Eine kurze dpa-Meldung vom 29. Januar 2020 wirft ein Schlaglicht auf die Entwicklung der letzten fünfzehn Jahre, was den Schutz der Daten von Bürgern betrifft. Was als Waffe gegen Terrorismus eingeführt wurde, hat sich zu einem fast beliebig einsetzbaren Mittel des Staates entwickelt, dem Bürger zwangsweise in seine Konten zu schauen und sie sogar zu sperren.
Die dpa-Meldung nennt beeindruckende Zahlen. Mehr als 900.000 Abfragen — also fast eine Million – von Konten, die Privatpersonen gehören, wurden von verschiedenen Behörden durchgeführt. Diese Zahl hat das Bundesfinanzministerium herausgegeben. Damit sind im Vergleich zum letzten Jahr 15 Prozent mehr Abfragen getätigt worden.
Wenig verwunderlich sind die Gründe für die Kontoabfragen nur in den seltensten Fällen “Terrorismusfinanzierung”. Die eifrigsten Abfrager sind das Bundeszentralamt für Steuern und die Sozialbehörden.
Nach dem Anschlag am 11. September griff der „War on Terror“ überall in die Persönlichkeitsrechte und den Datenschutz ein. Mit der Begründung des Kampfes gegen die Terrorfinanzierung und krimineller Geldwäsche durften jetzt Konten abgefragt werden. Nachdem diese Hürde, auf die Konten von Jedermann unter der Flagge des heiligen Krieges gegen Terror genommen wurde, ging es auch gleich munter weiter. Seit April 2005 dürfen Behörden beim Verdacht des Steuerbetruges und Leistungsmissbrauchs bei Sozialleistungen etc. ebenfalls die Konten ganz normaler Bürger abfragen. Das wurde anfangs noch relativ vorsichtig gehandhabt, doch die Zahlen aus 2019 zeigen: Hat der Staat erst einmal die Möglichkeit, gibt es kein Halten mehr.
Das Jahr 2005 war nicht zufällig gewählt. Im März 2005 lief eine Amnestie für Steuerbetrüger aus. Wer sein Schwarzgeld auf ausländische Konten gebunkert hatte, konnte bei Offenlegung straffrei ausgehen. Das Angebot zog aber nicht, und die Hunderte Millionen erhoffter Steuernachzahlungen blieben aus. Daraufhin wurden die Vorgaben für Kontoabfragen ausgeweitet. Das Kontenabrufverfahren wurde als „im Interesse der Steuerehrlichen“ begründet und das Bundesverfassungsgericht nickte es ab.
Auf der offiziellen Seite des Bundesdatenschutzbeauftragten ist im Eintrag von 29. Januar 2020 zu lesen:
„Mit dem Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit hat der nationale Gesetzgeber ab 2005 begonnen, den ursprünglichen Anwendungsbereich auszuweiten. Die damit verbundene Einschränkung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung ist nur hinnehmbar, wenn Gesetzgeber und Behörden alles tun, um dieses Instrument maßvoll einzusetzen. Es darf beispielsweise nicht zu Personenverwechslungen kommen, weil Schuldner und vermeintlicher Schuldner zufällig denselben Namen tragen. Solche Fehler verletzen den datenschutzrechtlichen Grundsatz der Integrität und Vertraulichkeit und sind für die Betroffenen nicht hinnehmbar.“
Seit 2005 haben das Finanzamt, Jobcenter, Bafög-Behörde, Sozialamt u.ä. Zugriff auf alle Konten und Depots bei allen Geldinstituten. Nicht nur der Verdacht auf eine Steuerhinterziehung ermöglichen legal den staatlichen Zugriff auf das Konto, auch möglicher Betrug bei Hartz IV, Bafög, Wohngeld, Kindergeld usw.
Ab 2013 bekamen auch die Gerichtsvollzieher die Möglichkeit, Einsicht in die Konten säumiger Schuldner zu erhalten, wenn dieser die Vermögensauskunft verweigert und die Ansprüche des Gläubigers über 500 € betragen. Dadurch schossen die Abfragen in die Höhe.
Es gibt noch weitere Voraussetzungen: Das Finanzamt darf nur dann einen Kontoabruf machen, wenn der Steuerpflichtige die Zweifel der Finanzbehörde an seiner Steuererklärung nicht beseitigen konnte. Das Zentralamt für Steuern muss darüber hinaus prüfen, ob der Antrag auf Kontoabfrage auch begründet und plausibel ist. Ermittlungen und Abfragen einfach mal so sind nicht erlaubt. Und auch ein Mitarbeiter im Finanzamt kann nicht einfach mal in seinem Bekanntenkreis neugierigerweise „nachschauen“. Nur die Steuerbehörde kann einen solchen Antrag mit Begründung stellen.
Dennoch lasse fast eine Million Kontenabfragen Bedenken bei Datenschützern aufkommen. Zumal diese 900.000 nicht so richtig repräsentativ sind. Die Finanzbehörden werten das Ermitteln von allen Konten eines Bürgers als nur eine Abfrage. Würde man jedes abgefragte Konto zählen, käme man auf ca. 14 Millionen Abfragen. Der Vorgang „Kontenabruf“ für Herrn Müller-Meier-Schmidt löst aber automatisch den Zugriff auf alle seine Konten aus.
Die Datenschützer sehen einen ausufernden Gebrauch dieser Möglichkeit und fordern eine Evaluierung dieses Verfahrens, denn jeder Abruf sei juristisch „ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung“. Peter Schaar, der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte, kritisierte, dass dieses „unverzichtbare Mittel gegen die Terrorfinanzierung“ heute ein Standardinstrument für alle möglichen Ämter geworden sei:
„Der automatisierte Abruf von Kontoinformationen — kurz Kontenabruf — wurde als Folge der Terroranschläge vom 11. September 2001 eingeführt, um Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung besser bekämpfen zu können. Für diesen Zweck müssen Kreditinstitute seitdem bestimmte Kontoinformationen vorhalten.
Zunächst durfte nur die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) Kontenabrufe für die Sicherheitsbehörden durchführen. 2005 erhielt außerdem das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) die Befugnis zur Abfrage. Seit 2013 dürfen auch Gerichtsvollzieher das BZSt um Kontenabrufe ersuchen. Damit ist aus einem Diagnoseinstrument der Geldwäsche- und Terrorismusfinanzierungbekämpfung ein Vollstreckungshilfsmittel geworden.
Es ist deswegen nicht erstaunlich, dass die Anzahl der Kontenabrufersuchen insbesondere seit 2013 stetig angestiegen ist. Gab es 2012 noch 72.000 solcher Abrufersuchen an das BZSt, waren es im vergangenen Jahr mehr als 900.000.“
Soviel zu dem oft gehörten Argument: „Ist mir egal, ich hab ja nichts zu verbergen“. Hat ein Staat erst einmal die Möglichkeit des Zugriffs auf den privatesten Bereich der Bürger, nutzt er ihn aus und erweitert ständig die Grenzen des Zumutbaren. Es ist ja nicht so, dass es bei echten Strafermittlungen nicht sowieso größeren Spielraum gäbe, um echte Vergehen und Verbrechen aufzuklären.
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