EU Exposed - https://www.flickr.com/photos/115739738@N08/12178541536 - CC BY 2.0

Die EU, beliebt wie lange nicht? Alles Fake…

Die EU ist beliebt wie lange nicht, so heißt es in der Kleinen Zeitung aus Öster­reich. Basis der Behauptung: Zahlen aus dem Euro­ba­ro­meter, der regel­mä­ßigen Mei­nungs­um­frage der EU.
Das Ansehen der EU ist auf einem All­zeithoch, so meldet der ORF mit Verweis auf den Eurobarometer.
Der Kurier weiß aus dem Euro­ba­ro­meter, dass die EU mit dem Brexit unter denen, die ver­bleiben, beliebter wird.
Europa ist bei den Bürgern so beliebt wie nie. Der Tages­spiegel bringt den Jubel­be­richt. Quelle: Der Eurobarometer.
Im Pres­se­portal von dpa ver­breitet das Euro­pa­par­lament Nach­richten in eigener Sache. “Euro­ba­ro­meter: Rekord-Zustimmung für EU 8 von 10 Deut­schen halten EU-Mit­glied­schaft für eine gute Sache.”
Der Euro­ba­ro­meter ist die Haus- und Hof­grundlage der Euro­päi­schen Kom­mission, wenn es darum geht, die eigenen Vor­haben mit Legi­ti­mität durch Wähler zu ver­sorgen. Der Euro­ba­ro­meter wird zitiert, wenn die Pro­bleme mit Dis­kri­mi­nierung euro­paweit beschworen und Gelder zur Bekämpfung locker gemacht werden sollen. Er dient dazu, den Natio­na­listen in den Ländern zu zeigen, wie sehr sie in der Min­derheit sind und dazu, den Euro­skep­tikern zu demons­trieren, dass sie nicht ins Gewicht fallen.
Der Euro­ba­ro­meter, eine – wie könnte es anders sein – ver­meintlich reprä­sen­tative Mei­nungs­um­frage, die in regel­mä­ßigen Abständen zweimal pro Jahr regulär und in Sonder-Euro­ba­ro­metern durch­ge­führt wird, er ist viel­fältig ver­wendbar und ein­setzbar und nutzbar und unzu­ver­lässig, ver­zerrt, alles, nur nicht repräsentativ.
Schon zu Beginn der 1990er Jahre hat sich der damalige Ver­ant­wort­liche für den Euro­ba­ro­meter, der zwi­schen­zeitlich ver­storbene Karl-Heinz Reif, redlich bemüht, die Wis­sen­schaft, vor allem die Poli­tik­wis­sen­schaft für die Nutzung der Euro­ba­ro­meter-Daten­sätze, die damals in Mannheim gewartet wurden, zu begeistern. Der Erfolg war mäßig. Die Aversion gegen einen Datensatz, der im poli­ti­schen Auftrag erstellt wird, war damals zu groß, als dass sich die empi­risch arbei­tenden Poli­tik­wis­sen­schaftler in großer Zahl auf die Daten gestürzt hätten. Heute gibt es keine empi­risch arbei­tenden Poli­tik­wis­sen­schaftler mehr in großer Zahl. Also hat sich das erledigt.
Der poli­tische Stall­geruch des Euro­ba­ro­meter war eines seiner Pro­bleme, die anderen, bekannten, lange bekannten Pro­bleme sind in zwei Begriffe zu fassen: Relia­bi­lität und Vali­dität. Pro­bleme mit der Vali­dität schlagen sich z.B. in Befragten nieder, die sich als ultra-links ein­stufen und – weil sie in Belgien inter­viewt wurden, angeben, den ultra­rechten Vlaams Blog zu wählen. Sie finden sich als 20jährige, die angeblich an den letzten Euro­pa­wahlen vor drei Jahren teil­ge­nommen haben und in vielem mehr, was als Daten­fehler in die Geschichte des Euro­ba­ro­meter eingeht. Hinzu kommt das leidige Thema der Relia­bi­lität: Die Fragen im Euro­ba­ro­meter waren nicht selten das, was empi­rische Wis­sen­schaftler zum Haare raufen bewegt. Die Daten, die selbst mit guten Fragen gesammelt wurden, das, was in der Branche als “anrüchig” bekannt ist.
Und nun stinkt die Daten­qua­lität oder besser: die nicht vor­handene Daten­qua­lität so zum Himmel, dass der Gestank in Dänemark wahr­ge­nommen wurde. Dort gibt es noch min­destens einen Poli­tik­wis­sen­schaftler, der empi­risch tätig ist, der zudem kri­tisch ist und der mit den Daten des Euro­ba­ro­meter rechnet, den Euro­ba­ro­meter nach­rechnet. Ver­hängnis nimm’ deinen Lauf: Kasper Møller Hansen, so sein Name, ist Pro­fessor für Poli­tik­wis­sen­schaft an der Uni­ver­sität Kopen­hagen. Er hat die Ant­wort­raten im Euro­ba­ro­meter nach­ge­rechnet. Ergebnis: ver­heerend: Neue Daten zeigen ernst­hafte Pro­bleme mit der Qua­lität der Daten des Euro­ba­ro­meter, so titel die Zeitung “infor­mation” und schreibt weiter:
“Of every one hundred Germans who were asked to par­ti­cipate in a Euro­ba­ro­meter survey in early 2018, only fifteen accepted: a response rate of 15%. Experts con­sulted by Infor­mation estimate that the response rate ought to reach 45–50% before a survey is representative.
In the most recent Euro­ba­ro­meter survey for which response rates have been cal­cu­lated, per­cen­tages were too low in a number of countries: 14% in Finland, 15% in Germany, 20% in Luxem­bourg, 22% in Italy, 27% in the United Kingdom, 28% in Denmark, 31% in Greece and France, 33% in Ireland, 34% in Spain, 38% in Latvia, and 40% in Portugal.”
This is a serious problem, a very serious problem indeed …
Um das Problem zu ver­stehen, muss man wissen, wie die Daten im Euro­ba­ro­meter gesammelt werden. Fort­schritt­liche Mei­nungs­for­scher nutzen das Internet, kon­ser­vative Mei­nungs­for­scher, viel­leicht auch vor­sichtige, tele­fo­nieren. Rück­stände Mei­nungs­for­scher laufen von Haus zu Haus und führen face-to-face-Inter­views. Die Mei­nungs­for­scher, die den Euro­ba­ro­meter erstellen, gehören zu den Rück­stän­digen. Nicht, dass Rück­stän­digkeit nicht auch Vor­teile hätte: Die Rechnung, die man als Mei­nungs­for­scher an die Euro­päische Kom­mission stellen kann, die sie dann mit dem Geld der euro­päi­schen Steu­er­zahler begleicht, ist ungleich höher, um ein Viel­faches höher, als eine ver­gleichbare Rechnung für eine telefon- oder gar eine inter­net­ba­sierte Umfrage.
Man muss Mit­gefühl mit dem armen Inter­viewer eines Mei­nungs­for­schungs­in­stituts haben, der eine Ant­wort­quote von 15% in Deutschland erreicht, eine 15%ige-Erfolgsquote mit seinen Ver­suchen, ein Interview zu führen, hat. D.h. er klopft rund sechsmal umsonst, bis ihm jemand Ant­worten auf seine Fragen geben will. Das ist für die Methode der Daten­sammlung ver­heerend, die rekla­miert nämlich für sich Reprä­sen­ta­ti­vität per Zufalls­auswahl. Das funk­tio­niert in der Regel so, dass man einen Inter­viewer in einen Teil einer bestimmte Stadt in Deutschland schickt und ihm den Auftrag gibt, pro Straße an jedem fünften Haus auf der rechten Seite die dritte Tür­klingel zu bedienen und wenn ein männ­licher Bewohner die Tür öffnet, mit diesem ein Interview zu führen – weib­liche Inter­view­partner werden hinter der zweiten Tür­klingel, des jeweils vierten Hauses auf der linken Seite gesucht.
Das ganze System lebt natürlich davon, dass man als Inter­viewer nicht ständig einen Korb bekommt.

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Die Inter­viewer des Euro­ba­ro­meter bekommen aber mehr Körbe als Inter­views, was zum einen die rekla­mierte Reprä­sen­ta­ti­vität zur Farce werden ließe, selbst wenn es möglich wäre, reprä­sen­tativ Daten zu erheben, was es, wie wir hier argu­men­tiert haben, nicht ist, schon gar nicht zu Fuß. Zum anderen erhalten die Inter­viewer der Euro­päi­schen Union in vielen Fällen nicht zufällig Körbe, wie man ver­muten kann, sondern von Per­sonen, die nicht moti­viert sind, Aus­kunft über ihre Ein­stellung zur Euro­päi­schen Union zu geben (viel­leicht weil sie nicht unhöflich oder unnötig grob sein wollen). Euro­skep­tiker, Per­sonen, die sich im Wider­spruch zu dem befinden, was ihnen z.B. die Medien zu erzählen ver­suchen, nämlich, dass die EU von so vielen gemocht wird und so toll ist, sind die ersten, die den ent­spre­chenden Inter­viewern einen Korb geben. Ergebnis: Die Zustimmung zur EU wird regel­mäßig und erheblich über­schätzt; die Ablehnung, die Skepsis gegenüber der EU regel­mäßig und um ein Viel­faches unterschätzt.
Selbst­ver­ständlich sind pro­fes­sio­nelle Inter­viewer, die zu den Berufen gehören, die in Deutschland nicht schlecht, sondern mise­rabel bezahlt werden und die in der Regel nur für abge­schlossene Inter­views bezahlt werden, nicht so blöd, stun­denlang durch Straßen zu irren, und sich ständig abweisen zu lassen, sie werden Kniffe und Tricks finden, Inter­views zu führen. Heiner Dorroch hat sie vor Jahren auf­ge­schrieben. Ein Buch mit dem Titel “Mei­nungs­macher-Report” ist daraus geworden. Die Antwort auf das Korb­problem der Inter­viewer, die darin gegeben wird in Kurz: Selbst ausfüllen.
Der Euro­ba­ro­meter pro­du­ziert Datenmüll.
Das tut er nicht erst seit heute. Aber heute ist es offen­kundig herausgekommen.
Wenn Sie also dem­nächst eine Jubel­meldung in der Zeitung lesen: “90% der Deut­schen wollen Jean-Claude Juncker den Ver­dienst­orden zusprechen”, dann schauen Sie zunächst nach der Quelle. Ist der Euro­ba­ro­meter die Quelle, dann können Sie das Ergebnis getrost vergessen.

Quelle: sciencefiles.org