Der Klima-Alar­mismus als Spielart des Kulturpessimismus

von Roger Letsch
Greta Thunberg hat wieder zuge­schlagen, diesmal bei ihrer Rede auf der Zukunfts­kon­ferenz in Brüssel. Wieder einmal zeigt sich, dass die Welt neben den Indif­fe­renten, denen es völlig egal ist, was poli­ti­sierte Teenager von sich geben, in drei Gruppen ein­ge­teilt ist. Da sind die Bewun­derer, nicht nur die gleich­alt­rigen Mit-Schul­schwänzer, die ihre Hoff­nungen auf Greta pro­ji­zieren. Dann natürlich die Spötter, die das alles für einen Mar­keting-Gag halten und dem lauten aber ober­fläch­lichen Akti­vismus einen Vogel zeigen und dann noch die Mit­füh­lenden, die die Ein­di­men­sio­na­lität von Gretas Agenda und ihre Instru­men­ta­li­sierung unter dem Aspekt des Kin­der­schutzes beklagen.
Ich selbst bin schon auf die reli­giöse Kom­po­nente in Greta Thun­bergs Bewegung und die Selbst­er­mäch­tigung ein­ge­gangen, die ent­fernt an Jeanne d’Arcs erinnert. Doch richtete sich deren Wirken auf die Restau­ration eines Herr­schertums, während Greta heutige Herr­schafts­struk­turen in Toto abwatscht und mit ihren For­de­rungen nach schlag­ar­tiger voll­stän­diger Decar­bo­ni­sierung keine restau­rative, sondern in der Kon­se­quenz eine kul­tur­pes­si­mis­tische Grund­haltung zeigt: Alles ist schlecht, alles muss enden. Die Abgründe, in die solches Denken führen können, kamen mir schlag­artig bekannt vor, als ich bei der Rede in Brüssel sah, was für einen auf­merk­samen Zuhörer Greta in dem hinter ihr sit­zenden Jean Claude Juncker hatte. Es gibt wohl neben Igno­ranten, Jüngern, Spöttern und Beschützern Gretas noch eine weitere Gruppe – und der wird langsam Angst und Bange.
Ich glaube nicht, dass Greta von Jean-Jacques Rousseau bisher mehr als nur gehört hat, so viel His­to­ri­sches lässt sich in vier Schul­tagen gar nicht unter­bringen (und heute war erst Don­nerstag und dank Brüssel-Auf­tritt war der auch schulfrei). Aber vieles in Gretas Bestimmtheit und dem Abso­lut­heits­an­spruch, der in all ihren Reden zum Aus­druck kommt, erinnert mich an eben jenen Weg­be­reiter der Auf­klärung, dessen Ideen in höherer Dosierung, aber auch Weg­be­reiter der dunklen Seiten der fran­zö­si­schen Revo­lution wurden. Während gesell­schaft­lichem und tech­ni­schem Fort­schritt zuge­neigte Denker neben sich ein­stel­lenden posi­tiven Ent­wick­lungen auch immer Neben­ef­fekte und Neben­wir­kungen ins Kalkül zogen, ver­stand Rousseau die mensch­liche Geschichte als einen fort­wäh­renden Nie­dergang, der nur durch ein in jeder Hin­sicht neues Denken und Handeln auf­zu­halten sei. Hand­lungen, die nicht zu per­fekten Ergeb­nissen führen, seien letztlich schlechte Hand­lungen. Es gelte folglich, das per­fekte Staats­wesen zu errichten, in dem der ein­zelne Mensch nicht mehr als fehl­bares, indi­vi­du­elles aber auch mit uni­ver­sellen Rechten aus­ge­stat­tetes Wesen zu gelten hat, auf das sich die Politik beziehen muss, sondern in dem der Mensch nur Echoraum einer abso­luten Idee ist. Zu abs­trakt? Dann stellen Sie sich einfach einen Bie­nen­staat vor, dort wirkt die Idee Rous­seaus perfekt – inklusive der Tat­sache, dass die ein­zelne Biene keine Ahnung davon hat, wie die Idee eigentlich lautet. „Besser für die Biene”, würde der alte Meister aus Genf wohl sagen.

All­ge­meiner Wille, guter Wille?

Rousseau leitete daraus seine Idee vom „All­ge­meinen Willen“ ab, der „volonté générale“, den er in seinem Hauptwerk „Vom Gesell­schafts­vertrag oder Prin­zipien des Staats­rechts“ als absolut, unfehlbar und gerecht defi­nierte und dem sich alle frei­willig und von einer anonymen Ver­nunft beseelt unter­ordnen würden. In der Theorie klingt das ver­nünftig und uto­pisch zugleich, geht man mit dieser Idee des Abso­luten jedoch auf die Praxis los, in der man es ja nun mal nicht mit einer dif­fusen Anzahl indif­fe­renter Men­schen, sondern mit höchst unter­schied­lichen Indi­viduen zu tun bekommt, gleitet die schöne Idee schnell in den Tota­li­ta­rismus ab. Denn die Frage, wer im Besitz der abso­luten Wahrheit ist, die zur Aus­führung (um nicht von Exe­kution zu sprechen) gelangt, ist nicht Ergebnis eines müh­samen Erkennt­nis­pro­zesses und von Versuch und Irrtum, sondern wird ‚ex cathedra’ ver­kündet. Wer die Idee for­mu­liert, hat einen Vor­sprung, den er besonders wirksam durch die Ver­folgung und Dis­kre­di­tierung abwei­chender Ideen bewahren kann. Der Kli­ma­wandel und die Vor­stellung, dass nur der Mensch als Ver­ant­wort­licher dafür in Frage komme und das jede Debatte darüber zu unter­bleiben habe, ist eine solche Idee.

Phi­lo­sophie wird Politik, Politik wird Tod

Die poli­ti­schen Erben Jean-Jacques Rous­seaus, etwa Robes­pierre oder Saint-Just, die seine Ideen in prak­tische Politik ver­wan­delten, sich im Besitz der abso­luten Wahrheit wähnten und somit den „all­ge­meinen Willen“ for­mu­lieren und aus­legen zu dürfen glaubten, gingen den Weg des Tota­li­ta­rismus bis fast zum Ende, dem zum Glück noch deren eigenes Ende vor­ausging. Die Vor­stellung, man könne die Men­schen durch eine Idee in einen unschul­digen Natur­zu­stand zurück­ver­setzen, in dem alle Unter­schiede und Unge­rech­tig­keiten enden würden und die Kor­ruption einer aris­to­kra­ti­schen Ober­schicht durch die Tugend erleuch­teter Männer abgelöst würde, schnitt mehr als nur Ideen und Gedanken ab. Sie trennte auch Köpfe von Hälsen, die außer zum Kopf­schütteln zu keiner wei­ter­ge­henden Kritik in der Lage waren oder sich für gänzlich unpo­li­tisch und damit unbe­teiligt hielten.
Der Mensch an sich sei gut, meinte Rousseau, aber er ver­gesse es im Laufe seines Lebens und seiner Erziehung und Anpassung an das System immer wieder. In diesen „Natur­zu­stand des Guten“ jedoch durch prak­tische Maß­nahmen der Gleich­ma­cherei, Ent­eignung, Zwangs­kol­lek­ti­vierung und Sprach­zensur tat­sächlich zurück­finden zu können… diesen Wahn kann man Rousseau nicht anlasten, wohl aber denen, die – bewusst oder unbe­wusst – als seine Voll­strecker ange­treten waren und glauben, ihren Meister in ihrer Kon­se­quenz noch über­flügeln zu können. Je ein­facher und glatter eine Idee, umso leichter lässt sie sich absolut setzen. In der Zeit des Tugend­terrors der fran­zö­si­schen Revo­lution waren die Ideen glatter als der Stahl, der seinen Kri­tikern deren Köpfe vor die Füße legte und auch heute geht es – wenn auch (noch) weniger blutig – um nichts weniger als das phy­sische Ende dessen, was der glatten Idee der Kli­ma­rettung im Weg steht. Industrie: weg, Indi­vi­du­al­verkehr: weg, sichere Strom­ver­sorgung: weg. Kenn­zeichnend für den blinden Eifer ist zudem, dass man sich sogar der Erör­terung der mög­lichen Folgen dieser Politik kon­se­quent ver­schließt. Hätte man ver­sucht, mit Robes­pierre über die Dekrete zu dis­pu­tieren, die tau­senden Fran­zosen das Leben kos­teten, würde das Wort „Verrat” mit Sicherheit schon im ersten Satz seiner Antwort ausgesprochen.

Greta Thunberg fordert: sofort alles abschalten

Juncker, der sich Gretas Rede samt Poli­ti­ker­schelte lächelnd anhörte und auch an den Stellen artig applau­dierte, an denen Poli­tikern wie ihm ordentlich die Leviten gelesen wurde, erinnert ein wenig an die Salons in der Mitte des 18. Jahr­hun­derts, als der Adel den Ideen Rous­seaus und seiner Adlaten begeistert applau­dierte und wie die Poli­tiker von heute den Schauder doppelt genoss – nämlich gleich­zeitig im Publikum zu sitzen und im auf­ge­führten Stück erdolcht zu werden. Denn was die Akti­vistin Thunberg fordert, ist nichts weniger als das sofortige Ende einer Zivi­li­sation, die sie – ähnlich wie die Rousseau nach­ei­fernden Poli­tiker des 18. Jahr­hun­derts – auf dem völlig fal­schen Weg sieht. Da ist nichts umzu­bauen und zu ver­ändern, da muss abge­schaltet, ver­boten, umer­zogen und ver­nichtet werden. Nicht das bei Politik und Medien so beliebte Nudging, das sanfte Schubsen oder das Ver­locken mit Teilhabe an der sicheren Mehr­heits­meinung oder Ver­güns­ti­gungen für Wohl­ver­halten ist Gretas Mittel, ihres hört ange­sichts der For­derung nach sofor­tiger 80%-iger Emis­si­ons­re­du­zierung auf den Namen „Cutting“. Erst wenn Industrie, Verkehr und Zivi­li­sation diesen Haircut unter der Decar­bo­ni­sierung-Guil­lotine ver­passt bekommen haben, könne die Menschheit gerettet sein. Das ist die For­derung nach Selbstmord aus Angst vor dem Tod.

Tech­no­lo­gie­feind­lichkeit ist kein Fortschritt

Jede tech­nische oder gesell­schaft­liche Errun­gen­schaft wird, weil sie nicht perfekt ist, kri­ti­siert und ver­worfen. Dass dieses Denk­muster, das uns Atom­aus­stieg, Vega­nismus, Grenz­wert­hys­terien, Impf­gegner und Ener­gie­wende beschert hat, sich aus­ge­rechnet in einem Land wie Deutschland wie Grippe ver­breitet, dass doch erwie­se­ner­maßen gerade von der Per­fek­tio­nierung von bestehender Technik seit Jahr­zehnten lebt und pro­fi­tiert, statt diese wie anderswo auf der Welt einfach durch kom­plett neue und viel­leicht bessere Erfin­dungen zu ersetzen, erstaunt mich immer wieder aufs Neue. Jede Not­wen­digkeit der tech­ni­schen Per­fek­tio­nierung, die sich im Betrieb und nach einiger Anfangs­eu­phorie bei der Benutzung einer belie­bigen Tech­no­logie zeigt, wäre ein genuin deut­sches Betä­ti­gungsfeld. Die letzten Male, dass uns das gelang, waren die Druck­technik, tech­nische Anlagen wie Gas­tur­binen und die Auto­mo­bil­in­dustrie. Die Wei­ter­ent­wicklung der Kern­energie hin zu passiv sicheren Anlagen ohne Jahr­mil­lionen gefähr­lichen Abfall erfolgt in China und Russland, statt die CO2-Abscheidung bei kon­ven­tio­nellen Kraft­werken (falls man das tat­sächlich für wichtig hält) zu ver­bessern, steigen wir kom­plett aus der Tech­no­logie aus, unsere Gas­kraft­werke, die die effek­tivsten der Welt sind, laufen auf­grund der Ener­gie­po­litik defi­zitär und werden von Sub­ven­tionen statt von Inno­va­tionen am Laufen gehalten und die Auto­mo­bil­in­dustrie treiben wir auch gerade in den Ruin (Elektro-Autos) oder gleich ins Ausland.
Es mag den betei­ligten Schul­schwänzern nicht klar sein, aber um Deutsch­lands CO2-Emis­sionen um 80% zu senken, dürfte man hier­zu­lande die Wind­räder noch nicht einmal zusam­men­schrauben, die sich an Stelle der kohle- und kern­kraft­be­trie­benen Dampf­tur­binen drehen sollen. Auch die che­mische Industrie, Maschi­nenbau, Auto­mo­bil­in­dustrie, Bau­in­dustrie, Handwerk und Verkehr kämen voll­ständig zum Erliegen und mit all dem auch die Arbeits­plätze mit der größten Wert­schöpfung und Export­po­tenzial. Ganz unab­hängig davon darf die Frage nach mög­li­cher­weise sogar posi­tiven Effekten des leicht höheren CO2-Gehalts der Luft und berech­tigten phy­si­ka­li­schen Zweifeln an den Modellen des IPCC kaum noch gestellt werden, will man sich nicht der Auf­for­derung aus­setzen, sich an einen kli­ni­schen Psy­cho­logen zu wenden. Momentan gibt es noch eine gewisse Anzahl an Poli­tikern, die trotz aller medi­en­wirk­samen Ver­sprechen und Strömen von Tinte unter Kli­ma­ab­kommen und Absichts­er­klä­rungen davor zurück­schrecken, der Menschheit gleich morgen den Stecker zu ziehen. Für die nähere Zukunft muss das aber nicht so bleiben.

Nach den Schein­hei­ligen kommen nicht die Hei­ligen, sondern die Inquisitoren

So uner­träglich grüne Moral­apostel wie zum Bei­spiel Katharina Schulze auch sein mögen, die Bahncard pre­digen, aber selbst ein Flug­mei­len­konto im sechs­stel­ligen Bereich haben und dann auch noch die Chuzpe besitzen, stolz von ihren Aus­gleichs­zah­lungen bei atmosFair zu berichten, die sie nur deshalb leisten können, weil sie vom Steu­er­zahler aus­rei­chend ali­men­tiert werden – diese Poli­tiker stehen zumindest noch teil­weise in der Rea­lität, auch wenn sie es gar nicht gern haben, wenn das Licht der Öffent­lichkeit darauf fällt. Die Gene­ration „Greta“ jedoch könnte, sofern sie nicht noch recht­zeitig von der Rea­lität des echten Lebens „kor­rum­piert“ wird, die nächste Poli­ti­ker­kaste stellen und die wird keine Kom­pro­misse mehr mit der Rea­lität schließen und die „reine Idee“ von der zur Unschuld und ins vor­tech­nische Zeit­alter zurück­zu­füh­renden Menschheit mit Gebot und Verbot exekutieren.
Die dafür not­wendige staat­liche All­macht mit umfas­sendem Durch­griff auf alle Aspekte des Lebens jedes Ein­zelnen, für den dann alles geregelt, alles fest­gelegt und durch­ge­plant ist, wird bereits errichtet. Hier schließt sich der Kreis zu Rousseau, für dessen Idee des „all­ge­meinen Willens“ bedurfte es auch eines völlig bin­dungs­losen Men­schens, eines staats­un­mit­tel­baren Wesens, der keine Her­kunft, keine Kultur, keine private Sphäre und keine Familie kennt und nur einer abso­luten Idee ver­pflichtet ist. Linke bezeichnen diesen Zustand gern als Freiheit, weil sie den Zwang darin nicht sehen wollen, der zur Ver­wirk­li­chung ange­wendet wird. Hat man für die­je­nigen, die sich dem Gleich­schritt ent­ziehen, aktuell noch aus­gren­zenden Spott zur Hand, indem man sie als „Kli­ma­leugner“ oder schlim­meres bezeichnet, gibt es keine Garantie dafür, dass in Zukunft nicht die recht wir­kungsarme Stig­ma­ti­sierung einer wie weit auch immer gehenden „Exe­ku­tierung” Platz machen muss. Erste For­de­rungen, „Kli­ma­leugnung“ unter Strafe zu stellen, wurden bereits erhoben.
In Soyeners Roman „Der Chirurg Napo­leons“ heißt es „Der gefähr­lichste Mensch ist der­jenige, der nur eine einzige Idee hat. Und Robes­pierre hatte nur eine einzige Idee.“ Doch das ist nicht ganz voll­ständig. Die Welt ist schließlich voll von Erfindern, Welt­ver­bes­serern, Künstlern und Unter­nehmern, die genauso auf eine Idee fixiert sind. Das muss also nichts Schlechtes sein und führt beim Scheitern auch nicht immer in Kata­strophen. Die Idee muss schon eine poli­tische sein und die wird erst gefährlich, wenn zwei weitere Bedin­gungen erfüllt sind. Wenn sich die Idee nämlich als etwas prä­sen­tiert, das noch nie gewagt wurde, deren Zeit aber nun gekommen sei und ihr zudem die Hebel der Macht eher nach­ge­tragen werden, als dass die diese erobern müsste.

Heute Schul­schwänzer, über­morgen viel­leicht Kommissionspräsidentin

Die kom­pro­miss­losen Schul­schwänzer und Decar­bo­ni­sierer von heute haben nur diese eine Idee und wenn sie, vom poli­ti­schen und medialen Applaus getragen, in fünf bis zehn Jahren an poli­tische Mandate gelangen sollten, träfen sie gerade in der EU (falls die dann in ihrer aktu­ellen Form noch exis­tiert) auf einen zen­tra­li­sierten Super­staat mit maxi­maler Hand­lungs­kom­petenz, der sich jeder Kon­trolle durch die Mit­glieds­staaten oder deren Bürger längst ent­zogen hat. Das wollen wir alle mal nicht hoffen, aber spä­testens dann könnte Juncker das joviale Applau­dieren und uns das mit­leidige Lächeln und der Spott ange­sichts solcher hals­ab­schnei­de­ri­schen Reden wie der von Greta in Brüssel gründlich vergehen.


Quelle: unbesorgt.de