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The roof is on fire – wie man Bol­sonaro medial anzündet

von Roger Letsch
Hetze und Hitze liegen nicht nur sprachlich eng bei­ein­ander. Betrachtet man die Mel­dungen der letzten Tage über die Wald­brände im Ama­zo­nas­gebiet, bekommt man den Ein­druck, der neue bra­si­lia­nische Prä­sident drehe gerade ein Video für ein 99-Luft­ballons-Nena-Comeback und sei im Wald höchst­per­sönlich mit Streichholz und Ben­zin­ka­nister unterwegs. Wald­brände sind in der Tat schrecklich und nicht nur wer zur Rettung des Regen­waldes liter­weise Krom­bacher soff, blickt betroffen.
Bol­sonaro handele nicht, so liest man überall. Brände löschen ist schließlich die ein­fachste Sache von der Welt, wenn sie nicht gerade beim Übungs­schießen der Bun­deswehr im Moor ent­stehen, dann kann man natürlich nix machen. Was hat er also vor, der Beel­zebub Bol­sonaro, warum steckt er das Haus an, in dem er selber lebt? Sowas tun Men­schen eben, wenn ihnen die richtig linke Ein­stellung fehlt, raunt es im tro­ckenen deut­schen Blät­terwald und man kann froh sein, dass die Funken aus Bra­silien es aller Panik zum Trotz nicht über den Atlantik schaffen.
Bad Guy Bolsonaro
Stutzig wurde ich, als ich hörte, dass viele Brand­herde so abge­legen seien, dass man dort nicht mal zu Fuß hin­kommt. Wie soll dort die spätere Boden­nutzung von statten gehen, wie geern­tetes Soja zu den gie­rigen Märkten der Fleisch­pro­du­zenten gelangen, wenn man dort nur mit Hub­schraubern oder auf tage­langen Gewalt­mär­schen durch den Dschungel hin­ge­langen kann? Und warum werden auch aus den Nach­bar­ländern Bra­si­liens, aus Peru und Bolivien, heftige Wald­brände gemeldet? Zündelt Bol­sonaro dort etwa auch und wenn nicht, warum stehen die Prä­si­denten Perus und Boli­viens nicht mit ihm am Pranger der EU?
Eben­falls ver­wun­derlich ist, dass der Raubbau am Regenwald, der durch lokale Bauern, illegale Gold­schürfer und auch große Agrar­firmen zwei­fellos eine Tat­sache und ver­werflich ist, in diesem Fall einen wich­tigen Schritt mensch­licher Gier zu über­springen scheint: die Wälder brennen sofort, niemand fällt dort illegal zunächst wert­volle Bäume um das Holz zu ver­kaufen. Ist es wirklich so lukrativ, das Tro­penholz zu ver­brennen und statt­dessen auf gute Soja-Preise zur Vieh­füt­terung zu hoffen, wo die Europäer doch gerade ihr fleisch­loses Kli­mage­wissen ent­decken? Das alles ist so merk­würdig, dass es sich lohnt, auch andere Ursache-Wirkung-Paare in den Blick zu nehmen.
Da wäre zunächst das Frei­han­dels­ab­kommen „mer­cosur“ zwi­schen Süd­amerika und der EU und die Frage, warum gerade Frank­reichs Prä­sident Macron auf­grund der Flammen in Bra­silien die Rati­fi­zierung stoppen will. Bietet sich da etwa ein will­kom­menes Ventil, um die Agrar­lobby im eigenen Land zu beru­higen, die sich vor bil­ligen Importen fürchtet, mit denen gerade der Agrar­riese Bra­silien die EU über­schwemmen könnte?
Dann ist da die Person Bol­sonaro selbst, ein Prä­sident, der sich auf­grund seiner Politik einen Spit­zen­platz auf der Hass­liste der EU gleich hinter Trump gesi­chert hat. Ein Kli­ma­leugner vor dem Herrn, der das Paris-Abkommen ver­spottet und Mittel für den Kli­ma­schutz streicht. Doch Greta ist schon auf dem Weg nach Amerika und wird ihm Beine machen! Ihm die Feuer in die Schuhe zu schieben scheint da schon fast ein mora­li­sches Gebot, denn für „Ultra­rechte“ gilt keine Unschulds­ver­mutung und das Prinzip der Nicht­ein­mi­schung in nationale Ange­le­gen­heiten ist – siehe Ungarn – ohnehin außer Kraft gesetzt. Wer Gutes im Sinn hat, für den gelten andere Regeln.
Ein Blick in die Fakten
Doch was pas­siert denn nun wirklich in Bra­silien und anderen Ländern Süd­ame­rikas? Fragen wir die NASA, mit Hilfe deren Erd­be­ob­ach­tungs­sa­tel­liten seit Jahr­zehnten die Sta­tis­tiken über Wald­brände führen. Dort lesen wir zunächst, dass der „Regenwald“ im Moment ganz und gar nicht so nass ist, wie wir es uns in einer glatt­ge­bü­gelten Phan­tasie gern vor­stellen. Es ist Tro­ckenzeit – und zwar jah­res­zeitlich bedingt, nicht etwa durch den Klimawandel.
In the Amazon region, fires are rare for much of the year because wet weather pre­vents them from starting and spre­ading. However, in July and August, activity typi­cally increases due to the arrival of the dry season. Many people use fire to maintain farmland and pas­tures or to clear land for other pur­poses. Typi­cally, activity peaks in early Sep­tember and mostly stops by November.“
Das macht es natürlich nicht besser, wenn ein Farmer zur Ver­grö­ßerung seiner Acker­flächen zum Streichholz greift oder Feuer, das to maintain farmland gelegt wurde, auf benach­barten Wald über­greift, nur lässt sich das nicht ohne wei­teres dem Prä­si­denten in die Schuhe schieben. NASA weiter:
As of August 16, 2019, an ana­lysis of NASA satellite data indi­cated that total fire activity across the Amazon basin this year has been close to the average in com­pa­rison to the past 15 years. (The Amazon spreads across Brazil, Peru, Colombia, and parts of other countries.) Though activity appears to be above average in the states of Ama­zonas and Ron­dônia, it has so far appeared below average in Mato Grosso and Pará, according to esti­mates from the Global Fire Emis­sions Database, a research project that com­piles and ana­lyzes NASA data.“
Fire-Count im Amazonas-Gebiet laut NASA. Grün: 2019 (Hervorhebung aus optischen Gründen durch den Autor
Fire-Count im Ama­zonas-Gebiet laut NASA. Grün: 2019 (Her­vor­hebung aus opti­schen Gründen durch den Autor). Siehe auch hier.

Inter­essant! Die Feu­er­ak­ti­vität ist also „nahe am Durch­schnitt der letzten 15 Jahre“. In manchen Regionen liegt sie dar­unter, in anderen etwas darüber. Mögen die Ein­zel­fälle auch noch so bedrohlich sein, in der Sta­tistik wird das Jahr 2019 wohl im üblichen Rau­schen ver­schwinden – wobei diese Aussage unter Vor­behalt geäußert sei: wir müssen bis Dezember warten.
Bleibt also als über­durch­schnitt­liches Ereignis derzeit nur das Feuer in den Köpfen von euro­päi­schen Akti­visten, Jour­na­listen und Poli­tikern mit Agenda, wenn­gleich man Bol­sonaro vor­werfen muss, dass er genau so hys­te­risch und mit halt­losen Anschul­di­gungen auf die Vor­würfe reagiert, wie man das von ihm erwartet. Sou­verän geht anders. Hinzu kommt, dass viele Bilder, die aktuell zur Illus­tration der Wald­brände ver­wendet werden, gar nicht von dort stammen, wie sogar die Tages­schau-Fak­ten­checker ein­räumten. Aber um die Stimmung anzu­heizen und die Hitze in Hetze zu ver­wandeln, ist gegen Poli­tiker wie Orban, Trump und Bol­sonaro längst jedes Mittel recht.


Der Autor Roger Letsch ver­öf­fent­licht seine sehr lesens­werten Bei­träge auf www.unbesorgt.de