Schon im Januar 2019 habe ich berichtet, dass dieses Jahr bei Nord Stream 2 der Showdwon kommen musste, wenn er denn noch kommen sollte. Aber er ist ausÂgeÂblieben. PoliÂtiker in den USA haben das ganze Jahr lang Druck gemacht, geflucht, geschimpft und DroÂhungen ausÂgeÂstoĂźen. Nur getan haben sie nichts. SankÂtionen hätten frĂĽher einÂgeÂfĂĽhrt werden können und ich bin sicher, dass es dafĂĽr auch parÂlaÂmenÂtaÂrische MehrÂheiten in den USA gegeben hätte. Immerhin wollen die USA nicht nur Russland schwächen, sie wollen auch ihr eigenes Fracking-Gas in Europa verÂkaufen. Da das teurer ist, als rusÂsiÂsches Gas, können sie das aber nur dann im groĂźen Stil tun, wenn sie Russland den Zugang zu Europa beschneiden. Die VerÂhinÂderung von Nord Stream 2 wäre dazu die perÂfekte GeleÂgenheit gewesen.
Vorbei. Zwar ist der Bau der Pipeline ein wenig in Verzug, sie wird nicht, wie geplant, bis zum 31. Dezember fertig, aber sie wird sich nicht allzu sehr verÂzögern. Das Schiff kann am Tag ca. drei KiloÂmeter Pipeline verÂlegen und es fehlen nur noch lächerÂliche 150 KiloÂmeter, das sind 50 Tage, wenn das Wetter nicht fĂĽr VerÂzöÂgeÂrungen sorgt. Also dĂĽrfte die Pipeline Ende Januar verlegt sein.
Die USA haben nicht das CAATSA-Gesetz fĂĽr die SankÂtionen genutzt, unter dem sie so ziemlich alles und jeden unkomÂpliÂziert mit SankÂtionen belegen können, sie haben die SankÂtionen, die nun einÂgeÂfĂĽhrt werden sollen, in den VerÂteiÂdiÂgungsetat einÂgebaut. Eine ungeÂwöhnÂliche Lösung. Und eine Lösung, die Zeit braucht. Der Etat wird wohl nächste Woche verÂabÂschiedet, danach beginnt die Uhr zu ticken. Nach Annahme des Gesetzes hat das AuĂźenÂmiÂnisÂterium 60 Tage Zeit, um eine Liste von UnterÂnehmen zu erstellen, die auf die SankÂtiÂonsÂliste kommen. Diese haben danach noch einmal 30 Tage Zeit, ihre Arbeit abzuÂbrechen, bevor die SankÂtionen tatÂsächlich in Kraft treten.
Wenn das AuĂźenÂmiÂnisÂterium die 60 Tage ausÂschöpft, ist die Pipeline fertig, bevor SankÂtionen verÂhängt werden können. Aber selbst wenn es schneller arbeitet, sind auch in den USA demÂnächst WeihÂnachts- und NeuÂjahrsÂfeiÂertage. Wenn die Liste Anfang Januar vorÂgelegt wird, ist es möglich, dass Nord Stream 2 innerhalb von den 30 Tagen fertig wird und die SankÂtionen nicht mehr greifen.
Die BauÂherren haben mitÂgeÂteilt, dass sie – sollten am Ende bei Beginn der SankÂtionen noch ein paar KiloÂmeter fehlen – die BauÂarÂbeiten auch ohne das SpeÂziÂalÂschiff der Schweizer Firma Allseas beenden könnten. Das wĂĽrde mehr Zeit kosten, es wĂĽrde teurer werden, aber es wĂĽrde Nord Stream 2 nicht mehr verÂhindern können.
Im Juni wurde ein Gesetz im KonÂgress einÂgeÂreicht, dass wesentlich härtere SankÂtionen vorÂgeÂsehen hat, als die, die jetzt kommen, und das Gesetz hätte auch frĂĽher in Kraft treten können. Aber man hat dann von dem Gesetz nichts mehr gehört.
Auch wenn SenaÂtoren wie Ted Cruz fleiĂźig und kameÂraÂwirksam gegen das Projekt wettern, getan wurde tatÂsächlich 2019 nichts und niemand hat eine Antwort darauf, warum die USA nichts getan haben, um die dopÂpelte verÂhasste Pipeline zu stoppen. Der Spiegel schrieb dazu:
„TatÂsächlich hätte die US-Regierung, wenn sie gewollt hätte, schon längst gegen die Pipeline vorÂgehen können. Sie hätte einfach SankÂtionen nach dem CAATSA-Gesetz von 2017 verÂhängen können, dem CounÂtering America’s AdverÂsÂaries Through SancÂtions Act. Darauf aber verÂzichtete sie. Trumps ParÂteiÂfreund Cruz hat das durchaus bemerkt. Wenn die Pipeline ferÂtigÂgeÂstellt wĂĽrde, „dann ist das die Schuld von MitÂgliedern dieser Regierung, die auf ihren Hintern saĂźen und ihre Macht nicht ausÂgeĂĽbt haben“, polÂterte der Senator jĂĽngst. Gemeint war: FinanzÂmiÂnister Steven Mnuchin. Andere mutÂmaĂźen, dass Mnuchin nicht der einzige Bremser war. Warum haben das WeiĂźe Haus und der KonÂgress bis kurz vor Schluss gewartet, bevor sie SankÂtionen beschlossen? Das fragte der EnerÂgieÂexÂperte des NachÂrichÂtenÂportals Politico, Ben Lefebvre. Die Antwort seiner Recherche: Angst vor Trump. Die RepuÂbliÂkaner befĂĽrchÂteten, dass Nord-Stream-SankÂtionen in den Kontext der rusÂsiÂschen WahlÂkampfÂmaÂniÂpuÂlation 2016 geraten wĂĽrden, ein Thema, von dem Trump nichts wissen will. Also zögerten sie eine EntÂscheidung hinaus.“
Das ist eine mögÂliche Erklärung, aber sie ĂĽberÂzeugt nur bedingt. Trump tut alles fĂĽr die US-ErdÂölÂinÂdustrie, die ihr Fracking-Gas nach Europa verÂkaufen will. Und letztlich hätte ein entÂschieÂdenes AufÂtreten von Trump gegen Nord Stream 2 seinen KriÂtikern ein wenig Wind aus den Segeln nehmen können, denn er hätte damit defiÂnitiv Russland geschadet, was ja gerade seine Gegner bei den DemoÂkraten immer fordern. In meinen Augen ist es fĂĽr Trump innenÂpoÂliÂtisch viel gefährÂlicher, wenn Nord Stream 2 fertig wird und die DemoÂkraten ihm vorÂwerfen können, er habe Russland indirekt unterstĂĽtzt.
Die nun angeÂkĂĽnÂdigten, mögÂlichen SankÂtionen sorgen dafĂĽr fĂĽr unnöÂtigen Unmut in Deutschland. Sogar transÂatÂlanÂtische PoliÂtiker zeigen sich pikiert und die deutsche WirtÂschaft, die wegen der Russland-SankÂtionen ohnehin seit Jahren mit geballter Faust in der Tasche herÂumÂläuft, fordert gar GegenÂsankÂtionen gegen die USA.
Der Spiegel hat ĂĽber die ReakÂtionen einiger PoliÂtiker auf die beschlosÂsenen SankÂtionen der USA berichtet:
„Sein ParÂteiÂfreund und Erster ParÂlaÂmenÂtaÂriÂscher GeschäftsÂfĂĽhrer der SPD-BunÂdesÂtagsÂfraktion, Carsten Schneider, drĂĽckte sich deutlich undiÂploÂmaÂtiÂscher aus. „Die USA sind jetzt endÂgĂĽltig wieder im Wilden Westen angeÂkommen, wo nur das Recht des StärÂkeren gilt“, sagte er dem SPIEGEL. „Wenn SankÂtionen nun auch gegen VerÂbĂĽndete einÂgeÂsetzt werden, gehen wir schweren Zeiten entÂgegen.“ Wer so handele, habe bald keine VerÂbĂĽnÂdeten mehr. Schneider betonte, Europa dĂĽrfe und werde sich nicht erpressen lassen, um „schmutÂziges ameÂriÂkaÂniÂsches FlĂĽsÂsiggas“ zu kaufen.“
So deutÂliche Worte hört man im BunÂdestag sonst nicht in Richtung USA. Aber es waren auch längst nicht alle so deutlich. ErwarÂtungsÂgemäß am verÂloÂgensten war die Reaktion der GrĂĽnen, wie man im Spiegel lesen kann:
„GrĂĽnen-Chefin Annalena Baerbock sagte dem SPIEGEL, in der Sache sei Nord Stream 2 durch und durch falsch, sowohl enerÂgieÂpoÂliÂtisch als auch sicherÂheitsÂpoÂliÂtisch. Die Methode der US-AdmiÂnisÂtration sei aber unverantwortlich.“
Die GrĂĽnen behaupten immer, sie seien vor allem gegen Nord Stream 2, weil sie generell gegen fossile BrennÂstoffe wie Erdgas seien. Aber am 7. Juni 2018 wurde die „VerÂordnung zur VerÂbesÂserung der RahÂmenÂbeÂdinÂgungen fĂĽr den Aufbau der LNG-InfraÂstruktur in Deutschland“ vom BunÂdesrat verÂabÂschiedet. Dort werden NetzÂbeÂtreiber verÂpflichtet, ihre GasÂnetze an die neuen FlĂĽsÂsiggas (LNG) TerÂminals anzuÂschlieĂźen, die in NordÂdeutschland gebaut werden sollen. Und wer hat still und heimlich dafĂĽr gestimmt, dass US-Fracking-Gas in Deutschland in die Netze einÂgeÂspeist werden soll? Die GrĂĽnen natĂĽrlich. Und nicht nur das, die VerÂordnung sieht auch eine SubÂvenÂtioÂnierung des TerÂminals und der PipeÂlines vor, weil sich dafĂĽr kein priÂvater Investor findet, denn solange ausÂreiÂchend rusÂsiÂsches Gas vorÂhanden ist, wird niemand das teure, ameÂriÂkaÂnische Gas kaufen. Die InvesÂtiÂtionen können sich also nicht rechnen. Daher ĂĽberÂnimmt der Staat – mit UnterÂstĂĽtzung der GrĂĽnen – diese Kosten.
Und auch die Ukraine, ihren angeblich so engen VerÂbĂĽnÂdeten, haben die USA hängen gelassen. Die Ukraine ist gegen Nord Stream 2, weil das Projekt ihre Rolle und MarktÂmacht als TranÂsitland prakÂtisch auf Null fährt. Bisher konnte die Ukraine sich gute KonÂdiÂtionen fĂĽr den Gas-Transit herÂausÂholen, das ist demÂnächst vorbei. AuĂźerdem wird, wenn Nord Stream 2 fertig ist, nur noch ein Bruchteil der frĂĽÂheren Menge durch die Ukraine flieĂźen, ihre EinÂnahmen aus dem Transit dĂĽrften von drei MilÂliÂarden pro Jahr auf vielÂleicht noch 500 MilÂlionen zurĂĽckÂgehen. FĂĽr das bankÂrotte Land ein herber Schlag.
Der Grund ist, dass der Transit durch die Ostsee bilÂliger ist, die Ostsee nimmt keine TranÂsitÂgeÂbĂĽhren. Und trotz aller poliÂtiÂschen LipÂpenÂbeÂkenntÂnisse zur Ukraine sind die EU-Staaten an bilÂligem Gas interÂesÂsiert, weshalb zunächst Nord Stream auf Volllast fahren wird, bevor der Rest, der dann noch gebraucht wird, durch die Ukraine nach Europa kommt.
Aber dazu muss erst einmal ein neuer TranÂsitÂvertrag her, der jetzige läuft am 1. Januar aus. Und die VerÂhandÂlungen sind festÂgeÂfahren, weil Kiew wieder so gute KonÂdiÂtionen haben, will wie bisher. Sowohl bei den GebĂĽhren, als auch bei der TranÂsitÂmenge. Daran haben aber weder die EU, noch Russland ein Interesse. Laut wird das in BrĂĽssel nicht gesagt, aber jeder, der einen TaschenÂrechner richtig herum halten kann, weiĂź das natĂĽrlich.
Es ist also tatÂsächlich sehr unverÂständlich, warum die USA so handeln, wie sie es tun. Erst schaden sie durch ihre PasÂsiÂvität der Ukraine, der eigenen Ă–linÂdustrie und den Polen und Balten, die aus poliÂtiÂschen GrĂĽnden gegen Nord Stream 2 sind, und dann, als es zu spät ist, kĂĽnÂdigen sie SankÂtionen an, die keine effektive Wirkung haben dĂĽrften, aber dafĂĽr die anderen verÂärgern, die Nord Stream 2 gerne hätten. Das ist ja nicht nur Deutschland, auch Ă–sterÂreich, die Tschechei und andere Länder proÂfiÂtieren von dem bilÂligen rusÂsiÂschen Gas.
VielÂleicht ist es auch ein AusÂdruck des MachtÂkampfes in den USA, dass sich das EstabÂlishment selbst im Weg steht bei Dingen, bei denen es sich eigentlich einig ist. Ich kenne die Antwort nicht, aber es ist fĂĽr Deutschland und fĂĽr Russland eine gute NachÂricht, dass die Pipeline bald fertig ist
Und gute NachÂrichten gibt es in diesen Tagen ja nicht so viele.
Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte fĂĽr OstÂeuropa in verÂschieÂdenen VerÂsiÂcheÂrungs- und FinanzÂdienstÂleisÂtungsÂunÂterÂnehmen in OstÂeuropa und Russland VorÂstands- und AufÂsichtsÂratsÂpoÂsiÂtionen bekleidet, bevor er sich entÂschloss, sich als unabÂhänÂgiger UnterÂnehÂmensÂbeÂrater in seiner WahlÂheimat St. Petersburg nieÂderÂzuÂlassen. Er lebt insÂgesamt ĂĽber 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite www.anti-spiegel.ru. Die SchwerÂpunkte seiner mediÂenÂkriÂtiÂschen Arbeit sind das (mediale) RussÂlandbild in Deutschland, Kritik an der BerichtÂerstattung westÂlicher Medien im AllÂgeÂmeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „VlaÂdimir Putin: Seht Ihr, was Ihr angeÂrichtet habt?“
























