Eliten & Dik­tatur: Der Sozia­lismus bleibt das Ideal der linken Intellektuellen

Trotz Mil­lionen von Toten feiert die sozia­lis­tische Idee ihren Sie­geszug durch die Geschichte hinweg. Ins­be­sondere die intel­lek­tuelle Elite ist für den Ungeist marx­scher Des­potie und Tyrannei emp­fänglich. Warum aber mögen Intel­lek­tuelle den Kapi­ta­lismus nicht?
Karl Marx ist kei­neswegs ein toter Hund wie er lange in der west­lichen Welt gehandelt wurde, sondern bleibt eine ana­chro­nis­tische Licht- und Schat­ten­ge­stalt, dem ebenso das Dämo­nische, Ras­sis­tische und Juden­feind­liche inne­wohnt wie umge­kehrt die Strahl­kraft des Ideellen und der Utopie.
Seit 200 Jahren umflankt der marxsche Geist die Intel­lek­tu­ellen, hat Nietzsche, Scho­pen­hauer und den Deut­schen Idea­lismus weit in die Rand­felder der poli­tisch-geis­tigen Aktion geschlagen und ideo­lo­gisch ver­drängt. Statt Pes­si­mismus, Nihi­lismus, abs­trakter Geist­theorien in nebel­hafter Sprache, eröffnete der „im Geist Marx’“ ver­fasste Sozia­lismus, wenn­gleich nur peri­odisch und zeitlich beschränkt, einer­seits Glück­ser­bauung und die Vision vom freien Men­schen wie umge­kehrt die Ver­elendung der Massen, den Archipel Gulag und Mil­lionen von Toten im Ange­sicht der tota­li­tären Idee. Wie Marx (Anmerkung) selbst bleibt seine Ideen­ge­schichte höchst ambi­valent. Er fand Bewun­derer wie Ver­ächter zugleich.
Die Anfäl­ligkeit der Eliten für die Diktatur
Doch es ist nicht der Pro­le­tarier von heute, der sich dem Geist des Sozia­lismus zuge­hörig fühlt, der fre­ne­tisch die Ideale von einst feiert, sondern aus­ge­rechnet die Intel­lek­tu­ellen sind es, die pathoshaft zum Para­digma des Sozia­lismus samt seiner religiös-auf­ge­la­denen und exis­ten­ti­ellen Beschwö­rungs­ideo­logie neigen und die sich nach einem radi­kalen Ende des Aus­beu­ter­systems sehnen. Dem einher geht eine befrem­dende Ver­klärung und Lob­preisung von Diktaturen.
Aus­ge­rechnet die geistige Elite – von links bis rechts – sei es Henri Bar­busse, Lion Feucht­wanger, Jean-Paul Sartre, Michel Fou­cault, Noam Chomsky oder Alain de Benoist, lassen sich von der Dämo­nen­kunst des Anti­ka­pi­ta­lismus eines Mao Tse-tung, eines Che Guevara, eines Pol Pot, eines Lenin, Stalin und Hitler ver­klären, ver­tei­digen und glo­ri­fi­zieren diese Systeme, nur weil sie der Hyäne des Kapi­ta­lismus kalt­blütig die Schulter zeigten. Was bleibt ist das große Paradox der intel­lek­tuell-reinen Ver­nunft, die immer wieder in Mythos, in ein System von Nicht­ra­tio­na­lität umschlägt: Intel­lek­tuelle sind für Ideo­logien besonders anfällig.
Die intel­lek­tuelle Vielfalt
Die Strahlraft des Exis­ten­ti­ellen umweht den Intel­lek­tu­ellen ent­weder im Gewand der leichten Melan­cholie, des sanften Rückzugs einer zarten Seele oder im licht­durch­tränkten Meer schäu­mender Brandung, im Gewit­ter­sturm, in den legen­dären Stahl­ge­wittern, die zum Kampf, zu Hel­denmut und zum heroi­schen Sich-Opfern auf­rufen. Stefan Zweig oder Ernst Jünger, Jean Zigler oder Jacob Aug­stein, Rudi Dutschke oder Andreas Baader – so weit reicht die intel­lek­tuelle Kla­viatur. Fein­geister und Kämpfer, Idea­listen und Prag­ma­tiker – für viele aus ihren Reihen impli­ziert der Kapi­ta­lismus nach wie vor die gierige Raub­tier­men­ta­lität, ein pures Fressen und Gefres­sen­werden, die harte Hand der Geld­wirt­schaft gepaart mit mate­ri­eller Ungleichheit. Dem Sozia­lismus hin­gegen attes­tieren sie jenen Zauber, der mit Sanftmut regiert, der für Ver­tei­lungs­ge­rech­tigkeit plä­diert, der etais­tisch ist, der für mate­rielle Aus­ge­gli­chenheit und für ein Wer­tebild steht, das den Men­schen nicht ver­zweckt, sondern als Wert, als Zweck an sich selbst, betrachtet, der mit „kon­kreten Utopien“ im Sinne von Ernst Bloch welt­ver­än­dernd agiert.
Warum Idea­listen zur Radi­ka­lität neigen
„Was für eine Phi­lo­sophie man wähle, hängt sonach davon ab, was man für ein Mensch man sei“, hatte der große Frei­heitsheld der Deut­schen, Johann Gottlieb Fichte, einst betont. Der Jenaer Fichte, der die Freiheit wie das goldene Kalb beschwor und gegen Napoleon raste und die deutsche Iden­tität und Nation idea­li­sierte – er war letzt­endlich in Per­so­nal­union die Urgewalt eines Intel­lek­tu­ellen und Ideo­logen. Und sein Idea­lismus schließlich ist nichts anderes als ein kate­go­ri­sches System gewesen, das die Freiheit nicht wie eine seichte Feder aus sich entließ, sondern diese per Not­wen­digkeit einforderte.
Die Per­ver­tierung der Freiheit
Der Idea­lismus, der Sozia­lismus oder Kom­mu­nismus, alle haben die Freiheit immer per­ver­tiert, ins Gän­gelband eines grob­schläch­tigen Pater­na­lismus geschmiedet und die eigentlich Freien letzt­endlich ver­sklavt. So war die 68er-Bewegung, deren fünf­zigster Geburtstag 2018 ansteht, genauso ambi­valent wie der Sozia­lismus und Kom­mu­nismus selbst. Auf der einen Seite die Vision von uni­ver­saler Gerech­tigkeit, Gleichheit und Brü­der­lichkeit jen­seits von mate­ri­eller Beschränkung, ande­rer­seits die rück­sichtslose Ver­ein­nahmung der­je­nigen, die sich ihrem Denk­scha­blonen ent­zogen. Furios war der Durchgang durch die Insti­tu­tionen, was blieb war der Terror der RAF, der blut­rünstig seinen Tribut forderte.
Der Kon­struk­tions-Idea­lismus und Sozialismus
Der Idea­lismus sowie der Kom­mu­nismus werden auf dem Reiß­brett ent­worfen, sind intel­lek­tuell durch­kon­struiert, Hoch­leis­tungs­ideo­logien ratio­nalen Spe­ku­lierens, logisch-durch­ge­formt bis ins Detail, Gebilde einer krea­tiven Ver­nunft, die schöp­fe­risch agiert, während dem Kapi­ta­lismus ein bloßer Natu­ra­lismus eigen bleibt, der Sieg des Stär­keren über den Schwä­cheren, der pure Zufall und das Glück des ego­is­ti­schen und cle­veren Men­schen, der instinkthaft agiert. Im Gegensatz zum Sozia­lismus ist der Kapi­ta­lismus kein Geschöpf der Ver­nunft, sondern ver­dankt sich einem puren Mecha­nismus von Kau­sa­li­täten, Zweck­bünd­nissen und der Trieb­feder und Anbetung des Mate­ri­ellen. Seine Ent­stehung ver­dankt sich, dar­wi­nis­tisch gesprochen, selek­tiver Evo­lution, ist evo­lu­tionär, wie Rainer Zitelmann in einem Beitrag in der FAZ vom 18. Mai 2018 schreibt. Aus dieser Zufäl­ligkeit seiner his­to­ri­schen Ent­faltung resul­tiert der intel­lek­tuelle Hass auf ein System intel­lek­tu­eller Unzu­mut­barkeit. Intel­lek­tuelle lieben Methode und Kon­struktion, nicht den blinden Trieb und ver­achten aus tiefster Über­zeugung das, was nicht in ihr Gedan­ken­system passt. Sie mögen Ver­tei­lungs­ge­rech­tigkeit und emp­finden die Macht und den Reichtum der ihrer Meinung „düm­meren“ Mil­lionäre und Mil­li­ardäre als gra­vie­rende Unge­rech­tigkeit, als Ent­wür­digung ihres eigenen geis­tigen Eliteseins.
So bleibt der ein­ge­fleischte Anti­ka­pi­ta­lismus, als Glo­ba­li­sie­rungs­kritik, als Öko­lo­gismus und Anti-Ame­ri­ka­nismus die zen­trale Säule der säku­laren Religion der Intel­lek­tu­ellen und hält sich nach dem Mau­erfall, nach Fuku­yamas beschwo­renem „Ende der Geschichte“ als tra­diertem Klassen- und Sys­tem­kampf, besonders hart­näckig auch in den Köpfen jed­weder gebil­deter Couleur. Trotz Mil­lionen von Toten wird der Anti­ka­pi­ta­lismus zur Selig­preisung gesteigert gleichwohl er doch die heilig-heeren Ideale der Freiheit per­ver­tiert und in das Zwangs­korsett kol­lek­tiver Ver­sklavung presst. Dem Anti­ka­pi­ta­lismus eignet so ein imma­nenter Selbst­wi­der­spruch, ein tra­gi­scher, wie Zitelmann meint. Dennoch bleibt der Kapi­ta­lismus der Feind, der große Götze, der sym­pto­ma­tisch für Mas­sen­armut, Mas­sen­elend, Enfremdung und die globale Kli­ma­ka­ta­strophe steht. Ihm wohnt a priori ein Dämon inne, der ihn in seinen Aus­wüchsen als Turbo- bzw. Finanz­ka­pi­ta­lismus, als Neo­ko­lo­nia­lismus und als Neo­li­be­ra­lismus dis­qua­li­fi­ziert. So bekannte „Alain de Benoist, Vor­denker der fran­zö­si­schen „Nou­velle Droite“, die in der Tra­dition von Denkern der „Kon­ser­va­tiven Revo­lution“ der 20er Jahre in Deutschland steht, erst kürzlich: ‘Mein Haupt­gegner war immer der Kapi­ta­lismus in öko­no­mi­scher Hin­sicht, der Libe­ra­lismus in phi­lo­so­phi­scher und das Bür­gertum in sozio­lo­gi­scher Hinsicht.’”
„Kapi­ta­lismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung“
Der His­to­riker, ehe­malige Ver­lags­leiter und „Welt“-Redakteur, Autor und Immo­bi­li­en­in­vestor aus Berlin, Rainer Zitelmann, hatte sich Anfang 2018 umfang­reich mit dem Thema Kapi­ta­lismus beschäftigt und ein Buch vor­gelegt, ein Besteller wie viele aus seiner Feder, wo er detail­genau das intel­lek­tuelle Bauch­gefühl der linken sowie rechten Kapi­ta­lis­mus­gegner ana­ly­siert. „Kapi­ta­lismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung“ – so der ein­schlägige Titel. Je kapi­ta­lis­ti­scher, so seine Maxime, desto dyna­mi­scher, je sozia­lis­ti­scher, desto rück­stän­diger. Fall­bei­spiele dafür findet Zitelmann viele.
Wo der Sozia­lismus regiert, wie in der ehe­ma­ligen DDR oder in Nord­korea und Vene­zuela, den letzten Bas­tionen der marx­schen Idee, sta­gniert das Wirt­schafts­wachstum und steigt pro­po­si­tional dazu die Ver­elendung. Aber Zitelmann belässt es nicht bei der Analyse, sondern fragt dezi­diert nach den Gründen des linken und rechten intel­lek­tu­ellen Unbe­hagens, der Aver­sionen am Kapi­ta­lismus. Es steckt, so dia­gnos­ti­ziert der lang­jährige Jour­nalist, ein tief sit­zendes Schuld­gefühl der pri­vi­le­gierten Klasse sowie Über­le­gen­heits-und Min­der­wer­tig­keits­ge­fühle, Neid und Arroganz glei­cher­maßen dahinter: „Der Intel­lek­tuelle vermag nicht zu ver­stehen, warum der ihm ‚geistig unter­legene’ Unter­nehmer, der nur einen Bruchteil der Bücher gelesen hat und viel­leicht noch nicht einmal über ein abge­schlos­senes Studium verfügt, am Ende wesentlich mehr Geld ver­dient.“ Zum Wesen des Intel­lek­tu­ellen, zu seiner Deu­tungs­hoheit, gehört die intel­lek­tuelle Selbst­über­höhung und damit die Urteils­an­maßung, dass sein Wissen qua­li­tativ hoch­wer­tiger als jede empi­rische Tätigkeit sei, qua­li­tativ wich­tiger als die schnöde mate­rielle Anrei­cherung von Reichtum, die zu einem Mil­li­ar­den­ver­mögen führt.
Diese intel­lek­tuelle Selbst­sti­li­sierung führt umge­kehrt zur ritu­ellen Ver­dammung jeg­lichen Pro­fit­denkens, zu einer radi­kalen Absage einer durch­öko­no­mi­sierten Lebenswelt bis hin in die tri­vi­alsten Bereiche der Lebens­führung, ja zur inbrüns­tigen Ver­achtung des Geld­erwerbs und des Mate­ria­lismus schlechthin. Als strenger Tugend­wächter obliegt es einzig dem Intel­lek­tu­ellen, über die Ober­fläch­lichkeit und Vul­ga­rität des Mate­ri­ellen zu infor­mieren, die Bes­tia­lität dieses Systems frei­zu­legen und Auf­klärung im Sinne eines bes­seren Men­schen­bildes zu leisten. Der linke sowie rechte Intel­lek­tuelle bleibt dabei der klas­sische Meta­phy­siker, der von oben herab über die Welt richtet – und dies am liebsten in Talk­shows, exklu­siven Clubs oder auf Podien in vor­nehmen Hotels bei volu­minös gedeckten Tafeln und ver­schwen­de­ri­scher Lebensart. Ihm reicht zur mora­li­schen Recht­fer­tigung der Zei­ge­finger, um seine Mora­lität zu ver­an­schau­lichen und gleich­zeitig seine Dekadenz zu recht­fer­tigen. Der gute Intel­lek­tuelle bleibt letzt­endlich ein Salonlöwe mit unge­trübten Gewissen.
Ipsos Global Advisor Umfrage
Zwei­hundert Jahre nach Marx Geburtstag, hun­dert­siebzig Jahre nach dem Erscheinen des legen­dären Mani­fests, fünfzig Jahre nach 68 kommt die Ipsos Global Advisor Umfrage zu fol­gendem Ergebnis: „Die Hälfte der Men­schen rund um den Globus denkt, dass heute sozia­lis­tische Ideale von großem Wert für den gesell­schaft­lichen Prozess seien. Gleich­zeitig stimmt jeder zweite Befragte zu, dass der Sozia­lismus ein System poli­ti­scher Unter­drü­ckung, Mas­sen­über­wa­chung und staat­lichen Terrors sei.“
Auch für die Mehrheit der Deut­schen ist das soziale Gerech­tigkeit wich­tiger als die indi­vi­duelle Freiheit. Und immerhin acht von zehn Men­schen weltweit wün­schen sich eine Rei­chen­steuer und sieben von zehn ein bedin­gungs­loses Grund­ein­kommen. All das zeigt: Die Idee vom Sozia­lismus hat nichts an Charme ver­loren, sie bleibt als Alter­na­tiv­system bestehen und übt ihr Fas­zi­nosum weiter aus – dessen unge­achtet, dass der Kapi­ta­lismus nicht das Problem, sondern die Lösung ist.
Anmerkung: Karl Marx wurde in Jena mit der Schrift „Dif­ferenz der demo­kri­ti­schen und epi­ku­rei­schen Natur­phi­lo­sophie“ pro­mo­viert. Seit der Wende wird die Büste, einst das Aus­hän­ge­schild vor der Friedrich-Schiller-Uni­ver­sität, ver­steckt. Keiner wollte nach der Fried­lichen Revo­lution von 1989 das Bekenntnis zu Marx neu auf­leben lassen, die Angst gras­sierte, mit dem DDR-System iden­ti­fi­ziert zu werden und damit auf der aka­de­mi­schen Hier­archie abzu­steigen. Diese Angst vor dem Gespenst Karl Marx hatte auch Sahra Wagen­knecht immer wieder beklagt, die eigentlich über den Trierer Meis­ter­denker pro­mo­vieren wollte, damals aber dafür keinen Betreuer an ost­deut­schen Uni­ver­si­täten fand.
Buchtipp
Rainer Zitelmann: Kapi­ta­lismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung, Eine Zeit­reise durch 5 Kon­ti­nente, Gebundene Ausgabe – 26. Februar 2018.


Dr. Stefan Groß für TheEuropean.de