ErikaWittlieb / Pixabay

Eska­lation in Syrien: Gefahr eines mili­tä­ri­schen Kon­fliktes zwi­schen der Türkei und Syrien

In Syrien eska­liert die Situation und das fragile Gleich­ge­wicht der letzten Monate gerät in Gefahr. Es drohen sogar Zusam­men­stöße zwi­schen tür­ki­schen und rus­si­schen Streitkräften.

In der nord­west­lichen syri­schen Provinz Idlib droht die Lage zu eska­lieren. Die Region ist die letzte Hochburg von Al-Qaida-Ter­ro­risten in Syrien. Seit Ende 2019 sollte dort ein Waf­fen­still­stand herr­schen, der jedoch nie wirklich in Kraft getreten ist. In der Region herrscht die isla­mis­tische Ter­ror­gruppe Hai’at Tahrir asch-Scham (HTS), die der syrische Ableger von Al-Qaida ist und auch in Deutschland als Ter­ror­or­ga­ni­sation gilt.

Trotzdem ist der Westen dagegen, dass syrische und rus­sische Truppen gegen die Ter­ro­risten vor­gehen. Begründet wird das mit der Gefahr einer huma­ni­tären Kata­strophe, weil in der Region auch bis vier Mil­lionen Zivi­listen, viele davon Flücht­linge, leben. Die Türkei ist mit den Ter­ro­risten eng ver­bunden und hat in deren Gebiet sogar eigenes Militär in meh­reren „Beob­ach­tungs­posten“ stationiert.

Die Isla­misten haben aus der Region immer wieder mit Artil­lerie auf syri­sches Gebiet, auch in Wohn­ge­biete, geschossen und mit Drohnen Angriffe auf die rus­si­schen Stütz­punkte in Syrien geflogen. Die syrische Armee ist daher vor kurzem zur Offensive über­ge­gangen. Diese Offensive spitzt sich nun zu einer gefähr­lichen Krise zu.

Nach tür­ki­schen Mel­dungen sind inzwi­schen bis zu einer Million Men­schen auf dem Weg und ver­suchen, in die Türkei zu gelangen, die jedoch ihre Grenze zu der Region geschlossen hat. Auf syri­scher Seite sind zwar drei „huma­nitäre Kor­ridore“ offen, damit die Flücht­linge nach Syrien gelangen können, aber die Ter­ro­risten hindern die Flücht­linge daran, nach Süden zu gehen, weil sie dann ihre mensch­lichen Schutz­schilde ver­lieren würden.

Die Türkei hat am 2. Februar Kolonnen gepan­zerter Fahr­zeuge in die Region geschickt, die Angaben schwanken von 20 bis zu 200 gepan­zerten Fahr­zeugen, mit denen die Türkei in die syrische Region ein­mar­schiert ist. Das ist ein klarer Bruch des Völ­ker­rechts, denn niemand darf ohne Erlaubnis seine Truppen in ein anderes Land ein­mar­schieren lassen, aber das Völ­ker­recht gilt in Syrien schon lange nichts mehr.

In der Nacht vom 2. auf den 3. Februar geschah, was geschehen musste. Syrische Truppen haben bei ihren Kämpfen mit Artil­lerie auf tür­kische Truppen geschossen, wobei sechs tür­kische Sol­daten getötet worden sind. Die syrische Armee hat sich dazu zunächst nicht geäußert, Russland teilte jedoch mit, dass die Türkei die Syrer und Russen nicht über den Standort der Sol­daten infor­miert habe, die Türkei behauptet hin­gegen, sie habe das getan.

Erdogan hat für den Beschuss Ver­geltung ange­droht und anscheinend auch schon syrische Ziele beschießen lassen. Damit besteht die Gefahr, eines direkten und nicht mehr ver­se­hent­lichen Zusam­men­stoßes von syri­schen und tür­ki­schen Sol­daten, was unab­sehbare Folgen haben kann, denn es kann auch einen Kon­flikt zwi­schen der Türkei und Russland nach sich ziehen, weil dabei auch rus­sische Sol­daten zu Schaden kommen können.

Erdogan führt schon lange einen Balan­ceakt aus. Einer­seits ist die Türkei Teil der Nato. Das hat die USA nicht gehindert, sich gegen die Türkei zu stellen und sogar Sank­tionen anzu­drohen, das gleiche tut auch die EU.

Erdogan hat sich daher ande­rer­seits an Russland ange­nähert und Putin und Erdogan zele­brieren ihr gutes Ver­hältnis bei jeder Gele­genheit, obwohl sie in sehr vielen Punkten sehr unter­schied­licher Meinung sind. Wenn er nun eine offene Kon­fron­tation ris­kiert, könnte Erdogan sich völlig iso­liert wie­der­finden, ganz abge­sehen von den unab­seh­baren Folgen einer bewaff­neten Kon­fron­tation mit Russland.

Man fragt sich, warum Erdogan die Region Idlib so wichtig ist und warum er um jeden Preis die Al-Qaida-Ableger unter­stützt. Jeden­falls hat Erdogan die umkämpften Gebiete zur „Kampfzone“ erklärt, was darauf hin­deutet, dass er zumindest eine direkte Kon­fron­tation mit syri­schen Truppen nicht scheut.

Dass sich das Ver­hältnis zwi­schen der Türkei und Russland vor diesem Hin­ter­grund ver­schlechtert hat, zeigt sich an der Meldung, dass die nächste gemeinsame Patrouille von tür­ki­schen und rus­si­schen Streit­kräften an der Grenze im Westen von Syrien, wo die Türkei eine Puf­ferzone ein­ge­richtet und mit ihrem Vor­marsch die US-Truppen ver­trieben hat, ohne Angabe von Gründen abgesagt wurde.

Apropos US-Truppen: Nachdem die die meisten ihrer Posten im Westen Syriens eiligst geräumt haben und nur noch die Ölquellen „schützen“, wurde in Washington mit­ge­teilt, dass man keine Absicht habe, die US-Truppen, die sich eben­falls völ­ker­rechts­widrig in Syrien befinden, abzuziehen.

Das fragile Gleich­ge­wicht in Syrien kann durch einen offen Streit zwi­schen der Türkei und Russland in Gefahr geraten und eine gefähr­liche Eska­lation in Syrien scheint wieder möglich zu sein. Die Folgen wären nicht absehbar, daher bleibt zu hoffen, dass Putin und Erdogan auch dieses Mal wieder einen Weg finden, die Situation zu ent­schärfen. Das dürfte nicht ein­facher werden, weil Erdogan am 3. Februar in Kiew war und dort sagte:

„Ich möchte nochmal unter­streichen, dass wie die illegale Annek­tierung der Krim nicht anerkennen“

Diese Aussage, so wenig reale Folgen sie haben mag, dürfte im Kreml nicht mit Freude auf­ge­nommen worden sein.


Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru

Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“