Der Sozialismus hat nicht nur die in ihn gesetzten utopischen Erwartungen nicht erfüllt – die Tragödie ist, dass seine Realität die schlimmsten Befürchtungen übertroffen hat. Was erschreckt, ist die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit und dass viele Menschen dieses System des Schreckens herbeigesehnt haben. Einige tun es noch heute. Die neue Etikette ist „demokratischer Sozialismus“. Seine Anhänger wollen den schrittweisen Weg gehen. Die Enteignung soll schleichend erfolgen durch höhere Steuern und mehr Regulierung. Mit diesem Plan folgen sie den Vorgaben des Kommunistischen Manifests.
(von Antony P. Mueller)
Agenda
Die sozialistische Utopie zieht immer noch viele Menschen an – trotz der katastrophalen Folgen an allen Orten, an denen sich sozialistische Systeme durchgesetzt haben. Die Erfahrung zeigt, dass der Sozialismus mit Massenmord, Unterdrückung und wirtschaftlichem Elend einhergeht.
In paradoxer Weise beruht die Sehnsucht nach dem sozialistischen Traum zum Teil auf dem großen Erfolg des Kapitalismus als Motor des Wohlstands. Ab dem 19. Jahrhundert schuf die unternehmerische Wirtschaft ein Ausmaß an Prosperität, wie es noch nie in der Geschichte der Fall war. Die Sozialisten glauben, dass der wirtschaftliche Erfolg durch Umverteilung noch größer werden würde. Die Anhänger des Sozialismus erwarten, dass die Gesellschaft unter ihrer Herrschaft gerechter und die Wirtschaft produktiver werden würde.
Diese Illusion von Wohlstand und Gerechtigkeit im Sozialismus zeigt sich bereits im Kommunistischen Manifest von 1848. Karl Marx (1818–1883) und sein Sponsor Friedrich Engels (1820–1895) loben voller Begeisterung in dieser Broschüre die kapitalistischen Errungenschaften.
„Die Bourgeoisie“, so erklären sie, „hat bewiesen, was die Tätigkeit der Menschen zustande bringen kann. Sie hat ganz andere Wunderwerke vollbracht als ägyptische Pyramiden, römische Wasserleitungen und gotische Kathedralen, sie hat ganz andere Züge ausgeführt als Völkerwanderungen und Kreuzzüge.“
„Die Bourgeoisie“ hat während ihrer Herrschaft, so Marx und Engels, „massenhaftere und kolossalere Produktionskräfte geschaffen als alle vergangenen Generationen zusammen. Unterjochung der Naturkräfte, Maschinerie, Anwendung der Chemie auf Industrie und Ackerbau, Dampfschiffahrt, Eisenbahnen, elektrische Telegraphen, Urbarmachung ganzer Weltteile, Schiffbarmachung der Flüsse, ganze aus dem Boden hervorgestampfte Bevölkerungen – welches frühere Jahrhundert ahnte, dass solche Produktionskräfte im Schoß der gesellschaftlichen Arbeit schlummerten.“
Nach Marx und Engels ist das kapitalistische System jedoch zum Scheitern verurteilt. Privateigentum steht einer perfekten Gesellschaft im Weg. Für Marx und Engels kann das Ziel des Kommunismus in einem einzigen Satz zusammengefasst werden: „Aufhebung des Privateigentums“.
„Die kommunistische Revolution ist das radikalste Brechen mit den überlieferten Eigentumsverhältnissen; kein Wunder, dass in ihrem Entwicklungsgange am radikalsten mit den überlieferten Ideen gebrochen wird.“
Aus der Aufhebung des Privateigentums folgt unmittelbar die Abschaffung der bürgerlichen Individualität, der bürgerlichen Unabhängigkeit und der bürgerlichen Freiheit. Unter dem Kommunismus wird die bürgerliche Familie zusammen mit Land, Nationalität und Religion verschwinden:
„Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staats, d.h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats zu zentralisieren und die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch zu vermehren“
Um diese Ziele zu erreichen, fordert das Kommunistische Manifest folgende Maßnahmen:
- Expropriation des Grundeigentums und Verwendung der Grundrente zu Staatsausgaben.
- Starke Progressivsteuer.
- Abschaffung des Erbrechts.
- Konfiskation des Eigentums aller Emigranten und Rebellen.
- Zentralisation des Kredits in den Händen des Staats durch eine Nationalbank mit Staatskapital und ausschließlichem Monopol.
- Zentralisation desTransportwesens in den Händen des Staats.
- Vermehrung der Nationalfabriken, Produktionsinstrumente, Urbarmachung und Verbesserung aller Ländereien nach einem gemeinschaftlichen Plan.
- Gleicher Arbeitszwang für alle, Errichtung industrieller Armeen, besonders für den Ackerbau.
- Vereinigung des Betriebs von Ackerbau und Industrie, Hinwirken auf die allmähliche Beseitigung des Unterschieds von Stadt und Land.
- Öffentliche und unentgeltliche Erziehung aller Kinder. Beseitigung der Fabrikarbeit der Kinder in ihrer heutigen Form. Vereinigung der Erziehung mit der materiellen Produktion …
Im Sozialismus weicht der Individualismus dem Kollektivismus. Der Staat soll die private Initiative ersetzen. Die kommunistische Herrschaft verlangt die Zentralisierung von Geld und Kredit in den Händen des Staates und die Produktion soll einem zentralen Plan folgen. Die öffentliche Bildung geht mit der Verpflichtung zur Arbeit einher.
Auf dem Weg zur Erreichung dieser Ziele werden die Anhänger des Kommunismus überall
„jede revolutionäre Bewegung gegen die bestehenden gesellschaftlichen und politischen Zustände (unterstützen). Die Kommunisten … erklären offen, dass ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung …“
Dem Plan von Marx und Engel folgend, haben Lenin und seine Genossen versucht, das sozialistische System mit Gewalt einzuführen. Die demokratischen Sozialisten von heute sind keine Leninisten, die einer revolutionären Partei folgen, aber sie sind Marxisten in dem Sinn, dass sie dasselbe Ziel anstreben.
Vom Traum zum Albtraum
Soziale Utopien sind attraktiv. Sie befriedigen das menschliche Verlangen nach einem Paradies auf Erden. Wie Marx in seiner „Kritik des Gothaer Programms“ 1875 erklärte, soll im Sozialismus die Regel gelten: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.“ Wer möchte dem nicht zustimmen? Wer möchte nicht eine Gesellschaft, die Wohlstand für alle garantiert, aber keinen gleichwertigen Beitrag verlangt? Der Sozialismus verspricht Gleichheit und dass jeder das bekommen soll, was er braucht – ob man zur Herstellung der Waren und Dienste wenig oder gar nichts beiträgt. Die fatale Anziehungskraft des Sozialismus resultiert aus dem Wunschdenken, es könnte ein Wirtschaftssystem geben, das so produktiv wie der Kapitalismus wäre und gleichzeitig auch Gleichheit gewährleisten würde. Das Problem mit diesem Versprechen ist, dass der Plan nicht funktioniert.
Während das Privateigentum im Zentrum der freien Ordnung des klassischen Liberalismus steht, wollen es die Sozialisten abschaffen. Die Produktionsmittel sollen der öffentlichen Kontrolle unterstellt werden. Wenn jedoch nicht mehr Preise und Eigentum als Informations- und Anreizsystem vorhanden sind, muss ein Befehlssystem an seine Stelle treten. Wenn es keinen Markt gibt, müssen staatliche Richtlinien die Produktion lenken.
Das wirtschaftliche Handeln in der sozialistischen Gemeinwirtschaft ist orientierungslos. Ohne Preise gibt es keine Möglichkeit zu wissen, wie sich die Wirtschaftstätigkeit koordinieren lässt. Die sozialistischen Machthaber müssen Zwang anwenden, und jeder muss die zentralen Pläne befolgen. In der Praxis installiert der Sozialismus ein Machtzentrum, die Regierungspartei, die mit dem zentralen Wirtschaftsplanungsapparat zusammenarbeitet. Nicht das Proletariat übt die Diktatur aus, sondern die Geheimpolizei und das Militär unterdrücken alle Meinungsverschiedenheiten und sorgen dafür, dass die Stimme des Volkes stumm bleibt, die Arbeiter die Pläne erfüllen und wie Sklaven gehorchen.
Unter einem sozialistischen Regime kann man es nicht vermeiden, die Verordnungen und Gebote zu brechen, weil man sonst nicht überleben könnte. Da es unmöglich ist, sich an das Gesetz zu halten, gibt es in kurzer Zeit unter sozialistischer Herrschaft keine unschuldigen Bürger mehr. Liquidation und Deportation werden zu zwingenden Bestandteilen der sozialistischen Herrschaft. Der Stalinismus ist keine Abweichung, sondern dem Sozialismus innewohnend. Der Sozialismus, egal welcher Art, kann ohne Gewalt nicht existieren. Im 20. Jahrhundert fielen dem Sozialismus schätzungsweise 200 Millionen Menschen zum Opfer.
Sozialismus auf Schleichwegen
Anders als die Kommunisten, die eine „Diktatur des Proletariats“ errichten wollen, glauben die „demokratischen Sozialisten“ an einen allmählichen Übergang und dass man unter dem Sozialismus die persönliche Freiheit wahren könne. Während das erklärte Ziel anders ist, planen die modernen Sozialisten nicht anders als die Kommunisten die Staatsmacht zu erobern und die damit einhergehende Machtentfaltung zu ihren Gunsten zu erwerben. Die Machtergreifung soll schrittweise und getarnt erfolgen. Das Markenzeichen der demokratischen Sozialisten ist der Wolf im Schafspelz.
Die modernen Anhänger des Sozialismus haben erkannt, dass ihr bevorzugtes System ohne Diktatur nicht funktionieren kann. Um erfolgreich zu sein, dürfen die Sozialisten nicht offen Gewalt predigen, sondern ihr Ideal muss über den Weg der Gedankenkontrolle kommen. Zu diesem Zweck postulieren und übertreiben die Kulturmarxisten die Rolle der sozialen, sexuellen und rassischen Unterschiede. Sie praktizieren ein Verwirrspiel, indem sie verkünden, dass der Sozialismus demokratisch sein könne und der wahre Kommunismus noch nicht existiert hat, aber kommen sollte. In den Vereinigten Staaten ist die Linke so weit gegangen, sich „liberal“ zu nennen und verdreht so einen Begriff, der ursprünglich Freiheit bedeutet.
Als 1973 die mörderische Realität des Kommunismus im Sowjetsystem mit der Veröffentlichung von Solschenizyns „Der Archipel Gulag“ im Westen bekannt wurde, fiel der Begriff „Kommunismus“ in Ungnade und wurde durch den weniger belasteten Begriff des „Sozialismus“ ersetzt. Als dieser Begriff an Strahlkraft verlor, trat der Ausdruck „links“ in den Vordergrund. Als „links“ einen schlechten Namen bekam, wurde „liberal“ zum Markennamen, wie es in den Vereinigten Staaten der Fall ist. Hier haben die Sozialisten den Begriff „liberal“ missbraucht, so dass dort heute „Liberalismus“ das Gegenteil von seiner ursprünglichen Bedeutung meint.
Gegenwärtig wird der Begriff „demokratischer Sozialismus“ wieder aufgewärmt. In diesem Ausdruck hat „demokratisch“ das kommunistische Konzept des „Proletariats“ ersetzt. Die Idee hinter dieser Änderung ist, dass „das Volk“ mit dem Proletariat identisch sei, weil es die große Mehrheit ist. „Diktatur des Proletariats“ erhält so eine neue Bedeutung. Für die demokratischen Sozialisten soll die Mehrheit an Stimmen ein Recht dazu geben, das Privateigentum zu untergraben und schließlich abzuschaffen – zunächst durch Besteuerung und Regulierung und schließlich durch die Kollektivierung der Produktionsmittel.
Der sozialistische Traum besagt, dass es unter dem Sozialismus sowohl Wohlstand in Fülle als auch Gleichheit für alle geben würde. Die Realität beweist jedoch, dass der Sozialismus mit wirtschaftlichem Elend, sozialer Benachteiligung und politischer Unterdrückung einhergeht. Je mehr man das Paradies auf Erden verwirklichen will, umso mehr schafft man eine Hölle – das zeigt die Geschichte des Sozialismus.
Der Sozialismus marginalisiert jeden, der sich nicht aktiv am politischen Apparat beteiligt. Das jüngste Beispiel ist China. Als seine derzeitige Führung entschied, den Sozialismus zu bewahren, wurde die Einrichtung eines umfassenden Systems der totalen Überwachung zu einer notwendigen Konsequenz. Der Sozialismus war und bleibt ein unmenschliches System. Eine sittliche Person kann nur aufgrund von Unwissenheit ein Sozialist sein.
Fazit
Der Weg zum Sozialismus besteht darin, das Privateigentum abzuschaffen. Anders als die Kommunisten wollen die demokratischen Sozialisten den Sozialismus schrittweise durch Wahlen etablieren. Am Ende ist der Effekt jedoch derselbe. Durch die Abschaffung des Kapitalismus und damit des Privateigentums an Produktionsmitteln stehen Marktpreise nicht mehr zur Verfügung, um die Wirtschaftstätigkeit zu koordinieren. Staatliche Kommandos müssen die freiwillige Zusammenarbeit ersetzen. Elend und Unterdrückung sind die Folgen. Mit der modernen Technologie verfügen sozialistische Regime nun über Instrumente der Überwachung und Unterdrückung, um eine Terrorherrschaft zu schaffen, die jedes bekannte Diktaturregime der Vergangenheit übertreffen kann.
Dr. Antony P. Mueller (antonymueller@gmail.com) ist habilitierter Wirtschaftswissenschaftler der Universität Erlangen-Nürnberg und derzeit Professor der Volkswirtschaftslehre, insbesondere Makroökonomie, an der brasilianischen Bundesuniversität UFS (www.ufs.br), wo er am Zentrum für angewandte Wirtschaftsforschung und an deren Konjunkturbericht mitarbeitet und im Doktoratsprogramm für Wirtschaftssoziologie mitwirkt. Er ist Mitglied des Ludwig von Mises Institut USA, des Mises Institut Brasilien und Senior Fellow des American Institute of Economic Research (AIER). Außerdem leitet er das Webportal Continental Economics (www.continentaleconomics.com).