Anstatt Hilfs­be­dürf­tigkeit und Unselbst­stän­digkeit zu fördern: Afrika braucht die jungen Afri­kaner in Afrika!

„Wird Frank­reich seine Unter­stützung für Länder stärken, die nicht zu seinen frü­heren Kolonien gehörten?“ Diese harmlos klin­gende Frage eines Jour­na­listen auf der gemein­samen Pres­se­kon­ferenz von Manuel Macron und dem Prä­si­denten Ghanas, Nana Akufo-Addo, am 3. Dezember 2017 in Accra [1] gab letz­terem die Gele­genheit zu einer ful­mi­nanten Grund­satzrede, in der er Ghana und den Kon­tinent Afrika zum Auf­bruch aus der 60 Jahre andau­ernden Epoche der Hilfs­be­dürf­tigkeit und Unselbst­stän­digkeit auf­fordert; ein Auf­bruch zu einem, wie er es nennt, „Ghana jen­seits der Hilfs­be­dürf­tigkeit“ (Ghana beyond aid). Er ver­langt deshalb, dass afri­ka­nische Men­schen in Afrika bleiben, um dort an Ort und Stelle ihren Kon­tinent zu trans­for­mieren, wie es die Tiger­staaten in Asien erfolg­reich getan hätten. Er wendet sich gegen die Abwan­derung der afri­ka­ni­schen Jugend nach Europa, und er beklagt implizit, dass damit Afrika die Res­sourcen für den eigenen Aufbau ent­zogen werden. Der dafür früher ver­wendete Begriff „Bra­in­drain“ ist inzwi­schen leider voll­kommen aus der öffent­lichen Debatte verschwunden.
(Von Dr. Wolfgang Hintze)
Es ist eine für Afrika und für Europa glei­cher­maßen wichtige Rede. Das Video der Rede [2] wurde vor allem unter der afri­ka­ni­schen Jugend sehr schnell viral. Die hie­sigen Medien scheinen von diesem Virus aller­dings ver­schont geblieben zu sein, und das ist wohl kein Zufall, wider­spricht die Rede des Prä­si­denten Ghanas doch dem Kern­pos­tulat der inzwi­schen unter der Über­schrift „resett­lement and relo­cation“ [3] auch zum offi­zi­ellen Credo von UNO und EU gewor­denen Willkommenskultur.
Akufo-Addo betont die grund­sätz­liche Bedeutung seiner Rede, indem er vor­aus­schickt: „Ich hoffe, dass das, was ich jetzt sagen werde, den Fra­ge­steller und ein paar andere Leute hier nicht allzu sehr stört.“
Hier der Link auf das Video. Es folgt meine Über­setzung des gespro­chenen Wortes der in eng­li­scher Sprache gehal­tenen Rede.
„Ich glaube, es steckt ein grund­sätz­licher Denk­fehler in dieser Art der Fra­ge­stellung. Wir können eine Politik nicht länger so fort­setzen, eine Politik für uns, für unser Land, für unseren Kon­tinent, die darauf basiert, dass uns die west­liche Welt, Frank­reich oder die EU unter­stützt. Das wird nicht funk­tio­nieren. Es hat nicht funk­tio­niert und es wird nicht funktionieren.
Unsere Aufgabe muss es sein, einen Weg zu beschreiben, wie wir unsere Nationen selbst­ständig ent­wi­ckeln können.
Es ist nicht in Ordnung dass ein Land wie Ghana – inzwi­schen seit 60 Jahren unab­hängig – sich immer noch die Budgets für Gesundheit und Volks­bildung durch die Groß­zü­gigkeit und Barm­her­zigkeit des euro­päi­schen Steu­er­zahlers finan­zieren lässt. Wir sollten heute in der Lage sein, unsere grund­le­genden Bedürf­nisse selber zu finan­zieren. Und wenn wir auf die nächsten 60 Jahre blicken als auf eine Periode des Über­gangs, blicken wir auf eine Periode in der es uns gelingt, auf unseren eigenen Füßen zu stehen. Unsere Per­spektive darf nicht von den Ent­schei­dungen des fran­zö­si­schen Steu­er­zahlers oder finan­zi­ellen Über­schüssen dort abhängig sein … wir begrüßen es natürlich, wenn uns der fran­zö­sische Steu­er­zahler hilft, wir werden ein Geschenk nicht ausschlagen.
Aber dieser Kon­tinent verfügt immerhin über 30% der wich­tigsten mine­ra­li­schen Roh­stoffe der Welt. Es ist ein Kon­tinent von rie­sigen frucht­baren und kul­ti­vier­baren Flächen. Er besitzt die jüngste Bevöl­kerung aller Kon­ti­nente der Welt, und wir haben die Energie, die Dynamik gesehen, die von diesen jungen Leuten ausgeht mit ihrer Aus­dauer, ihrer Krea­ti­vität, ihrem Erfin­dungs­reichtum beim Durch­queren der Sahara, beim Über­queren des Mit­tel­meers in klapp­rigen Booten. Diese Energie, diese Energien wollen wir innerhalb unserer Länder wirksam machen. Und es wird uns gelingen, diese Energien in unseren Ländern wirksam zu machen, wenn wir anfangen, Ver­hält­nisse zu schaffen, die den jungen Men­schen unserer Länder klar machen, dass ihre Hoff­nungen und ihre Ent­wick­lungs­mög­lich­keiten genau hier bei uns liegen.
Migration als Bewegung von Men­schen wird heute manchmal als ein neues Phä­nomen dar­ge­stellt. Aber daran ist nichts neu. Die Bewegung von Men­schen ist so alt wie die Menschheit; und sie hat immer die selbe Ursache: die feh­lenden Ent­wick­lungs­mög­lich­keiten für den Men­schen vor Ort. Also begibt er sich woanders hin. Wer von Ihnen mit der Geschichte des 19. Jahr­hundert ver­traut ist, weiß, dass die größten Migra­ti­ons­wellen im Europa des 19. Jahr­hun­derts, oder der größte Teil davon, aus Irland und Italien kamen. Eine Welle nach der anderen, Gene­ra­tionen von Ita­lienern und iri­schen Men­schen ver­ließen ihre Länder auf der Suche nach dem „ame­ri­ka­ni­schen Paradies“; im Wesent­lichen deshalb, weil Irland nicht funk­tio­niert hat, weil Italien nicht funk­tio­niert hat.
Heute hören wir das nicht mehr, heute sind junge Ita­liener in Italien und junge Iren in Irland.
Wir wollen, dass junge Afri­kaner in Afrika bleiben (Beifall, auch von Macron)
Und das heißt: wir müssen uns von der Men­ta­lität der Abhän­gigkeit frei machen, von dieser Frage des „was kann Frank­reich für uns tun?“. Frank­reich wird das tun, was seinen eigenen Inter­essen am besten nützt, und wenn diese mit unseren Inter­essen über­ein­stimmen, ‚tant mieux“ – umso besser, wie die Fran­zosen sagen. Aber unsere Haupt­ver­ant­wortung als Staats­führer, als Bürger, besteht darin, unserem eigenen Land zu Wachstum zu ver­helfen, Insti­tu­tionen zu schaffen, die gut arbeiten, die eine gute, eine ver­ant­wort­liche Steuerung ermög­lichen, die sicher­stellen, dass das Geld, das den Führern anver­traut wird, für das Wohl des Bürger und nicht für das der Führer ein­ge­setzt wird; ein System der Ver­ant­wort­lichkeit, das Vielfalt zulässt, das es den Men­schen erlaubt, sich frei zu äußern und einen Beitrag im Interesse des Gemein­wohls zu leisten.
Wir müssen uns fragen, was wir in diesem 21. Jahr­hundert tun müssen, damit Afrika her­aus­kommt aus seiner Demuts­haltung und der Bet­telei um Hilfe, Mitleid und Almosen. Ange­sichts seiner Res­sourcen sollte es eigentlich der afri­ka­nische Kon­tinent sein, der anderen Regionen Geld gibt. Wir müssen eine Men­ta­lität ent­wi­ckeln, die sagt: „wir können das“. Andere haben es geschafft, also auch wir, und wenn wir das erst einmal erreicht haben, werden wir sehen, dass sich daraus ein befrei­ender Faktor für uns alle ergibt. Was habe die Koreaner, die Malaysier, die Sin­ga­purer gemacht, die ihre Unab­hän­gigkeit zur selben Zeit wie wir bekamen? Zum Zeit­punkt der Unab­hän­gigkeit war das pro Kopf-Ein­kommen in Ghana höher als in Korea, heute ist Korea Teil der Ersten Welt, ebenso Malaysia und Sin­gapur. Was ist da pas­siert? Warum haben sie diesen Übergang geschafft und wir sind 60 Jahre nach der Unab­hän­gigkeit immer noch da, wo wir waren?
Das sind die Fragen, die uns alle bewegen müssen, als Afri­kaner, als Ghanaer. Und nicht – und das sage ich mit dem größten Respekt gegenüber dem fran­zö­si­schen Prä­si­denten … die Zusam­men­arbeit mit Frank­reich … ich bin, wie sie wissen, ein großer Freund Frank­reichs, ich bin fran­kophil, also habe ich damit keine Pro­bleme – aber ich spreche darüber, wie unser eigener Antrieb aus­sehen soll, was wir tun müssen, um unsere Länder zum Funk­tio­nieren zu bringen, so dass wir die Bedin­gungen schaffen können, die es unseren jungen Men­schen erlauben, diese ris­kanten Unter­neh­mungen einer Flucht nach Europa auf­zu­geben. Sie gehen nicht dort hin, weil sie es wollen, sondern weil sie nicht mehr an eine Per­spektive für sie in unseren Ländern glauben. Also muss unser Fokus darauf liegen. Ich glaube, wenn wir diese Geis­tes­haltung ändern, diese Vor­stellung von Abhän­gigkeit, eine Vor­stellung, die auf Hilfe und Barm­her­zigkeit gründet, werden wir in den vor uns lie­genden Dekaden sehen, wie das afri­ka­nische Volk erblüht. Und diese Art der neuen afri­ka­ni­schen Per­sön­lichkeit, über die in den Tagen unserer Unab­hän­gigkeit gesprochen worden war, wird real und bedeu­tungsvoll werden.
Wie ich schon sagte, möchte ich dem Fra­ge­steller nicht zu nahe treten, und ebenso wenig einigen meiner Freunde, die hier anwesend sind, aber das sind meine grund­le­genden Über­zeu­gungen, und deshalb habe ich meine Prä­si­dent­schaft unter das Motto „Ghana jen­seits der Hilfs­be­dürf­tigkeit“ (Ghana beyond aid) gestellt: wir wollen ein Ghana erbauen, das unab­hängig ist, das selbst­ständig ist, sich selbst ver­sorgen kann, das auf seinen eigenen Füßen stehen und sein eigenes Leben auf­bauen kann. Wir können es tun (we can do it), wenn wir die richtige Ein­stellung dazu haben.
Herr Prä­sident [Macron], dass war mein Beitrag.“
[1] https://qz.com/1145953/ghanas-president-akufo-addo-shocks-frances-macron-with-africa-non-dependent-speechw
[2] https://www.youtube.com/watch?v=NU0Zzp2KPJw
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Resettlement
Dr. Wolfgang Hintze / vera-lengsfeld.de