Für unsere Mitbürger aus der DDR: da hieß das Spiel „Zweifelderball“, in der Schweiz „Völk“. Wer‘s nicht kennt: Man bildet zwei gleich große Mannschaften, die gegeneinander spielen. Jede Mannschaft versucht, die Spieler der anderen Seite „abzuschießen“, indem sie sie mit dem Ball treffen. Die Mannschaft, die zuerst keine Spieler mehr auf dem Feld stehen hat, hat verloren. Man muss also gut treffen können und/oder sehr flink und wendig sein, um dem Ball ausweichen zu können. Oder den Ball gut abfangen können und ausdauernd sein. In den Staaten und Kanada wird Völkerball in einer verschärften Version gespielt, nämlich mit mehreren Bällen im Spiel, da heißt es „Dodge“.
Ein Forscherteam aus Kanada kommt nun zu dem Schluss, dass dieses Spiel legalisiertes Mobbing sei, ein „Mittel zur Unterdrückung“. Noch schlimmer: Das Spiel sei eine Anleitung für die Schüler, ihre Mitschüler zu „entmenschlichen“. Eine Umfrage unter den kanadischen Schülern zwischen zwölf und fünfzehn Jahren bestätige, dass „Völkerball“ von vielen negativ gesehen werde. Nunja, ich erinnere mich, dass bei uns in der Schulte das Turnen auf dem Balken am unbeliebtesten war.
Wie auch immer, die deutsche Presselandschaft beschäftigt sich nun mit dem Thema „Entmenschlichung durch Völkerball“. Man staunt bisweilen, welche Probleme die Medien so umtreiben … in einer Zeit, da ein Dritter Weltkrieg durch das Pulverfass Iran durchaus nicht undenkbar ist, ein Crash des Weltfinanzsystems in absehbarer Zeit eine Schneise der Verwüstung ziehen könnte – aber auch sehr viele Schüler hier und heute andere Probleme haben, als durch Völkerball im Sportunterricht „entmenschlicht“ zu werden, sondern froh sind, wenn sie nicht auf dem Pausenhof zusammengeschlagen und ‑getreten werden, weil sie als „deutsche Kartoffeln“ geschmäht und verachtet werden.
Spiegel-Redakteurin Nike Laurenz findet ein Verbot dieses Spiels gut, denn es passe ja sowieso nicht in eine Zeit, in der Anti-Mobbing-Trainer die Klassen schulen und „Respekt Coaches“ auf den Schulhöfen dafür sorgen sollen, dass die Schüler wenigstens nicht alle Hemmungen fallen lassen und das tägliche Massen-Mobbing nicht zur schweren Körperverletzung entgleist. Interessanterweise referiert Frau Laurenz auf die Herkunft des Spiels:
„Demnach sollte bei dem Spiel eine Schlacht zwischen zwei Völkern symbolisiert werden, die sich mit ihren Königen gegenüberstehen. Der Kampfplatz, die Territorien der Kriegsparteien, war das Spielfeld, der Ball die Waffe. Bis heute hat sich daran nicht viel geändert.“
Da hat Frau Laurenz wirklich Recht. Nur ist es heute in vielen Schulen so, dass sich in der Turnhalle heute nicht zwei imaginäre Völkerschaften gegenüberstehen und Bällchen werfen, sondern echte Völkerschaften auf den Pausenhöfen und es wird nicht harmlos mit einem Ball „abgeworfen“, sondern mit Fäusten und Tritten, durch Prügeln und Beleidigen der „Feind“ niedergemacht. Während man im Völkerball als „Abgeworfener“ das Spielfeld verlässt und in Ruhe gelassen wird, wird auf solchen Schulhöfen noch weiter geschlagen und getreten, wenn das Opfer blutend auf dem Boden liegt. Aber in den Redaktionsstuben Deutschlands diskutiert man über das legalisierte „Entmenschlichen“ durch Völkerball.
Man kann den Riss durch die Gesellschaft, bei der die Elfenbeinturm-Gutmenschen keinen blassen Schimmer von dem Leben und den Zumutungen der einfachen Bürger haben, kaum besser beschreiben.
Joy Butler, Professorin an der University of British Columbia im kanadischen Vancouver, ist eine Autorin der Studie und barmt, die „stärkeren Schüler“ missbrauchten das Spiel, um „schwächere Mitschüler“ zu demütigen. „Die Botschaft des Spiels ist, dass es okay ist, andere zu verletzen“, sagte Butler, die lange selbst als Lehrerin gearbeitet hat, der „Washington Post“. „In der Schule reden wir viel über Freundlichkeit, Empathie und Mitgefühl. Im Sportunterricht verschwinden alle diese Begriffe“, klagt die Professorin in der wissenschaftlichen Zeitschrift „European Physical Education Review“.
Ja, es wird in den Schulen, Medien und elitären Gesprächszirkeln sehr viel und ausgiebig über Freundlichkeit, Rücksicht, Empathie, Gewaltlosigkeit und Integration gesprochen. In sehr vielen Schulen und sonstigen Lebensumfeldern geht es aber vollkommen anders zu. Da herrscht brutal das Vorrecht der Rücksichtslosen, Gewalttätigen, Dominanten, Gruppenzwang, Diskriminierung. Wer da freundlich, friedlich und empathisch ist, hat schlicht grausam verloren. Selbst die Lehrer trauen sich kaum, dazwischenzugehen. Die „Entmenschlichung“ durch Völkerball dürfte dort das kleinste aller Probleme sein.
Darüber wird aber nicht gern geredet und geschrieben. Im Gegenteil: Warner werden diskriminiert und als „rechte Hetzer“ und „Rassisten“ verunglimpft. Lehrer, die mit dem Problem nach außen gehen, gern aus dem Schuldienst entfernt. Mutige, wie Susanne Wiesinger, Ingrid Freimuth, Heinz Buschkowsky, oder Petra Paulsen werden öffentlich angegriffen und müssen Suspendierungen oder öffentliche Angriffe und Diffamierungen.