Migra­ti­ons­for­scher Ralph Ghadban fordert Ende der Mul­ti­kulti-Ideo­logie im Kampf gegen ara­bische Clans

Nicht nur in Groß­städten wie Berlin und Hamburg kämpfen die Behörden gegen kri­mi­nelle Groß­fa­milien, sondern zunehmend auch in mitt­leren und kleinen wie Hil­desheim, Uelzen oder Lüneburg. Ist Deutschland das Dis­neyland für Clans? Dr. Ralph Ghadban: Das kann man so sagen.
Vor allem, weil hier die Zahl der Migranten aus isla­mi­schen Ländern mit ihrer gänzlich anderen Kultur enorm ist. Keines der Her­kunfts­länder ist ein moderner Natio­nal­staat, sodass die Migranten weder Demo­kratie noch Men­schen­rechte kennen. Nach dem Zweiten Welt­krieg gab es nur ein Land, das sich bei der Recht­spre­chung auf die Scharia berief, inzwi­schen sind es 35. Natürlich ist nicht allen Migranten die Moderne fremd. Aber abge­sehen von einer libe­ralen Elite hält die Masse am alten Denken fest. Während aber hier das Indi­viduum die Grundlage der sozialen Orga­ni­sation ist, bildet dies in isla­mi­schen Ländern die Groß­fa­milie. Daraus resul­tiert das Kern­problem: Wie kann man Men­schen, die sich nur als Teil einer Gemein­schaft — der Groß­fa­milie oder der Gläu­bigen — ver­stehen, in eine indi­vi­dua­li­sierte Gesell­schaft inte­grieren? Man inte­griert keine Gruppen, sondern nur Einzelpersonen.
In schwachen Staaten dienen Clan-Struk­turen dem Schutz der Sippe. Wieso prä­de­sti­nieren sie in einer offenen Gesell­schaft für kri­mi­nelle Kar­rieren? Groß­fa­milien aus noma­di­schen oder halb­no­ma­di­schen Gesell­schaften unter­scheiden sich von denen aus bäu­er­lichen oder städ­ti­schen durch einen deutlich höheren Grad an Soli­da­rität unter­ein­ander. Das Symbol hierfür ist die Blut­rache. Sie hält die Gruppe zusammen und grenzt die rest­liche Welt als Fein­desland aus. Legt man sich mit einem Stam­mes­mit­glied an, werden alle mobi­li­siert. Die liba­ne­sisch-kur­di­schen Clans der Mhallami-Kurden, die sich meist an die Spitze der Unterwelt gesetzt haben, ent­stammen zum Bei­spiel dieser halb­no­ma­di­schen Lebenswelt, sie waren ursprünglich der Armut in der Süd­ost­türkei in den Libanon ent­flohen, wurden dann aber auch dort aus­ge­grenzt und kamen Mitte der 70er-Jahre nach Deutschland. Asyl bekamen sie nicht, blieben aber wegen feh­lender Papiere im Land. Ihre Stam­mes­struk­turen hatten sich im sozialen Abseits im Libanon noch ver­festigt. Dem­entgegen fiel es etwa Migranten aus der West­türkei, wo die kema­lis­tische Trennung von Staat und Religion ihre Basis hatte, sehr leicht, sich zu integrieren.
Unter­scheidet diese extreme Stammes-Soli­da­rität die Mhallami von der ita­lie­ni­schen oder rus­si­schen Mafia? Ja, deren groß­fa­mi­liären Struk­turen unter­scheiden sich von denen nor­maler orga­ni­sierter Kri­mi­na­lität dadurch, dass dort die Zuge­hö­rigkeit frei­willig ist. Sie nennen sich zwar “Familie”, weil sie sich an deren Vorbild ori­en­tieren, sind aber nicht mit­ein­ander ver­wandt. Da kommen Erwachsene zusammen, um Straf­taten zu begehen. Anders als bei den Mhallami besteht die Mög­lichkeit, auszusteigen.
Kann man in einem der­ar­tigen Clan die kri­mi­nelle Kar­riere nicht ver­weigern? Natürlich sind nicht alle Groß­fa­milien kri­minell. Viele Clans haben sich aller­dings in Deutschland zu kri­mi­nellen Ver­ei­ni­gungen ent­wi­ckelt. Die Mhallami waren die ersten, die ent­deckt haben, dass das Auf­treten in der Gruppe in einer indi­vi­dua­li­sierten Gesell­schaft Vor­teile bringt. Sie können per Handy in Minuten dut­zende Kämpfer mobi­li­sieren, um Kon­tra­henten ein­zu­schüchtern. Deshalb ver­achten sie den Rechts­staat. Viele Clan-Mit­glieder betrachten Deutschland als Beu­te­ge­sell­schaft, aber nicht jeder Clan-Ange­hö­riger erliegt der Ver­lo­ckung, auf kri­mi­nelle Art Profit zu machen.
Kann man aus der geschei­terten Inte­gration liba­ne­si­scher Bür­ger­kriegs­flücht­linge in den 70er-Jahren Lehren ziehen für die Inte­gration der syri­schen Bür­ger­kriegs­flücht­linge? Das muss man. Ansonsten würde unsere indi­vi­dua­li­sierte Gesell­schaft durch eine Stam­mes­ge­sell­schaft ersetzt. Die Mul­ti­kulti-Ideo­logie muss endlich abgelegt werden. Der unein­ge­schränkte Respekt vor der anderen Kultur führte dazu, dass die Clans keinen Respekt vor unserer Kultur zeigen.
Gab es nicht Mitte der 70er-Jahre Inte­gra­ti­ons­be­reit­schaft bei den Mhallami, die dann zerstob, weil der Staat Arbeits­verbote ver­hängte? Das ist ein Mythos. 1978 bestand ein Arbeits­verbot von nur einem Jahr. Danach hätten die Ein­wan­derer arbeiten können. Erst zwi­schen 1982 und 1989 wurde das Asyl­recht ver­schärft, das Arbeits­verbot auf zwei Jahre ver­längert. Das schob sie an den Rand der Gesell­schaft, wo sie ihre mit­ge­brachten sozialen groß­fa­mi­liären Struk­turen wie­der­be­lebten. Als die Politik dann Jahre später ihren Fehler einsah und Inte­gra­ti­ons­an­gebote machte, ver­pufften diese, weil die Clan-Mit­glieder trotz Arbeits- und Auf­ent­halts­er­laubnis die Erfahrung gemacht hatten, wie leicht sie kri­minell Beute machen konnten. In den 90er-Jahren eiferten dann andere Clans den kri­mi­nellen Vor­bildern nach.
Haben die Clans ihre Kri­mi­na­li­täts­felder aus dem Libanon mit­ge­bracht oder sich hier neue erschlossen? Kri­minell wurden sie erst hier. Im Libanon brachte ihre Sip­pen­struktur keinen Vorteil, weil poten­zielle Opfer eben­falls ihre Sippen mobi­li­sieren konnten. Und außerdem reagierte der Staat sehr viel härter. Im Libanon haben sie niedrige, harte Jobs aus­ge­füllt. Inwieweit hat der Versuch der Jus­tiz­be­hörden, eth­nische Min­der­heiten nicht zu stig­ma­ti­sieren, das Ent­stehen einer Par­al­lelwelt begünstigt? Weil unter dem Ein­fluss des Mul­ti­kulti-Denkens tabu war, die kul­tu­rellen Hin­ter­gründe von Tätern zu benennen. Da konnte man viele Pro­bleme nicht mal erkennen. Weil der Staat weg­schaute, wurden die Opfer allein gelassen. Auch die Opfer in den Familien, etwa die Frauen. Sie werden früh mit Cousins zwangs­ver­hei­ratet und sollen vor allem viele Kinder kriegen. Den Begriff “Beu­te­ge­sell­schaft” habe ich 1986 geprägt. Damals wurde ich dafür ange­feindet. Erst 2019 hat Bun­des­in­nen­mi­nister Horst See­hofer den Begriff auf­ge­nommen. Der Staat braucht zu lange, um die Rea­lität zu erkennen. Damals lautete der Slogan: “Inte­gration durch Par­ti­zi­pation”. Im Ergebnis schossen die Runden Tische nur so aus dem Boden. Dennoch funk­tio­nierte die Inte­gration nicht. Die Ver­treter des Mul­ti­kulti-Kurses haben ver­leugnet, dass dafür die Vor­aus­set­zungen not­wendig sind. So hat man die Ein­stel­lungs­vor­aus­set­zungen bei der Ber­liner Polizei abge­senkt, weil man mehr Poli­zisten mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund haben wollte. Im Ergebnis hatte man mehr Macho-Poli­zisten. Wird ein Deut­scher mit tür­ki­schem Hin­ter­grund nicht als Arzt zuge­lassen, obwohl er die ver­langte Qua­li­fi­kation hat, ist dies Dis­kri­mi­nierung. Wird ihm die Zulassung auch ohne ent­spre­chende Zeug­nisse gewährt, ist das naive Ideologie.
Einige der isla­mis­ti­schen Ter­ro­risten der letzten Jahre hatten zuvor klein­kri­mi­nelle Kar­rieren. Gibt es Berüh­rungs­punkte zwi­schen Clans und Dschi­ha­dismus? Das kann man nicht aus­schließen. Es ist zumindest kein Zufall, dass sich par­allel zur Clan­kri­mi­na­lität auch eine reli­giöse Kri­mi­na­lität und eine isla­mische Par­al­lelwelt ent­wi­ckelt haben. Ter­ro­risten werden in Moscheen erzeugt. Die Gruppe, der man sich unter allen Umständen zuge­hörig fühlen will, muss nicht die Groß­fa­milie sein, es kann auch die Gemein­schaft der Gläu­bigen sein.
Wie kann sich der Staat wieder Respekt ver­schaffen? Der Staat traut sich immer noch nicht, ener­gisch die Par­al­lel­welten auf­zu­brechen. Es ist auch kein Zufall, dass Clans besonders in den Bun­des­ländern stark sind, die derzeit oder früher von Rot-Grün regiert wurden, Bremen, Berlin und Nord­rhein-West­falen. Hier regierte zu lange ideo­lo­gische Blindheit. Die Scheu­klappen, die dazu führten, Täter zu Opfern zu sti­li­sieren, müssen abgelegt werden. So kann man das Kopftuch bei Staats­be­diens­teten nicht respek­tieren, weil es eben mehr ist als ein reli­giöses Symbol, es ist eine Ent­wür­digung der Frau, weil sie dadurch auf ihre Sexua­lität redu­ziert wird. Lange wurde die Gefahr durch die ara­bi­schen Clans ver­nied­licht. Der kürzlich ange­ordnete Lage­be­richt des NRW-Innen­mi­nisters Herbert Reul zeigte nun, dass in dem Bun­desland, anstatt der früher ver­mu­teten 50 Clans 104 Clans aktiv sind, auf deren Konto in den drei letzten Jahren mehr als 14 000 Straf­taten gehen. Jetzt ver­schärft sich die Lage, weil seit 2015 fast 1,5 Mil­lionen Men­schen mit groß­fa­mi­liären Struk­turen zu uns gekommen sind. Ich glaube nicht, dass wir sie inte­grieren können.
Was kann man machen, um die nicht­kri­mi­nellen Migranten zu inte­grierten Bürgern zu machen? Als erstes, den kul­tu­rellen Hin­ter­grund dieser Men­schen ernst nehmen. Dann muss der Rechts­staat sich mehr Poli­zisten und Richter leisten, damit auch kleinere Ver­gehen ver­folgt werden können. Dazu muss unsere Kultur ver­mittelt werden.
Als Leit­kultur? Natürlich, eine demo­kra­tische Leit­kultur. Und das bedarf einer jah­re­langen Erziehung. Haben wir die Kraft, das zu meistern? Die Kanz­lerin sagte: ja. Sie erzählt weiter das Märchen der Hil­fe­leistung in einer huma­ni­tären Notlage. Es gab keine Notlage, die Flücht­linge waren nach dem unga­ri­schen Asyl­recht auf­ge­nommen worden, wei­gerten sich aber, in die Lager trans­por­tiert zu werden.
Sehen Sie es nicht so, dass die Huma­nität geboten hat, Kriegs­flücht­linge auf­zu­nehmen? Das ist falsch, sie kamen nicht aus dem Bür­ger­krieg, sondern waren in sicheren Bal­kan­ländern. Merkel hat sich über die Dublin-Rege­lungen hin­weg­ge­setzt und viele euro­päische und nationale Gesetze außer Kraft gesetzt.
Hätte man die auf Bahn­höfen und in Parks auf der Bal­kan­route Gestran­deten einfach dort lassen sollen? Sie sollten in Flücht­lings­lager trans­por­tiert werden, haben dies aber ver­weigert, weil sie nach Deutschland weiter wollten. Und dort wären sie ver­sorgt gewesen. Es war nicht die Aufgabe der Bun­des­re­gierung, diese Situation im Alleingang zu lösen, sondern die der Ungarn.
Zur Person
Der Migra­ti­ons­for­scher Dr. Ralph Ghadban wurde 1949 im Libanon geboren. Anfang der 70er-Jahre kam er mit einem Pro­mo­ti­ons­sti­pendium nach Deutschland. Als 1975 der Bür­ger­krieg im Libanon begann, küm­merte sich Ghadban in Berlin um liba­ne­sische Flücht­linge, zuletzt war er Leiter der Bera­tungs­stelle für Araber beim Dia­ko­ni­schen Werk. Er war Mit­glied der ersten Islam­kon­ferenz, gehört nun auch zur vierten. Zudem ist er Mit­be­gründer des “Mus­li­mi­schen Forums Deutsch­lands”. Ghadban publi­ziert seit Jahr­zehnten zu Clans, zuletzt erschien sein Buch “Ara­bische Clans — Die unter­schätzte Gefahr” (Econ). Seit einem Interview zum Thema Clans im liba­ne­si­schen Fern­sehen steht er unter Polizeischutz.


Quelle: Joachim Zießler / Lan­des­zeitung Lüneburg