Eine Gabel mit zwei Zinken und ein Brotzeitmesser mit einer Klinge von etwa zehn Zentimetern Länge gehören seit jeher zur Ausstattung der Ampertaler Tracht. Im Rahmen der Sicherheitsvorkehrungen wurde jedoch dem Trachtenverein “D´ Ampertaler”, wie schon im letzten Jahr, das Mitführen des kunstvoll gestalteten Bestecks beim Umzug vor dem Dachauer Volksfest und auf dem Festplatz verboten. Über blinde Gleichmacherei. Der Kommentar.
Von Max Erdinger
Die Griffe der Messer sind oft mit frommen Sprüchen verziert, wie etwa dem hier: “Dem Herrn sei für Speis und Trank, für alles Gute Lob und Dank”. In über hundert Jahren ist auf dem Dachauer Volksfest noch nie jemand mit einem Ampertaler Trachtenmesser erstochen worden. Denoch hat die Stadt Dachau im Rahmen ihres “Sicherheitskonzepts” für das Volksfest das Mitführen des Ampertaler Trachtendetails erneut verboten. Einige Mitglieder des Trachtenvereins haben deshalb aus Protest nicht mehr am Festumzug teilgenommen. In einer Rundmail des Vereinsvorsitzenden an die etwa 450 Mitglieder war darauf hingewiesen worden, daß mitgeführte Trachtenmesser von Polizei und Sicherheitspersonal konfisziert werden würden.
Freilich hat es seit dem Ende des Ersten Weltkrieges immer wieder mal Tote auf dem Volksfest gegeben. Die meisten haben im Streit einen Maßkrug über den Schädel gezogen bekommen. Maßkrüge sind aber weiterhin erlaubt. Der Wahnsinn hat Methode.
Zwar wird niemand unterstellen, daß die Ampertaler mit ihren volkstümlichen Brotzeitmessern damit begonnen hätten, andere Volksfestbesucher zu ermorden, aber es gibt natürlich seit einiger Zeit vermehrt Mitbürger von weit außerhalb des Ampertales, die weit weniger zimperlich sind, was den Umgang mit Messern ganz allgemein betrifft. Die dürfen nicht mehr von den Alteingesessenen unterschieden werden, weil die Unterscheidung nämlich Diskriminierung wäre. Es gilt: Vor dem Sicherheitsbeauftragten sind alle “die Menschen” gleich. Und nicht nur vor dem. Daß es evident anders ist, will man nicht wahrhaben, obwohl es z.B. jeder merken kann, der mit der S‑Bahn nach Dachau fährt. Dort gibt es nämlich solche und solche Schwarzfahrer.
Der Schwarzfahrer, der schon rein optisch aussieht wie ein Schwarzfahrer und evtl. ein Messer einstecken haben könnte, das kein Trachtenmesser ist, wird bei der Fahrscheinkontrolle ganz anders behandelt als der Ampertaler Trachtler, der zwar einen Fahrschein hat, aber kein Trachtenmesser mit sich führt. Ersterer darf folgenlos Schwarzfahrer bleiben, weil er schon gar nicht kontrolliert wird; Zweiterer wird auf jeden Fall kontrolliert und müsste ein erhöhtes Beförderungsentgelt entrichten, sollte er zum Schwarzfahrer geworden sein.
So sieht es also aus in einem Land, in dem alle Menschen Zwangsbrüder werden — und die Schwesterlichkeit mit der Brüderlichkeit gleichgestellt wurde von den linken Gebrüdern und Geschwestern. Daß es in Dachau keinen größeren Aufstand gegeben hat, sondern nur mißmutiges Gemurre, liegt an der Vokabel “Sicherheit”. Wenn man dem Deutschen erzählt, daß man ihm zur Sicherheit die Hand abhacken muß, damit er sich kein Trachtenmesser einstecken kann, schaltet sein Gehirn um auf ein Notlaufprogramm zur Aufrechterhaltung der absolut unerläßlichen Vitalfunktionen, er setzt sich ein Fahrradhelmchen auf und seufzt: “Na, wenn´s der Sicherheit dient”, — und beißt die Zähne zusammen. Schließlich hat er ein Verantwortungsbewußtsein. Sicherheit schlägt im Lande des Bausparvertrages und der Lebensversicherung einfach alles.
Um zuletzt noch einen alten ´68er-Spruch zu zitieren: “Wer sich nicht wehrt, der lebt verkehrt.” Umkehrschluß: Wer verkehrt lebt, der wehrt sich auch nicht. Der Trachtenverein “D´Ampertaler” und die Volksfestbesucher in Dachau leben verkehrt. Ändern müssten sie das selber, etwa, indem sie das Dachauer Volksfest geschlossen boykottieren. Das haben sie allerdings auch dieses Jahr nicht getan. Es gilt folglich: Alles wird gemacht mit demjenigen, mit dem man alles machen kann. Auf bayerisch — und umgekehrt: “Wer ko, der ko” (Wer kann, der kann). In Dachau “ko” der Sicherheitsausschuß für das Volksfest.
zuerst erschienen auf Jouwatch