Knabenchöre geraten offenbar auch „under attack“ der Equality-Diversity-anti-Diskriminierer. Eine Rechtsanwältin und Mutter klagte, ihre Tochter müsse ebenfalls das Recht haben, in den Leipziger Knabenchor „Thomaner“ aufgenommen zu werden. Erstaunlicherweise bewies das Berliner Verwaltungsgericht aber Haltung und gesunden Menschenverstand sowie Verständnis, dass es so etwas wie die Freiheit der Kunst gibt. Die Klage wurde abgewiesen, der Freiheit der Kunst wurde Vorrang vor der Gleichbehandlung zugestanden. Die Berufung ist allerdings zugelassen.
Das Urteil dürfte dennoch richtungsweisend sein und vorerst verhindern, dass Kunst und Künstler in ihren Werken – zumindest vorerst – nicht zwingend den obersten Geboten der rücksichtslosen Diversity-Equality-Antiracism-No-Discrimination-Gesetze unterworfen werden. Oder, um es anschaulich zu überzeichnen: Ein Künstler, der ein Liebespaar malt, modelliert oder meißelt, müsste sonst irgendwann politisch-korrekterweise sein Kunstwerk so anlegen, dass auch alle möglichen LGBT-Paarungen in allen Hautfarbenkombinationen dargestellt werden. Das würde wahrscheinlich entweder zu einer Welle von Wände füllenden Monumentalkunstwerken oder zu einer Ära rein abstrakter Kunst, einem Revival der Stillleben oder menschenleeren Naturszenen führen.
Die neunjährige Tochter der Rechtsanwältin wollte in den Knabenchor des Staats- und Domchores „Thomaner“ zu Leipzig aufgenommen werden. Sie durfte auch vorsingen, wurde aber abgelehnt. Das Mädchen habe „klangschön und intonationssicher“ gesungen, jedoch nicht genügend Volumen und Klangkraft erbringen können und daher die Anforderungen des Chores nicht erfüllt. Die Ablehnung erfolgte, wie üblich mündlich, die Mutter verlangte aber ausdrücklich einen schriftlichen Bescheid. Zuvor hatte die Mutter aber bereits die Klage auf Gleichbehandlung eingereicht.
Was der Rechtsanwältin nicht einleuchten wollte, dem Gericht aber Gottseidank schon, ist, dass das Klangbild eines Knabenchores ein anderes ist, als eines gemischten Chores. „Mädchenstimmen klingen einfach anders. Jede hier im Raum würde den Unterschied hören.“ sagt Chordirektor Kai-Uwe Jirka.
Auch Knabenchöre nehmen nicht jeden Jungen auf, der schön singen kann. Der Chordirektor und künstlerische Leiter „entscheidet, ob eine Stimme passt. Viele könnten gut singen, aber die wenigsten entsprächen dem, was im Gefüge den „Knabenchorklang“ ausmacht. Es werden 80 Prozent der Bewerber abgelehnt.“
Die Stimme muss in das Gesamtklangbild passen, wie man auch nicht irgendwelche beliebigen Saiten aus Darm, Plastik und Draht wild gemischt auf ein Instrument aufziehen darf. Das harmonische Gesamtklangbild aller Töne macht die hohe Kunst der Musik und die Klangqualität aus und wie man auch die Klangfarbe der Saiten aufeinander abstimmen muss, um die Schönheit der Musik zur Perfektion zu bringen. Eine Posaune in Mozarts „kleiner Nachtmusik“ passt genauso wenig, wie eine Geige zu Bayerischer Blasmusik. Auch eine irische Folkmusik-Geige passt nicht in ein klassisches Streichorchester. Das Feilen an den Feinheiten und die perfekte Harmonie sind essentiell für wirklich hohe Kunst. Dafür hatte Frau Rechtsanwältin anscheinend kein Verständnis und wollte brachial ihr Gleichbehandlungsdogma durchsetzen.
Man kann nur im Interesse der Kunst und Kultur hoffen, dass auch in der Berufung nicht aus lauter PC ein Stimmenmischmasch die alte und sehr besondere Kunst und Klangfarbe des Knabenchores hinwegfegt. Sehr viele und sehr alte Stücke geistlicher Chormusik wurde für reine Männer- und Knabenchöre geschrieben, die sich in ihrer Klangfarbe stark von gemischten Chören unterscheiden. Sie sollten erhalten bleiben. Es wäre ein Verlust. Es ist ja beispielsweise durchaus interessant, Johann Sebastian Bachs Musik als elektronische Synthesizer-Musik anzuhören, aber der wirklich wahre Bach ist eben nur in Original-Instrumentalisierung zu genießen.
Diese, den Jungs vorbehaltene Tradition, stammt noch aus dem frühen Mittelalter, in dem die Klöster bereits kleine Jungen im geistlichen Chorgesang ausbildeten. Mädchen waren in den Männerklöstern natürlich undenkbar und nur die Knaben konnten die hohen Stimmlagen leisten. Die Mädchen in den Nonnenklostern kamen meistens erst mit Eintritt der Pubertät dazu, da aber Mädchen nicht in den Stimmbruch kommen, war das auch kein Problem. Der besondere Nimbus der Knabenchöre lebt auch von der sehr beschränkten Zeit, die den männlichen Kinderstimmen in ihrer reinen, hellen, engelhaften Glasklarheit bleibt. Mit ca. zwölf Jahren werden die Knabenstimmen brüchig und schwer kontrollierbar und dann kommt der Stimmbruch. Dazu kommt, dass wirklich gute Knabenstimmen eine Kostbarkeit sind.
Es ist bekannt, dass in „normalen“, gemischten Chören die Jungen sichtbar unterrepräsentiert sind. Etwa 90 Prozent der Kinderchöre bestehen aus Mädchen. Untersuchungen zeigen, dass Mädchen im Durchschnitt besser singen als Jungen. Unter den Kindern, die nicht sauber singen können, finden sich fast dreimal so viele Jungen wie Mädchen (Vergl. Graham F. WELCH: „Onchi and Singing Development: Pedagogical Implications“ in: Graham WELCH, Tandahiro MURAO; Onchi and Singing Development. A Cross Cultural Perspective; London (David Fulton Publishers) 1988, S. 82–95, insbesondere S. 85).
Dazu kommt, dass nur wenige Jungen so gerne singen, dass sie den intensiven Übungs- und Leistungsdruck eines Elitechores auf sich nehmen. Neben der Tatsache, dass Singen unter Jungen nicht besonders anerkannt ist und als „mädchenhaft“ gilt, ist das Singen in einem Elitechor eine höchst anstrengende, arbeits- und zeitintensive Sache und fordert auch viel (auch finanzielles) Engagement der Eltern. Hier geht es nicht mehr um die reine, ungezwungene Freude am Singen nach Lust und Laune. Die Knaben sind Vollprofis und arbeiten intensiv. Sicher ist auch mancher Junge darunter, der durch den Ehrgeiz der Eltern mehr oder weniger sanft hineingenötigt wurde.
„Es gibt einen wichtigen pädagogischen Grund für den Erhalt reiner Knabenchöre, und der wird offensichtlich, wenn man sich noch einmal die Bilder gemischter Kinderchöre vor Augen führt: Allein die Tatsache, dass Mädchen einen solchen Chor nicht notwendigerweise im Alter von zwölf Jahren verlassen müssen, sorgt schnell für eine Überzahl von Mädchen, und auf so manchen zehnjährigen Jungen mag eine größere Gruppe von 14jährigen Mädchen abschreckend wirken. Singen gilt zudem unter Jungs schnell als mädchenhaft und uncool, wenn eine Musiklehrerin vermeintlich kindgerechte Lieder anstimmt; wird es jedoch in einem exklusiv männlichen Chor und leistungsorientiert betrieben, sind auch Jungen dafür zu begeistern. Knabenchöre sind demnach also pädagogisch wertvolle Einrichtungen, die es Jungen möglich machen, singen zu lernen und damit auch Freude an der gefühlsorientierten Gestaltung von Musik zu entwickeln, was ihnen in einer gemischten Gruppe schwer gemacht wird. Ebenso wie Geschlechtertrennung im Physikunterricht die Chancengleichheit in dieser Naturwissenschaft fördert, geben Knabenchöre den Jungs eine Chance zum Singen.“
Es gibt, wie das oben zitierte Papier der TU Dortmund aufzeigt, also genügend gemischte Kinderchöre, auch in der Profi-Liga, die in der Regel von Mädchen dominiert werden. Mädchen haben mehr als genug Möglichkeiten, ihre Freude am Singen auszuleben. Allerdings gibt es keine berühmten, reinen Mädchenchöre, die die kindlich-weibliche Sangeskunst zu solcher Perfektion bringen, wie sie in den traditionellen Knabenchören gedrillt wird. Es wäre vielleicht ein gutes Projekt, so etwas anzugehen und eine neue Tradition zu begründen. Warum nicht auch Thomanerinnen?
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