Eva Herman: Das Scheitern der Umerziehung

Täg­liche Ver­öf­fent­li­chungen zum Thema Mann, Frau und Gender — Teil 4
Für die Femi­nis­tinnen war das Ent­kommen aus dieser Geschlech­ter­zu­weisung höchstes Ziel. Also hieß es: »Raus aus der weib­lichen Rolle!« Und im Zwei­felsfall setzte man die Worte »Rein in die männ­liche Rolle!« hinzu. Eine pro­ble­ma­tische Stra­tegie, wie sich gezeigt hat. »Umer­ziehung« ist ein gefähr­liches Expe­riment, nicht nur, wenn es ange­sichts einer gewalt­samen Geschlechts­um­wandlung auf die Spitze getrieben wird. Schon die Leugnung spe­zi­fi­scher Unter­schiede kann dazu führen, dass Kindern psy­chische Gewalt angetan wird.
Melanie ist ein solcher Fall. Ihre Mutter war, wie sie selbst sagt, eine »Super-Emanze«. Sie lehnte es ab, den Vater ihres Kindes zu hei­raten und zog mit Melanie wenige Wochen nach der Nie­der­kunft in eine Wohn­ge­mein­schaft. Zunächst erlebte Melanie eine eher traurige Zeit in einer Krippe, weil ihre Mutter stu­dierte und jobbte. Als sie dann in einen »Kin­der­laden« kam, das alter­native Gegen­modell zum staat­lichen oder kon­fes­sio­nellen Kin­der­garten, begann eine neue Phase für sie. Hier wurden die Kinder zwar öko­lo­gisch ernährt und »gewaltfrei« erzogen, aber auch mit anderen Theorien der Acht­und­sech­ziger-Bewegung kon­fron­tiert. Dass die Jungen nicht Krieg spielen durften, mag man als gut gemeint hin­nehmen. Besondere Auf­merk­samkeit aber galt den Mädchen. Sie sollten bloß keine Weibchen werden.
Für Melanie bedeutete das Hosen statt Röcke, Autos statt Puppen, kurze Haare statt langer Locken. Alles wurde ver­mieden, was mög­li­cher­weise die weib­liche Rolle ver­stärkt hätte. Melanie musste Fußball spielen, auch wenn sie keine Lust dazu hatte, und täglich wurde ihr erzählt, dass es die Hölle be­deute, eine Frau zu sein. »Ich erinnere mich noch genau, wie ich einmal mit meiner Mutter ein­kaufen ging«, erzählte sie mir. »Im Schau­fenster sah ich ein pink­far­benes Kleidchen mit Blüm­chen­muster und Rüschen. Völlig ver­zückt zeigte ich darauf: Genau das wollte ich haben! Aber meine Mutter wurde richtig wütend. Sie selber trug ja nur Jeans und T- Shirts, nie habe ich sie in einem Kostüm gesehen. Kleider seien einzig etwas für däm­liche Zicken, sagte sie mir, als ich auf dem Blümchen-Outfit beharrte, so etwas käme auf keinen Fall in Frage!«
In der Pubertät rebel­lierte Melanie. Sie kaufte sich kurze Röcke und schminkte sich zum Ent­setzen ihrer Mutter äußerst auf­fällig. Außerdem trug sie riesige Ohr­ringe und eine Menge klim­pernder Ketten. Als sie mit hoch­ha­ckigen Schuhen nach Hause kam, erhielt sie eine Ohr­feige, die erste und einzige ihres Lebens. »Du siehst jetzt so aus, wie die Männer uns immer haben wollten!«, beschimpfte die Mutter ihre Tochter. »Wundere dich nicht, wenn du ver­ge­waltigt wirst!«
Es war nicht allein puber­tärer Trotz, der Melanie ins andere Extrem fallen ließ. Zahl­reiche wis­sen­schaft­liche Expe­ri­mente haben belegt, wie unter­schiedlich Mädchen und Jungen schon in frühen Jahren auf bestimmte visuelle Reize reagieren. Ein­jährige Mädchen schauen ihre Mütter viel länger an als gleich­altrige Buben. Und wenn man Klein­kindern unter drei Jahren Filme zeigt, so blicken Mädchen länger und inten­siver Sequenzen an, die Gesichter im Mit­tel­punkt haben, während sich Jungen, wen wundert es, vor­nehmlich für Ein­stel­lungen mit Autos interessieren.
Jede Mutter erlebt, wie sich das bei ihren Kindern aus­wirkt: Man kann einem Jungen noch so viele Puppen schenken, er wird immer Bälle, Elek­tronik und Kampf­spielzeug bevor­zugen. Und auch dann; wenn man Mädchen täglich auf den Fuß­ball­platz schickt, werden sie anschließend wieder lieber mit Puppen, Stoffen und Schmuck spielen. Der Versuch, diese Ver­an­lagung durch erzie­he­rische Maß­nahmen zu ändern, schlägt so gut wie immer fehl, es sei denn, man ver­wechselt Erziehung mit Zwang.
Dennoch werden die Unter­schiede weiter igno­riert, selbst von der Politik. Anders ist nicht zu erklären, dass heute in unseren Schulen immer stärker ver­sucht wird, Mädchen und Jungen kon­se­quent gleich zu behandeln. Die soge­nannte Koedu­kation, also der gemeinsame Unter­richt für Mädchen und Jungen, treibt dabei die selt­samsten Blüten: So müssen Jungen oft Kochen, Backen und Nähen lernen, obwohl sie sich dafür nicht im Geringsten begeistern können.
Ver­stärkt wird das durch die Femi­ni­sierung der schu­li­schen Erziehung. Sie befindet sich hier­zu­lande über­wiegend in Frau­en­händen – der Anteil von Leh­re­rinnen in der Grund­schule liegt bun­desweit bei über 90 Prozent, in der Sekun­dar­stufe I bei über 70 Prozent und auch im Gym­nasium ist ein Anteil von 50 Prozent erreicht, bei stei­gender Tendenz.
Dies führt dazu, dass die spe­zi­ellen Bega­bungen von Jungen und Mädchen aus dem Blickfeld geraten. Die weltweit durch­ge­führte PISA-Studie hat gezeigt, dass die schu­li­schen Leis­tungen wesentlich besser aus­fallen, wenn Mädchen und Jungen getrennt unter­richtet werden. Der Grund: Die cha­rak­te­ris­ti­schen Unter­schiede der Wahr­nehmung, des Lern­ver­haltens und der Stress­be­wäl­tigung können dadurch besser berück­sichtigt werden.
Die­je­nigen, die unter der Koedu­kation und der Masse der weib­lichen Erzieher ein­deutig leiden, das sind die Jungen. Sie dürfen ihre geschlechts­be­dingte, natür­liche Aggres­si­vität nicht aus­leben, sondern sollen – statt der typi­schen Wett­kampf- und Kon­kur­renz­spiele immer hübsch har­mo­nisch agieren, als sei die Welt ein Bam­biland. Pro­ble­ma­tisch bei der Unter­drü­ckung typisch männ­licher Kampf­muster ist, dass die Jungen nicht die dazu­ge­hörige Ver­söhnung lernen und auch später als Erwachsene Schwie­rig­keiten damit haben.
Dass sich dieser unter­drückte Kampf­geist Ventile sucht, liegt auf der Hand. Und so nimmt es nicht wunder, dass gerade Jungen schlechtere Schul­leis­tungen vor­weisen, mit zuneh­mendem Alter über­pro­por­tional ver­hal­tens­auf­fäl­liger und gewalt­be­reiter werden als Mädchen und Frauen. Die Kri­mi­na­li­täts­sta­tistik belegt es: Vom Ver­kehrs­delikt bis zum Raubmord, es gibt wesentlich mehr männ­liche Täter als weibliche.

Teil 5: Die Ver­männ­li­chung der Frau

Wichtige Erkennt­nisse über die phy­sio­lo­gi­schen Gründe von geschlechts­spe­zi­fi­schen Ver­hal­tens­un­ter­schieden lie­ferten die Hor­mon­for­scher. Auch das Bei­spiel von Bruce/Brenda hatte gezeigt, dass keine Geschlechts­än­derung möglich, war, dennoch ver­mutete man aber einen Zusam­menhang zwi­schen Hor­mon­haushalt und Verhalten.
Eine seltene Krankheit in Indien brachte die Wis­sen­schaftler auf die Spur. In einer Familie ver­wan­delten sich auf­grund eines gene­ti­schen Defekts mehrere als Mädchen geborene Kinder während der Pubertät all­mählich in Jungen. Durch die falsche Hor­mon­steuerung ver­än­derten sie jedoch nicht nur ihr äußeres Erschei­nungsbild. Als ihnen plötzlich Bart­haare wuchsen, die Stimme brüchig wurde und der Busen sich zurück­ent­wi­ckelte, legten sie auch ihre weib­lichen Ver­hal­tens­formen ab.
Aus der Zoo­logie wusste man schon länger, dass durch gezielte Hor­mon­gaben vor­über­ge­hende Ver­hal­tens­än­de­rungen erzeugt werden können. Bei Tier­ver­suchen hatte man zum Bei­spiel her­aus­ge­funden, dass eine regel­mäßige Tes­to­ste­ron­zufuhr bei Zebra­fin­ken­weibchen zu einer deut­lichen Umformung jener Hirn­areale führte, die für den Gesang zuständig sind. Als das Tes­to­steron abge­setzt wurde, bil­deten sich diese Areale auf ihre Nor­malform zurück. Durch die Hor­mon­gaben konnte das Weibchen also »ähnlich« singen wie ihr männ­liches Pendant. Ein Männchen aber wurde es dadurch nicht.
Spannend wird es, wenn wir uns damit aus­ein­an­der­setzen, dass Hormone auch der Grund dafür sind, dass selbst kleinere Mädchen und Jungen auf unter­schied­liche Art und Weise aggressiv bei Stress reagieren. Tes­to­steron, ein vor­wiegend männ­liches Geschlechts­hormon, sorgt dafür, dass das Ver­halten bei Jungen eine deutlich pro­vo­ka­tivere Kom­po­nente erhält. Das männ­liche Kon­kur­renz­ver­halten muss man deshalb auch als Aus­druck eines ent­spre­chend geschlechts­spe­zi­fi­schen Hor­mon­spiegels begreifen.
Es ist auf­schluss­reich, sich einmal anzu­sehen, was Tes­to­steron alles bewirkt. Es lässt Muskeln wachsen und macht stark, ande­rer­seits erhöht es die Kon­zen­tration von Cho­le­ste­rin­li­piden im Blut, weshalb Männer eher an Herz-und Gefäß­er­kran­kungen leiden und auch nicht so lange leben wie Frauen. Die weib­lichen Hormone, etwa Östrogene oder das Gelb­kör­per­hormon, bieten Frauen dagegen einen gewissen Schutz: vor zu viel Blutfett und auch das wird wenigstens ver­mutet – vor anderen Krank­heiten wie Autismus und Immun­stö­rungen, die bei Männern in viel grö­ßerer Häu­figkeit auf­treten als bei Frauen.
Wenn Frauen heute ein anstren­gendes, auf Kon­kurrenz beru­hendes Berufs­leben bewäl­tigen müssen, kann sich ihr Tes­to­ste­ron­spiegel erhöhen, weil er offenbar hilft, die anste­henden Auf­gaben besser zu bewäl­tigen. Bekanntlich können weib­liche Sportler durch Tes­to­ste­ron­zu­gaben ihre Muskeln ver­größern und auf diese Weise ihre Leistung erhöhen. Zu Männern mutieren sie dadurch zwar nicht, der Preis dafür ist jedoch eine tiefere Stimme, Ansätze von Bart­wuchs und eine Zurück­bildung der weib­lichen Brust. Aber auch ganz normale Frauen können an sich beob­achten, wie sich schon schwache Ver­än­de­rungen des Hor­mon­spiegels, aus­gelöst durch belas­tende Lebens­um­stände, bemerkbar machen. Bio­logen wissen heute recht genau, wie sich der Hor­mon­haushalt von Frauen ver­schiebt, die männ­liche Ver­hal­tens­weisen übernehmen.
Und wie eine solche Ver­än­derung aus­sieht, bekam ich aus per­sön­licher Erfahrung zu spüren: Als die Ehe mit dem Vater meines Kindes zu Ende war und ich mich als allein­er­zie­hende Mutter wie­derfand, nahmen Stress/Überlebensängste und Exis­tenz­zweifel in mir überhand. Eine ver­ständ­liche Reaktion, denn plötzlich sah ich mich in der Ver­ant­wortung für zwei Leben – meinem und dem noch viel schüt­zens­wer­teren meines Kindes. Ein Jahr nach der Trennung fielen mir die Haare büschel­weise aus, ein Umstand, der keiner Frau besonders große Freude bereitet. Ich sah bereits meine Arbeit beim Fern­sehen gefährdet und ließ mich ärztlich unter­suchen. Der Befund war ein­deutig: Mein Hor­mon­spiegel ent­hielt zu wenig Östrogene, also weib­liche Hormone, dafür einen deut­lichen Über­schuss von Testosteron.
Dass ich gleich­zeitig einige Kilo Gewicht verlor, mag an den Stra­pazen dieser anstren­genden Zeit gelegen haben, doch auch der Östro­gen­mangel spielte dabei eine ent­schei­dende Rolle. Der Gewichts­verlust sorgte dafür, dass mein Körper einige weib­liche Run­dungen verlor, dass ich schmaler und kna­ben­hafter wirkte. Ganz ein­deutig war ich auf dem besten Wege, mich zu »ver­männ­lichen«, aus­gelöst durch eine Überforderung.
Diese Beob­achtung machen immer mehr Ärzte. Die hor­mo­nellen Folgen bei der Über­nahme männ­licher Auf­gaben mit all ihren Kon­flikten sind bei­spiels­weise Haut­ärzten gut bekannt. Viele Frauen klagen neu­er­dings auch jen­seits der Pubertät über Akne. Der Grund für diese »Spätakne« sind meist Hor­mon­stö­rungen, die durch unbe­wäl­tigten Stress aus­gelöst werden. Die ver­mehrte Aus­schüttung von männ­lichen Hor­monen führt medi­zi­nisch gesehen zu einer stär­keren Ver­hornung der Haut, was Akne stark begünstigt. Es ist also buch­stäblich so, dass Frauen »eine dickere Haut« bekommen, wenn sie unab­lässig großen Über­an­stren­gungen aus­ge­setzt sind. Die Kos­me­tik­in­dustrie hat übrigens längst reagiert und bietet zunehmend-Anti-Akne-Pro­dukte an, die für Frauen über dreißig gedacht sind.
Dass sich auch die Mode auf solche kör­per­lichen Ver­än­de­rungen ein­stellen muss, kann ein Blick in Bou­tiquen bestä­tigen. Die typisch weib­lichen Run­dungen, wie sie Östrogene erzeugen, ver­schwinden, die soge­nannte Sanduhr-Figur wird immer sel­tener. Daher muss bei den Schnitten der Kleidung berück­sichtigt werden, dass die Hüften der Frauen all­gemein schmaler geworden sind und die Ober­weite kleiner – bei gleicher Konfektionsgröße.
Gleich­zeitig ver­än­derte sich das Schön­heits­ideal. Marilyn Monroe, das Sex­symbol der sech­ziger Jahre, trug noch Größe 42 (nach dama­ligen Maß­stäben) heute ist es undenkbar, dass eine unserer jet­zigen Film- oder Model-Ikonen mit dieser Klei­der­größe Kar­riere gemacht hätte. Weib­liche Formen sind verpönt, und die Super­models machen uns vor, dass die per­fekte Frau einzig aus Haut und Knochen besteht. Vor zwanzig Jahren wogen die Models übrigens 8 Prozent weniger als die Durch­schnittsfrau, heute sind es schon 23 Prozent.
Wer all diese Dinge zu reinen Äußer­lich­keiten erklärt, der ver­kennt, wie sehr die Ori­en­tierung an männ­lichen Rollen in den See­len­haushalt und die kör­per­liche Gesundheit von Frauen eingreift.
 
Auszug aus dem Best­seller Das Eva-Prinzip von Eva Herman, erschienen 2006


Quelle: Eva Herman