Hol­lywood-Mogul Harvey Wein­stein wegen Ver­ge­wal­ti­gungen schuldig gesprochen

Dass Hol­lywood ein Sumpf an Pädo­philie und „Bewer­bungen via Pro­du­zen­ten­couch“ sein soll, ist eigentlich nichts Neues. Harvey Wein­stein ist aber ein Sech­zehn­ender im welt­be­rühmten Hol­lywood-Film­ge­schäft und einer der sel­tenen Fälle, bei denen es auch zu einem Ver­fahren und einer Ver­ur­teilung kommt. Nur fünf Tage dauerte die Beratung der Geschwo­renen, um den Schuld­spruch zu fällen. Ihm drohen bis zu 29 Jahre Haft, das Strafmaß soll am 11. März ver­kündet werden.

Am Montag war es soweit: Ein Ver­fahren, das all­gemein als eine Art Kul­mi­na­ti­ons­punkt und zen­traler Prozess der #me too Ära gilt ist zu Ende gegangen. Bei der Urteils­ver­kündung waren die Zuschau­er­reihen voll mit Reportern, die sofort auf­sprangen und los­rannten, um als erste die „Breaking News“ rauszuhauen.

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Eine blinde Gesin­nungs­justiz wütete dort dennoch nicht. In drei von fünf Ankla­ge­punkten wurde er für nicht schuldig gesprochen. Der schwerste Ankla­ge­punkt, „pre­datory sexual assault“ wurde fal­len­ge­lassen. Das erspart dem ehe­ma­ligen Film­mogul Harvey Wein­stein eine lebens­lange Haft­strafe. In den USA bedeutet „lebenslang“ nämlich wirklich „so lange man lebt“ und keinen Tag weniger. Man könnte diesen Tat­be­stand als „raub­tier­haften, sexu­ellen Angriff“ über­setzen, was ein gewohn­heits­mä­ßiges, von Instinkten gesteu­ertes, wahl­loses und rück­sichts­loses Ver­halten beschreibt, das seine Opfer nur als „Beute“ und nicht als Mit­men­schen sieht. Zwar haben mehr als 80 Frauen ihm das vor­ge­worfen, das Gericht sah aber den Vorwurf des raub­tier­haften Ver­ge­wal­tigens nicht nach­weislich und geklärt an.

Es standen viele Frauen im Zeu­gen­stand und nicht allen wurde vor­be­haltlos geglaubt. Jessica Mann bei­spiels­weise beschul­digte Harvey Wein­stein der Ver­ge­wal­tigung, pflegte aber wei­terhin mit ihm eine „Art Beziehung“ und hielt auch den Kontakt zu ihm. Psych­iater wer­teten das Ver­halten als gar nicht unge­wöhnlich für Ver­ge­wal­ti­gungs­opfer. Die Frauen wollten dadurch die Kon­trolle über das Ver­hältnis wie­der­ge­winnen. Aber warum kom­mu­ni­zierten manche Zeu­ginnen auch nach den von ihnen vor­ge­wor­fenen Miss­bräuchen und Ver­ge­wal­ti­gungen so warm und lie­bevoll mit dem Ver­ge­wal­tiger? „Ich liebe dich, für immer“, schrieb Model Mann in einer E‑Mail an Herrn Weinstein.

Das gab der Ver­tei­digung natürlich einen starken Ansatz­punkt, die Glaub­wür­digkeit der Zeugin anzu­greifen. Herrn Wein­steins Anwältin Donna Rotunno, eine gut­aus­se­hende, toughe Frau und spe­zia­li­siert auf die Ver­tei­digung von Sexu­al­straf­tätern, beschrieb Jessica Mann als Lüg­nerin und höchst mani­pu­lativ. Sie habe die Zuneigung des deutlich älteren und ein­fluss­reichen Hol­lywood-Pro­mi­nenten ausgenutzt.

Auch die Schau­spie­lerin Anna­bella Sciorra (59), die in der bekannten Serie „Die Sopranos“ mit­spielte, stieß mit ihrer Aussage gegen Herrn Wein­stein auf Zweifel, wie auch Zeugin Mimi Haley. Frau Sciorra beschul­digte Herrn Wein­stein, sie im Winter 1993/94 in ihrer Wohnung in New York/Gramercy Park ver­ge­waltigt zu haben. Letzt­endlich reichten der Jury (fünf Frauen und sieben Männer) die Dar­stellung der drei Frauen nicht, um auf einen Schuld­spruch wegen „pre­datory sexual assault“ und damit lebens­länglich zu kommen.

Bis­weilen taten sich die Zeu­ginnen schwer, die Tat genau zu beschreiben. Es wurde ihnen zwar auf­merksam zugehört, doch wie manche sich das vor­ge­stellt haben, lief es dann nicht ab. Das Gericht begnügte sich nicht mit der Aus­kunft „Er hat mich ver­ge­waltigt“ oder „Er hat mich miss­braucht“. Der Tat­hergang musste, wie bei anderen Straf­taten auch, ein­deutig beschrieben und plau­sibel dar­ge­stellt werden und die Ver­tei­digung hat das Recht, mög­liche Unstim­mig­keiten und logisch nicht schlüssige Details zu hin­ter­fragen. Hier erwies sich die Ver­tei­di­gerin Harvey Wein­steins als äußerst agil und angriffs­freudig. Keine Schwach­stelle in den Berichten der Zeu­ginnen entging ihr. Die Zeugin Jessica Mann ent­schul­digte frag­würdige Beschrei­bungen oder Gedächt­nis­lücken damit, sie sei doch auch ver­wirrt gewesen. „Sie sind ziemlich oft ver­wirrt, nicht wahr Miss Mann?“ griff Anwältin Donna Rotunno die Zeugin im Kreuz­verhör frontal an.

Anna­bella Sciorra gab nach dem Prozess eine eigene Erklärung zu ihrer Aussage gegen Harvey Wein­stein an die Presse. Ihre Zeu­gen­aussage sei schmerzhaft, aber nötig gewesen. Nur, wenn die Frauen der „Macht die Wahrheit sagen, ebnen wir den Weg für eine gerechtere Kultur, frei von der Geißel der Gewalt gegen Frauen. Wir können nicht bereuen, das Schweigen gebrochen zu haben.“ In den Medien wird Frau Sciorra als Heldin gefeiert. Seltsam mutet die Aussage ihrer Freundin Rosie Perez hierzu an. Die Schau­spie­ler­kol­legin bestä­tigte, dass Frau Sciorra in jener Zeit, wo sie „dachte, dass sie ver­ge­waltigt worden sei“  ihr später auch ent­hüllt habe, dass der Herr Wein­stein der mut­maß­liche Täter war.

In den sozialen Medien wurde der Schuld­spruch gefeiert. Die Schau­spie­lerin Ashley Judd – die erste, die gegen Harvey Wein­stein aus­gesagt hatte, schrieb auf Twitter: „An die Frauen, die in diesem Fall aus­gesagt haben und durch die trau­ma­tische Hölle gegangen sind: Ihr habt einen Dienst für Mädchen und Frauen überall geleistet, danke!“ Sie erntet begeis­terte Zustimmung.

Auch eine weitere Schau­spie­lerin, Rosanna Arquette, stößt in das­selbe Horn, wie viele andere auch: „Dank an die mutigen Frauen, die aus­gesagt haben und an die Jury, die hinter die schmutzige Taktik der Ver­tei­digung geblickt haben. Wir werden die Gesetze in Zukunft ändern, sodass die Opfer von Ver­ge­wal­tigung angehört werden und nicht dis­kre­di­tiert — und es so leichter wird für die Leute, ihre Ver­ge­wal­ti­gungen zu berichten.“ Der Schuld­spruch ist ein Fanal.

Die Vize­staats­an­wältin Joan Illuzu-Orbon beschrieb den Ange­klagten als auf­brausend und schnell gewalt­tätig, einen mäch­tigen Mann, der sich als „Master of his Uni­verse“ fühlte und sich für unan­greifbar hielt. Er sei ein Ver­ge­wal­tiger, der seine Opfer als „Ameisen“ betrachtet habe, die man zer­treten kann. Die BILD beschreibt einige saftige Details der Vergewaltigungen.

Die New York Times beschreibt die Reaktion des ver­ur­teilten Film­moguls auf den Schuld­spruch:

Als die Jury den Gerichtssaal betrat, um das gefällte Urteil bekannt zu geben, saß Herr Wein­stein zwi­schen seinen Anwälten und starrte gera­deaus. Hinter ihm standen vier Beamte des Gerichtes.

Während das Urteil ver­lesen wurde, wirkte Herr Wein­stein unge­rührt. “Aber ich bin doch unschuldig”, wie­der­holte der Pro­duzent dreimal zu seinen Anwälten. (…) Nachdem das Urteil ver­lesen worden war, dankte Richter James M. Burke den Geschwo­renen für ihre „Sorgfalt und Kon­zen­tration“, bevor sie den Gerichtssaal ver­ließen. Als sie sich ver­ab­schie­deten, starrte der Geschworene Nr. 6 Herrn Wein­stein an.

Der Richter kün­digte dar­aufhin an, dass Herr Wein­stein sofort ins Gefängnis gebracht werde, um auf sein Strafmaß zu warten. Aber als Gerichts­beamte sich ihm näherten, wirkte der Pro­duzent fas­sungslos und wei­gerte sich, sich zu bewegen.

Die Haft­strafe könnte bis zu 29 Jahren betragen, aber eine vor­zeitige Ent­lassung wäre möglich. Bis zum 11. März wird er warten müssen, um die letzt­end­liche Höhe zu erfahren. Bis dahin muss Harvey Wein­stein in Haft. Wegen gesund­heit­licher Pro­bleme, wie Schmerzen in der Brust und zu hohem Blut­druck, kommt er aber nicht direkt in das berühmt-berüch­tigte Gefängnis „Rikers Island“ auf einer Insel vor New York, von wo es keine Flucht­mög­lichkeit gibt. Vorerst wird er zur Unter­su­chung in ein Kran­kenhaus gebracht.