By Gerd Seidel (Rob Irgendwer) - Own work, CC BY-SA 3.0, Link

Bun­des­um­welt­mi­nis­terin Svenja Schulze und die Atomkügelchen-Affäre

Eine Rück­schau anlässlich der Amts­ein­führung einer Fake-News Produzentin.
Die Tage ist der Jah­restag einer schreck­lichen Kata­strophe, die am 11. März 2011 den Norden Japans heim­ge­sucht hat, ein Erd­beben und ein dadurch aus­ge­löster Tsunami mit über 18.000 Toten. In Deutschland, dem Mut­terland der Atom­angst, ist dieser Jah­restag aber vor allem mit dem Atom­un­glück von Fuku­shima ver­bunden, einem der vielen Kol­la­te­ral­schäden der Kata­strophe. Dieser Atom­unfall löste bekanntlich in Deutschland ein poli­ti­sches Erd­beben aus – die 180-Grad-Wende der schwarz-gelben Bun­des­re­gierung (Merkel II) zum Thema Atom­kraft­werk­lauf­zeiten und damit die sturz­ge­burt­artige Ent­stehung eines neuen deut­schen Pro­jektes: Die Ener­gie­wende. Mit den miss­lichen Folgen des damit befeu­erten unge­planten, unkon­trol­lierten Hurra-Ausbaus von Wind, Solar und Bio­masse werden nicht nur die Ver­braucher und die Industrie noch auf Jahre massiv belastet, sondern dies stellt auch für das Merkel IV-Kabinett – neben den Folgen der unkon­trol­lierten Mas­sen­ein­wan­derung – eines der zen­tralen zu lösenden Pro­bleme dar. Ich bin nicht opti­mis­tisch, dass die neue GroKo hier wirklich etwas bewegen wird.
In diesem Text soll es aber nicht um die Kanz­lerin gehen, auch nicht um Claudia Roth, die 2013 die unsäg­liche Ignoranz besaß, die Erd­beben- und Tsu­na­mi­toten einfach mal dem Fuku­shima-Unfall anhängen zu wollen – wer dies ver­drängt oder ver­gessen haben sollte, kann die Geschichte hier nachlesen:
https://www.focus.de/politik/deutschland/16–000-tote-bei-atom-katastrophe-claudia-roth-loest-mit-fukushima-gedenken-shitstorm-aus_aid_938380.html
Nein, dieser Text handelt von der neuen SPD-Umwelt­mi­nis­terin Svenja Schulze, einer SPD-NRW-Linken, die als Wis­sen­schafts­mi­nis­terin im Kabinett Kraft eine ganz eigene Geschichte mit Fuku­shima hat. Auf Wiki­pedia wird dies ver­schämt als ‚Atom­ku­gel­skandal‘ erwähnt. Und diese Geschichte geht so.
In den Zeiten, als Atom­kraft in Deutschland noch nicht als das Teu­felszeug schlechthin galt, gab es in der KFA (Kern­for­schungs­anlage) Jülich ein großes For­schungs­projekt für eine Atom­technik der neuen Gene­ration – das Kugel­hau­fen­re­ak­tor­projekt. Kern­stück war der AVR, ein Ver­suchs­re­aktor auf dem Gelände in Jülich, der 1966 in Betrieb ging und 1988 von der SPD-Lan­des­re­gierung (Rau III) geschlossen wurde. Übrig blieb von dem Projekt – ein gän­giges Problem in der Atom­kraft und der Atom­for­schung – der alte Reaktor und strah­lender Abfall, genau die namens­ge­benden Kügelchen. Wobei man fai­rer­weise sagen muss, dass der Rückbau und die Ent­sorgung ato­marer Abfälle in Deutschland ein ganz beson­deres Poli­tikum sind, was auch nicht gerade dadurch erleichtert wird, dass die poli­tisch Ver­ant­wort­lichen mitt­ler­weile oft eine geradezu unbarm­herzig sture Position ein­nehmen. Weshalb es sicherlich auch nie­manden wundern wird, dass die Ent­sorgung der For­schungs­kü­gelchen auch 30 Jahre nach Schließung des AVR ein unge­löstes Problem ist. Aber zurück zu Svenja Schulze.
Unmit­telbar nach dem Unglück in Fuku­shima löst Wis­sen­schafts­mi­nis­terin Schulze in NRW einen kleinen Fake-News-Tsunami aus, lange bevor das Wort über­haupt in der polit-medialen Welt Eingang gefunden hatte.
Hier ein ent­spre­chender Bericht aus der Welt:
https://www.welt.de/politik/deutschland/article13055477/NRW-raetselt-ueber-verschwundenen-Atommuell.html
Man beachte die Reiz­worte: ‚Ver­schwun­dener Atommüll‘, ein ‚Atom-Experte‘ der NRW-Grünen ‚empört‘ sich über den ‚laxen‘ Umgang. Aus­löser dieser Empö­rungs- und Angst­welle war die Beant­wortung einer kleinen Anfrage der Grünen durch das von Svenja Schulze geführte SPD-Wis­sen­schafts­ressort (in dessen Zustän­digkeit das For­schungs­ge­lände in Jülich fällt).
Aber die ver­ant­wort­liche Minis­terin geht noch weiter. In dieser Stel­lung­nahme fordert sie ‚lücken­losen Auf­klärung‘, spricht von der ‚Risi­ko­tech­no­logie‘ Atom­kraft und fordert, dass die AVR GmbH ‚schnellst­möglich Trans­parenz‘ her­stellen muss.
https://www.land.nrw/de/pressemitteilung/ministerin-schulze-atomkraft-ist-risikotechnologie-lueckenlose-aufklaerung
Markige Worte – wahr­scheinlich fühlte sich die Zeit in Deutschland in den Tagen nach Fuku­shima einfach so an. Nur dum­mer­weise stellte sich bald heraus, dass es kei­nerlei Grund für die Angst- und Panik­mache und die schlimmen Unter­stel­lungen Richtung der For­schungs­anlage gab. Die Kügelchen waren nämlich über­haupt nicht ver­schwunden, sondern dort, wo sie die ganze Zeit über waren, nicht zuletzt auch geschuldet der abso­luten Unbe­weg­lichkeit der poli­tisch Ver­ant­wort­lichen, nämlich auf dem Gelände von Jülich.
Eine Beschreibung der Situation, als sich der poli­tische Wind gedreht hatte – die oppo­si­tio­nelle CDU hatte hier offenbar sehr gute Arbeit geleistet – liefert dieser Bericht:
https://www.nrz.de/region/rhein-und-ruhr/atomkugeln-cdu-fordert-ruecktritt-von-ministerin-id4579731.html
Die Vor­würfe des dama­ligen Frak­ti­ons­chefs Karl-Josef Laumann wogen schwer und eine Rück­tritts­for­derung war damit mehr als gerecht­fertigt. „Eine Minis­terin, die betrügt und mani­pu­liert, ist nicht mehr tragbar“ wird Laumann in dem Artikel zitiert.
Svenja Schulze hat den Skandal über­standen, ganz offenbar auch da Minis­ter­prä­si­dentin Kraft ihr den Rücken gestärkt hat. Ein nach­ge­ord­neter Beamter über­nimmt die Ver­ant­wortung für den zum ‚Infor­ma­ti­ons­chaos‘ ver­nied­lichten Fake-News-Skandal.
https://www.wp.de/politik/ministerin-schulze-lehnt-ruecktritt-ab-id4588224.html
Svenja Schulze zieht nach dem SPD-NRW-Wahlsieg von 2012 wieder ins Kabinett Kraft II ein und scheidet erst durch den Sieg von Schwarz-Gelb 2017 aus der Landesregierung.
Und damit sind wir im Heute: In Japan und vielen anderen füh­renden Indus­trie­na­tionen gibt es wei­terhin die Atom­kraft (und Atom­for­schung). Und als neue Bun­des­um­welt­mi­nis­terin führt Svenja Schulze ab jetzt eines der drei Häuser auf Bun­des­ebene, die sich um die wei­terhin in Jülich lagernden Kügelchen kümmern muss. Hoffen wir, dass es nicht wieder ein ‚Infor­ma­ti­ons­chaos‘ rund um die ‚Risi­ko­tech­no­logie‘ Atom­kraft gibt. Glück auf. 

 


Von Vera Lengsfeld auf vera-legsfeld.de