3.1)
18. Tampa-St. Petersburg (2.8)
19. St. Louis (2.8)
20. Baltimore (2.7)
21. Denver (2.5)
22. Pittsburgh (2.4)
23. Charlotte (2.2)
24. Portland OR (2.2)
25. San Antonio (2.1)
26. Orlando (2.1)
27. Sacramento (2.1)
28. Cincinnati (2.1)
29. Cleveland (2.1)
30. Kansas City (2)
Der zweite Grund ist, dass im Zentrum von New York, Manhattan, das Zentrum der größten Wirtschaftsmacht und des westlichen Weltfinanzsystems liegt. Ein Atombomben-Treffer hier würde die USA wie einen Baum fällen. Nicht ohne Grund hat das Attentat vom 11. September hier stattgefunden. Es legte „nur“ die zwei WTC-Türme und Gebäude 7 in Schutt und Asche. Aber es traf die Amerikaner im innersten Kern – und das sollte es auch. Die Nation war sofort und ohne langes Nachfragen bereit, in den Krieg gegen den Terror zu ziehen.
Es liegt also nahe, davon auszugehen, dass eine Atombombe auf New York ein Enthauptungsschlag gegen die USA und das herrschende Wirtschafts- und Finanzsystem wäre und NY daher das bevorzugte Ziel für einen Angriff ist. Die Kriegs- und Drohrethorik, die sich seit etwa einem halben Jahr weltweit verschärft, bietet daher durchaus Anlass zu Überlegungen in diese Richtung.
Die George Mason Universität in Virginia startet eine Studie, die in drei bis fünf Jahren in einer Computersimulation erfoschen will, was in New York passieren würde, wenn die Stadt von einer Atombombe getroffen würde. Die britische Daily Mail berichtete am 20. März 2017, dass die 450.000 $ Studie anhand von 20 Millionen virtuellen, handelnden Einwohnern, die Auswirkungen von zwei nuklearen Explosionen in Manhattan untersuchen wird. Darunter sind die Meisten einfache Zivilisten, Rettungs- und Hilfskräfte, Regierungsvertreter und Menschen, die sich zu ihren Familien durchkämpfen, um ihre Angehörigen zu retten, sowie flüchtende Massen. Die individuellen Reaktionen auf das Ereignis und deren Auswirkungen auf die Masse der Bürger und Betroffenen, die Rückwirkungen wiederum dieser Auswirkungen auf den Einzelnen, die Entscheidungsspielräume der Regierung, all das soll in der Computersimulation beobachtet werden.
Um das möglichst lebensnah gestalten zu können, wurden Berichte und Zeugenaussagen von Personen verwertet, die Katastrophen überlebt haben. Daraus lassen sich die Verhaltensmuster der virtuellen Bürger, Opfer, Flüchtlinge und Rettungskräfte konstruieren. Besonders Berichte vom 11. September lieferten sehr detaillierte Handlungsvorlagen. Die Zeugen von damals berichten oft, dass die Leute keineswegs durchweg panisch kreischend davongelaufen sind, sondern oft ruhig und besonnen blieben, anderen halfen und versuchten, irgendwie mit der Situation zurecht zu kommen. Berichte vom Hurrican Katrina dagegen beschrieben teilweise Panik, Wut und Angriffe auf Helfer.
Alle diese Informationen müssen in die Rechner und das Programm eingebaut werden. Zwanzig Millionen virtuelle Charaktere sollen dann in das virtuelle New York gesetzt werden und auf die Vorfälle reagieren, denen sie ausgesetzt werden. Jede handelnde Person bekommt eine Anzahl von „Entscheidungsbäumen“ – also verschiedene Wege sich zu entscheiden, wie sie mit der Situation umgeht: Flucht, Hilfe für Mitmenschen, Verstecken, die eigenen Angehörigen suchen oder andere Reaktionen und dann in der Folge alles, was sich aus diesen Entscheidungen als Folgen ergibt. Dabei werden S‑Bahnen, Straßen, Brücken und Fähren berücksichtigt. Die Wege werden dann auch versperrt und verstopft werden, je nachdem, wie sich die Lage entwickelt. Auch die Anzahl der Stockwerke in den Gebäuden und das Verhalten der virtuellen Menschen in den Treppenhäusern und Aufzügen wird simuliert.
Die Simulation soll die Abläufe in 5‑Minuten-Intervallen ausrechnen und zeigen. Nach einiger, vergangener Zeit werden die Intervalle größer, je langsamer sich die Dinge nach der ersten, turbulenten Zeit entwickeln. Am Ende der 30-Tage-Simulation sollen es 15-Minuten Intervalle sein. Von der aufwendige Programmierung und dem Einsammeln des nötigen Geldes bis zum Ergebnis der riesigen Rechnerschränke setzen die Initiatoren allerdings fünf Jahre an. Man mag darin einen gewissen Optimismus sehen, was die noch verbleibende Zeit betrifft.
Das ganze Simulationsszenario setzt allerdings voraus, dass es verhältnismässig kleine Atombomben sind, ansonsten bliebe niemand mehr im Großraum New York am Leben. In der Computersimulation wird daher von zwei Bomben mit einer Sprengkraft von 10 Kilotonnen ausgegangen. Zum Vergleich: Die Atombomben von von Hiroshima und Nagasaki hatten eine Sprengkraft von 13 und 20 Kilotonnen.
Das Projekt der Amerikaner, diese Atombomben für den Einsatz im Zweiten Weltkrieg zu entwickeln, lief interessanterweise unter der Bezeichnung „Manhattan Project“ (nach der Tarnbezeichnung Manhattan Engineer District). Es war ein militärisches Forschungsprojekt, bei dem ab 1942 alle Tätigkeiten der Vereinigten Staaten während des Zweiten Weltkrieges zur Entwicklung und zum Bau einer Atombombe unter der militärischen Leitung von General Leslie R. Groves ausgeführt wurden. Die Forschungsarbeiten im Rahmen des Manhattan-Projekts wurden von dem Physiker J. Robert Oppenheimer geleitet. Mehr als 150.000 Menschen arbeiteten unter höchster Geheimhaltung, direkt oder indirekt für das Projekt. Den „Erfolg“ dieser Bemühungen in Hiroshima und Nagasaki dokumentieren die Geschichtsbücher.
Könnte es möglich sein, dass „Projekt Manhattan“ bald zu seinem Ausgangspunkt zurückkehrt?