CC BY-SA 3.0 de, Andreas Bohnenstengel, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Heinrich_von_Pierer.jpg?uselang=de#/media/File:Heinrich_von_Pierer.jpg

Die tiefen Taschen von „Mr. Siemens“ – Heinrich von Pierer nach 21 Jahren wegen Bestechung zu 15 Jahren Haft verurteilt

Eigentlich ist es eine Posse der Heu­chelei und Pro­zess­ver­schleppung. Es geht um Grie­chenland, den Wechsel des ver­al­teten, grie­chi­schen Tele­fon­netzes von analog auf digital und dass dieser fette Auftrag nicht kos­tenlos bei Siemens gelandet ist. Siemens soll zwi­schen 1998 und 2003 ins­gesamt 14 Füh­rungs­kräfte der damals teil­staat­lichen grie­chi­schen Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­ge­sell­schaft OTE bestochen haben.
Die zu ver­han­delnde Tat ist 21 Jahre her: 1998 erhielt die in München ansässige Firma Siemens nach langen und anstren­genden Ver­hand­lungen mit der grie­chi­schen Tele­fon­ge­sell­schaft OTE den Auftrag für die Umstellung des grie­chi­schen Tele­fon­netzes auf Digi­tal­technik in einem Volumen von 693 Mil­lionen Euro. Dabei flossen 68 Mil­lionen Euro Schmier­gelder an die damit befassten Poli­tiker und Ent­scheider in Griechenland.
Ernst­hafte Ermitt­lungen in dieser Sache begannen aber erst vor 14 Jahren. Und auch die bestanden größ­ten­teils – wenn nicht über­haupt — aus dem, was die deut­schen Staats­an­wälte her­aus­ge­funden hatten. Es waren die Münchner Ermittler, die bei dem glo­balen Giganten Siemens ein ebenso glo­bales Netz von schwarzen Kassen und Rep­ti­li­en­fonds entdeckten.
„Mit dem Geld wurden vie­lerorts Amts­träger und Auf­trag­geber bestochen. Die Erkennt­nisse der Münchner Ermittler führten zu Pro­zessen in meh­reren Ländern. Auch in Deutschland bekamen einige Siemens-Manager mit der Justiz zu tun. Ein Straf­ver­fahren gegen Pierer wurde gegen ein Bußgeld von 250.000 Euro ein­ge­stellt. Fünf Mil­lionen Euro Scha­den­ersatz zahlte er an Siemens.“
So kam Siemens auch mit der grie­chi­schen OTE nach ein wenig Bak­schisch-Ver­hand­lungen überein. Die lie­bens­werte Gelas­senheit grie­chisch-medi­ter­raner Lebens­freude führte nicht zu großer Eile bei der juris­ti­schen Auf­ar­beitung des Skandals und bescherte den Betei­ligten Zeit genug, sich an dem Erreichten und Erbeu­teten zu erfreuen. Denn man ermit­telte lange und sorg­fältig und leider fand sich trotz eif­rigster Bemühung niemand, der die grie­chische Ankla­ge­schrift auf Deutsch über­setzte. Und so kam es, dass der Prozess erst vor drei Jahren beginnen konnte. Auch dann vermied man jede Art von Hast. „Bestechen und bestechen lassen, alle wollen schließlich leben“.
Zu Anfang des Pro­zesses waren es noch 64 Ange­klagte. Zehn davon war es ver­gönnt, in Frieden und Freiheit von dieser Erde zu scheiden. Drei Jahre lang schleppte sich der Prozess seit- und vor­wärts. Von den ver­blei­benden 54 Ange­klagten sind die meisten in der Zwi­schenzeit auch nicht mehr tau­frisch. 20 Ange­klagte wurden vor dem grie­chi­schen Gerichtshof für schuldig befunden. Vor wenigen Tagen wurde ein Urteil gesprochen.
Und auch dieses späte Urteil ist wenig beein­dru­ckend, weil rechtlich anfechtbar. Die Anwälte der deut­schen Ange­klagten beriefen sich – nicht ganz zu Unrecht – darauf, dass ihre Man­danten bereits in Deutschland wegen dieser Sache vor Gericht standen. Und im EU-Recht gilt der alte, römische Rechts­grundsatz „Ne bis in idem“ (Nie zweimal in dem­selben), dass man nie­manden wegen der­selben Tat zweimal vor Gericht stellen darf. Grie­chenland kon­terte dies mit dem nicht näher aus­ge­führten Gegen­ar­gument, man stelle die Beschul­digten wegen ganz anderer Vor­würfe als den in Deutschland erho­benen vor Gericht. Worin der Unter­schied denn bestehe, wurde gleichwohl nicht erklärt. Es handelt sich um die­selben Taten, die­selben Beschul­digen und den­selben Vorgang.
Inter­essant ist auch, dass die Medien (wenn über­haupt) so gut wie aus­schließlich von den deut­schen Ange­klagten berichten, deren aktive Kor­ruption in Athen vor Gericht ver­handelt wurde. Zu den Ver­däch­tigen und Beschul­digten gehören aber 19 deutsche lei­tende Ange­stellte aus dem Hause Siemens und 14 von der grie­chi­schen OTE Telecom.
Dass zum Tat­be­stand der Kor­ruption auch Emp­fänger des Bestechungs­geldes gehören, die der Natur dieser Ange­le­genheit ent­spre­chend grie­chi­scher Staats­an­ge­hö­rigkeit sein müssen, scheint nie­manden in Deutschland zu inter­es­sieren. Immerhin wurden zwei ehe­malige Siemens-Manager grie­chi­scher Nation zur Höchst­strafe von 15 Jahren Gefängnis ver­ur­teilt: Michael Chris­to­forakos und Christos Kara­velas. Herr Chris­to­forakos hatte sich schon vor zehn Jahren nach Deutschland abge­setzt und die deut­schen Behörden lehnten seine Aus­lie­ferung ab, weil er deut­scher Staats­bürger ist und die ihm vor­ge­wor­fenen Straf­taten nach deut­schem Recht ver­jährt sind. Wo Herr Christos Kara­velas sich aufhält, ist unbe­kannt. Er soll „unter­ge­taucht“ sein.
Der einzige grie­chische Poli­tiker, der 2011 in dem Kor­rup­ti­ons­prozess zu drei Jahren Gefängnis ver­ur­teilt wurde, war der ehe­malige Ver­kehrs­mi­nister Grie­chen­lands, Herr Tasos  Man­telis. Man konnte ihm nach­weisen, dass er in den Jahren zwi­schen 1998 und 2000 etwa 230.000 Euro Schmiergeld von Siemens erhalten hatte (damals 450.000 Mark).
Schon im Jahr 2015 berichtete die grie­chische Online-Zeitung „Thema“, dass 80 Ver­dächtige von den grie­chi­schen Richtern frei­ge­sprochen wurden, und die ver­blei­benden 64 Per­sonen, die sich wegen aktiver und/ oder pas­siver Bestechung ver­ant­worten mussten, sind hier auf­ge­listet. Tat­sächlich sind hier in grie­chi­scher Schreib­weise 13 deutsche Namen auf­ge­zählt. Die rest­lichen 51 Per­sonen sind grie­chi­scher – oder zumindest nicht deut­scher – Her­kunft. Ins­gesamt sind von diesen Beschul­digten, wie gesagt, schon 10 ver­storben, einer davon durch Selbstmord. Erstaun­li­cher­weise hören wir von den grie­chi­schen Betei­ligten aber so gut wie nichts in den deut­schen Medien.
Am ver­gan­genen Montag war die Urteils­ver­kündung. Die deut­schen Ange­klagten waren nicht erschienen. Sie wurden von ihren Anwälten ver­treten, was nach grie­chi­schem Recht möglich ist. Der damalige Siemens-Vor­stand Thomas Gans­windt (59) erhielt eine Gefäng­nis­strafe von 13 Jahren, fünf weitere Siemens Manager wurden zu sieben Jahren Haft ver­ur­teilt. Ob die Ver­ur­teilten die Haft auch wirklich sofort antreten müssen, ist nicht bekannt. Sollte das so sein, müssten inter­na­tionale Haft­be­fehle aus­ge­stellt werden. Grie­chi­schen Medi­en­be­richten nach sollen die Urteile aber zur Bewährung aus­ge­setzt worden sein.
Deutschland dürfte die ver­ur­teilten Deut­schen nicht an Grie­chenland aus­liefern, müsste sie gege­be­nen­falls aber nach gel­tendem Recht in Deutschland in Haft nehmen. Das erscheint wenig wahr­scheinlich weil berech­tigte Zweifel an der Recht­mä­ßigkeit des Urteils bestehen, da die Ange­klagten ja schon vor deut­schen Gerichten frei­ge­sprochen wurden. Sollte aller­dings einer dieser Ver­ur­teilten bei­spiels­weise in Frank­reich auf­ge­griffen werden, würde er nach fran­zö­si­schem Recht an Grie­chenland aus­ge­liefert werden.
Mr. Siemens, der frühere Vor­standschef und Auf­sichts­rats­vor­sit­zende Heinrich von Pierer (78), wurde in Grie­chenland eben­falls zur Höchst­strafe von 15 Jahren ver­ur­teilt. Er zeigte sich von dem Urteil über­rascht, schreibt der Spiegel. In seiner Stel­lung­nahme lässt er wissen, dass er sich dagegen wehren werde. Zweimal sei er im Laufe des Ver­fahrens in Athen vor Gericht gewesen und dabei „mit keinem ein­zigen straf­rechtlich rele­vanten Vorwurf kon­fron­tiert worden, gegen den ich mich ver­tei­digen musste oder hätte ver­tei­digen können. Wir werden außerdem bean­tragen, dass das Urteil in Deutschland nicht voll­zogen wird, weil es gegen ele­mentare rechts­staat­liche Prin­zipien verstößt.“
Die “sehr inten­siven” Ermitt­lungen der deut­schen Staats­an­walt­schaft hätten keinen straf­recht­lichen Vorwurf gegen ihn ergeben, so von Pierer. Die Staats­an­walt­schaft in Grie­chenland habe zwi­schen­zeitlich einen Frei­spruch bean­tragt. Die jetzige Ver­ur­teilung sei dann “völlig über­ra­schend” erfolgt, heißt es in der Stel­lung­nahme von Pierers.