Es war einmal, im Gegensatz zu heute, eine Zeit, als Märchen noch nicht daraufhin untersucht wurden, ob sie im Filter der politischen Korrektheit hängen bleiben und dann in der (zumeist rassistischen oder auf jeden Fall zweifelsfrei diskriminierenden) Fassung nicht veröffentlicht werden durften. Damals gab es die Geschichte vom Suppenkasper. Ein durch regelmäßigen Suppengenuss „dicker Bub“ entwickelt sich von einem Tag auf den anderen zum #NotMe-Suppenverweigerer, bis er nach fünf Tagen stirbt.
(Von Josef Hueber)
Der Verfasser der Geschichte, Dr. Heinrich Hoffmann, 1809 bis 1894 Nervenarzt in Frankfurt in einer „Anstalt für Irre und Epileptiker“, schrieb sie, mangels eines passenden Weihnachtsgeschenkes für seinen 3‑jährigen Sohn. Die in der bedrohlichen, gereimten Erzählung vorgeführte Gefahr, eine „freiwillige Essensverweigerung“, schien durch die „vorausgegangenen, jahrelangen Hungersnöte breiter Teile der Bevölkerung … geradezu absurd.“ (http://bit.ly/2Exos5u). Aber vielleicht wollte der Autor die Autorität einer Erzählung statt eigener Drohungen auf seinen Sprössling wirken lassen?
Heute, wo man aus humanen und aufgeklärt-pädagogischen Gründen selbstverständlich kein Kind mehr der Notwendigkeit aussetzen würde, auf den Tisch gestelltes Essen protestfrei zu sich zu nehmen, ist die Geschichte wohl nicht mehr Teil unserer Kultur (falls sie noch als europäische bezeichnet werden darf), da sie eigentlich eine gottlob vergangene Un-Kultur repräsentiert: die Einschränkung der sich entwickelnden Freiheit einer kindlichen Person hin zur gereiften Persönlichkeit z.B. durch Hintanstellung seiner (Ernährungs-)Spezialwünsche.
Dass Kinder nicht alles essen wollen, was man ihnen vorsetzt, ist mittlerweile Gemeinplatz. Der Spruch „Gegessen wird, was auf den Tisch kommt!“ ist, wohlstandsbedingt, bei für moderne Pädagogik aufgeschlossen denkenden Eltern Vergangenheit, wenn auch vermutlich in den meisten prekären Familien noch wirksam – einfach deswegen, weil man sich die individuelle Förderung der Ernährungsbegabungen individueller Kleingenießer nicht leisten kann. In Familien mit flexiblen Geldbeuteln der Eltern ist jedoch die Speisekarte à la Kindeswunsch, wann immer möglich, ein Muss. Dass Essen dafür da ist, um satt zu machen, ist eine vergessene Banalität. Der Essenstisch als Ort von Disziplinierungsmaßnahmen ist sowieso out.
Oder doch nicht?
Die Disziplinierung der Kinder am Essenstisch durch ehemals autoritäre Basta-Eltern mag out sein. Doch sie schleicht sich, unbemerkt und unter Vorgabe von Vernunftgründen, also pseudo-vernünftig, durch die Hintertür in einen der privatesten Räume der Lebensgestaltung, der Ernährung, wieder in die Erziehung ein. Und es werden nicht nur die Kinder, sondern auch noch die Erwachsenen einer Erziehung unterworfen. Diesmal durch den Staat und seinem Kontrollinstinkt zuarbeitende „Wissenschaftler“. Die Schulen sind selbstverständlich mit von der Partie.
Ein offensichtlich von sozialistischer DDR-Pädagogik beseelter Wessi-Politiker, der nach eigenen Aussagen bewusst kinderlose SPD-Mann Olaf Scholz, hat schon mal von einer „Lufthoheit über Kinderbetten“, die es zu erobern gälte, schwadroniert (http://bit.ly/2zYtnsJ). Er outet sich damit als Überzeugungstäter im Sinne eines von sozialistischer Kontrollsucht gezeichneten Menschenbildes, deren Vertreter erkannt haben, wie möglichst früh und umfassend das leicht veränderte Sprichwort gilt: „Was Hänschen nicht eingeimpft bekommt, lernt Hans nimmermehr.“ Also weg von den Eltern, rein in die Kitas, damit sie dort “ lernen, was Liebe ist“, denn beim frühkindlichen Erlernen von Liebe „kann der Staat helfen.“ (Renate Schmidt, SPD-Frau: http://bit.ly/2zYtnsJ). Diese maßlose Anmaßung soll wohl heißen, lieben lernen heißt „Liebe zu allen und allem da oben“, damit man später über liebende, angepasste Persönlichkeits-Dummys regieren kann.
Klingelt es da bei uns? „Ich liebe doch alle Menschen“, sagte mal einer aus der DDR, der wusste, welche Liebe man vom Staat bekommen kann.
Synchron dazu gilt es nun, nach der Kinderbett-Kontrolle einen anderen Bereich ins Visier des liebenden Staates zu nehmen. Der Hoheit über die Kinderbetten folgt schon seit geraumer Zeit der nicht erfolglos schrittweise durchgeführte Plan, die ‚Lufthoheit über die Essteller‘ sowohl der Kinder als auch der Erwachsenen zu erobern.
Was in den Körper Einlass findet, wird mittlerweile, mit allen Mitteln der gesellschaftlichen Gleichschaltungsmethoden, als nicht-private, sondern öffentliche Angelegenheit deklariert. Ernährung muss von oben gesteuert und kontrolliert werden. Sie ist nicht mehr, wie seit Menschengedenken, Privatsache. Wieder ein Experte, diesmal Dr. Keller, Leiter des Instituts für alternative und nachhaltige Ernährung (IFANE), ist jedenfalls der Meinung, Ernährung sei „nicht Privatsache“ ( http://bit.ly/2C9gON6 ): “ Wir dürfen die Verantwortung für ernährungsmitbedingte Erkrankungen und die globalen Auswirkungen unseres westlichen Ernährungsstils nicht ausblenden.“
Wenn es um „globale Auswirkungen“ geht, ist alles, vom in Plastik verpackten Schneuztüchern, coffee-to-go-Bechern, bis zur Wasserverschwendung bei der Toilettenspülung ohne Spartaste ein Beispiel für Verantwortungslosigkeit mit globaler Auswirkung – oder eine naheliegende Gelegenheit, den selbstgerechten Genuss bewusster Übernahme von globaler Verantwortung für das Große Ganze zu erfahren.
Warum, fragt man sich, sollte Ernährung außen vor bleiben? Kommt dann noch die bedrohte Gesundheit dazu, erübrigt sich irgendwelches Hinterfragen. Für potentielle Zweifler ist gesorgt: “ Studien zeigen, dass eine vollwertige vegetarische oder vegane Ernährung das Diabetesrisiko um die Hälfte und das für einen tödlichen Herzinfarkt um etwa 25 Prozent senkt.“ (Welche Studien das sind, wird der andächtige Leser, in Angst getrieben, nicht hinterfragen, schon deswegen, weil für ihn Studie gleich Studie ist und er von Statistik und Validität keine Ahnung hat.). Dem Esser, der bei jedem Stich mit der Gabel in den Schweine- , Rinder- oder Gänsebraten das Wasser im Munde noch nicht rückwärts fließt, sei ein Spaziergang auf der Webseite des Food Fanatic Dr. Keller empfohlen. “ Fleisch frisst Fläche“, „Wie Essen die Umwelt schädigt“ sind Überschriften der Kapitel aus dem Buch der Ernährungsweisheit, die den Leser mit Zahlen füttern, bis ihm nur noch der Appetit auf Verantwortung bleibt.
Damit nun aber Essen mit Verantwortung rechtzeitig eingeübt wird, steht der Staat mit seiner Kontroll- und Einpaukinstanz Schule schon Kochlöffel bei Fuß.
So findet sich im bayerischen Lehrplan der 8.Klasse eine 28-stündige Unterrichtseinheit “ Gesundheit und Ernährung“ mit umfangreichen Materialien und Gestaltungsvorschlägen für den Weg des unaufgeklärten Genießers hin zum bewussten, nachhaltigen Verantwortungs-Esser. (http://bit.ly/2CGC51K)
Ein Schüler im Alter von ca. 13 Jahren muss nach Ansicht des Ministeriums lernen, dass er mit „gesundheitsgerechtem Handeln und Verhalten (…)Verantwortung für sich und die Gesellschaft“ übernimmt, und dass “ individuelles Verhalten bzw. Fehlverhalten Auswirkungen auf Sozialstaat, Gesellschaft und Volkswirtschaft hat.“ (Hervorhebung v.Verfasser)
Der vorpubertäre Esser, der, wie jeder weiß, der Kinder dieses Alters kennt, ist vorrangig mit cooler Kleidung und Frisur, mit dröhnender Musik, mit Mädchen oder Jungen oder der ersten Zigarette und dem ersten Bier beschäftigt. Damit er lernt, beim Essen die bis in alle Länder des Globus reichende Verantwortung seiner Mahlzeitgestaltung am Esstisch oder an der Pommes-Bude nicht zu vergessen, sollen “ Experten, wie Drogenbeauftragte und Schulpsychologen, sowie außerschuliche Beratungsstellen“ hierbei „unbedingt mit einbezogen werden.“ Zudem ist auch der Ethik-Unterricht, da Essen zuvörderst eine ethische Handlung darstellt, gefragt, hier mitzureden.
Puh! Da gibt es was zu tun!
Nach dieser Unterrichtseinheit weiß der Schüler übrigens auch, dass Genfood „gentechnisch veränderte Inhaltsstoffe beinhalten“ und dass “ die langfristigen Folgen der Eingriffe in das Erbgut nicht abschätzbar sind“. (Bad News, falls Mutti beim Einkauf das fehlende Zauberwort „ohne Gentechnik“ auf der Verpackung übersehen haben sollte.)
Jetzt, nach 28 Schulstunden, kann Sohnemann und Tochterfrau endlich über Genforschung und politische Zusammenhänge des Essens mitreden! Zudem wird ihm bewusst, wenn er Altersgenossinnen und ‑genossen beobachtet, die sich an all das Gelernte nicht halten, sondern Pommes mit Mayo und Chicken Nuggets genussvoll im Mund verschwinden lassen, ohne an Klimawandel, Ressourcenverschwendung, Massentierhaltung und Fair Trade zu denken, dass er ein moralisch überlegenes Vorbild ist und deswegen nicht vergebens, sondern für eine menschen- und tierwürdige Zukunft den spontanen Zugriff auf bloßen Essensgenuss verabscheut. Das ist dann eine Art GenussPLUS, nämlich der Genuss der moralischen Überlegenheit.
Jedenfalls kann der/die Vorpubertäre nach diesen 28 Stunden Vergiss-den-Spaß-beim-Essen Unterrichtsbelehrung ein nachhaltiges Tischgebet sprechen:
„Lieber Gott, hilf mir, dass meine Ernährung nicht nur dem eigennützigen Genuss dient, sondern ich mir beim Essen meiner Verantwortung für Staat und Gesellschaft und die ganze Welt bewusst bleibe.“
Und dann hat Hänschen etwas sehr Wichtiges für später gelernt. Es gilt, dass „individuelles Verhalten“ synonym ist mit „Fehlverhalten“, das Auswirkungen auf Sozialstaat, Gesellschaft und Volkswirtschaft hat.“
Lernziel Gesellschaft vor Individualität erreicht.
Goethe ist zu früh geboren worden. Sonst hätte er sich diesen – unter heutigem Erkenntnisstand kurzsichtigen- Satz nicht erlaubt: „Das Essen soll zuerst das Auge erfreuen und dann den Magen.“
Kein blasser Dunst von Verantwortung.
Josef Hueber auf vera-lengsfeld.de
Sie bekommen alle neuesten Artikel per E-Mail zugesendet.