“Kli­ma­leugner” vs. “Kli­ma­hys­terie”

Das „Wahre Unwort des Jahres“, das mehr als 4.700 Leser alter­na­tiver Blogs aus einer Liste von 16 Vor­schlägen gewählt haben, die eine Jury aus Unwort-Experten zusam­men­ge­stellt hat, lautet: Kli­ma­leugner.

(von Michael Klein)

Die Begründung für die Auf­nahme von Kli­ma­leugner in die Shortlist, die die Jury der Unwort-Experten vor­gelegt hat, lautet wie folgt:

Wie kaum ein anderes Wort bringt Kli­ma­leugner die Dummheit und Bos­haf­tigkeit derer, [1] die es ver­wenden, um Kri­tiker der  Kli­ma­wandel-Hys­terie zu dis­kre­di­tieren, zum Aus­druck. Denn: Einer­seits  kann man das Klima nicht leugnen, ebenso wenig wie man die Tat­sache leugnen kann, dass sich das Erd­klima seit Jahr­mil­lionen ändert. Wer das Wort ver­wendet, sagt damit lediglich aus, dass ER ES SICH VOR­STELLEN kann, dass man das Klima leugnen könne. Eine solche Vor­stellung kann nur haben, wer ein gerüttelt’ Maß an Dummheit inkor­po­riert hat. Ande­rer­seits soll mit der Qua­li­fi­kation “Leugner” ent­weder eine Ana­logie zu Straf­pro­zessen, in denen der Ange­klagte leugnet, das Klima erschlagen zu haben oder — noch per­fider — zum Holo­caust her­ge­stellt werden, womit die­je­nigen, die die vielen wis­sen­schaft­lichen Belege, die es dafür gibt, dass der Kli­ma­wandel eben nicht  men­schen­ge­macht ist, auf eine Stufe mit denen gestellt werden, die den Holo­caust leugnen. Um dies zu tun, ist schon ein gehö­riges Maß an Bos­haf­tigkeit not­wendig. Das Wort “Kli­ma­leugner” ist somit ein Indi­kator für die Dummheit und Bos­haf­tigkeit, die sein Ver­wender beherbergt.

Diese Begründung ist eine formale Begründung, die auf sprach­liche Aspekte abstellt:

(1) die Unsin­nigkeit der Wort­schöpfung “Kli­ma­leugner”, also das Aus­ein­an­der­klaffen von Bezeich­nendem und Bezeichnetem,
(2) die sug­gestive Art und Weise, in der Kri­tiker einer behaup­teten Wahrheit sprachlich dis­kre­di­tiert, kri­mi­na­li­siert und auf eine Stufe mit Holo­caust-Leugnern gestellt werden sollen;

Die Begründung bezieht sich somit auf die Form und Kon­se­quenz der Wort­ver­wendung, wobei die Kon­se­quenz das Ergebnis eines mani­pu­la­tiven Aktes beschreibt, der grund­sätzlich jeder Form eines zivi­li­sierten und fairen Aus­tauschs wider­spricht, in dem Kritik und Argu­mente dis­ku­tiert, nicht dis­kre­di­tiert werden. Kli­ma­leugner ist also ein Begriff, der den Diskurs über ein bestimmtes Thema durch eine falsche Bezeichnung unter­binden soll.

Heute hat nun die Darm­städter Kon­kur­renz­ver­an­staltung, in der sich keine Experten, sondern Lehr­stuhl­be­setzer, die von sich behaupten, sie seien Sprach­wis­sen­schaftler, treffen, ihr Unwort des Jahres ver­kündet. Es lautet: Kli­ma­hys­terie. Der Begriff wurde 9 Mal vor­ge­schlagen. Ins­gesamt wurden 631 Vor­schläge im Laufe des letzten Jahres nach Darm­stadt geschickt. Die häu­figsten Vor­schläge lauten: Ver­schissmus (22x), Deals (16x), Umweltsau (16x), Alte weiße Männer (13x),
Ver­schmut­zungs­rechte (11x), Kli­ma­leugner (11x), LKW-Vorfall (10x), Flug­scham (10x). Keiner dieser Begriffe wurde von der Jury berück­sichtigt, die aus vier ver­meint­lichen Sprach­wis­sen­schaftlern und
einem Freien Jour­na­listen bestand.

Statt­dessen haben sich die Jury-Mit­glieder für Kli­ma­hys­terie ent­schieden, hier die Begründung:

“Mit dem Wort ‚Kli­ma­hys­terie‘ werden Kli­ma­schutz­be­mü­hungen und die  Kli­ma­schutz­be­wegung dif­fa­miert und wichtige Debatten zum Kli­ma­schutz dis­kre­di­tiert. Der Aus­druck wurde 2019 von vielen in Politik, Wirt­schaft und Medien — von der F.A.Z. über Unter­nehmer bis hin ins­be­sondere zu AfD-Poli­tikern — ver­wendet. Er patho­lo­gi­siert pau­schal das zuneh­mende Enga­gement für den Kli­ma­schutz als eine Art kol­lek­tiver Psy­chose. Vor dem Hin­ter­grund wis­sen­schaft­licher Erkennt­nisse zum Kli­ma­wandel ist das Wort zudem irre­führend und stützt in unver­ant­wort­licher Weise wis­sen­schafts­feind­liche Ten­denzen.  Der Aus­druck „Kli­ma­hys­terie” wurde 9x eingesandt.”

Das ist eine sehr dünne, eine lasche Begründung, die zudem KEI­NERLEI Anklang an sprach­wis­sen­schaft­liche Kon­zepte beinhaltet. Es ist eine ideo­lo­gische Begründung, die für jeden Wis­sen­schaftler einen Schlag ins Gesicht dar­stellen muss. Es ist eine dumme Begründung, die nur von
denen akzep­tiert werden wird, die ohnehin die Ideo­logie der Jury-Mit­glieder teilen, eine Ideo­logie, die es mitt­ler­weile not­wendig macht, die acht am häu­figsten vor­ge­schla­genen Worte zu über­gehen, um ein ideo­lo­gisch-pas­sendes Wort zu finden, das der Jury genehm ist.

Die Begründung ist eigentlich auch keine Begründung. Sie ist ein Katechismus:

Wenn man glaubt, dass alles, was unter Kli­ma­schutz­be­mü­hungen sub­su­miert werden kann und alles, was die Kli­ma­schutz­be­wegung so von sich gibt, unhin­ter­fragbar und ange­messen sei und in jedem Fall not­wendig, um das Klima zu retten, wenn man mit anderen Worten, die höchst primitive
Welt­sicht der Jury-Mit­glieder, nach der alle Kritik an dem, was derzeit an Klima-Akti­vismus vor­zu­finden ist, unge­recht­fertigt sei und wenn man die Ideo­logie der Jury-Mit­glieder teilt, dass nichts von dem, was derzeit an Klima-Akti­vismus vor­zu­finden ist, die Bezeichnung “Hys­terie” ver­dient, wenn man sich also mit der Jury in etwas hin­ein­steigert, so dass man hys­te­risch wird, dann wird man ihre Meinung teilen. Wenn nicht, nicht.

Hys­terie, so haben wir hier vor dem Hin­ter­grund der his­to­ri­schen Ver­wendung des Begriffs in der Wis­sen­schaft gezeigt [7], beschreibt ein unan­ge­mes­senes Ver­halten, das sich auf­grund einer Fehl­wahr­nehmung der Rea­lität ein­stellt. Diese Fehl­wahr­nehmung kann Angst, eine Psychose
oder andere, die Wahr­nehmung ver­zer­rende Ursachen haben, in jedem Fall ist eine hys­te­rische Reaktion eine den Umständen unan­ge­messene eine über­zogene Reaktion.

Insofern sich Wis­sen­schaftler darin einig sind, dass es weder eine Kli­ma­ka­ta­strophe noch einen Kli­ma­not­stand noch eine Kli­ma­krise gibt, kann man die Maß­nahmen, die von Akti­visten und Kli­ma­er­regten auf­grund der Annahmen einer Kli­ma­kreise, einer Kli­ma­ka­ta­strophe oder eines
Kli­ma­not­stands gefordert werden, somit als hys­te­rische Reaktion bezeichnen, die der Rea­lität nicht ange­messen ist. Diese Bezeichnung als wis­sen­schafts­feind­liche Ten­denzen stützend zu dis­kre­di­tieren, ist nicht nur eine Unglaub­lichkeit, stellt es doch die Existenz ganzer Fach­be­reiche, wie z.B. der Psy­cho­logie in Frage, es ist auch als solches wis­sen­schafts­feindlich, denn Wis­sen­schaft lebt von Kritik, von hef­tiger Kritik, wie die Jury-Mit­glieder sicher wüssten, wenn sie Wis­sen­schaftler wären. Das sind sie aber nicht. Sie sind Ideo­logen, die ihre Wahl zum Unwort des Jahres, obwohl sie angeblich
Sprach­wis­sen­schaftler sein wollen, mit keinem ein­zigen sprach­wis­sen­schaft­lichen Argument begründen.

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Der beste Witz in der Begründung ist jedoch die Bezich­tigung, wer den Begriff “Kli­ma­hys­terie” ver­wende, der patho­lo­gi­siere “pau­schal das zuneh­mende Enga­gement für den Kli­ma­schutz als eine Art kol­lek­tiver Psy­chose”. Der Gedan­kengang, der zu diesem Schluss führt, ist nicht nach­voll­ziehbar, ver­mutlich deshalb nicht, weil er einen klas­si­schen Fehl­schluss zum Ergebnis hat und ein klas­si­scher Fehl­schluss ist meist das Ergebnis eines — wie wir sagen — addled brain. Kli­ma­hys­terie bezeichnet genau die Klasse der Maß­nahmen oder gefor­derten Maß­nahmen zum Kli­ma­schutz, die so sehr von der Rea­lität abweichen, dass man nicht anders kann, als sie für über­zogen zu erklären, als hysterisch.
Kli­ma­hys­terie bezeichnet nicht alle Maß­nahmen zum Kli­ma­schutz. Wer dies behauptet, begeht den klas­si­schen Fehl­schluss der Bejahung des Kon­se­quens und zeigt einmal mehr, dass er sich viel­leicht für einen Wis­sen­schaftler hält, aber mit Sicherheit keiner ist.

Insofern die Darm­städter Unwort-Jury hier ein pau­schales Urteil über die­je­nigen fällt, denen sie per Fehl­schluss ein pau­schales Urteil unter­stellt, und insofern die Begründung der Wahl zum Unwort des Jahres kein ein­ziges wis­sen­schaft­liches, geschweige denn sprach­wis­sen­schaft­liches Argument enthält, muss man wohl fest­stellen, dass der Unwort-Jury jeg­liche Befä­higung zur Bestimmung von Unworten fehlt. Einmal mehr: Wo sich Ideo­logie breit­macht, bleibt Wis­sen­schaft auf der Strecke. Es ist an der Zeit, die lausige Tra­vestie des Unwortes des Jahres, die keinen wis­sen­schaft­lichen Kri­terien gerecht wird, durch das demo­kra­tisch bestimmte Unwort des Jahres zu ersetzen: Klimaleugner!